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28.04.2015

Zusammenführung der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung im Sozialgesetzbuch VIII

Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege zur 'Großen Lösung' vom Jan. 2015

Was ist „die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege“?

Die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland organisiert sich überwiegend in ihren sechs Spitzenverbänden.
Die einzelnen Spitzenverbände sind geprägt durch unterschiedliche weltanschauliche oder religiöse Motive und Ziele. Sie arbeiten in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. zusammen.

Folgende Verbände sind Mitglied in der BAGFW
  • Arbeiterwohlfahrt (AWO)
  • Deutscher Caritasverband (DCV)
  • Der Paritätische Gesamtverband (Der Paritätische)
  • Deutsches Rotes Kreuz (DRK)
  • Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband - Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung
  • Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)

Diese sechs Spitzenverbände arbeiten in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. zusammen. Ihr gemeinsames Ziel ist die Sicherung und Weiterentwicklung der sozialen Arbeit durch gemeinschaftliche Initiativen und sozialpolitische Aktivitäten.

Die Spitzenverbände selbst sind föderalistisch strukturiert, das heißt ihre Gliederungen auf kommunaler und Landesebene sowie ihre Mitgliedsorganisationen sind überwiegend rechtlich selbstständig.

Die BAGFW unterhält eine Geschäftsstelle in Berlin, eine Vertretung in Brüssel sowie die Abteilung Wohlfahrtsmarken in Köln.

Die BAGFW sieht es als eine ihrer bedeutenden Aufgaben an, Stellungnahmen zu aktuellen Fragen der Politik und der Gesellschaft zu erarbeiten. Natürlich hat sie sich daher auch mit der Diskussion zur Inklusion und zum Bundesteilhabegesetz geäußert. Die BAGFW unterstützt die Forderung nach einer leistungsrechtlichen Zusammenführung der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung im Sozialgesetzbuch VIII („Große Lösung“).

Lesen Sie folgend die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege – BAGFW – vom Januar 2015

Einführung

Die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind in unterschiedlichen Sozialleistungssystemen geregelt. Bestimmungen für die Eingliederung von Kindern und Jugendlichen mit Lernbehinderung, mit geistiger und körperlicher Behinderung finden sich in §§ 53 ff. SGB XII (Sozialhilfe). § 35a SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) räumt seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen und von einer solchen Behinderung bedrohten Minderjährigen einen Anspruch auf Eingliederungshilfe ein. Aufgrund der geltenden Rechtslage und der unterschiedlichen Zuständigkeiten entstehen in der Praxis Schnittstellenprobleme zwischen den Hilfesystemen. Diese bringen negative Konsequenzen für junge Menschen und ihre Eltern bei der Leistungsgewährung. In der Fachöffentlichkeit besteht inzwischen überwiegend Konsens[1], dass eine Zusammenführung der Leistungen für alle Kinder und Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) und die Gesamtzuständigkeit des Systems der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen eine Möglichkeit ist, Zuständigkeitsstreitigkeiten und Leistungsverzögerungen zwischen der Eingliederungshilfe nach SGB XII und der Jugendhilfe nach SGB VIII zu vermeiden und die leistungsrechtliche Unterscheidung zwischen erzieherischem und behinderungsbedingtem Bedarf aufzuheben.

Im Koalitionsvertrag vom 27.11.2013 haben die Regierungsparteien vereinbart, dass die Kinder- und Jugendhilfe zu einem inklusiven Hilfesystem weiterentwickelt und die Schnittstellen in den Leistungssystemen so überwunden werden sollen, dass Leistungen für Kinder mit Behinderungen und für ihre Eltern möglichst aus einer Hand erfolgen können. Das Ziel der Zusammenführung der Leistungen für alle Kinder und Jugendlichen mit oder ohne Behinderung und von Behinderung bedrohten Kindern und Jugendlichen im SGB VIII entspricht zudem dem Inklusionsleitbild der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention.

Seit 1990 wird in den Kinder- und Jugendberichten immer wieder eine Zusammenführung der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung im SGB VIII gefordert. Zuletzt wurde die Frage der leistungsrechtlichen Zusammenführung von der durch ASKM und JFMK[2] eingesetzten Arbeitsgruppe „Inklusion von jungen Menschen mit Behinderung“ (im Folgenden: „Arbeitsgruppe Inklusion“ genannt) ausführlich untersucht und bewertet. Beteiligte waren Bund, Länder, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, BAG der Landesjugendämter und die Bundesarbeitsgemeinschaften der überörtlichen Sozialhilfeträger.

Die Arbeitsgruppe Inklusion legte am 5. März 2013 einen Bericht vor, der fachliche Argumente für eine Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen im System der Kinder- und Jugendhilfe skizziert, Implikationen für eine Umsetzung beschreibt und offene Fragen festhält.

Zusammenfassend unterstützt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe durch folgende Maßnahmen und Grundsätze:

  1. Einführung einer neuen Leistung „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ im SGB VIII und die inklusive Weiterentwicklung des gesamten SGB VIII
  2. Verlagerung der Anspruchsberechtigung von Leistungen aus dem SGB VIII auf die Kinder und Jugendlichen
  3. Streichung des Merkmals der Wesentlichkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII als Zugangsvoraussetzung für Leistungen in einem neu zu gestaltenden SGB VIII
  4. Gestaltung eines Übergangsmanagements und Beibehaltung des § 41 SGB VIII
  5. Aufnahme der Komplexleistung Frühförderung ins SGB VIII
  6. Beteiligungs- und personenorientierte Hilfe- und Teilhabeplanung im Sinne des § 36 SGB VIII als Steuerungsprinzip für die Gestaltung der Hilfen aus einer Hand im SGB VIII
  7. Neugestaltung der Kosten- und Unterhaltsheranziehung, die nicht zum Nachteil der Eltern von Kindern mit Behinderungen gestaltet ist.
  8. Die Kinder- und Jugendhilfeträger bleiben weiterhin Rehabilitationsträger
  9. Ausgestaltung des Leistungskataloges von Teilhabeleistungen im SGB VIII

1. Die BAGFW unterstützt die Einführung einer neuen Leistung „Hilfen zur Erziehung und Teilhabe“ im SGB VIII und die inklusive Weiterentwicklung des gesamten SGB VIII

Ausgangslage

Die „Arbeitsgruppe Inklusion“ der JFMK und ASMK (AG Inklusion) schlägt die Einführung eines neuen Leistungstatbestandes „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ im SGB VIII vor. Damit „soll die Gesamtsituation eines jungen Menschen besser in den Blick genommen werden und passgenaue, integrierte und einzelfallbezogene Hilfen für Kinder oder Jugendliche geleistet werden“. Der Leistungstatbestand „Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe“ umfasst „nicht nur Hilfen, die auf eine weitere Entwicklung im Sinne eines Zuwachses an Kompetenzen zielen, sondern auch die Leistungen, die auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gerichtet sind“.

Bewertung

Die BAGFW bewertet die Zusammenführung der Eingliederungshilfe für junge Menschen im SGB VIII und die Einführung eines neuen Leistungstatbestandes positiv, weil damit vor allem die bisherigen Schnittstellenprobleme zwischen dem SGB VIII und SGB XII vermindert und auf die Gesamtsituation von Kindern und Jugendlichen adäquater eingegangen werden kann. Sie empfiehlt jedoch diesen neuen Leistungstatbestand mit „Hilfen zur Erziehung und Teilhabe“ zu bezeichnen. Die Formulierung sollte bewusst die systemisch angelegten Hilfen zur Erziehung aufgreifen und um den Aspekt der Teilhabe erweitern. Gleichwohl muss zukünftig zwischen den teilhabespezifischen Bedarfen der Kinder mit Behinderungen und dem erzieherischen Unterstützungsbedarf der Eltern unterschieden werden.

Teilhabeleistungen im Sinne eines Nachteilausgleiches dienen der Kompensation von gesellschaftlichen Zugangsbarrieren. Sie müssen darauf abzielen, Funktionsstörungen bzw. Benachteiligungen auszugleichen, die sich aufgrund mangelnder barrierefreier Zugänge zur gesellschaftlichen Teilhabe ergeben. Dieses Verständnis von Behinderung beruht auf dem menschenrechtsbasierten Ansatz der UN-Behindertenrechtskonvention, wonach niemand aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt und diskriminiert werden kann.

Die Lebenslagen „Kindheit und Jugend“ werden in den Vordergrund gestellt, wenn Leistungen für alle Kinder und Jugendliche -unabhängig vom Merkmal der Behinderung- im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe verortet werden. Voraussetzung für die gelingende Umsetzung ist, dass die verschiedenen Kompetenzen (SGB XII und SGB VIII) zusammengeführt und weiterentwickelt werden. Dies eröffnet die Möglichkeit für eine ganzheitliche und kindgerechte Herangehensweise und Hilfeleistung.

2. Die BAGFW unterstützt die Verlagerung der Anspruchsberechtigung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung und Teilhabe auch auf die Kinder und Jugendlichen

Ausgangslage

Bisher sind für Leistungen der Eingliederungshilfe sowohl nach dem SGB VIII als auch nach dem SGB XII die Kinder und Jugendlichen Anspruchsinhaber. Bei den Hilfen zur Erziehung sind die Personensorgeberechtigten - in der Regel die Eltern - Anspruchsberechtigte. Mit dieser Regelung soll dem Vorrang der Elternverantwortung bei der Erziehung der Kinder Rechnung getragen werden. Die Arbeitsgruppe Inklusion schlägt vor, dass bei der Zusammenführung beider Hilfearten in einem Leistungstatbestand die Kinder und Jugendlichen Anspruchsinhaber der neuen Leistung werden. Die Leistungsgewährung soll gleichwohl unter Einbeziehung der elterlichen Perspektive erfolgen und ihre Unterstützung soll Teil der einzelnen Hilfearten sein.

Bewertung

Die Empfehlung der AG Inklusion, die Anspruchsinhaberschaft im SGB VIII auch auf die Kinder und Jugendlichen zu verlagern, wird von der BAGFW grundsätzlich begrüßt. Kinder und Jugendliche werden als selbstständige Rechtssubjekte anerkannt, sie werden neben den Personensorgeberechtigten unmittelbare Adressaten der Leistung, wodurch die Kinderrechte gestärkt werden. Gleichwohl muss das Elternrecht gewahrt bzw. der Vorrang der Elternverantwortung nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) beachtet werden. Die Wahrung des Elternrechts steht nicht im Widerspruch zur Verlagerung der Anspruchsinhaberschaft auf die Kinder und Jugendlichen.

Den Personensorgeberechtigten sollen die bislang gesetzlich geregelten – eher systemisch angelegten - Leistungen zur Unterstützung in ihren Erziehungsaufgaben auch weiterhin nicht nur als Anspruch für ihre Kinder, sondern auch als Leistung für sie als Personensorgeberechtigte zur Verfügung stehen. Es kann überlegt werden, sie im 2. Abschnitt des 2. Kapitels des SGB VIII (Förderung der Erziehung in der Familie) weiterhin als Rechtsansprüche auszugestalten.

3. Die BAGFW schlägt die Streichung des Merkmals der Wesentlichkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII als Zugangsvoraussetzung für Leistungen in einem neu zu gestaltenden SGB VIII vor.

Ausgangslage

Nur bei der „wesentlichen Behinderung“ nach § 53 SGB XII besteht ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Im Falle von nichtwesentlichen Teilhabeeinschränkungen besteht hingegen nur ein Ermessensanspruch. In der Kinder- und Jugendhilfe ist der Begriff „wesentlich“ fremd. Durch die Prüfung der „Wesentlichkeit“ findet eine Einschränkung der Leistungsberechtigten in der Eingliederungshilfe statt. Die „Wesentlichkeit der Behinderung“ wird bereits in der Eingliederungshilfe im Hinblick auf die von der UN Konvention vorgegebene ICF Orientierung in Frage gestellt. Bei der Hereinnahme des § 35 a ins SGB VIII wurde bezüglich der Leistungen für junge Menschen mit seelischer Behinderung auch aufgrund der präventiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe bewusst auf die Übernahme des Begriffs „wesentlich“ verzichtet.

Die Arbeitsgruppe Inklusion stellt fest, dass weder aus den Expertisen noch aus den Zahlen und Daten abgeleitet werden kann, inwieweit sich die Zugangsvoraussetzung „wesentlich“ auf die Anzahl der Leistungsberechtigten unter den jungen Menschen mit Behinderungen auswirkt. Die Arbeitsgruppe Inklusion schlägt deshalb vor, eine Evaluation der Wirkungen des Wesentlichkeitsbegriffes für Kinder und Jugendliche mit Behinderung unter Berücksichtigung der Frühförderung durchzuführen. Sollte die Wesentlichkeit eine steuernde Wirkung entfalten, dann ist eine vergleichbare gesetzliche Beschreibung einzuführen.

Bewertung

Mit der bisherigen Regelung, dass Leistungen für junge Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung sowie jene, die von dieser Behinderung bedroht sind nur übernommen werden müssen, wenn die Teilhabebeeinträchtigung wesentlich ist, sind auf Tatbestandsebene vielfältige Abgrenzungsprobleme verbunden. Diese beziehen sich vor allem auf die Abgrenzung zwischen einer seelischen und geistigen Behinderung und auf die in der Praxis nicht einfach zu klärende Frage, ob ein Erziehungshilfebedarf oder ein behinderungsspezifischer Bedarf vorliegt. Die notwendige Differenzierung zwischen den verschiedenen Bedarfen birgt die Gefahr in sich, dass künstlich getrennt wird, was ggf. zusammengesehen werden muss und zu nicht immer bedarfsgerechten und ganzheitlichen Hilfeleistungen führen kann.

Bisher wird die „Wesentlichkeit“ der Behinderung allein an den meist medizinisch definierten Beeinträchtigungen und Funktionsstörungen der Person festgemacht. Der neue Behinderungsbegriff verlangt eine individuelle Definition der Behinderung, bei der die Wechselwirkung zwischen den Merkmalen des Individuums und ihrer Umwelt zu berücksichtigen ist.

Eine zukünftige leistungsrechtliche Begriffsdefinition muss deshalb den erweiterten sozialen Behinderungsbegriff im Sinne der UN-BRK aufgreifen und die Wechselwirkungen mit ein-stellungs- und umweltbedingten Barrieren berücksichtigen. Deshalb muss die leistungs-rechtliche Definition von Behinderung als auch die Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung mindestens auf dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelten Klassifizierungsinstrument, der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF), basieren.

Im Übrigen lassen auch jetzt schon die vorhandenen Gesetzesformulierungen Leistungen für Kinder und Jugendliche zu, die von einer Behinderung bedroht sind und die Präventivmaßnahmen aus der Frühförderung benötigen. Damit wird jetzt schon sachgerecht der Präventionsgedanke und nicht das Kriterium der Wesentlichkeit angewendet, was dem Wohle der Kinder und Jugendlichen dienlich ist.

4. Die BAGFW schlägt die Gestaltung eines Übergangsmanagements und die Beibehaltung des § 41 SGB VIII vor

Ausgangslage

Die Arbeitsgruppe Inklusion spricht sich dafür aus, den Übergang in die Sozialhilfe grundsätzlich bei Erreichen des 18. Lebensjahres festzulegen, sofern davon auszugehen ist, dass der junge Mensch prognostisch auf längere Sicht oder dauerhaft eine Leistung der Eingliederungshilfe benötigt. Sie empfiehlt, dass für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben für Jugendliche generell der Sozialhilfeträger zuständig ist. Fälle, in denen die Voraussetzungen der Hilfen für junge Volljährige erfüllt sind (§ 41 SGB VIII), blieben in der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe.

Bewertung

Übergangsregelungen zum Erwachsenenleben und damit zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII sind sinnvoll. Es wird begrüßt, dass frühzeitig die Unterstützung für den Übergang von Schule zum Beruf gewährleistet ist. Dabei muss sichergestellt werden, dass auch der Übergang in eine Jugendberufshilfe und Berufsförderung sowie Berufsbildung und diverse Formen der Teilhabe am Arbeitsleben erleichtert wird. Ein fester Übergangstermin mit dem 18. Lebensjahr, darf aber nicht dazu führen, dass Maßnahmen abgebrochen werden müssen.

Die Gewährungspraxis muss für alle Kinder, Jugendliche und junge Volljährigen einheitlich gestaltet sein, damit eine Stigmatisierung von Menschen mit oder ohne Behinderung vermieden wird.

Der Übergang vom Jugendalter hin zum Erwachsenenalter verläuft fließend und ist als Entwicklungsprozess zu verstehen.

Hilfen zur Entwicklung und Teilhabe der Kinder- und Jugendhilfe müssten über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden, solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Entwicklung einer eigenverantwortlichen Lebensführung notwendig ist. Gründe für die weitere Gewährung der Hilfe können somit auch wie bisher beispielsweise psychische, gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigungen, soziale Benachteiligungen und Abhängigkeiten sein.

Weitergehender als die bisherige Regelung des § 41 SGB VIII müssten die Hilfe zur Entwicklung und Teilhabe durch den Träger der Kinder- und Jugendhilfe bis zum 21. Lebensjahr als Rechtsanspruch ausgestaltet werden und im Einzelfall bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt werden, falls die Persönlichkeitsentwicklung dies erfordert und ein Übergangsmanagement in Hilfen nach SGB IX nicht übergangslos und zielführend gewährleistet werden kann.

5. Die BAGFW schlägt die Aufnahme der Komplexleistung Frühförderung ins SGB VIII vor

6. Die BAGFW unterstützt, dass die Beteiligungs- und personenorientierte Hilfe- und Teilhabeplanung im Sinne des § 36 SGB VIII als Steuerungsprinzip für die Gestaltung der Hilfen aus einer Hand im SGB VIII angewendet werden soll

Ausgangslage

Die Arbeitsgruppe Inklusion geht davon aus, dass in einem neuen SGB VIII den Jugendämtern die Hilfe- bzw. Teilhabeplanung als zentrales inklusives Steuerungselement zugeordnet sein wird. Wegen neuer Bedarfe und Leistungsarten muss diese Planung weiterentwickelt werden. Es werden vier wesentliche Prinzipien genannt: Fachlichkeit, Beratung, Beteiligung sowie die Prozesshaftigkeit der Hilfe. Die Planung muss sich am individuellen Bedarf ausrichten

Bewertung

Das Verfahren zur Feststellung des Anspruchs, der Ermittlung des Bedarfs, der Klärung der Hilfe- und Teilhabeziele, der Vereinbarung der Leistungen und der Gewährung der Leistungen hat nach dem Wunsch- und Wahlrecht unter Beteiligung der Kinder und Jugendlichen sowie der Erziehungsberechtigten und/oder ihrer rechtlichen Vertretung zu erfolgen. Die Anspruchsfeststellung und die Gewährung der Leistungen sind hoheitliche Aufgaben.

7. Neugestaltung der Kosten- und Unterhaltsheranziehung, die nicht zum Nachteil von Eltern der Kinder mit Behinderungen gestaltet ist

Ausgangslage

Die Arbeitsgruppe Inklusion empfiehlt eine einheitliche Regelung zur Kostenheranziehung für Hilfen zur Erziehung und Teilhabe. Junge Menschen mit und ohne Behinderung und ihre Eltern sollen gleich behandelt werden. Eine Härtefallregelung soll verhindern, dass einzelne Personengruppen mit unzumutbaren Kosten dauerhaft belastet werden. Ein konkreter Vorschlag für eine Kostenregelung wird nicht unterbreitet. Fest steht nur, dass die neue Kostenregelung mit einer Übergangsregelung vertretbar ausgestaltet werden soll.

Momentan folgt die Kostenheranziehung in der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe verschiedenen Ansätzen.

In der Kinder- und Jugendhilfe richtet sich die Kostenbeteiligung von Eltern, Ehe- oder Lebenspartner des jungen Menschen bei voll- und teilstationären Leistungen sowie vorläufige Maßnahmen in erster Linie nach dem Einkommen. Der konkrete Beitrag folgt aus der Kostenbeitragstabelle. Diese differenziert zwischen teilstationären und stationären Leistungen. Ambulante Leistungen sind kostenfrei.

Bei der Kostenheranziehung im Rahmen der Eingliederungshilfe wird zuerst geprüft, ob es sich um eine sogenannte privilegierte Leistung im Sinne des § 92 Absatz 2 SGB VIII handelt. „Privilegierte Leistungen“ sind beispielsweise heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind oder Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Bei diesen Leistungen fallen keine Kosten für die Eingliederungsleistung an. Vermögen wird bei der Kostenheranziehung nicht berücksichtigt. Je nach Art der Hilfe werden bei Leistungsberechtigten, ihren Ehe- oder Lebenspartnern bzw. bei minderjährigen Leistungsbeziehern ihren Eltern, Kosten für den Lebensunterhalt (z. B. Verpflegung) angerechnet. Die Kosten betragen bei vollstationärer Unterbringung je nach Bundesland bis zu 400 Euro.

Bei „nicht privilegierten Leistungen“ findet eine Kostenheranziehung aus Einkommen und Vermögen im Rahmen der Zumutbarkeit statt. Bei einer dauerhaften Unterbringung können die Eltern von minderjährigen Kindern über die häusliche Ersparnis im angemessenen Umfang zur Kostentragung herangezogen werden. Hier sieht die Praxis der einzelnen Bundesländer recht unterschiedliche Regelungen vor.

Bei jungen Volljährigen wird bei ambulanten und teilstationären Leistungen eigenes Einkommen und Vermögen nach den Regelungen des SGB XII angerechnet. Bei stationärer Unterbringung geht nur ein kleiner Teil des Unterhaltsanspruchs auf die Einrichtung über.

Bewertung

Eine einheitliche Regelung zur Kostenheranziehung für Leistungen zur Teilhabe und der Hilfe zur Entwicklung ist zwingend erforderlich. Hierbei sollte nicht die Kostenneutralität sondern eine gerechte und angemessene Regelung für die Kostenübernahme im Vordergrund stehen.
Zudem sind nach den Feststellungen des 5. Familienberichtes Familien mit Kindern mit Behinderungen vielfältigen und dauerhaften finanziellen Belastungen ausgesetzt. Ziel muss es daher sein, dass keine Ausweitung der Kosten- und Unterhaltsheranziehung der Eltern von Kindern mit Behinderungen erfolgt.

8. Die BAGFW schlägt vor, dass die Kinder- und Jugendhilfeträger weiterhin Rehabilitationsträger bleiben

9. Ausgestaltung des Leistungskataloges von Teilhabeleistungen im SGB VIII

Ausgangslage

Die AG Inklusion spricht sich dafür aus, dass der neue Leistungstatbestand einen teiloffenen Leistungskatalog unter Zusammenführung der bisherigen Hilfen nach § 27 SGB VIII und § 54 SGB XII/ SGB IX vorsieht.

Bewertung

Das Prinzip der Bedarfsdeckung und des personenzentrierten Ansatzes erfordert einen Leistungskatalog, der sicherstellt, dass individuell bestehende Teilhabebeeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung ausgeglichen werden.

Die Konkretisierung der Leistung muss dem individuellen Bedarf entsprechen. Die notwendige Leistung darf nicht im Rahmen von Entgeltverhandlungen in Frage gestellt werden. Eine beispielhafte Darstellung von Leistungen ist denkbar.

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