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01.07.2011
Gerichtsbeschluss erklärt

Urteil zur Namensänderung vom Oberverwaltungsgericht Münster Az: 16 A 3226/08 v. 31.08.2010

Die nicht sorgeberechtigte leibliche Mutter eines Pflegekindes wendet sich hier an das Oberverwaltungsgericht NRW, um sich gegen einen Beschluss eines Verwaltungsgerichtes zu beschweren, welches die Namensänderung für ihren Sohn in den Namen der Pflegefamilie positiv entschied. Das Pflegekind gilt als Beteiligter in diesem Verfahren und wird als „ der Beigeladene“ bezeichnet.

Die nicht sorgeberechtigte leibliche Mutter eines Pflegekindes wendet sich hier an das Oberverwaltungsgericht NRW, um sich gegen einen Beschluss eines Verwaltungsgerichtes zu beschweren, welches die Namensänderung für ihren Sohn in den Namen der Pflegefamilie positiv entschied. Das Pflegekind gilt als Beteiligter in diesem Verfahren und wird als „ der Beigeladene“ bezeichnet.

Gründe (Auszüge aus dem Urteil)

Der Beigeladene wurde am 16. November 2000 als nichteheliches Kind der Klägerin geboren und erhielt deren Familiennamen. Seit dem 7. März 2001 lebt der Beigeladene in einer Pflegefamilie. 2002 wurde der Klägerin die elterliche Sorge entzogen und auf das Jugendamt der Stadt T. als Vormund übertragen. Das Jugendamt beantragte am 19. Juni 2007 mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung die Änderung des Familiennamens des Beigeladenen in den Familiennamen seiner Pflegeeltern. Zur Begründung verwies es darauf, dass eine Eltern-Kind-Beziehung entstanden sei. Der Beigeladene empfinde es als Mangel, nicht den Namen der Pflegeeltern zu tragen. Zu dem Namen der leiblichen Mutter habe er keine Beziehung. Die Klägerin habe bis heute nicht akzeptiert, dass der Beigeladene bei Pflegeeltern aufwachse. Sie wolle die Zugehörigkeit zu ihrem Kind nicht verlieren. Besuchskontakte hätten die Jahre über regelmäßig alle drei Monate stattgefunden. Der Beigeladene wisse, dass die Klägerin seine leibliche Mutter sei. Im April 2007 habe er seiner Pflegemutter den Wunsch mitgeteilt, ebenso heißen zu wollen wie "Mama und Papa". Er verwende schon längst den Namen seiner Pflegeeltern, um gegenüber Außenstehenden seine Zugehörigkeit zu dieser Familie zu dokumentieren. Bei all den Schwierigkeiten, die sich durch die Trennung des Kindes von seiner leiblichen Mutter und dem Zusammen- und Aufwachsen in einer neuen Familie ergäben, was sich gänzlich von einer Scheidung oder der Trennung zweier Elternteile unterscheide, sei die Namensänderung für das Wohl des Kindes erforderlich. Eine Rückübertragung des Sorgerechts sei nicht zu erwarten; eine Adoption sei weder geplant noch komme sie unter den derzeitigen Bedingungen in Frage.
Nachdem die Pflegeeltern ihr Einverständnis erklärt hatten, gab die Beklagte dem Antrag auf Namensänderung mit Bescheid vom 4. Februar 2008 statt. Nach Abwägung aller Belange sei das Interesse des Beigeladenen an der Änderung seines Familiennamens höher einzustufen als das Interesse anderer Beteiligter an dessen Beibehaltung. Der Beigeladene sei in den Familienverband der Pflegefamilie integriert und identifiziere sich auch nach außen mit dieser. Eine Namensgleichheit mit der Pflegefamilie lasse eine positive Entwicklung erwarten und fördere die weitere Integration. Die leiblichen Eltern behielten auch nach der Namensänderung ihre bisherigen Rechte und Pflichten gegenüber dem Beigeladenen. Insbesondere die Besuchskontakte der Klägerin würden hierdurch nicht erschwert.

Die Klägerin hat am 12. März 2008 Klage erhoben und diese wie folgt begründet:

Das Wohlergehen des Beigeladenen sei nicht davon abhängig, welchen Nachnamen er trage. Sie nehme die ihr zugestandenen Besuchskontakte regelmäßig wahr. Ihr Wunsch nach mehr Umgang werde von den Behörden abgelehnt. Der Beigeladene wisse, dass einerseits sie seine leibliche Mutter sei und andererseits er seinen Lebensbereich bei den Pflegeeltern habe. Mit dieser Situation sei er aufgewachsen, ohne dass es aufgrund dessen bis zum heutigen Tage zu irgendeinem Konflikt gekommen sei. Die jetzige Auseinandersetzung sei erst dadurch entstanden, dass das Jugendamt von sich aus und ohne Anregung seitens des Beigeladenen eine Namensänderung initiiert habe. Gründe, aus denen das Wohl des Beigeladenen gefährdet sein sollte, wenn er weiterhin ihren Familiennamen trage, seien nicht erkennbar.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.

Es liege ein die Namensänderung rechtfertigender wichtiger Grund vor. Anders als in den sog. Stiefkinder- und Scheidungshalbwaisenfällen müsse die Namensänderung nicht zum Wohl des Kindes erforderlich sein, sondern es reiche aus, dass sie das Kindeswohl fördere. Die familiäre Lage eines Stiefkindes bzw. eines Scheidungshalbwaisen sei mit derjenigen eines unter Vormundschaft stehenden, in Dauerpflege fortgegebenen Pflegekindes nicht vergleichbar. Der von der Rechtsordnung anerkannte Daueraufenthalt bei den Pflegeeltern gebe dem Pflegekind die zu einer gedeihlichen Entwicklung nötige Geborgenheit einer Familie, in der für die leibliche Mutter des Pflegekindes, praktisch wie bei einer Adoption, kein Platz mehr sei. Dass das verwandtschaftliche Verhältnis zu der Mutter namensmäßig nicht länger dokumentiert werde, tue deshalb dem Wohl des Pflegekindes keinen Abbruch. Umgekehrt könne die Mutter, die ihrer Elternverantwortung nicht gerecht werde, sich nicht auf ein eigenes namensrechtliches Interesse am Fortbestand des Kindesnamens berufen. Vorliegend befinde sich der Beigeladene bereits seit seinem ersten Lebensjahr in der Obhut einer Pflegefamilie, sodass er sich dieser, wie er auch in der mündlichen Verhandlung vermittelt habe, zugehörig fühle. Nach Auswertung der Jugendamtsakten sei zwar nicht von der Hand zu weisen, dass das Begehren nach einer Namensänderung behördlicherseits maßgeblich gefördert worden sei. Dies ändere jedoch nichts daran, dass sich der Beigeladene diesen Wunsch mittlerweile zu eigen gemacht habe und seiner Namensführung einen nicht unerheblichen Stellenwert zumesse. Unerheblich sei schließlich, dass anstelle der Pflegeeltern das Jugendamt zum Vormund des Beigeladenen bestellt sei. Bereits durch die Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt sei sein Verhältnis zu den Pflegeeltern in weitgehendem Maße rechtlich verfestigt. Namentlich stehe seine Zugehörigkeit zur Pflegefamilie nicht mehr zur Disposition der Klägerin.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

Bekräftigend führt sie aus, es könne keine Rede davon sein, dass sie ihrer Elternverantwortung nicht gerecht werde oder sich ihr entziehe. Vielmehr sei es allein das Jugendamt, das ihre Bemühungen um eine Erweiterung der Besuchskontakte boykottiere und so einen engeren Kontakt verhindere. Zwischenzeitlich habe sie bei der Stadt L. eine Notbescheinigung für eine Zweiraumwohnung beantragt. Damit sei die notwendige Voraussetzung geschaffen, um – ebenso wie dies bei Scheidungskindern üblich sei – einen Umgang mit dem Beigeladenen auch am Wochenende zu ermöglichen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und nach ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen…………

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. … Die Entscheidung über die Änderung des Familiennamens des Beigeladenen ist nicht zu beanstanden; sie verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). ………
Ein die Namensänderung rechtfertigender wichtiger Grund liegt vor, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden Umstände ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt. Das schutzwürdige Interesse dessen, der die Namensänderung erstrebt, muss die schutzwürdigen Interessen Dritter überwiegen und Vorrang haben gegenüber den in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundsätzen der Namensführung. ……
Ausgehend davon ist in den Fällen eines in Dauerpflege aufwachsenden und unter pflegeelterlicher Vormundschaft stehenden Kindes, dessen Familienname in den Familiennamen der Pflegeeltern geändert werden soll, nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 1987 – 7 C 120.86 –, juris Rdnr. 13 (= NJW 1988, 85) notwendig, aber auch ausreichend, dass die begehrte Namensänderung dem Wohl des Pflegekindes förderlich ist und überwiegende Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Namens nicht entgegenstehen….
Die für die Interessenabwägung bei der Einbenennung von "Stiefkindern" ebenso wie bei der Namensänderung von "Scheidungshalbwaisen" maßgebenden Gesichtspunkte sind auf die Fallgruppe der Pflegekinder nicht übertragbar. Die familiäre Situation eines unter Vormundschaft stehenden Kindes, das in einem auf Dauer angelegten Pflegeverhältnis aufwächst, ist mit der Lage von Kindern, die in der Familie des (wieder-)verheirateten oder allein lebenden Elternteils leben und gegen den Willen des anderen Elternteils einen neuen Familiennamen erhalten sollen, nicht vergleichbar. ………..
Der Senat teilt im Weiteren auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es vorliegend nicht deshalb an den Voraussetzungen für eine Absenkung der Schwelle zur Namensänderung fehlt, weil der Beigeladene anders als in der dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 1987, a. a. O., zugrunde liegenden Fallgestaltung nicht unter der Vormundschaft der Pflegeeltern, sondern des Jugendamts steht. Entscheidend ist insofern, dass der Klägerin die elterliche Sorge für den Beigeladenen entzogen ist. Durch deren Übertragung auf das Jugendamt erfährt das in tatsächlicher Hinsicht zweifellos auf Dauer angelegte Pflegeverhältnis auch die notwendige rechtliche Verfestigung, die die Einbenennung des Beigeladenen in seine Pflegefamilie unter erleichterten Bedingungen erlaubt. ………
Gemessen am Maßstab der Förderlichkeit ist ein wichtiger Grund für die Namensänderung des Beigeladenen gegeben. Zwischen dem Beigeladenen und seinen Pflegeeltern besteht ein seit mehr als neun Jahren andauerndes intensives Eltern-Kind-Verhältnis…….
Vor diesem Hintergrund dient die Herbeiführung einer Namensidentität der Dokumentation der Zugehörigkeit des Beigeladenen zum Familienverband der Pflegeeltern. Diese Dokumentation wiederum ist, wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, für den Beigeladenen wichtig. Die Namensänderung entspricht seinem ausdrücklichen Wunsch, den er zuletzt in der mündlichen Verhandlung erster Instanz bekundet hat, mag dieser Wunsch auch zunächst durch das Tätigwerden des Jugendamts befördert worden sein. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass das Interesse des Beigeladenen, den gleichen Namen wie seine Pflegefamilie zu tragen, inzwischen infolge Zeitablaufs wesentlich an Bedeutung verloren hat. Der jetzt fast zehn Jahre alte Beigeladene wird noch einige Jahre für eine möglichst unbeeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung auf eine enge familiäre Bindung angewiesen sein, die ihm emotionale Sicherheit und das Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt, bevor dann mit fortschreitender Pubertät eine allmähliche Verselbständigung eintritt. Die Namensänderung erscheint deshalb nach wie vor geeignet, sich positiv auf seine weitere Entwicklung auszuwirken.
Überwiegende sonstige Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Familiennamens des Beigeladenen bestehen nicht. Wenngleich einzuräumen ist, dass die Klägerin das ihr zugestandene Umgangsrecht stets wahrgenommen hat, resultiert daraus doch nur eine im Vergleich zu seiner Bindung an die Pflegeeltern sehr beschränkte persönliche Beziehung zu dem Beigeladenen. Der Umgang der Klägerin mit dem Beigeladenen war in der Vergangenheit auf wenige Besuchskontakte im Jahresverlauf beschränkt. Dass sich dies inzwischen wesentlich geändert hat, ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Die vorhandenen geringen Bindungen rechtfertigen es nicht, in der Abwägung mit dem Kindeswohl das bestehende Namensband aufrechtzuerhalten. Zwar ist zu bedenken, dass auch bei der Einbenennung eines Pflegekindes die Bewertung des Kindeswohls ihrerseits eine Gewichtung gegenläufiger Interessen erfordern kann. Neben dem Interesse des Kindes an der von ihm gewünschten Namensgleichheit mit den Pflegeeltern muss unter Umständen auch die Aufrechterhaltung seiner Beziehung zu der leiblichen Mutter in den Blick genommen werden, für die die Beibehaltung eines gemeinsamen Namens ein äußeres Zeichen ist. ………

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