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AFT - unzulässige Maßnahmen gegenüber Pflegeeltern?
Nicht selten gibt es zwischen aktiven Pflegeeltern und Jugendämtern Differenzen. Diese aktiven Pflegeeltern werden gelegentlich von einigen Jugendämtern als »unbequem«, »lästig« und in ähnlicher Weise empfunden. Auch wird dann auf »Zweifel an der Eignung der Pflegeeltern« seitens der Jugendämter hingewiesen.
In mehreren Fällen griffen jetzt einige Jugendämter zu einer Maßnahme, vor der Pflegeeltern gewarnt werden müssen:
1. AFT-Maßnahme
Zur Klärung der »Zweifel« wurden die Pflegeeltern gedrängt, einer sogenannten AFT-Maßnahme zuzustimmen, was »Aufsuchende Familientherapie« bedeuten soll.
Gleichzeitig wurde verlangt, dass der Therapeut / die Therapeutin einen Bericht an das Jugendamt übersenden solle.
Ein solches Vorgehen ist auf verschiedenen Ebenen unzulässig:
- Eine »Therapie« setzt zunächst eine Diagnose voraus.
- Die Diagnose kann nur von einem dafür ausgebildeten Spezialisten (Arzt etc.) erstellt werden.
- Diese Diagnose muss einen krankhaften Zustand ergeben haben.
- Dieser krankhafte Zustand könnte dann therapiert werden, was nur ein dazu ausgebildeter Therapeut kann und darf.
- Der Therapeut unterliegt der Schweigepflicht.
- gab es eine ärztliche oder sonstige fachliche Diagnose
- mit dem Ergebnis eines krankhaften Zustandes,
- der hätte therapiert werden können oder müssen, noch
- war die therapeutische Qualifikation derjenigen, die die AFT-Maßnahme durchführen sollten, nachgewiesen noch
- wurde eine Schweigepflichtentbindungserklärung von dem betroffenen Pflegeeltern abgegeben.
Im Laufe der weiteren Gespräche wurde deutlich, dass es sich bei dieser Maßnahme dem Charakter nach nicht um eine therapeutische Maßnahme handelt, sondern vielmehr um eine verkappte Begutachtung der Pflegeeltern. Aus dem Bericht über das Ergebnis der AFT-Maßnahme soll den Verbleib bzw. Herausnahme des Kindes abgeleitet werden.
2. Bewertung:
Der Versuch, eine »therapeutische« Maßnahme zu behaupten, um eine versteckte Begutachtung durchzuführen, ist in mehrfacher Hinsicht rechtlich unzulässig.
Aus dieser rechtlichen Unzulässigkeit ergibt sich auch zwingend, dass die Verweigerung einer Beteiligung an einer AFT-Maßnahme nicht zu negativen Konsequenzen, Sanktionen oder sonstigen Nachteilen führen darf.
Im Einzelnen:
a) Zwangsbegutachtung ist verboten!
Unabhängig davon, dass es in den besagten Fällen keine begründete Veranlassung gibt oder gab, die Pflegeeltern zu begutachten, ist eine Zwangsbegutachtung verboten, von ganz wenigen gesetzlich besonders normierten Fällen abgesehen, die hier selbstverständlich nicht vorliegen können.
Niemand darf gezwungen werden, sich körperlich oder psychisch begutachten zu lassen, soweit dies nicht ausdrücklich gesetzlich erlaubt ist, wie etwa bei der Erstellung eines Abstammungsgutachtens, gem. § 372 a ZPO. (Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.05.2003 – 1 BvR 2222/01; BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09).
Weder die in § 26 FamFG normierte Amtsermittlungspflicht noch die in § 27 FamFG normierte Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten können als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen angesehen werden (vergl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.08.2013 – 11 WF 1071/13; s. A. DIJuF-Rechtsgutachten vom 23.06.2016, JAmt 2016, 435).
Daraus folgt bereits, dass die Nichtbeteiligung an einem Gutachten auch nicht sanktioniert werden darf, nach ständiger Rechtsprechung auch nicht durch eine Umkehr der Beweislastverteilung.
Die schuldhafte Verletzung von Mitwirkungspflichten bei der Aufklärung des Sachverhalts obwohl dem betroffenen Beteiligten die Mitwirkung möglich und zumutbar gewesen wäre hat keine Umkehr der Beweislastverteilung zur Folge (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. § 108 Rn. 17).
Die zur Sachaufklärung erforderliche Mitwirkung muss auch zumutbar sein, was z.B. bei körperlichen oder psychischen Untersuchungen nicht ohne weiteres angenommen werden kann. Grundsätzlich müssen auch alle anderen Maßnahmen der Sachaufklärung sonst erschöpft sein (Kopp/Schenke, a. a. O.).
Dies gilt umso mehr, wenn zahlreiche weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung zur Verfügung stehen.
b) Zwangstherapie ist unzulässig!
Ein Gebot, sich einer Therapie zu unterziehen, greift in erheblichem Maße in dem Persönlichkeitsbereich der Betroffenen ein.
»Das BVerfG hat im Zusammenhang mit der Frage nach einer familiengerichtlichen Befugnis, einen Elternteil aufzugeben, sich selbst einer Psychotherapie zu unterziehen, ausgeführt, dass es sich bei der Aufnahme einer Psychotherapie weder um eine öffentliche Hilfe noch um eine Maßnahme der Gesundheitsfürsorge für das Kind im Sinne von § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB handele. Eine psychotherapeutische Behandlung der Eltern sei … Keine Maßnahme, die die sorgerechtliche Beziehung zum Kind berührt.« (JAmt, a. a. O.)
In der Literatur wird vertreten, »dass zwar eine familiengerichtliche Nahelegung einer Entzugstherapie zulässig, eine zwangsweise Durchsetzung jedoch ausgeschlossen ist (Staudinger/Coester, BGB, 2014, § 1666 Rn. 229).« (JAmt, a. a. O.)
Umso mehr ist es unzulässig, eine Begutachtung als »therapeutische Maßnahme« zu tarnen und dann noch anzukündigen, dass je nach Ergebnis der AFT-Maßnahme dann das Kind herausgenommen werde könne.
3. Folgen und Empfehlung
Die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie durch das Jugendamt wird damit eindeutig in Aussicht gestellt.
Die Abhängigkeit des weiteren Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie von dem »Ausgang der AFT-Maßnahme« führt dazu, dass damit das Jugendamt sich eine beliebige und nicht kontrollierbare Handhabe schafft, das Kind herausnehmen zu können, und zwar unabhängig von den gesetzlichen Kriterien einer Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 BGB.
Es bleibt dringend zu empfehlen, sich einer solchen Begutachtung gegenüber zu verweigern. Ein Verstoß gegen »Mitwirkungspflichten« ist damit nicht gegeben.
Als Schutzmaßnahme bei drohender Herausnahme kann bei dem Familiengericht ein Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB erforderlich sein.
Peter Hoffmann
Rechtsanwalt
Offener Brief der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) Mittelhessen