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Zusammenarbeit mit Eltern in der Pflegekinderhilfe
Auszüge aus der Expertise
Einleitung
Wenn Kinder oder Jugendliche von ihren Eltern (zeitweilig) nicht ausreichend versorgt werden können, ihr Wohl und ihre Unversehrtheit zu Hause gefährdet sind und die Gefahr gemeinsam mit den Eltern nicht abzuwenden ist, ist es Aufgabe der Jugendämter, einen neuen Lebensort für die jungen Menschen zu finden. Ist dieser Ort in einer stationären Einrichtung der Erziehungshilfe gemäß § 34 SGB VIII oder in einer Pflegefamilie gemäß § 33 SGB VIII gefunden worden, müssen die Eltern nicht nur die Trennung und den Verlust verarbeiten, sondern auch eine Perspektive für ein alltägliches Leben ohne ihr Kind entwickeln. Auch wenn sich – in einer deutlich selteneren Konstellation – die Eltern selbst von ihren Kindern getrennt haben, müssen sie ihre Rolle als Eltern, deren Tochter oder Sohn nun in der Obhut anderer Menschen lebt, aber dennoch ihr Kind bleibt, finden und gestalten. Dabei sind sie auf Unterstützung angewiesen, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch im Sinne ihrer Kinder, deren Identitätsentwicklung untrennbar ist von ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Herkunftsfamilie. Den Anspruch von Eltern, deren Kinder (zeitweilig) an einem anderen Ort leben, auf Beratung und Unterstützung mit Hilfe empirischer Belege zu untermauern, ist Intention dieser Expertise. Trotz des schon im Grundgesetzt in Artikel 6 Abs. 2 GG verankerten Elternrechts zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder als „natürliches Recht und Pflicht“ fehlt es im Kontext der Hilfen zur Erziehung vielerorts an ausgewiesenen transparenten Angeboten zur Zusammenarbeit mit Eltern, deren Kinder (zeitweise oder unbefristet) an einem anderen Lebensort untergebracht wurden.
Dies bildet sich z.B. in den sehr divergierenden Leistungsbeschreibungen und Praktiken der stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe hinsichtlich ihres Selbstverständnisses und ihrer konkreten Angebote zur Kooperation mit den Eltern ab, die von vielen Jugendämtern unhinterfragt akzeptiert werden. Bezogen auf die Zusammenarbeit mit Eltern, deren Kinder in Pflegefamilien untergebracht sind, erscheint die Praxis der Sozialen Dienste der Jugendämter und der Pflegekinderdienste vielerorts ebenfalls intransparent. Je nach Konzeption und strukturell verankerter Arbeitsteilung zwischen den Diensten beginnt die erste Unklarheit schon bei der Zuständigkeit für die Beratung, Unterstützung und Beteiligung der Eltern von Pflegekindern. Vielerorts wird berichtet, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern als Aufgabe des jeweils anderen Dienstes angesehen wird; im Ergebnis führt dies nicht selten dazu, dass die Eltern mit ihrem Bedürfnis nach Information über ihr Kind, ihrem Wunsch nach Beteiligung an Entscheidungen, die ihr Kind betreffen etc., vollständig aus dem Blick geraten. Die Pflegekinderhilfe weist einige spezifische Merkmale auf, die bezogen auf die Zusammenarbeit der Sozialen Dienste mit den Eltern weitere komplexe Anforderungen nach sich ziehen.
Im Gegensatz zu den Fachkräften in der stationären Erziehungshilfe sind hier private Familien beteiligt, die zwar einerseits eine Hilfe zur Erziehung erbringen, dies gleichzeitig aber – angesichts der Konditionen – meist auch als Ausdruck ihres zivilgesellschaftlichen Engagements tun. Hier sehen sich die Eltern der Kinder, die in einer Pflegefamilie leben, anderen Erwachsenen gegenüber, die nun – im familiären Kontext – den Alltag mit ihren Kindern gestalten, ihnen Normen und Werte vermitteln und Einfluss auf sie nehmen. Die damit einhergehenden spezifischen Herausforderungen für die Eltern von Pflegekindern bedürfen besonderer Beachtung vonseiten der Sozialen Dienste und der entsprechenden Angebote an Beratung, Unterstützung etc.
In der Praxis vieler Pflegekinderdienste stehen die Eltern vor allem – oder ausschließlich – im Fokus, wenn es um die Gestaltung der Umgangskontakte geht. Hier kommt es oft zu unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Eltern, ihren Kindern und den Pflegeeltern, die nicht selten konfliktreich ausgetragen werden. Gleichwohl fehlt es meist an eindeutigen Regelungen, welche professionellen Akteur*innen hier im Sinne einer Moderation oder Mediation die Beteiligten bei der Suche nach Lösungen unterstützen. Um die Zusammenarbeit der Sozialen Dienste mit den Eltern von Pflegekindern künftig abzusichern, bedarf es einer eindeutigen gesetzlichen Regelung. Die damit einhergehenden Chancen für die beteiligten Kinder und Jugendlichen, ihre Eltern und Pflegeeltern werden im Folgenden auf der Basis empirischer Befunde dargestellt und mit praktischen Umsetzungsvarianten angereichert werden. Letztlich kann auf dieser Basis eine bedeutsame Weiterentwicklung des Profils der Pflegekinderhilfe erfolgen.
Der Text führt zunächst in die Ausgangssituation der Zusammenarbeit mit Eltern in der Pflegekinderhilfe sowie die verwendeten Begrifflichkeiten und ihrer Bedeutung und Wirkung ein. Daran schließen sich Ausführungen zu den Voraussetzungen, Herausforderungen und Lösungsansätzen der Zusammenarbeit der Fachdienste mit den Eltern von Pflegekindern an. Anschließend wird die Zusammenarbeit zwischen den Eltern und Pflegeeltern in den Fokus genommen und deren Bedeutung für die beteiligten Kinder intensiv beleuchtet. Grundlage dabei sind durchgängig aktuelle Wissensbestände und empirische Belege. Das nächste Kapitel widmet sich den praktischen Ansätzen der Transformation dieser Erkenntnisse: Die zentralen Schlüsselprozesse einer gelingenden Zusammenarbeit mit den Eltern werden identifiziert und neue Wege dorthin skizziert. Abschließend werden einige zentrale Erkenntnisse und die daraus abzuleitenden Forderungen zusammengefasst.
Schlussbemerkung
All dies zeigt, dass für eine intensivierte Zusammenarbeit mit Eltern auch Veränderungen bezüglich der Akquise, Beratung, Begleitung und Unterstützung von Pflegeeltern erforderlich sind, die eine geeignete Ausstattung der Dienste und fortlaufende Reflexionen hinsichtlich der an die Pflegeeltern gestellten Erwartungen notwendig machen. Wichtig erscheint, außer einer erforderlichen Anpassung der Struktur- und Rahmenbedingungen, gerade in der Pflegekinderhilfe eine ausbalancierende, sachliche Verständigung über die Rolle, die Rechte und die Ansätze zur Zusammenarbeit mit den Eltern. Aufgrund der weitestgehend noch fehlenden regelhaften Angebote für Eltern in der Pflegekinderhilfe wird es zukünftig darum gehen, diese adressat*innenorientiert zu entwickeln, zu erproben und in die bestehende Praxis zu implementieren. 49 Neben einer Umsetzung und Weiterentwicklung des bestehenden Rechts mit Blick auf Eltern und deren Beratungs- und Unterstützungsrechte liegt in einer guten Zusammenarbeit mit Eltern eine bedeutsame Chance für Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien aufwachsen: Da, wo es gelingt, die Bedürfnisse und Bedarfe von Eltern zu erfassen und sie im Rahmen eines auf die Eltern ausgerichteten Beratungs- und Unterstützungsangebots zu berücksichtigen, können Eltern einen stabilen Platz im Leben ihrer Kinder erreichen – unabhängig von deren zeitlich befristeter Unterbringung oder dem längerfristigen Verbleib in einer Pflegefamilie. Wenn es gelingt, eine förderliche Kooperationsbeziehung zwischen Eltern und Pflegeeltern mitzugestalten, erhöhen sich u.a. aufgrund deutlich reduzierter Loyalitätskonflikte der Kinder deren Entwicklungschancen. Dies gilt jenseits der Frage, ob die Eltern weiterhin über die vollständige oder eingeschränkte Personensorge verfügen.
Nachfolgende Träger haben über mehrere Jahr intensiv am Projek und ebenso an dem Bericht mitgearbeitet:
* PiB – Pflegekinder in Bremen gemeinnützige GmbH
* Wellenbrecher e.V. Pflegekinderhilfe Die Option
* PFIFF gGmbH
Perspektive gGmbH
Für die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung führt die Perspektive gGmbH Forschungsprojekte in Kooperation mit freien und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe durch. Die Perspektive gGmbH sieht Aufgabe darin, verfügbare Wissensbestände im Hinblick auf regionale Besonderheiten und individuelle Phänomene zu übertragen und für die Praxis anwendbar zu machen. Das Institut arbeitent gemeinnützig und am Gemeinwohl orientiert an konkreten Herausforderungen im Feld der Hilfen zur Erziehung. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Empfehlungen stellet das Non-Profit-Unternehmen zur allgemeinen Nutzung zur Verfügung.
Ansprechpartner und Geschäftsführer der Persepktive gGmbH: Dirk Schäfer, Dipl.-Sozialpädagoge, Dipl.-Pädagoge
von:
Schutzkonzepte in Pflegeverhältnissen – Elemente von Schutz, Beteiligung und Beschwerde