Stellungnahme zur Kostenheranziehung junger Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe nach § 91 ff. SGB VIII
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft spricht sich für eine Streichung der Kostenheranziehung bei jungen Menschen, die im Rahmen der (teil-)stationären Jugendhilfe untergebracht sind, aus. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es bereits weitreichende Überlegungen im Rahmen der SGB VIII-Reform gibt und sich die Mehrheit für eine Streichung der Kostenheranziehung von jungen Menschen ausgesprochen hat. Eine Streichung des Kostenbeitrags würde auch die Diskussion um die Heranziehung des durchschnittlichen Vorjahreseinkommens oder des aktuellen Monatseinkommens beenden und den Verwaltungsaufwand senken.
Stellungnahme des Bundesforum Vormundschaft vom 23. Oktober 2019
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ist ein multiprofessioneller Zusammenschluss von Verbänden, Organisationen und Einzelpersonen, die landes- und bundesweit im Bereich der Vormundschaften/Pflegschaften oder an den Schnittstellen dazu tätig sind. Vertreten sind Praxis und Wissenschaft, alle Formen der Vormundschaft, soziale Dienste, erzieherische Hilfen und die Familiengerichtsbarkeit. Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ist anerkannter Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die Entwicklung und Qualität der Vormundschaft und Pflegschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Inhalt:
I. Vorbemerkung: Vormund*innen erleben die Kostenheranziehung als Problem II. Kostenbeitrag streichen! III. Fazit
I. Vorbemerkung:
Vormund*innen erleben die Kostenheranziehung junger Menschen als Problem Im Rahmen der Diskussion um die SGB VIII-Reform wird unter anderen die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten für stationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe schon seit einiger Zeit sehr kritisch diskutiert. Auch Vormund*innen sehen die Kostenheranziehung als Problem. Sie erleben häufig, dass die ihnen anvertrauten Jugendlichen sich „etwas verdienen“ wollen, um sich einen Wunsch zu erfüllen oder sich sehr auf ihr erstes Ausbildungsgehalt freuen. Die Jugendlichen werden dann idR damit konfrontiert, dass sie drei Viertel ihres Einkommens – ob durch Austragen von Zeitungen, Entpacken von Paletten oder als Ausbildungsgehalt verdient – abgeben sollen. Das bedeutet: Von 100 verdienten Euro bleiben 25 Euro –der Rest dient als Kostenbeitrag dafür, dass die jungen Menschen in der Einrichtung oder Pflegefamilie wohnen. Ein junger Mensch, der in einer Malerlehre etwa 500 Euro monatlich verdient, darf davon gerade einmal 125 Euro behalten. Ein Abzug in solcher Höhe ist bei Jugendlichen und jungen Menschen, die noch bei ihren Eltern wohnen, gänzlich unüblich. Wenn überhaupt, geben sie einen kleinen Teil ihres Ausbildungsgehalts als Beitrag für Wohnen und Verpflegung an die Eltern weiter. In nicht wenigen Fällen erhalten sie von den Eltern auch Zuschüsse zum Einkommen oder BAföG.
Gesetzlich ist für junge Menschen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe aktuell eine Erleichterung zwar dadurch gegeben, dass der Kostenbeitrag nach dem Einkommen des Vorjahres berechnet wird (§ 93 Abs. 4 SGB VIII): Im ersten Ausbildungsjahr muss ein junger Mensch also keinen Kostenbeitrag zahlen und kann etwas ansparen, bspw. für eine Kaution, wenn er/sie sich im Laufe des zweiten Ausbildungsjahres eine eigene Wohnung suchen will. Diese Vorgabe wird in der Praxis jedoch häufig ignoriert – und sollte nun an der SGB VIII-Diskussion vorbei laut Gesetzentwurf zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuches und weiterer Rechtsvorschriften (BT Drs 19/11006) gestrichen werden, was für einige Irritation in der Kinder- und Jugendhilfe sorgte.
Die Jugendämter haben zweitens zwar auch die Möglichkeit von der Kostenheranziehung ganz oder teilweise abzusehen (§ 94 Abs. 6 SGB VIII), insbesondere bei Einkommen aus sozialen und kulturellen Tätigkeiten (z. B. Freiwilligendienste) oder wenn die Tätigkeit zum Erreichen der Hilfeziele beiträgt. In der Praxis wird jedoch auch von diesem Ermessenspielraum selten Gebrauch gemacht. Dies hat zur Folge, dass junge Menschen, die in einer Einrichtung oder Pflegefamilie leben, wenig motiviert sind bspw. neben der Schule zu arbeiten, um sich etwas anzusparen. Auch junge Menschen in Ausbildung sind oft sehr enttäuscht, wenn sie weiterhin lediglich über Taschengeldbeträge verfügen, - durchaus auch mit der Folge von Ausbildungsabbrüchen.
II. Kostenbeitrag streichen!
Im Rahmen der SGB VIII-Reform-Debatten zeigt sich, dass die Kostenheranziehung in der aktuellen Fassung weitgehend abgelehnt wird. Die AG SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten, die AGJ und das Dialogforum Pflegekinderhilfe, in dem das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft vertreten ist, sprechen sich mehrheitlich für eine Abschaffung oder zumindest für eine deutliche Reduzierung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe aus.
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft schließt sich der Meinung an, dass die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten stationärer Hilfen zur Erziehung unangemessen ist und sie gegenüber Altersgenossen diskriminiert. Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft spricht sich daher für eine Streichung der Kostenheranziehung aus. Die gegenwärtige Heranziehung von 75% des Einkommens widerspricht dem Ziel, den jungen Menschen zu verselbstständigen und damit der „Förderung seiner Entwicklung und […] Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 SGB VIII) gerecht zu werden. Die Heranziehung geringer Kostenbeiträge, die auch diskutiert wurde, kommt aus Sicht des Bundesforums schon deswegen nicht infrage, weil sie einen unangemessenen Verwaltungsaufwand verursacht.
Vier Gründe für die Streichung der Kostenheranziehung:
1. Die Kostenheranziehung demotiviert und verhindert Ansparen für eigene Wünsche!
Sowohl Jugendliche als auch junge Volljährige entscheiden sich oft auf Grund der Kostenheranziehung dagegen zu arbeiten, da diese demotiviert und nicht zum Arbeiten anregt. Durch das geringe Einkommen von 25 % haben die jungen Menschen kaum die Möglichkeit zu sparen bspw. für die Wohnungskaution, die idR nicht übernommen wird. Verunmöglicht wird auch die Finanzierung eines Laptops (heutzutage schon Standard bei jungen Menschen) oder des Führerscheins, der nur in Ausnahmefällen von den Jugendämtern bezahlt wird und ggf. eine Voraussetzung für die Übernahme in Freiwilligendienste und viele betriebliche Ausbildungen darstellt. Negative Auswirkungen auf Chancen auf dem Wohnungsmarkt und Bildungsperspektiven werden so mitproduziert.
2. Die Kostenheranziehung widerspricht Erziehungszielen und dem Ziel der Leistung für den jungen Menschen!
Nach § 92 Abs. 5 SGB VIII soll im Einzelfall ganz oder teilweise von der Kostenheranziehung abgesehen werden, wenn sonst Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe. Hilfen zur Erziehung - und die vormundschaftliche Begleitung - haben in der Regel als eines ihrer Ziele, junge Menschen auf eine Ausbildung und berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Ziel und Zweck der Erziehung und Hilfeleistung sind jedoch gefährdet, wenn es auf Grund der Höhe der Kostenheranziehung zu Enttäuschung und Ausbildungsabbrüchen kommt. Auch wenn Jugendliche neben der Schule arbeiten, entspricht das sehr häufig dem Hilfe- und Erziehungsziel, Selbstständigkeit sowie Zuverlässigkeit zu entwickeln und zu lernen, mit Geld umzugehen. Jedoch wird kaum ein*e Jugendliche*r bspw. 10 Stunden in der Woche im Supermarkt Regale einräumen, wenn sie oder er einen Monatslohn von 360 Euro erhält, aber nur 90,00€ behalten darf.
In der Antwort der Bundesregierung (BT-Drucksache 19/7215) vom 21.01.2019 auf die kleine Anfrage der FDP (BT-Drucksache Drucksache 19/6850) vom 04.01.2019 heißt es:
„Zum Verständnis der Kostenbeitragspflicht junger Menschen ist darauf hinzuweisen, dass die Kostenheranziehung grundsätzlich Ausdruck des der öffentlichen Fürsorge zugrunde liegenden Prinzips der Nachrangigkeit der öffentlichen Fürsorge gegenüber der Selbsthilfe und der Leistung anderer ist.“
Unterstützt man jedoch die jungen Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortlichkeit nicht besser, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sich z. B. die Kaution für die erste eigene Wohnung oder einen Führerschein selber zu finanzieren, anstatt gleichzeitig einen Kostenbeitrag zu erheben und beim Jugendamt einen Antrag auf Kostenübernahme einer Nebenleistung zu stellen?
3. Die Kostenheranziehung führt zu Hilfeabbrüchen!
Die Kostenheranziehung trägt dazu bei, dass Jugendliche an der Schwelle zur Volljährigkeit die Alternative sehen: Entweder Einkommen ODER Hilfe zu Erziehung. 25 % des Ausbildungs-Einkommens entspricht häufig einem Taschengeldsatz und nicht dem, was gleichaltrigen Auszubildenden zur Verfügung steht, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen. Dies hat zur Folge, dass sich junge Volljährige manchmal gegen weitere Hilfen nach § 41 SGB VIII entscheiden, weil sie das Gefühl haben, dass die Hilfe sie in ihrer Selbstständigkeit einschränkt, obwohl sie durchaus noch Unterstützungsbedarf haben und Fachkräfte der sozialen Dienste und Vormundschaft weitere Hilfen für geeignet und notwendig halten. Gelingt es dann noch nicht, die Ausbildung selbständig zu verfolgen, stehen die jungen Menschen ohne Unterstützung UND ohne Ausbildungsgehalt da.
4. Die Kostenheranziehung benachteiligt!
Jugendhilfe soll nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Auch die Vormundschaft fühlt sich diesem Ziel verpflichtet. Die Kostenheranziehung, insbesondere in der aktuellen Höhe, ist aus Sicht des Bundesforums Vormundschaft und Pflegschaft nicht angemessen. Junge Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen und neben der Schule arbeiten, werden zu Kosten im Haushalt selten herangezogen und junge Menschen, die noch zu Hause leben und bereits eine Ausbildung machen, werden ggf. einen kleinen Beitrag zum Haushalt leisten oder sogar zusätzliche Unterstützung erhalten, aber nicht 75 % ihres Einkommens abgeben. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass junge Menschen in der stationären Jugendhilfe in der Regel kein Vermögen oder Ersparnis besitzen und im Vergleich zu Gleichaltrigen deutlich mehr finanzielle Herausforderungen selbständig und ohne Unterstützung bewältigen müssen, sieht das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft die Kostenheranziehung als eine Maßnahme dar, die junge Menschen, die im Rahmen der Kinderund Jugendhilfe aufwachsen, benachteiligt.
III. Fazit
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft spricht sich aus den oben genannten Gründen für eine Streichung der Kostenheranziehung bei jungen Menschen, die im Rahmen der (teil-)stationären Jugendhilfe untergebracht sind, aus. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es bereits weitreichende Überlegungen im Rahmen der SGB VIII-Reform gibt und sich die Mehrheit für eine Streichung der Kostenheranziehung von jungen Menschen ausgesprochen hat. Eine Streichung des Kostenbeitrags würde auch die Diskussion um die Heranziehung des durchschnittlichen Vorjahreseinkommens oder des aktuellen Monatseinkommens beenden und den Verwaltungsaufwand senken.
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft hat Ende Juni 2022 eine Stellungnahme zum Referent*innenentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe veröffentlicht.
Abschlussbericht eines Projektes zur Analyse von Chancen und Grenzen der Vormundschaft durch Pflegeeltern. Das Bundesforum Vormundschaft hat im Auftrag des Kompetenzzentrums Pflegekinder untersucht, wie die Praxis in den Jugendämtern Vormundschaften durch Pflegeeltern einordnet. Die zentrale, forschungsleitende Frage dieser Untersuchung lautet: Welche Chancen und Grenzen von Pflegeeltern-Vormundschaft werden von der Praxis der Amtsvormundschaften und des Pflegekinderdienstes wahrgenommen? Zur Beantwortung der Frage gab es Interviews mit ExpertInnen und eine Fachkräfte-Onlinebefragung von Jugendämtern aus Baden-Württemberg und Brandenburg.
Veranstaltet vom Bundesform Vormundschaft und PFAD-Bundesverband wurde mit Pflegekindern, Pflegeeltern und Vormündern ein Arbeitspapier entwickelt, in dem sieben Thesen zur Zusammenarbeit zwischen Pflegekindern, Pflegeeltern und Vormund*innen festgehalten wurden.
Zum 'Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft' haben sich siebzehn Institutionen, die mit diesem Thema zu tun haben, zusammengeschlossen. Zur Zeit ist das Bundesforum ebenfalls mit der SGB VIII Reform beschäftigt und hat ein Arbeitspapier dazu entwickelt: "Einwurf zum Prozess „Mitreden – Mitgestalten“ zur Vorbereitung einer SGB VIII-Reform: „Unterbringung außerhalb der eigenen Familie: Kindesinteressen wahren – Eltern unter-stützen – Familien stärken“
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Stellungnahme zur Kostenheranziehung junger Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe nach § 91 ff. SGB VIII
Themen:
Stellungnahme des Bundesforum Vormundschaft vom 23. Oktober 2019
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ist ein multiprofessioneller Zusammenschluss von Verbänden, Organisationen und Einzelpersonen, die landes- und bundesweit im Bereich der Vormundschaften/Pflegschaften oder an den Schnittstellen dazu tätig sind. Vertreten sind Praxis und Wissenschaft, alle Formen der Vormundschaft, soziale Dienste, erzieherische Hilfen und die Familiengerichtsbarkeit. Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ist anerkannter Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um die Entwicklung und Qualität der Vormundschaft und Pflegschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Inhalt:
I. Vorbemerkung: Vormund*innen erleben die Kostenheranziehung als Problem
II. Kostenbeitrag streichen!
III. Fazit
I. Vorbemerkung:
Vormund*innen erleben die Kostenheranziehung junger Menschen als Problem Im Rahmen der Diskussion um die SGB VIII-Reform wird unter anderen die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten für stationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe schon seit einiger Zeit sehr kritisch diskutiert. Auch Vormund*innen sehen die Kostenheranziehung als Problem. Sie erleben häufig, dass die ihnen anvertrauten Jugendlichen sich „etwas verdienen“ wollen, um sich einen Wunsch zu erfüllen oder sich sehr auf ihr erstes Ausbildungsgehalt freuen. Die Jugendlichen werden dann idR damit konfrontiert, dass sie drei Viertel ihres Einkommens – ob durch Austragen von Zeitungen, Entpacken von Paletten oder als Ausbildungsgehalt verdient – abgeben sollen. Das bedeutet: Von 100 verdienten Euro bleiben 25 Euro –der Rest dient als Kostenbeitrag dafür, dass die jungen Menschen in der Einrichtung oder Pflegefamilie wohnen. Ein junger Mensch, der in einer Malerlehre etwa 500 Euro monatlich verdient, darf davon gerade einmal 125 Euro behalten. Ein Abzug in solcher Höhe ist bei Jugendlichen und jungen Menschen, die noch bei ihren Eltern wohnen, gänzlich unüblich. Wenn überhaupt, geben sie einen kleinen Teil ihres Ausbildungsgehalts als Beitrag für Wohnen und Verpflegung an die Eltern weiter. In nicht wenigen Fällen erhalten sie von den Eltern auch Zuschüsse zum Einkommen oder BAföG.
Gesetzlich ist für junge Menschen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe aktuell eine Erleichterung zwar dadurch gegeben, dass der Kostenbeitrag nach dem Einkommen des Vorjahres berechnet wird (§ 93 Abs. 4 SGB VIII): Im ersten Ausbildungsjahr muss ein junger Mensch also keinen Kostenbeitrag zahlen und kann etwas ansparen, bspw. für eine Kaution, wenn er/sie sich im Laufe des zweiten Ausbildungsjahres eine eigene Wohnung suchen will. Diese Vorgabe wird in der Praxis jedoch häufig ignoriert – und sollte nun an der SGB VIII-Diskussion vorbei laut Gesetzentwurf zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuches und weiterer Rechtsvorschriften (BT Drs 19/11006) gestrichen werden, was für einige Irritation in der Kinder- und Jugendhilfe sorgte.
Die Jugendämter haben zweitens zwar auch die Möglichkeit von der Kostenheranziehung ganz oder teilweise abzusehen (§ 94 Abs. 6 SGB VIII), insbesondere bei Einkommen aus sozialen und kulturellen Tätigkeiten (z. B. Freiwilligendienste) oder wenn die Tätigkeit zum Erreichen der Hilfeziele beiträgt. In der Praxis wird jedoch auch von diesem Ermessenspielraum selten Gebrauch gemacht. Dies hat zur Folge, dass junge Menschen, die in einer Einrichtung oder Pflegefamilie leben, wenig motiviert sind bspw. neben der Schule zu arbeiten, um sich etwas anzusparen. Auch junge Menschen in Ausbildung sind oft sehr enttäuscht, wenn sie weiterhin lediglich über Taschengeldbeträge verfügen, - durchaus auch mit der Folge von Ausbildungsabbrüchen.
II. Kostenbeitrag streichen!
Im Rahmen der SGB VIII-Reform-Debatten zeigt sich, dass die Kostenheranziehung in der aktuellen Fassung weitgehend abgelehnt wird. Die AG SGB VIII: Mitreden – Mitgestalten, die AGJ und das Dialogforum Pflegekinderhilfe, in dem das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft vertreten ist, sprechen sich mehrheitlich für eine Abschaffung oder zumindest für eine deutliche Reduzierung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe aus.
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft schließt sich der Meinung an, dass die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten stationärer Hilfen zur Erziehung unangemessen ist und sie gegenüber Altersgenossen diskriminiert. Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft spricht sich daher für eine Streichung der Kostenheranziehung aus. Die gegenwärtige Heranziehung von 75% des Einkommens widerspricht dem Ziel, den jungen Menschen zu verselbstständigen und damit der „Förderung seiner Entwicklung und […] Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 SGB VIII) gerecht zu werden. Die Heranziehung geringer Kostenbeiträge, die auch diskutiert wurde, kommt aus Sicht des Bundesforums schon deswegen nicht infrage, weil sie einen unangemessenen Verwaltungsaufwand verursacht.
Vier Gründe für die Streichung der Kostenheranziehung:
1. Die Kostenheranziehung demotiviert und verhindert Ansparen für eigene Wünsche!
Sowohl Jugendliche als auch junge Volljährige entscheiden sich oft auf Grund der Kostenheranziehung dagegen zu arbeiten, da diese demotiviert und nicht zum Arbeiten anregt. Durch
das geringe Einkommen von 25 % haben die jungen Menschen kaum die Möglichkeit zu sparen bspw. für die Wohnungskaution, die idR nicht übernommen wird. Verunmöglicht wird auch die Finanzierung eines Laptops (heutzutage schon Standard bei jungen Menschen) oder des Führerscheins, der nur in Ausnahmefällen von den Jugendämtern bezahlt wird und ggf. eine Voraussetzung für die Übernahme in Freiwilligendienste und viele betriebliche Ausbildungen darstellt. Negative Auswirkungen auf Chancen auf dem Wohnungsmarkt und Bildungsperspektiven werden so mitproduziert.
2. Die Kostenheranziehung widerspricht Erziehungszielen und dem Ziel der Leistung für den jungen Menschen!
Nach § 92 Abs. 5 SGB VIII soll im Einzelfall ganz oder teilweise von der Kostenheranziehung abgesehen werden, wenn sonst Ziel und Zweck der Leistung gefährdet würden oder sich aus der Heranziehung eine besondere Härte ergäbe. Hilfen zur Erziehung - und die vormundschaftliche Begleitung - haben in der Regel als eines ihrer Ziele, junge Menschen auf eine Ausbildung und berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Ziel und Zweck der Erziehung und Hilfeleistung sind jedoch gefährdet, wenn es auf Grund der Höhe der Kostenheranziehung zu Enttäuschung und Ausbildungsabbrüchen kommt. Auch wenn Jugendliche neben der Schule arbeiten, entspricht das sehr häufig dem Hilfe- und Erziehungsziel, Selbstständigkeit sowie Zuverlässigkeit zu entwickeln und zu lernen, mit Geld umzugehen. Jedoch wird kaum ein*e Jugendliche*r bspw. 10 Stunden in der Woche im Supermarkt Regale einräumen, wenn sie oder er einen Monatslohn von 360 Euro erhält, aber nur 90,00€ behalten darf.
In der Antwort der Bundesregierung (BT-Drucksache 19/7215) vom 21.01.2019 auf die kleine Anfrage der FDP (BT-Drucksache Drucksache 19/6850) vom 04.01.2019 heißt es:
Unterstützt man jedoch die jungen Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortlichkeit nicht besser, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sich z. B. die Kaution für die
erste eigene Wohnung oder einen Führerschein selber zu finanzieren, anstatt gleichzeitig einen Kostenbeitrag zu erheben und beim Jugendamt einen Antrag auf Kostenübernahme einer Nebenleistung zu stellen?
3. Die Kostenheranziehung führt zu Hilfeabbrüchen!
Die Kostenheranziehung trägt dazu bei, dass Jugendliche an der Schwelle zur Volljährigkeit die Alternative sehen: Entweder Einkommen ODER Hilfe zu Erziehung. 25 % des Ausbildungs-Einkommens entspricht häufig einem Taschengeldsatz und nicht dem, was gleichaltrigen Auszubildenden zur Verfügung steht, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen. Dies hat zur Folge, dass sich junge Volljährige manchmal gegen weitere Hilfen nach § 41 SGB VIII entscheiden, weil sie das Gefühl haben, dass die Hilfe sie in ihrer Selbstständigkeit einschränkt, obwohl sie durchaus noch Unterstützungsbedarf haben und Fachkräfte der sozialen Dienste und Vormundschaft weitere Hilfen für geeignet und notwendig halten. Gelingt es dann noch nicht, die Ausbildung selbständig zu verfolgen, stehen die jungen Menschen ohne Unterstützung UND ohne Ausbildungsgehalt da.
4. Die Kostenheranziehung benachteiligt!
Jugendhilfe soll nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Auch die Vormundschaft fühlt sich diesem Ziel verpflichtet. Die Kostenheranziehung, insbesondere in der aktuellen Höhe, ist aus Sicht des Bundesforums Vormundschaft und Pflegschaft nicht angemessen. Junge Menschen, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen und neben der Schule arbeiten, werden zu Kosten im Haushalt selten herangezogen und junge Menschen, die noch zu Hause leben und bereits eine Ausbildung machen, werden ggf. einen kleinen Beitrag zum Haushalt leisten oder sogar zusätzliche Unterstützung erhalten, aber nicht 75 % ihres Einkommens abgeben. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass junge Menschen in der stationären Jugendhilfe in der Regel kein Vermögen oder Ersparnis besitzen und im Vergleich zu Gleichaltrigen deutlich mehr finanzielle Herausforderungen selbständig und ohne Unterstützung bewältigen müssen, sieht das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft die Kostenheranziehung als eine Maßnahme dar, die junge Menschen, die im Rahmen der Kinderund Jugendhilfe aufwachsen, benachteiligt.
III. Fazit
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft spricht sich aus den oben genannten Gründen für eine Streichung der Kostenheranziehung bei jungen Menschen, die im Rahmen der (teil-)stationären Jugendhilfe untergebracht sind, aus. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es bereits weitreichende Überlegungen im Rahmen der SGB VIII-Reform gibt und sich die Mehrheit für eine Streichung der Kostenheranziehung von jungen Menschen ausgesprochen hat. Eine Streichung des Kostenbeitrags würde auch die Diskussion um die Heranziehung des durchschnittlichen Vorjahreseinkommens oder des aktuellen Monatseinkommens beenden und den Verwaltungsaufwand senken.
05_stn_zur_kostenheranziehung_nach_ss_91_ff._sgb_viii_bundesforum_vormundschaft_und_pflegschaft.pdf