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06.07.2022
Positionspapier

Bundesforum Vormundschaft nimmt Stellung

Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft hat Ende Juni 2022 eine Stellungnahme zum Referent*innenentwurf zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe veröffentlicht.

Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ist ein multiprofessioneller Zusammenschluss von Verbänden, Organisationen und Einzelpersonen, die landes- und bundesweit im Bereich der Vormundschaften/Pflegschaften oder an den Schnittstellen dazu tätig sind. Vertreten sind Praxis und Wissenschaft, alle Formen der Vormundschaft, soziale Dienste, erzieherische Hilfen und die Familiengerichtsbarkeit. 

Auszüge aus der Stellungnahme

Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft begrüßt die geplante Streichung der Kostenheranziehung junger Menschen aus ihrem Vermögen und ihrem Einkommen (§ 92 Abs. 1a SGB VIII; § 94 Abs. 6 SGB VIII), weist aber darauf hin, dass der auch künftig mögliche Zugriff auf die Leistungen nach §§ 61, 62 und 122 SGB III zur Ungleichbehandlung von jungen Menschen mit Behinderungen führt. [....]

Die Streichung der Kostenheranziehung erachtet das Bundesforum als einen notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Vormund*innen berichten seit Jahren, dass die Kostenheranziehung nicht im Interesse der Jugendlichen und ihrer Entwicklung zu einer „selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 Abs. 1 SGB VIII) ist. Sie erleben unmittelbar, wie wichtig das Ausbildungseinkommen für Motivation und Durchhaltevermögen junger Menschen ist. [....]

Junge Menschen sind weniger motiviert - etwa neben der Schule - zu arbeiten oder eine Ausbildung durchzuhalten, wenn sie einen Teil ihres Einkommens abgeben müssen. Die Motivation zu Arbeit, Aus- und Weiterbildung und die Fähigkeit, sich in diesen Bereichen Ziele zu setzen, sind aber zentral für ein gelingendes Hereinwachsen in die Erwachsenenwelt. Die Höhe des Einkommens bestimmt dabei nicht nur, was ausgegeben oder angespart werden kann, sondern es drückt sich darin für die jungen Menschen auch der Wert ihrer Arbeit aus. [....]

Die Kostenheranziehung – auch wenn sie mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz reduziert wurde – steht weiterhin für ein Instrument in der Jugendhilfe, das die Erziehungsziele im Rahmen der Hilfeplanung nicht ausreichend berücksichtigt, zum Beispiel Antreten und Durchhalten einer Ausbildung. Im schlechtesten Fall werden junge Menschen durch den Zugriff auf ihr Ausbildungseinkommen dazu verleitet, die Notwendigkeit der Jugendhilfeangebote in Frage zu stellen und mit 18 Jahren keine Hilfe mehr anzunehmen, obwohl aus Sicht aller Beteiligten eine weitere Unterstützung für die Persönlichkeitsentwicklung hin zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 1 Abs. 1 SGB VIII) sinnvoll erscheint. [....]

Zudem hat sich das Bundesforum bereits in seiner Stellungnahme 2019 auch aus der Jugendamtsperspektive eher für eine Streichung als für eine Reduzierung der Kostenheranziehung ausgesprochen, da der Reduzierung des Kostenbeitrags auf einen geringeren Anteil des Einkommens ein Verwaltungsaufwand gegenübersteht, der nach Vermutung des Bundesforums nicht im Verhältnis zu den verringerten Einnahmen steht.  [....]

Neben der geplanten Streichung der Kostenheranziehung aus dem Einkommen junger Menschen begrüßt das Bundesforum die geplante Streichung der Kostenheranziehung aus dem Vermögen junger Menschen. Auf diese Weise wird es für die jungen Menschen und sie begleitende Pflegeeltern oder andere ihnen verbundene Erwachsene möglich, Rücklagen anzusparen, die das bisherige Schonvermögen überschreiten und die im Übergang in ein selbstständiges Leben häufig sehr wichtig sind. [....]

Das Bundesforum spricht sich dafür aus, die Leistungen für geförderte Ausbildungen (§ 61 SGB III), für berufsvorbereitende Maßnahmen (§ 62 SGB III) und das so genannte Ausbildungsgeld für die Ausbildung für Menschen mit Behinderungen (§ 122 SGB III) ebenfalls von der Kostenheranziehung auszunehmen. [....]

Die Tatsache, dass junge Menschen (mit einer Behinderung), die eine geförderte Ausbildung oder berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme machen, 100 % des Geldes, das einem Einkommen entspricht, für Jugendhilfeleistungen einsetzen müssen, erscheint aus Sicht des Bundesforums unangebracht. Denn aus Perspektive der jungen Menschen bedeutet dies, dass sie im Vergleich zu Mitbewohner*innen in Einrichtungen oder Geschwistern in Pflegefamilien ihren Möglichkeiten entsprechend genauso viel leisten, aber ihre Leistung am Ende nicht honoriert wird. [....]

Es erreichen das Bundesforum vermehrt Anfragen von (ehemaligen) Vormund*innen, die uns berichten, dass ihre Jugendlichen oder die jungen Volljährigen, für die sie einst die Vormundschaft hatten, von der Möglichkeit Gebrauch machen möchten, die Kostenbescheide der letzten vier Jahre rückwirkend zu prüfen. Insbesondere bei rechtlichen, aber auch bei Vermögensfragen stellen wir fest, dass junge Menschen auf ihre (ehemaligen) Vormund*innen zurückgreifen, da sie sie unabhängig beraten und unterstützen könne. [....]

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