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05.12.2008
Gerichtsbeschluss
vom: 
20.10.2008

Zwingende Anhörung leiblicher Kinder in Adoptionsverfahren

Zu den materiell Betroffenen in diesem Sinne gehören bei einer Adoption die Kinder des Annehmenden. Gemäß § 1769 BGB darf eine Annahme Volljähriger nicht ausgesprochen werden, wenn ihr überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden entgegenstehen. Dem entspricht es, dass die Kinder im Adoptionsverfahren anzuhören sind

Die Adoptionsbeschlüsse des Amtsgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 2004 - 95 XVI 9a/03 - und vom 21. August 2003 - 95 XVI 9/03 - verletzten die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Rechtskraft der Entscheidungen wird aufgehoben. Die Sachen werden an das Amtsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

GRÜNDE:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Adoption der Brüder K. durch ihren leiblichen Vater.

Die Beschwerdeführerin ist das leibliche Kind des am 16. September 2005 verstorbenen Dr. G. Die Ehe der Eltern wurde 1961 geschieden. Bei der Ermittlung der Pflichtteilsansprüche erhielt die Beschwerdeführerin davon Kenntnis, dass ihr Vater die leiblichen Kinder seiner späteren Ehefrau im Wege der Erwachsenenadoption angenommen hatte. Die Beschwerdeführerin wurde an beiden Adoptionsverfahren nicht beteiligt.

Die Ausgangsakten wurden beigezogen. Die Adoptionen durch Beschluss vom 10. Februar 2004 - 95 XVI 9a/03 - und durch Beschluss vom 21. August 2003 - 95 XVI 9/03 - erfolgten gemäß §§ 1767, 1772 BGB.

Hiergegen richtet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 2. Februar 2006 erhobenen Verfassungsbeschwerde. Sie rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Durch die Adoption seien wesentliche Interessen der Beschwerdeführerin berührt. Im Falle der Anhörung hätte sie der Annahme widersprochen. Sie hätte vorgetragen, dass ihre erbrechtlichen Ansprüche massiv reduziert würden. Sie hätte das Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen ihrem Vater und den beiden Söhnen seiner späteren Ehefrau bestritten. Die Bekanntschaft zwischen ihrem Vater und den Angenommenen sei jedenfalls erst nach August 2000 entstanden. Der Annehmende hätte mit seiner Ehefrau keinen gemeinsamen Hausstand gehabt, so dass schon dem äußeren Anschein nach die Voraussetzungen für die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses nicht vorgelegen hätten.

In einem persönlichen Brief vom 23. August 2000 habe ihr Vater sie gebeten, auf ihren Pflichtteil gegen eine Abfindung von 50.000 DM zu verzichten, was sie in einem Brief vom 7. November 2000 zurückgewiesen habe. Über diese Problematik sei in der Folgezeit weiter korrespondiert worden und das Abfindungsangebot durch den Bevollmächtigten ihres Vaters, Herrn Rechtsanwalt K. - einen der Angenommenen - erneuert worden.

Den Beteiligten des Ausgangsverfahrens und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführerin steht kein Rechtsmittel gegen die Adoptionsbeschlüsse zur Verfügung (vgl. § 56e FGG).

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör.

Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 19, 49 <51>). Das gilt - unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist - auch für Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz (§ 12 FGG) beherrscht werden (vgl. BVerfGE 75, 201 <215>). Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiellrechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfGE 60, 7 <13>; 75, 201 <215>).

Zu den materiell Betroffenen in diesem Sinne gehören bei einer Adoption die Kinder des Annehmenden. Gemäß § 1769 BGB darf eine Annahme Volljähriger nicht ausgesprochen werden, wenn ihr überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden entgegenstehen. Dem entspricht es, dass die Kinder im Adoptionsverfahren anzuhören sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. April 1988 - 1 BvR 544/86 -, FamRZ 1988, S. 1247 ff.).

Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht, weil das Amtsgericht der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt hat.

Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dem Fehlen des rechtlichen Gehörs. Wäre die Beschwerdeführerin am Verfahren beteiligt worden, hätte sie zu dem ihrer Ansicht nach nicht bestehenden Eltern-Kind-Verhältnis und zu den Motiven, die aus ihrer Sicht der Annahme zugrunde gelegen haben sowie zu ihren davon beeinträchtigten Interessen Stellung nehmen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Amtsgericht nach Anhörung der Beschwerdeführerin anders entschieden hätte.

Der Verstoß führt indes nicht zu einer Aufhebung der angegriffenen Adoptionsbeschlüsse. Der Rechtsfolgenausspruch ist auf die Beseitigung der Rechtskraft der Adoptionsbeschlüsse und die Zurückverweisung an das Vormundschaftsgericht zu beschränken (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 89, 381 <395 f.>).

Die Angenommenen haben ein schutzwürdiges Interesse daran, dass der Status, der durch die Adoptionsbeschlüsse begründet worden ist, so lange nicht verändert wird, als nicht feststeht, ob das Gericht nach Gewährung des rechtlichen Gehörs die Voraussetzungen für die Adoption verneinen oder weiter bejahen wird.

Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG sind der Beschwerdeführerin vom Land Nordrhein-Westfalen die notwendigen Auslagen zu erstatten. Insoweit sind ihr die vollständigen notwendigen Kosten zu erstatten (vgl. BVerfGE 32, 1 <39>). Hierzu zählen die Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten (vgl. BVerfGE 81, 387 <390>).

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