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23.05.2008
Fachartikel

Bereitschaftspflege stellt hohe Anforderungen an die Pflegefamilie

Interview mit einer Bereitschaftspflegemutter. Mit Frau S. sprach Henrike Hopp

Das folgende Interview mit einer Bereitschaftspflegemutter führte Henrike Hopp.

Frau S. wo machen Sie Bereitschaftspflege?

Ich mache diese Pflege für ein Jugendamt in einer Stadt im Ruhrgebiet.

Wie sind sie dazu gekommen?

Wir sind Adoptiv- und Pflegefamilie seit 1975. Im Sommer 1978 habe ich unsere örtliche Pflegeelterngruppe mitgegründet.

1994 plante das Jugendamt, Bereitschaftspflegestellen einzurichten und ließ der Pflegeelterngruppe den ersten Konzeptentwurf zukommen. Wir hatten einige Kritik an dem Entwurf und Vertreter der Gruppe wurden zu einem Gespräch ins Amt gebeten. Wir erläuterten unsere Vorstellungen und Erwartungen, besonders welche Personen geeignet für Bereitschaftspflege wären und welche Vorbereitung, Unterstützungen und Hilfen das Jugendamt diesen Bereitschaftspflegepersonen geben sollte.

Am Ende dieses Gespräches fragte man mich konkret, ob ich gewillt sei, selbst in die Bereitschaftspflege einzusteigen. Da ich ja aufgrund meiner langen Erfahrungen weder Vorbereitung noch Ausbildung mehr benötige, könne ich ja auch sofort loslegen. Nach Rücksprache mit meiner Familie sagte ich am nächsten Tag zu und hatte kurze Zeit später mein erstes Bereitschaftskind.

Könnten Sie die wichtigsten Teile des Jugendamt-Konzeptes kurz zusammenfassen?

Ziel der Bereitschaftspflege ist es, Kinder sofort für kürzere Zeit unter-zubringen, um zu klären, ob nach Wegfall des Unterbringungsgrundes deren Rückkehr in die eigene Familie möglich ist, oder ob eine längerfristige Hilfe zur Erziehung außerhalb der Familie erforderlich sein wird. Prinzipiell kommt Bereitschaftspflege für Kinder bis zu 10 Jahren in Betracht. Bereitschaftspflege wird eingesetzt, wenn in Notsituationen eine Fremdunterbringung notwendig ist bei

  • akuten Familienkrisen, wenn das Kind alleingelassen, bedroht, vernachlässigt oder psychisch bedroht ist
  • Ausfall durch Suchtprobleme der Eltern
  • Partnerproblemen (Trennungen)
  • Inhaftierung des versorgenden Elternteils

weil eine intensive Zuwendung zu den Kindern in zugespitzten Krisensituationen zwingend erforderlich ist und im familiären Rahmen besser erfüllt werden kann als im Schichtdienst im Heim. Während der Unter-bringung soll eine gründliche Erarbeitung von Lösungsansätzen erfolgen. Besonders bei Kindern unter 6 Jahren soll eine differenzierte Hilfeplanung unmittelbar erfolgen. Möglichst sollte die Dauer von 8 Wochen in der Bereitschaftspflegestelle nicht überschritten werden. Die Zuweisung erfolgt in der Regel über den Allgemeinen Sozialen Dienst, nach Dienstschluss und an Wocheenden über den Bereitschaftsdienst des Jugendamtes und/oder die Polizei.

Ist in diesem Konzept auch die Kurzzeitpflege enthalten?

Die Bereitschaftspflege ist hier ganz klar getrennt von der Kurzzeitpflege. Kurzzeitpflege wird eingesetzt, wenn die Mutter durch Krankheit ausfällt und für diese Zeit eine Betreuung der Kinder erforderlich ist, grundsätzlich aber der Verbleib des Kindes in der Familie klar ist. Bereitschaftspflege kann für diese Fälle auch in Frage kommen, wenn diese Notsituation nachts oder an Wochenenden auftritt. Das Kind bleibt dann so lange in der Bereitschafts-pflegefamilie bis die Fachkraft eine Lösung gefunden hat oder bei einer kurzfristigen Hilfe ein Wechsel einem kleineren Kind nicht zuzumuten ist.

Aus welchen Gründen werden Sie als Bereitschaftspflegestelle angefordert?

Bereitschaftspflege ist die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus familiären Krisensituationen. In den meisten Fällen ist dies eine Inobhutnahme gemäß KJHG, erfolgt also bei Gefährdung des Kindes oder wenn ein Jugendlicher in einer Krisensituation selbst um Obhut bittet. Um uns nicht in schwierige Situationen zu bringen, bleibt unser Name und vor allem unsere Anschrift den Eltern der Kinder gegenüber geheim. Wir treten auch nicht offiziell als Bereitschaftspflegestelle auf.

Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie als Bereitschaftspflegestelle?

Es gibt hier in unserer Stadt 2 Bereitschaftspflegefamilien. Wir stellen 2 Plätze zur Verfügung und die andere Familie 1 Platz. Wir haben mit dem Jugendamt einen Vertrag abgeschlossen, in dem wir uns verpflichten mindestens 9 Monate im Jahr zur Aufnahme von Kindern bereit zu sein. Da die Bereitschaftspflege hohe Anforderungen an die Pflegeperson stellt, steht diesen Familien ein Sonderpflegesatz zu zuzüglich einer Zahlung in die Rentenkasse der Pflegeperson.

Die finanziellen Rahmenbedingungen meiner Tätigkeit sehen folgendermaßen aus:

  • Bereitschaftsgeld ca. 300 Euro
  • Mietkostenanteil ca. 90 Euro
  • Rentenversicherung Ca. 50 Euro

Diese Zahlungen erhalten wir monatlich für 12 Monate im Jahr unabhängig von einer Belegung durch ein Kind, obwohl wir ja nur 9 Monate als Bereitschaftspflegestelle tätig sein müssen.

Zweimal jährlich bekommen wir ca. 250 Euro Ausstattungsbeihilfe für Ergänzungsanschaffungen (Möbel, Bettwäsche, Spielzeug, Zimmerrenovierung etc.). Ganz zu Beginn gab es eine einmalige Beihilfe von ca. 1000 Euro zur Einrichtung des Bereitschaftszimmers. Bei Belegung erhalten wir ca. 28 Euro pro Kind pro Tag zusätzlich zu den obigen Leistungen.

Was müsst Ihr dafür tun?

Wir müssen rund um die Uhr bereit sein Kinder aufzunehmen, mindestens 9 Monate im Jahr. Unsere Urlaubszeit können wir frei bestimmen und Anfang des Jahres anmelden. Wenn wir zu Beginn unseres geplanten Urlaubs belegt sind, werden die Kinder anderweitig untergebracht. Die übrigen Auszeiten ergeben sich im Anschluss an Belegungen. Diese Auszeiten sind zu unserer Erholung gedacht und nicht planbar. Für die Rufbereitschaft stellt das Jugendamt uns ein Handy zur Verfügung.

Das Handy ist also jederzeit "am Mann", so dass Sie IMMER erreichbar sind?

Ja, wenn ich keine Auszeit habe. Anrufe hatte ich schon beim Einkaufen, an der Bushaltestelle, bei Besuchen etc. und einmal zum Ende einer Auszeit bei einer Sitzung in Frankfurt. Dann verabrede ich, wann ich wieder zu hause bin und wann das Kind gebracht werden kann.

Wer ruft denn an?

Während der Dienstzeiten die für das Kind zuständige Fachkraft des Jugendamtes, außerhalb der Dienstzeiten die Rufbereitschaft des Amtes oder die Polizei.

Was folgt nach einem Anruf?

Ist die Anfrage während der Dienstzeiten des Jugendamtes, stellt die Fachkraft mir das Kind vor: Name, Alter, Geschlecht und was über das Kind bekannt ist. In diesen Aufnahmegesprächen werden wir auch über die aktuellen Gründe für die Unterbringung, den Umfang des Klärungsbedarfs im Amt und die sich daraus ergebende voraussichtliche Dauer der Pflege informiert. Ich verabrede dann mit der Fachkraft, wann sie das Kind bringt. Bei Jugendlichen findet das informelle Gespräch über die Unterbringungs-gründe meist im Beisein des Jugendlichen statt, bei jüngeren Kindern in der Regel am Telefon.

Außerhalb der Dienstzeit werden die Kinder entweder von der Rufbereitschaft des Amtes oder von der Polizei, manchmal in Begleitung der Rufbereitschaft zu uns gebracht. Das Aufnahmegespräch wird dann auf den nächsten Arbeitstag der zuständigen Fachkraft verschoben.

Jetzt ist das Kind bei Ihnen, was nun?

Jedes Kind und jeder Jugendliche ist ein neues Abenteuer. Wir tasten uns an das Kind heran. Manche Kinder sind sehr spontan, setzen sich direkt auf den Schoß, andere zögern und bleiben auf Distanz. Die Kinder sind verunsichert durch das was mit ihnen passiert. Allerdings hat nur 1 Kind geweint als es gebracht wurden und wollte zu seiner Mutter zurück, 1 weiteres hatte abends im Bett Heimweh. Wir versuchen immer, beide anwesend zu sein, damit die Kinder die Möglichkeit haben, zwischen Mann und Frau wählen zu können, wem sie sich annähern wollen. Je nach Vorgeschichte halten wir diese Wahl für bedeutsam.

Da wir bei der Aufnahme eine breite Altersspanne haben, – das Jüngste war 2 Monate, die Älteste 17 Jahre – ist der Zugang natürlich sehr indivi-duell, vom Kind aus bestimmt. Die Jugendlichen haben meist ein großes Redebedürfnis.

Das Konzept geht ja im Grunde herein von der Aufnahme von Kindern bis zu 10 Jahren aus. Die konkrete Erfahrung ist jedoch eine andere. Wir nehmen auch Jugendliche auf die man aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht in einer Jugendschutzstelle unterbringen kann oder will. In der Regel sind dies Jugendliche, die sich selbst um Hilfe ans Jugendamt gewandt haben. Zweimal haben wir auch schon Neugeborene aufge-nommen oder besser gesagt zwei gerade 16jährige Mütter mit ihren Neugeborenen.

Was ist Ihnen gerade zu Beginn der Aufnahme besonders wichtig?

Im Grunde warten zu können, dass die Kinder auf uns zukommen und nicht durch die fremde Situation mehr belastet werden als notwendig. Wir drängen uns den Kindern nicht auf, machen nur Angebote, die die Kinder aber nicht annehmen müssen: Zimmer zeigen, was zu essen, zu trinken anbieten, Spielsachen, bei Älteren natürlich auch Gespräche. Die Älteren, die bewusst zum Jugendamt gegangen sind, sind ja auch nicht so zurückhaltend, das sind eher die Kinder, die plötzlich herausgenommen worden sind, von der Polizei aufgegriffen wurden, oder von ihren Müttern dem Jugendamt "auf den Schreibtisch gesetzt" wurden.

Wir zeigen den Kindern, dass wir sie ernst nehmen mit ihren Bedürfnissen. Wir versuchen sie schnell mit in den Alltag einzubeziehen, wir kaufen mit ihnen ein und sie dürfen aussuchen, was sie gern essen möchten.

Erfolgt nach der Aufnahme des Kindes ein Fachgespräch im Jugendamt?

An dem Fachgespräch im Jugendamt nehme ich nur selten teil. Ich bekomme das Ergebnis präsentiert. Wenn es erforderlich ist, fragt die Sozialarbeitern aber vorher noch mal bei uns nach, ansonsten erfahren wir sehr wenig. Manche Kinder, z.B. die, die von der Polizei aufgegriffen wurden, sind ja oft schon wieder weg, bevor es zu einem Fachgespräch gekommen ist. Von dem Gespräch bekomme ich mitgeteilt, wie die weitere Planung ist, ob es z.B. zu einer Rückführung in die Familie oder einem Elternteil kommen soll, ob Dauerpflege geplant ist, ob Ältere in eine Einrichtung gehen werden, und ob gegebenenfalls noch rechtliche Fragen zu klären, Gutachten u.ä. notwendig sind und sich dadurch der Verbleib bei uns herauszögert.

Haben Sie in dieser Zeit Kontakte mit der Herkunftsfamilie des Kindes?

In der Regel nicht. Die Kinder, die bei uns sind, haben selten Kontakte; wenn doch, dann in den Räumen des Kinderschutzbundes in Beleitung der Fachkraft. Die Kinder sollen nach manchmal dramatischen Erlebnissen in ihren Familien, die zur Inobhutnahme geführt haben, bei uns erst mal zur Ruhe kommen und Ängste abbauen können. Bei Älteren habe ich schon mal die Jugendlichen zu einem Gespräch mit den Eltern ins Jugendamt begleitet.

Was muss eine Bereitschaftspflegefamilie sonst noch erledigen?

Oft ist eine ärztliche Erstuntersuchung nach Aufnahme des Kindes notwendig, z.B. um evtl. Misshandlungsfolgen zu dokumentieren oder aus-zuschließen. Vorher begonnene Therapien werden weiter-geführt, notwen-dige neue eingeleitet. Ich hatte schon ein Kind, mit dem ich an bis zu vier Terminen wöchentlich bei Therapeuten und Ärzten war.

Das ist dann aber nur bei den Kindern, die länger bleiben?

Ja, wo man erst mal hingucken muss, was mit dem Kind eigentlich los ist und wo sich die Defizite erst zeigen müssen, bevor über zukünftige Perspektiven nachgedacht werden kann.

Bei älteren Kindern ist auch der Kontakt zur Schule wichtig, und weil die Kinder meist weiter in ihre alten Schulen gehen, oft in einem anderen Stadtteil, müssen wir sie dorthin fahren und abholen.

Haben Sie vom Jugendamt auch den Auftrag, sich "ein Bild" vom Kind zu machen?

Bei Kindern, bei denen eine Perspektivklärung nötig ist, finden Gespräche zwischen der Fachkraft und uns statt, wo wir unsere Eindrücke über das Kind, seinen Zustand und sein Verhalten mitteilen, und was das Kind von seiner Familie und seinen Erfahrungen erzählt. Diese Gespräche kommen sowohl auf meine Initiative als auch auf Wunsch der Fachkraft zustande. In zwei Fällen bekam ich auch direkt mit dem Kind den Auftrag, Entwicklungsstand und Verhalten zu beobachten und der Fachkraft ausführlich zu berichten.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Eindrücke eine Rolle spielen bei der weiteren Planung für das Kind?

Das ist von Fachkraft zu Fachkraft sehr unterschiedlich. Manche legen sehr großen Wert auf meine Beobachtungen.

Und was überwiegt?

Bei einer Perspektivklärung, bei der auch Fremdunterbringung angedacht ist, ist ja nicht nur der Allgemeine Soziale Dienst drin sondern auch der Fachdienst "Fremdunterbringung". Diese SozialarbeiterInnen sind stärker an meinen Beobachtungen interessiert als die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes.

Was ist Ihnen an den Bereitschaftspflegekindern besonders aufgefallen?

Besonders aufgefallen ist uns:

  • dass nur zwei von all unseren Kindern aus Heimweh geweint haben;
  • dass kleinere Kinder sehr distanzlos sind;
  • dass jüngere Kinder sehr wenig über ihre Familie erzählen und auch auf Fragen von uns sehr wenig berichten;
  • dass Ältere oder Jugendliche oft übersprudeln mit dem, was sie erlebt haben;
  • dass jüngere Kinder oft sehr ängstlich auf spontane Bewegungen von uns reagieren
  • dass viele Kinder Sprachdefizite aufweisen, vor allen Dingen auch im Verstehen von Sprache nicht altersgemäß entwickelt sind;
  • dass etliche nach einigen Tagen schon den Wunsch äußerten, für immer bei uns zu bleiben;
  • dass einige mit Tränen auf die Trennung von uns reagierten;
  • bei Aufnahme von Geschwistern wird in der Regel die Verantwortlichkeit des Älteren für das Jüngere sehr deutlich, manchmal auch die Verantwortung des Mädchens für den Jungen und dass diese Kinder nicht bereit sind, ihre Verantwortung an uns abzugeben.

Haben Sie regelmäßige fachliche Unterstützung oder Supervision?

Im Konzept heißt es zwar: "Wegen der besonderen Belastung von Bereitschaftspflegestellen bedürfen diese Familien einer intensiven Begleitung und Unterstützung durch die professionellen Dienste des Jugendamtes" – die Praxis sieht aber anders aus. Supervision haben wir leider nicht. Fallbezogene Supervision würde ich mir wünschen bei länger dauernden Belegungen und vor allem bei Kindern, deren Schicksal auch für mich belastend ist. Durch meine Kontakte zur städt. Beratungsstelle für Kinder Jugendliche und Eltern hatten wir Bereitschaftsfamilien in den ersten 6 Jahre etwa monatliche Treffen mit einer dort tätigen Psychologin. 1-2mal im Jahr wurden Vertreter des Jugendamtes dazu gebeten, um grundsätzliche, fallunabhängige Fragen der Bereitschaftspflege zu besprechen. Inzwischen sind diese Treffen unregelmäßiger geworden, sollen aber mit einem anderen Mitarbeiter der Beratungsstelle wiederbelebt werden.

Wenn ein Kind in eine Pflegefamilie oder ein in Heim kommen soll, findet dann von Ihnen aus die Anbahnung statt?

Bei Heimunterbringung erfolgt ohne Anbahnung. Wenn das Heim vor Ort ist, begleiten wir meist das Kind dort hin. Bei Vermittlung in eine Pflegefamilie findet ein Erstkontakt mit den potenziellen Pflegeeltern in Begleitung der Fachkraft bei uns statt. Vorher hat die Fachkraft, die für die Unterbringung zuständig ist, das Kind bei uns besucht und kennen gelernt. Danach finden intensive Kontakte mit den zukünftigen Pflegeeltern statt, mehrmals wöchentlich bis zu täglich, je nach Alter des Kindes.

Zu den ersten Kontakten kommen die Pflegeeltern als Besucher zu uns, wobei wir dann auch mal gemeinsam etwas unternehmen. Bei diesen gemeinsamen Unternehmungen entferne ich mich kurzzeitig (einkaufen) komme aber wieder dorthin zurück und wir gehen gemeinsam zu uns zurück. Dann erfolgen Besuche von mir und dem Kind in der Wohnung der Pflegeeltern. Nach ein oder zwei Besuchen gehe ich auch dort kurzzeitig weg, hole das Kind aber dort wieder ab. Der nächste Schritt ist der, dass die Pflegeeltern das Kind bei uns abholen, mit in ihre Wohnung nehmen und mein Mann oder ich das Kind abends oder am nächsten Tag dort wieder abholen. Das Kind wird nie von den Pflegeeltern selbst zu uns zurück gebracht.

Warum nicht?

Das Kind. soll ja einmal bei diesen Pflegeeltern seine Zugehörigkeit finden und sich an sie binden und deshalb nie den Eindruck bekommen, es wird gerade von diesen Personen weggebracht. Das machen wir ganz konse-quent so, auch wenn das Kind nach außerhalb vermittelt wird.

Wie lang dauert eine Anbahnung?

Bei einem jungen Baby gelingt das schon mal in einer Woche, ansonsten in etwa 10 bis 12 Wochen. Nicht nur die Pflegeeltern müssen zum Kind Ja sagen sondern vor allem das Kind muss seine Pflegeeltern annehmen können. Ich habe schon erlebt das ein 10jähriges Kind nach einigen Kontakten die Bewerber als seine neuen Pflegeeltern abgelehnt hat und das auch deutlich gesagt und begründet hat. Während der Anbahnungszeit muss man die Kinder sehr gut beobachten, damit auch seine nonverbalen Signale beachtet und verstanden werden.

Wird die Art und Weise der Abnahmung Ihnen überlassen?

Beim ersten Besuch wird mit der Fachkraft und den Pflegeeltern die Grundrichtung besprochen, das Weitere wird mir überlassen. Während dieser Kontaktzeit finden sowohl Gespräche zwischen der Fachkraft und mir, aber besonders zwischen der Fachkraft und den Pflegeeltern statt.

Spielt Ihre Einschätzung der Pflegeeltern bei der Vermittlung eine Rolle?

Meine Einschätzung der Pflegeeltern eigentlich nicht, meine Beobachtungen des Kindes im Umgang mit ihnen und wann der Zeitpunkt der Übersiedlung stattfinden könnte, mitunter ja.

Haben Sie nach der Anbahnung noch Kontakt zu den Kindern?

Es sind ja gar nicht so viele Kinder die von uns aus direkt in Pflegefamilien gegangen sind. Das sind die wenigsten. Wir haben ja 2 Plätze für Bereitschaftspflege, so dass eine ziemlich hohe Zahl von Bereitschaftspflegekindern zusammen kommt. Von den 84 Belegungen in den gut 6 Jahren Bereitschaftspflege sind von uns aus nur 7 Kinder unter 10 Jahren in Dauerpflege und 1 Kind in Adoption vermittelt worden. Bis auf 1 Baby waren diese Kinder ja auch länger, von 35 Tagen bis zu 11 Monaten bei uns. Alle diese Kinder haben wir nach der Vermittlung wiedergesehen. Zwei Kinder haben mir später gesagt, es wäre wohl besser gewesen, wenn die Kontakte in der ersten Zeit nach der Trennung von uns etwas umfangreicher gewesen wären.

Ist von Anfang an Fremdunterbringung geplant, bleiben die Kinder oder Jugendlichen in der Regel zwischen 1 und 3 Monaten (oder auch länger) bei uns.

Wie alt waren die Kinder, die Sie aufgenommen haben?

  • 8 Kinder unter 1 Jahr
  • 21 Kinder zwischen 1 und 5 Jahren, davon waren 2 Kinder 2mal bei uns untergebracht
  • 14 Kinder zwischen 6 und 10 Jahren, davon war ein Kind 2mal und 1 Kind 3mal bei uns
  • 18 Kinder zwischen 11 und 14 Jahren, davon 3 Kinder 2mal
  • 15 Jugendliche 15 Jahre und älter.

Ist das üblich, dass eine Bereitschaftspflegstelle Kinder jeglichen Alters aufnimmt?

Ursprünglich war im Konzept Bereitschaftspflege ja nur für Kinder bis zu 10 Jahren angedacht, aber aufgrund unserer Erfahrungen wurden wir immer wieder auch für Größere angefragt und praktisch ab 1997 hatten wir die ersten Jugendlichen über 15 Jahren.

Ist es sinnvoll, so ganz offen für ALLE Kinder zu sein, oder sollte man sich begrenzen?

Es kommt immer auf die Situation der Bereitschaftsfamilie an. Die andere Familie in unserem Ort nimmt nur Kinder bis zum frühen Grundschulalter auf, da noch zwei weitere Kinder in dieser Familie leben. In unserem Fall, wo die erwachsenen Kinder ausgezogen sind, ist letztendlich alles möglich.

Was raten Sie Pflegeeltern, die sich mit dem Gedanken von Bereitschaftspflege beschäftigen?

Aus unserer Sicht ganz wichtig: Pflegeeltern mit Dauerpflegekindern sollten nicht gleichzeitig Bereitschaftspflege machen, damit die Dauerpflegekinder nicht dadurch verunsichert werden, dass Kinder, die kurzfristig ihre "Geschwister" waren, wieder gehen und neue Eltern bekommen. Dauerpflegeeltern können Kurzpflege machen, aus der die Kinder zu ihren Eltern zurückgehen, wenn die Mutter wieder gesund ist, aber keine Bereitschaftspflege.

Wichtig ist, dass die Bereitschaftspflege mit ständig neuen Kindern von allen im Haushalt lebenden Familienmitgliedern getragen wird! Keiner sollte davon zu stark belastet wird.

Und natürlich ist wichtig, dass eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen Bereitschaftspflegestelle und Jugendamt gewährleistet sein muss.

Manchmal überlegen Dauerpflege-Bewerber erst mal Bereitschaftspflege zu machen gewissermaßen zur Übung, wie sehen Sie das?

Sollten sie nicht, sie sollten Kurzpflege machen. Zum einen würden sie sich von Kindern nicht trennen und sie für andere Pflegeeltern loslassen können. Zum anderen sollten sie auch nicht Dauerpflegeeltern ihres Bereitschaftskindes werden. Man muss ja während der Zeit der Bereitschaftspflege, wo die Perspektive des Kindes noch nicht klar ist, eine gewisse professionelle Distanz wahren. Wir als Bereitschaftspflegeeltern bieten ja nicht Beziehung direkt an, sondern reagieren auf Beziehungswünsche der Kinder, anders als dies von Dauerpflegeeltern erwartet wird, die ja von Anfang an von sich aus den Kindern Beziehungs- und Bindungsangebote machen sollen.

Was ist das Besondere an Bereitschaftspflege?

Kinder brauchen Bindung an eine feste Bezugsperson für eine gesunde Entwicklung. Aber weil sie ja nur vorübergehend bei uns sind, dürfen sie sich während der Bereitschaftspflege nicht zu eng an uns binden und deswegen dürfen wir ihnen von uns aus keine Nähe anbieten, sondern nur so viel Nähe geben, wie sie von uns brauchen und von uns abverlangen. Von uns aus ist auch schon mal ein 3-jähriges Kind ins Kinderhaus gegangen, damit es uns während der etwa ein halbes Jahr dauernden gutachterlichen und gerichtlichen Klärung nicht zu seinen neuen Eltern machte. Ein Bindungsabbruch von uns wäre für das Kind schlimmer gewesen als der befristete Heimaufenthalt.

Es gibt Modelle der Bereitschaftspflege, die nur professionelle Pflegeeltern, also Pflegeeltern mit einer pädagogischen Ausbildung haben wollen? Wie sehen sie das?

Als langjährige erfahrene Pflege- und Adoptivmutter halte ich mich für professionell. Eine entsprechende Berufsausbildung braucht man dafür nicht, wohl aber Erfahrung im Zusammenleben mit und Erziehen von Kindern mit Problemen, Auffälligkeiten und Schwierigkeiten, und auch die Bereitschaft zur Selbstreflexion und sich hinterfragen zu lassen.

Sind Sie nie in der Versuchung gewesen, ein Bereitschaftspflegekind auf Dauer behalten zu wollen?

Aufgrund meines Alters sicherlich nicht, aber bei einem Kind hätte ich mir gewünscht, 15 Jahre jünger zu sein, um seine Mutter werden zu können. Es hatte in seinem ganzen Wesen so viel Ähnlichkeit mit meiner Adoptivtochter.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

  • dass unsere Gesundheit es uns noch lange erlaubt, Bereitschaftspflege zu machen;
  • eine engere Zusammenarbeit mit den für die Kinder zuständigen Fachkräften;
  • Fallsupervision bei längerfristigen Unterbringungen;
  • mehr Rückmeldungen darüber, was mit den Kindern geschehen ist.

Aufgrund meiner Tätigkeit in der Pflegeelterngruppe treffe ich auch einige Pflegeeltern meiner Bereitschaftskinder und weiß daher wie es Kindern und Pflegefamilien weiterhin geht. Über die anderen wissen wir nichts mehr. Das ist ein genereller Nachteil, weil wir ja von der überwiegenden Mehrzahl der Kinder nichts mehr hören. Manchmal denkt man immer wieder an ein Kind, und wie es ihm wohl geht. Oftmals haben ja auch die Fachkräfte oder wir Bauchschmerzen z.B. bei Rückführungen in die Herkunftsfamilie weil die Rechtslage nichts anderes zulässt. Vor Kurzem hat ein Kind bitterlich geweint, als der Sozialarbeiterin kam, um es zur Familie zurückzubringen. Das Kind war nur 10 Tage bei uns, aber es geht mir nicht aus dem Kopf, weil wir alle auch so ein ungutes Gefühl dabei hatten.

Wären sie bereit mit Leuten, die mit Ihnen über Bereitschaftspflege sprechen wollen in Kontakt zu treten?

Ja, wenn der Kontakt über PAN oder die PATEN-Redaktion hergestellt wird.
Für das Interview möchte ich mich bei Frau S. recht herzlich bedanken. Henrike Hopp

Das Interview wurde veröffentlicht in paten 4/2002.

Sie können mit der Pflegemutter auch über die Redaktion von moses-online.de in Kontakt treten

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