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Voraussetzung der Hilfe für junge Volljährige in Abgrenzung zur Eingliederungshilfe
Beschluss:
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Nov. 2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für die Gerichtskosten nicht erhoben werden.Tatbestand:
Der Kläger ist der Vater des am … geborenen T.
Für T. ist eine gesetzliche Betreuung eingerichtet, weil bei ihm eine organische Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 07.0) sowie ein atypischer Autismus ( ICD 10 F 84.1) verbunden mit einer leichten Intelligenzminderung (F 70.0) und einer Epilepsie besteht. Ab 2006 wurde er in einem Wohnheim der Stiftung .. stationär betreut, aus dem er am 29.Nov. 2008 in das Wohnhaus einer Einrichtung der AWO für erwachsene behinderte Menschen, wechselte. Die Beklagte ( Stadt …) erteilte dieser Einrichtung am 26. Nov. 2008 die Kostenzusage.
Mit an die Betreuerin gerichteten Bescheid vom 7.Mai 2009 bewilligte die Beklagte T. Eingliederungshilfe gemäß § 35a des SGB VIII in Form der Heimerziehung. Außerdem informierte die Beklagte den Kläger unter dem 8. April 2009 über die Hilfegewährung und darüber, dass er als Elternteil zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen sei.
In einem Hilfeplanprotokoll vom 17.9.2009 ist u.a. festgehalten, dass sich T. in den letzten Monaten jeder Führung, Anforderung und Lenkung entziehe und er es ablehne, sich korrekt zu kleiden oder zur Arbeit zu gehen. Ferner heißt es in dem Hilfeplanprotokoll, dass die Frage im Raum stehe, ob die Jugendhilfemaßnahme noch Sinn mache, da die Jugendhilfe an ihre Grenzen stoße und es keine Weiterentwicklung von T. gebe,; selbst klein gesteckte Ziele könnten nicht umgesetzt werden.
Nach vorheriger Anhörung des Klägers erließ die Beklagte am 8.11.2010 einen Kostenbeitragsbescheid und führte folgendes aus: Der monatliche Kostenbeitrag werde auf 443,00 € festgelegt, da der Kläger bis heute keine Einkommensnachweise erbracht habe. Der Betrag sei laufend ab November 2010 fällig. Bezüglich der Nachzahlung ab April 2009 sollte sich der Kläger mit der Beklagten zur Regulierung der Nachzahlung in Verbindung setzen.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 9.12.2010 Klage erhoben. Er trägt vor, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Kostenbeitrages habe, da die Hilfe für T. nicht in die Zuständigkeit der Jugendhilfe falle, sondern als Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff SGB XII zu gewähren sein. Der Vorrang der Sozialhilfe folge aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Nach den vorliegenden Arztberichten sei bei T. eindeutig eine körperliche Behinderung gegeben. Dies löse die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers aus.Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 8. Nov. 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages macht die Beklagte geltend, dass die Frage, ob der bei T. vorhandene Bedarf sein Gepräge durch die vorhandene seelische Gesundheitsstörung erhalte oder ob auch die weiteren bei ihm vorhandenen körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen die erfolgte vollstationäre Unterbringung notwendig machten, in der Vergangenheit bereits Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der Stadt … und dem Landschaftsverband als überörtlicher Träger der Sozialhilfe gewesen. Aufgrund der im Rahmen dieses Verfahrens verlautbarten rechtlichen Einschätzung habe sich das Jugendamt der Beklagten veranlasst gesehen, seine Zuständigkeit zur Hilfegewährung anzuerkennen und den Hilfefall aus der vorläufigen Zuständigkeit des Landschaftsverbandes zu übernehmen. Im Laufe der weiteren Hilfegewährung, die inzwischen eingestellt sein, nachdem der Landschaftsverband den Hilfefall nunmehr übernommen habe, hätten sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der ebenfalls beigezogenen Verfahrensakte zu dem Rechtsstreit des Landschaftsverbandes gegen die Stadt … (11 K 1298/07).Entscheidungsgründe
Die Kammer entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter, weil die Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben und weil die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Januar 2012 auf den Einzelrichter übertragen hat.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Nov. 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Grundsätzlich sind die Eltern eines jungen Volljährigen, für den Jugendhilfe in stationärer Form erbracht wird, gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 8 SGB VIII i.V. mit § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII zur Erbringung eines Kostenbeitrages verpflichtet, soweit ihnen dies nach ihren Einkommensverhältnissen in Übereinstimmung mit §§93 ff SGB VIII zumutbar ist. Die Elternteile werden gemäß § 92 Abs. 2 SGB VIII getrennt herangezogen.
Eine Kostenbeitragspflicht tritt aber nur dann ein, wenn die der Beitragserhebung zugrunde liegende Jugendhilfemaßnahme in Übereinstimmung mit den maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des SGB VIII gewährt wurde .
Vgl.: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 6.Juni 2008 – 12 A 144/06-, JURIS, Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 27.Mai 2011 – 3 K 65/10 – JURIS; Mann, in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 92 Rdnr. 7; Stähr, in Hauck/Noftz, SGB VIII, Loseblatt-kommentar, Stand Nov. 2011, § 92 Rdnr.12
Diese Bedingung für die Kostenbeitragserhebung ist hier nicht erfüllt. In dem zeitraum, für den vorliegend ein Kostenbeitrag erhoben wird, lagen die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfe von jungen Volljährigen gemäß § 41 Abs. 1 SGB VIII an den Sohn des Klägers nicht vor.
Nach § 41 Abs. 1 soll einem jungen Volljährigen Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden. § 41 SGB VIII begründet einen eigenständigen Hilfeanspruch für junge Volljährige und ist bestimmt für solche jungen Menschen, die mit Erreichen der Volljährigkeit noch nicht die dieser formalen Grenze entsprechenden Autonomie, Selbständigkeit und Persönlichkeit entwickelt haben, etwa weil die altersgemäß übliche individuelle Entwicklung oder gesellschaftliche Integration nicht gelungen ist.
Gehört ein junger Volljähriger zu dieser Gruppe junger Menschen, die entwicklungsbedingt zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung noch nicht in der Lage sind, so setzt ein Anspruch auf Hilfe nach $ 41 SGB VIII weiter voraus, dass die vorhandenen Entwicklungsdefizite gerade mit den speziellen Mitteln des Jugendhilferechts gemindert werden können. Entscheidend ist also, ob durch das Eingreifen der Jugendhilfe, die in diesem Zusammenhang als eine am Ausgleich vorhandene Erziehungsmängel orientierte sozialpädagogische Leistung zu beschreiben ist, die noch nicht abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden kann.
Im Hinblick auf die in § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII genannte Altersgrenze muss es zumindest möglich erscheinen, eine weitere Persönlichkeitsentwicklung im Sinne einer fortschreitenden Verselbständigung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erreichen. Es muss also ein erkennbarer Entwicklungsprozess in der Persönlichkeitsentwicklung und in der Befähigung zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gegeben sein.
Ein solcher positiver Entwicklungsprozess lässt sich in der Persönlichkeit von T. bezüglich des von dem Kostenbeitragsbescheid erfassten Zeitraums nicht feststellen. Bereits Ende November 2008 war er in eine stationäre Einrichtung für erwachsene Menschen mit Behinderungen gewechselt, weil es sich ausweislich des Hilfeplanprotokolls vom 28.1.2009 mit Rücksicht auf seine Volljährigkeit weigerte, sich den in einem Kinder- und Jugendwohnheim bestehenden Regeln unterzuordnen. Während er in dem zuvor belegten Kinderhein zuletzt in der Lage war, seine Körperpflege sowie die Wäschepflege und auch die Zimmerordnung , wenn auch meist auf Anforderung, weitgehendst zuverlässig auszuführen, heißt es in dem Verlaufsbericht A. vom 16.9.2010., dass es ihm nicht gelingt, seinen eigenen Bereich sauber und ordentlich zu halten, so dass das Säubern des Zimmers und die Wäschepflege stellvertretend von den Mitarbeitern der Einrichtung übernommen werden muss. Schon bei dem Hilfeplangespräche vom 17.9.2009 waren die Teilnehmer zu der Einschätzung gelangt, dass es keine Weiterentwicklung bei dem Hilfeempfänger gebe und selbst klein gesteckte Ziele nicht umgesetzt werden können. Außerdem ließ T. es an jeglicher Motivation und Bereitschaft fehlen, in einzelnen Bereichen ein gewisses Maß an Selbständigkeit zu erreichen, weshalb in dem Verlaufsbericht vom 16.9.2010 ausdrücklich auf die Benennung kurz- oder mittelfristig umzusetzender Verselbständigungsziele verzichtet wurde. Auch die intensive Unterstützung durch die Mitarbeiter der Einrichtung A. brachte insoweit keine Verbesserung. Im Ergebniss liefern weder der Verlaufsbericht der A. noch die Hilfeplanprotokolle vom 17.9.2009 und 4.11.2010 Anhaltspunkte für eine Fortentwicklung der Persönlichkeit von T oder für das Erreichen bestimmter Verselbständigungsschritte in der Zeit ab April 2009.
Aus dem Vorstehenden folgt des weiteren, dass T. außerdem die Bereitschaft fehlte, an dem Erfolg der gewährten Jugendhilfe mitzuarbeiten. Die Mitarbeitsbereitschaft des betreffenden jungen Menschen ist indessen eine allgemein geltende Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Jugendhilfemaßnahmen.
Dass T. trotz der bei ihm bestehenden Behinderungen grundsätzlich in der Lage ist, sich positiv auf eine Jugendhilfemaßnahme einzulassen und an der Umsetzung bestimmter Ziele mitzuarbeiten, ergibt sich im Übrigen aus dem Sozial- und Verlaufsbericht des Kinderhein der Stiftung – über den Zeitraum von Juni 2006 bis Oktober 2007.
Die Rechtswidrigkeit der für T. ab April 2009 gewährten Jugendhilfe ergibt sich hiernach aus den spezifischen, in § 41 Abs. 1 SGB VIII geregelten Leistungsvoraussetzung der Hilfe für junge Volljährige. Nur diese erfordert, dass der junge Mensch zu einer gewissen weiteren Persönlichkeitsentwicklung und Verselbständigung in der Lage sein muss. Aus diesem Grund hat das von Landschaftsverband ---- gegen die Beklate im Juni 2007 anhängig gemachte Kostenerstattungsverfahren, das vor dem erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 11 K 1298/07 geführt wurde, für die Frage, ob die Jugendhilfegewährung für T. in der Zeit rechtmäßig war oder nicht, keine Bedeutung. Denn dieses Verfahren betrauf nur Zeiträume vor dem 18. Geburtstag von T. und damit vor der Bewilligung von Hilfe für junge Volljährige.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.