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31.10.2020

Kommentierung des Dialogforums Pflegekinderhilfe zum Gesetzentwurf speziell für die Pflegekinderhilfe

Im Zuge der Neubestimmung des SGB VIII wurde durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es unter anderem war, Eckpunkte für eine Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe zu definieren und Vorschläge zu unterbreiten. Parallel dazu hat das BMFSFJ ab Juni 2015 die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) mit der Organisation und Gestaltung des Dialogforums beauftragt. In Zusammenarbeit mit den Akteuren der Pflegekinderhilfe wurde in den letzten Jahren eine Bündelung konkreter fachlicher Handlungsbedarfe erarbeitet, die nun auch für den Gesetzesentwurf herangezogen werden konnten. Diese Stellungnahme des Dialogforums Pflegekinderhilfe beschäftigt sich ausschließlich mit den Gesetzesvorschlägen für den Bereich der Pflegekinderhilfe, sowohl im SGB VIII als auch in anderen Sozialgesetzbüchern aber auch mit Ergänzungen des BGB z.B. § 1696 neuer Absatz 3.

Auszüge aus der Kommentierung einiger zentraler vorgesehener Regelungen zur Pflegekinderhilfe 

II. Grundforderungen für eine SGB VIII-Reform aus dem Dialogforum Pflegekinderhilfe

  • Gefordert wird die gesetzliche Sicherstellung der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen an allen sie betreffenden Verfahren und Entscheidungen sowie Aufklärung über ihre Rechte und gesicherte Beratungs- und Beschwerdewege für Pflegekinder, außerdem die Förderung von Selbstorganisation. Junge Menschen haben ein Recht auf Förderung, Beteiligung und Schutz – für Pflegekinder braucht es passende Schutzkonzeptionen.
  • Qualifizierte sozialpädagogische Hilfeplanung mit Dokumentation der Perspektiven aller Beteiligten, prozessorientierte Perspektivklärung und bedarfsgerechte Hilfegewährung mit der Klarstellung der Möglichkeit der Kombination von Hilfen für junge Menschen, Eltern und Pflegefamilien sind Schlüsselfaktoren für gelingende Hilfen. Eltern, Kinder, Jugendliche und junge Volljährige sowie Pflegeeltern müssen Entscheidungen verstehen und nachvollziehen können.
  • Eltern bleiben immer die Eltern ihrer Kinder und haben grundgesetzlich verbürgte Rechte, die sich im SGB VIII wiederfinden müssen. Gefordert wird ein Rechtsanspruch von Eltern auf Beratung und Unterstützung unabhängig vom aktuellen Personensorgerecht, Stärkung der Beteiligung und Begleitung von Eltern vor, während und nach Pflegeverhältnissen und systematische Arbeit mit den Eltern von Pflegekindern auch wenn eine Rückkehrperspektive nicht mehr bestehen sollte.
  • Transparente und partizipative Gestaltung von Übergängen und das Angebot von diesbezüglichen Unterstützungsoptionen sind von zentraler Bedeutung, damit Einschnitte und Wechsel, die auch als bedrohlich erlebt werden, verarbeitet und selbstwirksam erfahren werden können. Notwendig ist die Unterstützung und Kontinuitätssicherung für junge Menschen im Übergang mit einem Anspruch auf Weitergewährung der Hilfe nach Eintritt der Volljährigkeit sowie Vorbereitung und Begleitung in die Selbständigkeit oder Anschlusshilfen sowie die Schaffung eines Rechtstatbestands „Leaving Care“. Gefordert wird zudem die Abschaffung der Kostenheranziehung junger Menschen, damit diese die Chance haben sich ein selbständiges Leben aufzubauen.
  • Die Bedingungen für Pflegeverhältnisse sind regional sehr unterschiedlich. Nötig ist die fachliche Entwicklung vergleichbarer Standards für die Begleitung von Pflegefamilien im Hinblick auf Beratung und Unterstützung, finanzielle Ausstattung und soziale Absicherung. Gesetzlich muss die Festschreibung der vereinbarten Modalitäten auch bei Zuständigkeitswechseln gesichert werden.
  • Stabilität und Berechenbarkeit des Lebensortes und Lebensfeldes sind Faktoren, die eine gute Entwicklung von Kindern positiv beeinflussen. Im SGB VIII ist deshalb auch die Entwicklung einer dauerhaften anderen Lebensperspektive vorgesehen, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie nicht möglich ist. Notwendig ist eine entsprechende (auch umkehrbare) zivilrechtliche Absicherung im Falle einer auf Dauer angelegten Lebensperspektive des Kindes in der Pflegefamilie, wenn eine Rückkehr trotz Stabilisierungs- und Restabilisierungsarbeit nicht möglich ist; Maßstab muss immer das Kindeswohl sein.
  • Um eine echte inklusive Jugendhilfe zu erreichen braucht es die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, auch mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung.
  • Grundforderung an die Jugendhilfeträger ist die Qualifizierung der Pflegekinderhilfe insbesondere durch Sicherung der Fort- und Weiterbildung von Fachkräften und aller anderen Akteure sowie die Ausstattung mit angemessenen Ressourcen.
§ 1696 BGB - Abänderung gerichtlicher Entscheidungen und gerichtlich gebilligter Vergleiche

In der noch bis August gültigen Fassung des Referentenentwurfes hieß es zum neu hinzukommenden Absatz 3:

„(3) Eine Maßnahme nach § 1632 Absatz 4 Satz 2 ist aufzuheben, wenn sich die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern entgegen der Erwartung so verbessert haben, dass sie das Kind ohne Gefährdung seines Wohls wieder selbst erziehen können, es sei denn, die Wegnahme von der Pflegeperson widerspricht dem Kindeswohl.“ 

In der Fassung vom 5. Okt. 2020 wurde der Wortlaut des Absatz 3 verändert:

(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn 1. die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet oder 2. der Gefährdung des Kindeswohls innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums auf andere Weise, auch durch öffentliche Hilfen anlässlich seiner Rückführung zu den Eltern, begegnet werden kann. 

Gegen diese Änderung richtet sich starke Kritik verschiedener Experten und Insitituitionen unter anderem auch vom Dialogforum Pflegekinder. In der Stellungnahme heißt es dazu: 

Mit der nun vorgesehenen Regelung wird die bisherige Rechtslage der Unsicherheiten hinsichtlich des dauerhaften Verbleibs hingegen nicht nur fortgeführt, sondern sogar für die Kinder noch verschärft: Gem. § 1696 Abs. 3 Nr. 2 BGB-E ist eine Aufhebung der Verbleibensanordnung und Herausnahme aus der Pflegefamilie sogar dann vorgesehen, wenn dadurch das Kindeswohl unmittelbar gefährdet würde und diese Kindeswohlgefährdung nur durch zusätzliche (ambulante) Hilfen abgewendet werden kann. Durch eine solche Regelung wird die Möglichkeit einer Verbleibensanordnung auf Dauer faktisch konterkariert. Eine Verbleibensanordnung an sich ist in der Praxis zwar überhaupt nur in wenigen Fällen erforderlich, in diesen besonderen Fällen aber elementar um diesen oft bereits sehr belasteten Kindern den Verlust ihres (neuen) meist langjährigen Zuhauses in der Pflegefamilie zu ersparen und so Schaden abzuwenden. Bislang kann dieser Lebensmittelpunkt aber immer wieder infrage gestellt werden, was zu großen Unsicherheiten für die betroffenen Kinder führt. Deshalb braucht es für bestimmte Einzelfallkonstellationen die familiengerichtliche Möglichkeit der Anordnung des Verbleibs auf Dauer in der Pflegefamilie. Um das Zuhause in der Pflegefamilie für die Kinder zu erhalten, muss ihr Wohl bei der Entscheidung über die Aufhebung einer Verbleibensanordnung auf Dauer im Mittelpunkt stehen. Die Schwelle hier bei einer Gefährdung des Kindeswohls anzusetzen, statt darauf abzustellen, dass die Wegnahme dem Kindeswohl widersprechen würde, führt erneut zu Verunsicherung für diese Kinder und Kontinuitätsverlust.