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Zur Beteiligung der Pflegeeltern im sorgerechtlichen Verfahren
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Die Entscheidung befasst sich mit der Frage der förmlichen Beteiligung von Pflegeeltern im Verfahren über den Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB.
Das zum Zeitpunkt der Entscheidung 16 Monate alte Kind befindet sich seit kurz nach seiner Geburt bei den Pflegeeltern in (Bereitschafts-) Pflege.
Die Pflegeeltern sollten im Rahmen des Verfahrens in die gutachterliche Untersuchung einbezogen werden.
Das Amtsgericht hatte den Antrag der Pflegeeltern nach §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 S. 1 FamFG auf Beteiligung unter Hinweis darauf zurückgewiesen, dass sich das Kind bei ihnen »lediglich vorübergehend in Bereitschaftspflege« befinde; das Kind habe dort nur »relativ« enge Bindungen gefunden.
Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Pflegeeltern gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts als nach §§ 7 Abs. 5 S. 2 FamFG, 567 ff. ZPO als statthaft und auch zulässig erklärt.
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Das Kind befindet sich »seit längerer Zeit in Familienpflege bei den Pflegeeltern«.
Die Beteiligung liege im Interesse des Kindes. Ein solches Interesse sei nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/06.03.2008, S. 241) dann zu bejahen, wenn die Beteiligung dem Kindeswohl dienen kann. Dieses Interesse ergäbe sich schon daraus, dass die Pflegeperson bei Beteiligung über den Fortgang des Verfahrens und die Beweisergebnisse informiert werden und aktiv auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen könnten. Dies gelte insbesondere auch für Aspekte bei der Regelung des Umgangs mit dem Kind.
Die Pflegeeltern seien diejenigen, die ihn und seine Bedürfnisse mit Abstand am besten kennen und daher – in Ergänzung der Ausführungen der übrigen Beteiligten – zuverlässig Auskunft über ihn aus 1. Hand erteilen können.
Es bestehe vorliegend die weitere Besonderheit, dass die Einbeziehung der Pflegeeltern in das zu erstellende Sachverständigengutachten erfolgen solle. Schon daher sei es angebracht (zur Vermeidung von Missverständnissen und Klärung der Tatsachengrundlagen sowie zur Ermöglichung einer umfassenden Sachaufklärung, die dem Kindeswohl diene), den Pflegeeltern als Beteiligten die Möglichkeit zu geben, von dem Gutachten Kenntnis zu nehmen und hierzu Stellung zu nehmen sowie ggf. eine ergänzende Stellungnahme zu beantragen.
Im Übrigen habe auch das Jugendamt mitgeteilt, dass es einen Verbleib bei den derzeitigen Pflegeeltern im Wege der Dauerpflege zu prüfen habe, schon wegen des seit langer Zeit bestehenden Bereitschaftspflegeverhältnisses.
Auch in diesem Zusammenhang diene die Einbeziehung der Pflegeeltern dem Interesse des Kindes.
Daher entspräche es pflichtgemäßen Ermessens, die Pflegeeltern zu beteiligen. Die Ermessensentscheidung des Amtsgerichts könne daher keinen Bestand haben.
Peter Hoffmann
Rechtsanwalt
www.rechtsanwalthoffmann.com
Beschluss des OLG Düsseldorf vom 9.9.2016 AZ II-2 UF 87/16
GRÜNDE
I.
Die Pflegeeltern –bei denen sich das Kind von wenigen Tagen abgesehen – seit seiner Geburt in (Bereitschafts)Pflege befindet – begehren in dem vorliegenden Verfahren , in welchem ein Entzug der elterlichen Sorge nach § 1688 BGB) in Rede steht, ihre (förmliche) Beteiligung als Pflegeeltern.
Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18.5.16 zurückgewiesen und hierbei unter anderem darauf verwiesen, dass sich ... bei ihnen lediglich vorübergehend in Bereitschaftspflege befinde. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Hiergegen wenden sich die Pflegeeltern mit ihrer Beschwerde mit welchem sie ihren Antrag, an dem Verfahren beteiligt zu werden, weiter verfolgen. Es ginge nicht an, dass sie einerseits in die gutachterliche Untersuchung mit einbezogen werden sollten, andererseits keine Möglichkeit haben sollten im Rahmen einer förmlichen Beteiligung, sich mit dem einzuholenden Gutachten auseinander zu setzen. Unstreitig auch sei es, dass das Kind ... seit längerer Zeit in Familienpflege lebt. Bei den hierdurch entstandenen Bindungen handele es sich allerdings nicht nur um „relativ enge Bindungen“, wie das Amtsgericht ausführt habe, sondern sie seien als Pflegeeltern zu den sozialen und psychologischen Eltern geworden nachdem ... zum Zeitpunkt der Unterbringung fünf Tage alt gewesen sei und seither bei ihnen lebe. Eine Unterscheidung zwischen Bereitschafts- und Dauerpflege, wie sie das Amtsgericht gemacht habe, sei weder im BGB noch im FamFG vorgenommen. Im Übrigen sei vorliegend der zeitliche Rahmen einer Bereitschaftspflege weit überschritten. Würden Kinder, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten in einer Bereitschaftspflege untergebracht worden seien und dort Bindungen zu den Pflegeeltern aufgebaut hätten, in eine andere Pflegefamilie wechseln, um dort ein Dauerpflegeverhältnis zu begründen, würde dies den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes widersprechen. Die Argumentation, dass der Aufenthalt von ... Bei ihnen nur vorübergehend und daher keine Beteiligung geboten sei, liebe deshalb neben der Sache. Aus den vorstehenden Erwägungen erfolge sogleich, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liege. Dass sie dem Wohl des Kindes schaden würde sei nicht ersichtlich.
Der Verfahrensbeistand erachtet eine Beteiligung der Pflegeeltern im Hinblick auf das Kindeswohl nicht für zielführend. Die Pflegeeltern würden verkennen, dass es sich bei der installierten Jugendhilfemaßnahme unverändert um ein (zeitlich befristetes) Bereitschaftspflegeverhältnis handele und die weitere Lebensperspektive ...s ergebnisoffen- familiengerichtlich erst noch zu klären sei.
Das Jugendamt hat mitgeteilt, dass nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens mit allen relevanten Beteiligten die Frage des weiteren Lebensmittelpunktes von ... erörtert werde. Bei den dann zu treffenden Entscheidungen werde auch die bereits bestehende Bindung zu den jetzigen Bereitschaftspflegeeltern berücksichtigt. Ein Verbleib in der jetzigen Bereitschaftspflegefamilie und die Einrichtung eines damit verbundenen Dauerpflegeverhältnisses werde mit Blick auf das Kindeswohl vorrangig geprüft.
II.
Die nach §§ 7 Abs. 5 Satz 2 folgende FamFG, 567 ff ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Amtsgericht den Antrag der Pflegeeltern nach §§ 7 Abs. 3, 161 Abs. 1 Satz 1 FamFG am Verfahren beteiligt zu werden, zurück gewiesen.
Es entspricht vorliegend pflichtgemäßem Ermessen, die Pflegeeltern zu beteiligen.
Mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht angenommen, dass sich ... Seit längerer Zeit in Familienpflege bei den Pflegeeltern befindet.
Nicht gefolgt werden kann dem Amtsgericht indes darin, dass sich nicht feststellen lässt, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs 16/6308 S. 241) ist ein entsprechendes Interesse zu bejahen, wenn die Beteiligung dem Kindeswohl dienen KANN, mithin die Tatsache, dass die Pflegepersonen aufgrund einer formellen Beteiligung unter anderem über den Fortgang des Verfahrens und die Beweisergebnisse informiert werden und aktiv auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen können, dem Kindeswohl dienen kann. Zu berücksichtigen ist hierbei bei der Gesetzesbegründung ferner, ob es dem Kindeswohl dienen kann, dass die Pflegepersonen unmittelbar in die Entscheidung des Gerichtes mit einbezogen werden können, so z.B. bei der Regelung des Umgangs mit dem Kind.
Hiervon ausgehend liegt eine Beteiligung im Interesse ...s.
Auch wen § 161 Abs.1 Satz 1 FamFG perse eine längere Familienpflege voraussetzt, besteht hier die Besonderheit, dass sich ... – abgesehen von wenigen Tagen – von Geburt an durchgängig bei den Pflegeeltern aufgehalten hat, so dass diese diejenigen Personen sind, die ihn und seine Bedürfnisse mit Abstand am besten kennen und daher – in Ergänzung der Ausführungen der übrigen Beteiligten – zuverlässig Auskunft über ihn aus erste Hand erteilen können. Inwieweit das für sich genommen eine Beteiligung rechtfertigen oder ob insoweit eine bloße Anhörung genügen würde, bedarf keiner Entscheidung. Denn vorliegend besteht die weitere Besonderheit, dass die Einbeziehung der Pflegeeltern in das zu erstellende Sachverständigengutachten erfolgen soll. Schon vor dem Hintergrund zur Vermeidung von Missverständnissen und zur Klärung der Tatsachengrundlagen ist es deshalb zur Ermöglichung einer umfassenden Sachaufklärung, welche dem Kindeswohl dient, angebracht, den Pflegeeltern als Beteiligte unter anderem die Möglichkeit zu eröffnen, von dem Gutachten Kenntnis zu nehmen und hierzu – soweit geboten – Stellung zu nehmen sowie gegebenenfalls eine ergänzende Stellungnahme zu beantragen. Ganz entscheidend kommt noch hinzu, dass das Jugendamt zwischenzeitlich mitgeteilt hat, angesichts des bereits seit langer Zeit bestehenden Bereitschaftspflegeverhältnisses einen Verbleib bei den derzeitigen Pflegeeltern im Wege der Dauerpflege zu prüfen. Das bedeutet aber, dass vorliegend auch eine Einbeziehung der Pflegeeltern bei der für den Fall eines (teilweise) Sorgerechtsentzuges zu klärenden Frage, wer gegebenenfalls als Vormund oder Ergänzungspfleger in Betracht kommt, zu erfolgen hätte. Denn hierfür kommen potenziell auch die späteren Betreuungspersonen in Betracht. Zudem soll sich das Gutachten auch zu einer möglichen Betreuungskonzeption verhalten. Auch insoweit ist nach dem Vorstehenden eine unmittelbare Einbeziehung der Pflegeeltern als potentielle Dauerpflegeeltern sinnvoll, so dass in der Gesamtschau eine Beteiligung in jedem Fall dem Kindeswohl dienen könnte und damit nach der Gesetzbegründung dem Interesse des Kindes.
Angesichts dessen bedarf keiner Klärung, ob – wie teilweise angenommen – das Bestehen eines längeren Pflegeverhältnisses die Vermutung begründet, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt. Denn vorliegend treten – wie dargetan – zu der besonders langen Bereitschaftspflege, die von Geburt an bestand, weitere Umstände hinzu, die in der Gesamtschau im konkreten Einzelfall die Annahme rechtfertigen, dass die Beteiligung im Interesse des Kindes liegt, mithin die Beteiligung dem Kindeswohl dienen kann. Aspekte, die dem entgegen stehen könnten, insbesondere Umstände, aufgrund derer eine Beteiligung vorliegend dem Kindeswohl schaden könnte, sind nicht ersichtlich und auch nicht dargetan.
Da auch sonstige Gründe, die gegen die Beteiligung der Pflegeeltern sprechen könnten, nicht ersichtlich sind, entspricht es pflichtgemäßem Ermessen, die Pflegeeltern zu beteiligen. Die Ermessensentscheidung des Amtsgerichtet, welche bereits im Hinblick darauf, dass das Amtsgericht von einer lediglich vorübergehenden Bereitschaftspflege ausgegangen ist, keinen Bestand haben kann, war daher entsprechend abzuändern und das Ermessen des Amtsgerichts durch das Ermessen des Senats zu ersetzen.
von:
Pflegefamilien bedeuten menschliche Nähe und Verlässlichkeit