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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland
Als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden Menschen bezeichnet, die noch nicht volljährig sind und ohne sorgeberechtigte Begleitung aus ihrem Heimatland in ein anderes Land flüchten oder dort zurückgelassen werden. Die Minderjährigen werden entweder alleine von ihren Familien nach Europa geschickt, haben ihre Angehörigen zuvor im Krieg verloren oder verlieren sie während der Flucht.
Am Stichtag 15. April 2016 lebten knapp 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland - dreimal so viel wie im Dezember 2014.
Alleinreisende Flüchtlinge unter 18 Jahren werden zunächst von den Jugendämtern in Obhut genommen. Das Jugendamt organisiert die Betreuung und Unterbringung. Die Minderjährigen können zusätzlich Asyl beantragen, aber nicht alle, die in Obhut genommen wurden, tun das auch. Daher leben mehr unbegleitete Minderjährige in Deutschland als aus der Asylstatistik hervorgeht.
Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) haben keinen festen Aufenthaltsstatus, sondern leben lediglich mit einer Duldung in Deutschland. Eine Duldung bedeutet die „Aussetzung der Abschiebung“. Die Möglichkeit einer Abschiebung besteht, was allerdings nur in Einzelfällen geschieht. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dürfen nicht abgeschoben werden, wenn sie keinem Sorgeberechtigten oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Herkunftsland übergeben werden können. Aufenthaltsrechtlich kommt es dann darauf an, dass sie die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel erfüllen, zum Beispiel der Aufenthaltserlaubnis für integrierte Jugendliche und Heranwachsende. Dazu müssen sie zum Beispiel vier Jahre die Schule besucht haben oder einen Schulabschluss vorweisen.
Im Jahr 2015 beantragten 14.439 der jungen Flüchtlinge Asyl, ein Drittel davon unter 16 Jahren. Allerdings gab es nur 2.922 Entscheidungen im Jahr 2015.
Rechtliche Zuständigkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge finden sich im Jugendhilferecht (SGB VIII) sowie im Ausländerrecht. Landesrechtlichen Vorschriften sind ebenfalls bedeutsam.
Das SGB VIII gilt grundsätzlich für alle ausländischen Minderjährigen, auch wenn sie nur geduldet sind. Alle diese rechtlichen Regelungen sind beeinflusst von dem höherrangigen Recht der Europäischen Union und vor allem der UN-Kinderrechtskonvention.
Seit Herbst 2015 werden die Jugendlichen nach einer festen Quote bundesweit auf Kommunen verteilt. Mit mehr als 21 Prozent kommen die meisten nach Nordrhein-Westfalen. Bis die Umverteilung stattfindet, nehmen die Jugendämter vor Ort die Jugendlichen vorläufig in Obhut. Das Jugendamt muss dann während der folgenden7 Tage im Rahmen eines Screeningverfahrens einschätzen:
- Wie ist der Entwicklungsstand?
- Wie ist der Gesundheitszustand? - Hat er oder sie ein Trauma?
- Wie alt ist der Flüchtling?
- Gibt es Familienangehörige?
Wenn das Verteilungsverfahren das Kindeswohl nicht gefährdet, meldet das Jugendamt dann den Minderjährigen zur Verteilung an und der Jugendliche wird an seinen neuen Lebensort gebracht. Das dortige Jugendamt führt nun ein Clearingverfahren durch, in dem die Aspekte des Screeningverfahrens noch einmal vertiefter geprüft und weitere Fragen geklärt werden. Im Rahmen eines Hilfeplans werden die dann folgenden Hilfen festgehalten.
Lebenslagen, Bedarfe, Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Jugendlichen
Auf der Fachtagung „Flüchtlingsfamilien im Schatten der Hilfe? Geflüchtete minderjährige Kinder und Jugendliche und ihre Familien in Deutschland“ der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe am 14./15. April 2016 in Berlin stellte Claudia Lechner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsches Jugendinstitut München e.V. (DJI) fest, dass es in Bezug auf die Lebenswelt und die Alltagserfahrungen junger (begleiteter und unbegleiteter) Flüchtlinge kaum empirische Studien gibt und hier erheblicher Forschungsbedarf besteht.
Das DJI arbeitet deshalb derzeit an einer Studie, die die Perspektiven junger Flüchtlinge in den Blick nimmt, ihre subjektiven Erfahrungen und die Wahrnehmung ihrer eigenen Situation. Hierzu stellte Frau Lechner drei Fallbeispiele und erste Zwischenergebnisse vor. Sie erläuterte einige zentrale Aspekte, die zum Verständnis der Lebenslage sehr wichtig seien.
Die bisher befragten Jugendlichen hätten z.B. alle gemeinsam:
- die Sorge um die (Teil-)Familie im Herkunftsland sowie
- den Wunsch nach Bezugspersonen,
- dass der Besuch einer Schule sowie die Absolvierung von Deutschkursen und einer Ausbildung für sie von großer Bedeutung ist,
- verzögerte Integrationschancen aufgrund von Unbeständigkeit (Wechsel von Unterkünften und Be-treuungspersonen),
- fehlende Begegnungsräume mit deutschen Jugendlichen,
- eine große Unsicherheit im Hinblick auf ihre Perspektiven.
Die Veröffentlichung des Abschlussberichtes über die Ergebnisse des Projektes ist für Ende 2016 vorgesehen.
Katarina Podlech schreibt in ihrem Artikel: "Unbegleitete Minderjähige Flüchtlinge mit traumatischen Erfahrungen: Eine Herausforderung für die Soziale Arbeit" zur psychosozialen Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen:
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind besonders starken Belastungen ausgesetzt. Die Kinder und Jugendlichen müssen oft ganz auf sich selbst gestellt den Verlust ihres Landes und ihrer Eltern bewältigen, die erlebten Traumatisierungen verarbeiten und daneben in neue soziale Beziehungen im Kontext unbekannter soziokultureller Normen investieren.
Oft fühlen sich die Minderjährigen durch den nicht gelebten Abschied von Familie und Freunden traurig, entwurzelt und depressiv. Diese bedrückende Situation wird durch die Anforderungen des fremden Landes noch intensiviert. Dazu gehören vor allem, die neue Sprache zu lernen und sich an fremde Verhältnisse anpassen zu müssen, wie zum Beispiel an das „verkehrte“ Geschlechterverhältnis in Deutschland. Hinzu kommen noch die Aufträge der Eltern: viel zu lernen, höflich zu sein, Geld zu verdienen und zu schicken etc. Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge fühlen sich ihrer neuen Umgebung ausgeliefert. Zu diesem Gefühl tragen verschiedene Faktoren bei, wie zum Beispiel Kommunikationsprobleme oder das Unverständnis gegenüber den Anforderungen des Asylverfahrens, das den Minderjährigen nicht oder nur unzureichend erklärt wird. Manche Jugendliche haben darüber hinaus völlig überhöhte und unrealistische Erwartungen an ihr Leben im Exil. Nach einer Phase der Euphorie sind sie dann häufig enttäuscht und sehnen sich wieder nach ihrem Herkunftsland.