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Frühkindliche Traumata
Themen:
Annäherung an die nur schwer zu erkennenden sprachlosen Traumen der frühen Kindheit
Sigrid Reinhard hat den folgenden Text nach einem Referat von Hildegard Niestroj zusammengestellt. Das Referat "Hilfen im Umgang mit traumatisierten Kindern" hielt Frau Niestroj am 15. November 2002 auf der Tagung der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes in Holzminden
Als Einführung eine Abschrift aus dem Referat von Frau Niestroj vom 25. April 1998
Einleitung: vom Mitgefühl für seelisch verletzte Kinder
"Hast Du so etwas wie ich auch schon einmal erlebt, warst Du auch schon einmal in einem Kinderheim?" wurde ich von Martin gefragt, dessen negative frühe Erfahrungen zu seiner Lebensgeschichte gehören, - um dann prompt von ihm gesagt zu bekommen: Dann kannst Du das auch nicht richtig verstehen, was ich Dir erzähle." Ich musste Martin Recht gegen und akzeptieren, dass für mich als Außenstehende" die Einfühlung in sein kindliches Erleben wenn überhaupt, so doch nur sehr bruchstückhaft sein kann, und dass ich letztendlich nur versuchen könnte, mich seiner Innenwelt behutsam anzunähern. Aber ich wollte Martin gern verstehen, mit ihm fühlen können, und das sagte ich ihm auch.
Mitgefühl für ein traumatisiertes Kind zu entwickeln bedeutet, sich von dem, was das Kind selbst erlebt und erlitten hat, ein Bild zu machen und sich von dessen innerem Erleben bewegen, ja, packen zu lassen, dass man fühlt, als hätte man selbst das erlebt, was dieses Kind real erlebt hat. Durch das Nachvollziehen seines Leids wird man dann selber von Kummer ergriffen und die Vorstellung davon, wie dieses Kind sich gefühlt haben mochte und welche Ängste in ihm freigesetzt worden sind, wirkt so unerträglich, dass man alles daran setzt, das Leid dieses Kindes zu mindern, gerade so, als sei es das eigene.
Was könnte das Mitgefühlt für das frühkindliche Erleben traumatisierter Kinder in Pflegefamilien erschweren?
1. Unzureichende Informationen aus der (Vor-)Geschichte des Kindes;
2. Was man selber nicht gesehen oder miterlebt hat, ist generell schwerer vorstellbar und von daher auch schwerer präsent zu halten;
3. Die Neigung, alles was geschieht, aus seiner eigenen Sicht zu beurteilen und diese persönlichen Erfahrungen auf andere zu übertragen;
4. Das Wissen um die Grenzen der eigenen Möglichkeiten in der Erziehung - als Pflegeeltern, Therapeutin, als Sozialarbeiterin im Pflegekinderbereich - könnte mit dazu beitragen, familiäre Traumatisierungen in Herkunftsfamilien zu bagatellisieren, oder das ungeschehen machen zu wollen, was Kinder als höchst erschreckend und schwer bedrohlich erlebt haben;
5. Schuld und Schamgefühle darüber, das Leid eines Kindes nicht verhindert oder die Anteilnahme verweigert zu haben;
6. Die Leugnung der besonderen Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit eines Kindes;
7. Die Tendenz, seelische Verletzungen insgesamt zu ignorieren und lediglich die körperlichen Verletzungen als solche wahrzunehmen;
8. Konzentration der Pflegeltern oder aber auch anderer Fachkräfte auf eigene Belange;
9. Die eigene (Vor-)Geschichte der Pflegeeltern
10. Wenn verleugnende leibl. Eltern (wie z.B. bei sexuell überwältigenden Überstimulierungen) die Verleugnung auf das Kind übertragen hatten, so dass es sich in seiner inneren Abhängigkeit weiterhin gefangen fühlt und nun die Pflegeeltern ebenfalls in das Verleugnungssystem einzubinden versucht;
11. Das Kind selbst will vielleicht vergessen, will Stillschweigen bewahren über die Schrecken der Vergangenheit, befürchtet es doch nichts so sehr, als dass die Vergangenheit wieder erweckt und zur Realität werden könnte mit ihren panikartigen Ängsten und der ungeheuren Wut, d.h. Gefühlen, von denen es überwältigt wird.
Sich trotz der genannten Schwierigkeiten dem Kind, für das man Verantwortung übernommen hat, an die Seite zu stellen, hellhörig zu werden für das, was es mitteilen möchte, sein Vertrauen zu erwerben und sich von ihm an die Hand nehmen zu lassen, das ist eine Herausforderung füll all diejenigen, die tagtäglich mit seelisch verletzten Kindern in Berührung kommen. Denn Kinder spüren, ob Sie sich als Pflegeeltern, als Therapeutinnen oder SA stillschweigend untereinander darüber geeinigt haben, seine belastende (Vor)Geschichte aus seinem jetzigen Leben auszuklammern als sei sie gar nicht geschehen, oder ob Sie gewillt sind, sich diesem Ansinnen zu verweigern und statt dessen bereit sind hinzuschauen, um die `unverdaulichen´ Erfahrungen in der Lebensgeschichte des Kindes mit zu halten und mitzutragen. Dann besteht eine reale Chance für diese Kinder, dort abgeholt zu werden, wo sie durch eine hoch beängstigende und unverarbeitbare traumatische Erfahrung einen Bruch in ihrer Entwicklung erlitten haben, wo das Trauma unintegriert geblieben ist und weiterhin störend auf die Entwicklung einwirkt.
Das innere Bündnis mit dem Kind
"Bevor ich auf das eigentliche Thema eingehen werde, möchte ich jeden einzelnen von Ihnen anregen, ein inneres Bündnis mit dem unverletzten Kind zu schließen, also mit einem Kind, welches noch keinen tiefgreifenden Schaden hat erleiden müssen. Dies ist meiner Erfahrung nach eine Möglichkeit, das `schwerverdaulich’ Thema der frühkindlichen Traumata besser aufnehmen und einordnen zu können, d.h. ein sensibleres Leidverständnis gegenüber kleinen Kindern zu entwickeln, um dann auch motiviert an Überlegungen einer Leidminderung arbeiten zu können. Stellen Sie sich einen zufriedenen satten Säugling vor, der, nachdem er liebevoll umsorgt wurde, - nun mit sich und seiner Welt im Einklang - sich in sein Bettchen legen lässt und Sie von dort aus mit offenen Augen anschaut. Solche Blicke bleiben jedem, der das Glück hatte, diese erwidern zu können, ein unvergessenes Erlebnis. Wenn die grundlegenden Entwicklungsbedürfnisse eines kleinen Kindes zur rechten Zeit beantwortet werden, wie: seinen Platz zu haben, ernährt zu werden, geschützt zu sein, Unterstützung zu bekommen und Grenzen zu erleben, ist das kleine Kind fähig zum Dialog; um der Gefahr einer Idealisierung entgegenzutreten, ist es gut zu wissen, dass es normalerweise 3 ½ bis 15 mal pro Stunde zum Konflikt zwischen Eltern und kleinen Kindern kommt."
Veröffentlichung der Abschrift mit freundlicher und ausdrücklicher Genehmigung von Frau Niestroj
Vortrag von Frau Niestroj am 15. November in Holzminden nach meinen stenografischen Notizen:
Die Möglichkeit von Kindern, Außenreize aufzunehmen und zu verarbeiten sind individuell sehr verschieden und ändern sich ihrem alter entsprechend. Jedes Kind hat ein Stimmungs-Niveau. Bei seiner Unterschreitung beginnt der Säugling nach Reizen zu suchen; bei Überschreitung weicht er der Stimulation aus. Wird ihm bei der Reizregulation geholfen, verfügt der Säugling über die Fähigkeit, mit den äußeren Stimulierungen fertig zu werden. Mütterliche Sorge ist ein Reizschutz und hilft bei der Angstbewältigung. Was ist, wenn die Reizschranke durchbrochen wird? Dies erzeugt Stress = Angst, Hilflosigkeit, Wut.
Posttraumatische Belastungsstörungen:
1. Träume - reale Inszenierungen
2. Stimuli vermeiden
3. Beeinträchtigung der emotionalen Ansprechbarkeit
4. Hyperaktivität, Reizbarkeit, Alarmbereitschaft
Ein Kind ist darauf angewiesen, dass Eltern ihre eigenen Belange derart in Einklang bringen mit den Bedürfnissen des Kindes, dass das Kind keinen Schaden leidet. Bei einer Familien-Traumatisierung hat das Kind einen Schaden erlitten durch die Angehörigen. Es war hilflos und ausgeliefert. Das Kind ist dadurch permanent in Alarmbereitschaft und beobachtet den Erwachsenen genau. Es erkennt winzigste Veränderungen im Gesichtsausdruck als Signal für Wut, Erregung .... Aus sich selbst heraus aufblühen können ist nicht möglich. Die Kinder können sich nicht entwickeln. Sie entwickeln einen demonstrativen automatischen Gehorsam. Als Abwehrmaßnahme bagatellisieren sie, deuten vieles um als `normales’ Geschehen, ihre Wahrnehmung ist abgespalten. Dies geschieht, um die Eltern zu schützen. Kann das Kind das Verhalten der Erwachsenen nicht erklären, versucht es einen Grund zu finden. Es denkt, dass es selbst Schuld hat - es nimmt die Schuld auf sich.
In einer Familientraumatisierung gibt es drei Phasen:
1. intensive Beziehung zum Kind
2. es kommt zu einer intensiven Interaktion seitens des Erwachsenen und somit zu einer Reizüberflutung des Kindes
3. Der Erwachsene tut so, als habe sich nichts zwischen Ihnen ereignet. Das Kind weiß nicht mehr, was es denken soll.
Folgen der Traumatisierung sind größer
- je größer der Altersabstand
- je größer die verwandtschaftliche Nähe zum Kind
- je mehr Gewalt eingesetzt wurde
- je mehr die Geheimhaltung verlangt wurde.
"Eine feinfühlige Bindungsperson kann viel ausgleichen"
Folgeerscheinungen sind
1. Regression
2. Identifikation mit dem Agressor
3. Phantasierte Schuldgefühle
4. Dissoziales Ausagieren
Vernachlässigung gilt teilweise nicht als Trauma, aber - "Es ist unerträglich: ein Kind, dass Hunger hat und nichts bekommt = Vernachlässigungen sind auch Traumen"
Hat ein Kind genügend Abstand (zum Agressor) und weiß es sich in Sicherheit, dann können die Szenen hochkommen - zur Aufarbeitung. Dann werden die Pflegeeltern in die Rolle der eigenen Eltern gerückt. Erst, wenn das Kind genügend eigene stabilisierende Erfahrungen gemacht hat, kann es alles aufarbeiten.
Konflikte, die im zwischenmenschlichen Bereich entstanden sind, können auch nur im zwischenmenschlichen Bereich korrigiert werden. Kinder können das nicht alleine tragen.
"Sie müssen nur einmal richtig verstanden werden. Das ist für ein Kind mehr, als nie verstanden zu werden. Es ist schon die Welt für so ein Kind. (Häufig wird das Trauma von Erwachsenen bagatellisiert oder dem Kind wird nicht geglaubt, das macht die Sache für das Kind noch unerträglicher)"
Praxisbeispiel: Fragen, die sich jeder selbst beantworten kann:
1. Jedes Kind braucht ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit.
2. In welche Situation wurde es hineingeboren?
3. Konnte es sich geborgen fühlen?
4. Kam es bereits unsicher auf die Welt?
5. Sind bereits während und vor der Geburt Dinge geschehen?
6. Welche Störungen erlebte das Kind durch Angst-, Stresshormone?
7. Erlebte es Veränderungen der Blutversorgung (z.B. durch Stoffwechselerkrankung)?
8. Hatte es das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit?
9. Bot eine emotionale Enge einen Schutz?
10. Konnte es das Urvertrauen im Gehirn verankern?
11. Welche Erfahrungen, die sich beim Kind verankert hat bestimmen seine Erfahrungen?
Fallbeispiel:
Die Eltern des kleinen Martin zogen vor der Geburt zusammen. Die Beziehung war gestört durch den Altersunterschied. Der Vater war häufig arbeitslos, trank übermäßig viel Alkohol und im berauschten Zustand schlug er die Mutter oft, und zwar vor, während und auch nach der Schwangerschaft. Am meisten habe der Vater die Mutter während der gesamten Schwangerschaft geprügelt, sie aber auch anderweitig misshandelt. Mehrfach habe er sie - die Mutter - in den Leib geboxt, sie mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, sie die Treppenstufen hinunter gestoßen.
Nach der Geburt des Jungen habe sich hieran wenig geändert: Der Vater habe den Jungen in dessen früher Lebenszeit wenig geschlagen, ihn jedoch häufig in angetrunkenem oder betrunkenem Zustand auf den Arm genommen. Martins Geburt war von beiden Eltern unerwünscht, zudem hat die Mutter den Jungen wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Vater abgelehnt. Das Kind war mit zwei Jahren schon auffällig.
Martins Geburt war von beiden Eltern unerwünscht, zudem hat die Mutter den Jungen wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Vater abgelehnt. Das Kind war mit zwei Jahren schon auffällig. Er zerstörte sein Spielzeug, zerriss seine Kleidung, verhielt sich provozierend, hatte Angst. Die Mutter fühlte sich völlig überfordert und schlug immer häufiger und heftiger zu. In der Angst, dem Jungen einen Schaden zuzufügen, wendete sie sich ans Jugendamt am Ende seines 4. Lebensjahres kam das Kind in ein Heim. In der Schule hatte er Anpassungsschwierigkeiten, provokante Affekte und tendierte zum emotionalen Rückzug.
Frau Niestroj therapierte ihn und fragte ihn einmal: "Was ist das Schlimmste, wie jemand sich fühlen kann?" Er antwortete: "Die Angst!" und er zeichnete die Angst.
"Wir können es auch noch nicht ganz begreifen, was so ein Kind durchmacht."
Ein Trauma ist auch Angst vor Vernichtung. Ein nicht erwünschtes Kind zu sein ist ein Urtrauma - wie ein Damoklesschwert schwebt es über dem Leben des Kindes. Die Pflegeeltern fragen sich: "Schaffen wir das?" Die Schule fragt sich: "Ist das Kind tragbar für uns." Und so empfindet das Kind überall nur ein geduldet sein und weiß nie, was weiter geschieht.
Prof. Hüther meinte dazu einmal: "Wenn man ein Kind erziehen will, braucht man dazu ein ganzes Dorf."
Was weiter wichtig ist, dass dem traumatisierten Kind Wahlmöglichkeiten bleiben. Die Szene des Gezwungenseins ist zu belastend für das Kind. Frühe Bindungsstörungen lassen das Verhalten der Kinder als geistige Krankheiten erscheinen.
Haltungen dem Kind gegenüber
(Anm.: Hier sind Zitate aus dem Referat von 1998 und dem Vortrag von 2002 gemischt, der Vollständigkeit halber)
Grundregeln:
1. Hat ein Kind in seiner Herkunftsfamilie ein Trauma erlitten, als es vernachlässigt oder misshandelt wurde, oder sexuell überwältigende Erfahrungen machen musste, so ist diese Realität als solche auch anzuerkennen.
2. Wollen die Pflegeeltern wissen, was ihr Pflegekind früher erlebt hat und was wirklich geschehen ist, und sind sie bereit, sich das Unvorstellbare vorzustellen, trägt dies zur Überwindung der Einfühlungsverweigerung bei.
3. Die seelische Verletzung eines Kindes erfordert die moralische Stellungnahme der Personen des sozialen Umfeldes. Diese können unmöglich neutral bleiben, ohne das Kind der Gefahr einer erneuten Traumatisierung auszusetzen (Abstinenz bedeutet, seine Eigeninteressen völlig zurückzustellen, nicht aber, absolute Neutralität zu wahren). "Eine Haltung, die bei uns automatisch abläuft, ist wohlwollende Neutralität, entmündigende Larmoyanz und ein weinerlicher Versöhnungsreflex"
4. Bei einem traumatisierten Kind spielt die Sicherheit, d.h. das Schaffen einer schützenden Umgebung das vorerst dringlichste Ziel. Erst nachdem ein klarer, sicherer Rahmen geschaffen ist, können die korrigierenden Erfahrungen in einer heilenden (Pflege-)Eltern-Kind-Beziehung wirksam werden.
5. Ein Kind kann die Last des Schmerzes nicht allein tragen. Es braucht Menschen, die ihm hierbei helfen. Helfen heißt mitschwingen mit dem Kind in seinen Gefühlen und seinem Erleben.
"Das Kind braucht eine Solidarische Basis, echtes Mitgefühl und Distanzierungsmöglichkeiten von den traumatisierenden Beziehungspersonen. Die seelische Verletzung erfordert eine innere Solidarität mit dem Kind. Ein Kind muss sich darauf verlassen können, dass es von den erwachsenen Personen nicht geschädigt wird. Echtes Mitgefühl statt Larmoyanz (Rührseeligkeit: "Ach das arme Kind.") das macht das Kind schwach und kraftlos. Heilung ist wie eine Operation ohne Vollnarkose = sie tut weh, ist entsetzlich. Passen wir gut auf, wenn über das Kind in dessen Beisein geredet wird. Statt Versöhnung: Hier gilt es immer: die eingefahrenen Denkgewohnheiten überprüfen. Fischer sagt: "es wäre die Pflicht der Kinder, um der seelischen Gesundheit willen, sich zu versöhnen’.
Wenn ehemals misshandelte Personen diese frühen Erfahrungen verarbeiteten und sich innerlich distanzieren können, ist ein Unterbrechen des Gewaltzyklus möglich. Erst nach dem langen Aufbau einer stabilen Beziehung ist es möglich, in einer Trauerarbeit eine Distanz zu erreichen. Nienstedt/Westermann sagt: "Ob das Kind sich mit den Bindungspersonen wird aussöhnen wollen oder können, sollte dem Kind nicht aufgezwungen werden."
6. Es ist von elementarer Bedeutung für ein Kind, dass es sich verstanden fühlt. Da dies in der Regel häufig missling (3 ½ bis 15 mal pro Stunde kommt es normalerweise zum Konflikt zwischen Eltern und kleinen Kindern), ist es wichtig, dass (Pflege-)Eltern lernen, mit eigenem Ärger, Wut und Frustration umzugehen.
7. Allen der von Pflegeeltern ausgesprochene Wunsch, ihr (Pflege-)Kind besser verstehen zu wollen, bedeutet einem Kind schon sehr viel und trägt zu seiner Entlastung und gleichzeitig zu einer liebevolleren Beziehung bei.
8. Sich mit dem Kind, für das man Verantwortung übernommen hat, in Beziehung zu setzen bedeutet auch, sich zu `er-innern’, - das Kind hat seine eigene Lebensgeschichte. Sich mit dem Kind auf eine schmerzliche Erinnerungsarbeit einzulassen, ist vielleicht die größte Schwierigkeit, da man selbst mit Gefühlen von Angst und Ohnmacht, Enttäuschung und Kränkung, Scham und Schuld, drohendem Verlust jeglicher Selbstachtung, Wut und Haß konfrontiert wird.
9. Bei der Erinnerungsfähigkeit ist es von daher kaum mit einem einmaligen Erinnern getan, denn die realen Erfahrungen leben im Kind fort.
10. Hilfreiche und sinnvolle Grenzen setzen. Grenzen setzen bedeutet, das Kind vor erneuter Reizüberflutung zu schützen (Traumata durchbrechen den Reizschutz!) Eine Reizüberflutung setzt die Ichfunktionen für kurze oder längere Zeit außer Kraft.
11. Die Ichfunktionen des Kindes stärken, denn ein gestärktes, stabilisiertes Ich verarbeitet ein Trauma besser als ein geschwächtes. Zudem kann es auch Spannungszustände besser ertragen. Bei Bedarf dem Kind die eigenen Ichfunktionen zur Verfügung stellen, z.B. zur Realitätsprüfung in Gefährdungssituationen. Dem Kind dabei die eigene Bewertung belassen. Bei der Stärkung der Ichfunktionen dort ansetzen, wo das Kind steht, d.h. es anregen und das unterstützen, was ihm Freude macht, beispielsweise den Sport, der zur Beherrschung der Körperfunktionen führt.
12. Pflegeeltern käme die Aufgabe zu, ein inneres und gegebenenfalls auch äußeres Verbindungsglied zwischen dem Kind und anderen Menschen (od. Institutionen wie Kindergaren oder Schule) zu werden und die Sprachlosigkeit des Traumas zu überwinden, d.h. das gegenwärtige kindliche Verhalten in Beziehung zu setzen mit seinem früheren Erleben.
13. Bei Konflikten mit dem Kind den drohenden Kontrollverlust rechtzeitig wahrzunehmen suchen. Vermeiden, dass das Kind oder man selbst sich in die Enge getrieben und völlig hilflos fühlt.
14. Falls in einer Auseinandersetzung alles auf eine Wiederinszenierung des Traumas zusteuert und man dies rechtzeitig bemerkt, dem Kind einen Ausweg aufzeigen und den Fluchtweg nicht versperren, - auch nicht sich selbst.
15. Versuchen, das `Unsagbare’ auszudrücken, Worte für das Geschehen finden und die Inszenierung beschreiben (Pflegemutter: "Da läuft ein Film ab!". Therapeutin: "Geben sie ihm einen Titel, - Klappe, die erste. Der Film kann aber auch angehalten werden, damit eine Szene gesondert betrachtet werden kann") Das gäbe dem Kind die Chance, das selbst Erlebte distanziert wiederzuerkennen und dabei gleichzeitig zu erleben, dass sich in der Wiederholung auch ein Weg hin zur Veränderung eröffnet.
16. Bei der Wortwahl der Szenenbenennung die würde des Kindes achten. "Würde" ist ein Begriff, der nur von innen heraus zuklären ist, - aus dem individuellen Erleben eines jeden Kindes. Dem Kind hierbei nichts `aus Auge drücken’! Allgemein formulieren, die 2. Person Singular vermeiden,; den Konjunktiv verwenden. Dann kann das Kind selbst entscheiden, ob es sich mit dem Gesagten in Beziehung setzen will oder nicht.
17. Ist es bei einer Wiederinszenierung zu einer Grenzverletzung gekommen, die im Kind hervorgerufene Gefühle von Angst, Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Wut nicht leugnen und so tun, als habe sich gar nichts ereignet. Zur vollen Traumatisierung kommt es nach Balint erst in der dritten Phase, in welcher der Erwachsene das Geschehen leugnet und sich so verhält, als sei nichts geschehen. Wichtig ist, dass man Grenzen setzt und auch für die Sicherheit der anderen Kinder bürgt. Nicht darüber schweigen aber - wir sorgen für Regeln und Sicherheit. Für einen Raum sorgen, wo das Kind heftige Dinge ausagieren kann.
18. Die frühzeitige Beratung und therapeutische Begleitung der Pflegeeltern und des Kindes kann eine angespannte Eltern-Kind-Beziehung stark entlasten.
19. Eine Zukunftsperspektive aufzeigen, d.h. die Hoffnung setzen, dass die traumatischen Erfahrungen überwindbar sind. "Wir werden Wege finden." Es gibt kleine Dinge, wo man sie fordern kann, aber in den großen dingen ist das Kind überfordert.
20. Konflikte, die im zwischenmenschlichen Bereich entstanden sind, können auch nur im zwischenmenschlichen Bereich korrigiert werden. In dem Rahmen, in dem eine neue Beziehungserfahrung internalisiert wird, kann das traumatisierende Introjekt aufgegeben und der Wiederholungszwang unterbrochen werden. Über ein Agieren allein oder das Kaputtmachen von Sachen kann kaum etwas geklärt werden.
21. Um den Erhalt des Guten kämpfen, damit es als solches auch stehen bleiben kann.
22. Wichtig ist auch, sich in den Schulgesetzen gut auszukennen. Eltern können eine Kleinlerngruppe beantragen in der OS die Schule ist dazu verpflichtet. Guten Kontakt zum Schulpsychologen halten und ebenfalls zur Lehrerin. Nicht vergessen, den Lehrkräften auch einmal ein Danke zu sagen, eine Rückmeldung abgeben, damit sie merken, ja es lohnt sich.
23. Schlimm für das Kind ist es, gezwungen und in die Ecke gedrängt zu sein = Szene des Traumas. Hilfe ist das Zwei-Wege-Modell -- zwischen 20 Möglichkeiten kann es sich nicht entscheiden, aber zwei Dinge kann es überblicken: "Du kannst es so oder so machen. Entscheide Du!" einen Ausweg aufzeigen, es muss dem Kind eine Fluchtmöglichkeit gegeben werden. "Das muss, du sollst." Das Kind sagt noch: Das kann ich nicht." Und kommt ganz durcheinander. Konkrete Hilfe ist es zwei Wege anzubieten, so dass wir quasi als Sortiermaschine fungieren.
24. Weitere Hilfen: Schützender Rahmen = innere und äußere Sicherheit, Vorhersagbarkeit, Durchschaubarkeit, Strukturiertheit, rechtzeitige Ankündigung
Es kommen ganz heftige Affekte in die Pflegefamilie. Wut, Scham, Kränkung, Schuld, Ohnmacht, Enttäuschung. Umgang mit heftiger Wut und Hass auch wenn sie es nicht können = sagen Sie dem Kind: "Ich würde dich gerne verstehen." Kinder halten den Wunsch schon für die Tat. Eine demütige Haltung einnehmen: "Ich habe das nicht erfahren." Den Wunsch = ich möchte dich verstehen brauchen die Kinder - es ist wichtig, dass wir es aussprechen.
Die jeweilige Gefühlslage erkennen, widerspiegeln und benennen, damit das Kind einen Namen dafür hat: "Ich bin traurig, ich habe Wut." Wahrnehmen und aussprechen. Die Gefühlslage verstehen und entsprechend beantworten: z.B.: Baby weint und ich gehe lachend hin und beachte die Gefühlslage nicht - das ist nicht die richtige Reaktion. Wenn der Mann abends erschöpft nach Hause kommt, evt. gefrustet und die Ehefrau kommt ihm lustig entgegen - fühlt er sich genauso irritiert.
Wir wollen gerne dort abgeholt werden, wo wir stehen - aber nicht miteinander untergehen. D.h. die Gefühlslage erkennen und anerkennen, sich aber nicht mit herunterziehen lassen.
Affektregulierung - wenn das Kind auf eine Auseinandersetzung hinsteuert:
1. Nicht hochschaukeln
2. Den Fluchtweg des Kindes nicht versperren - Türe offen lassen
3. Selbst einmal den Raum verlassen
4. Sagen Sie: "Wir sprechen später darüber, hier ist es gerade nicht so gut. Wir reden im Wohnzimmer darüber."
5. Gehen Sie selber zur Toilette
Den Fluchtweg offen lassen, das Kind nicht in die Enge treiben. Feinfühlig und emotional an das Kind herangehen. Dass das Kind spürt, dass es gehalten wird. Es gibt eine analytisch orientierte Musiktherapie, wo Gefühle über Instrumente ausgedrückt werden können.
Information über weitere Seminare: www.Stiftung-Pflegekind.de