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04.10.2018

Stabile Pflegeverhältnisse

Ein Ergebnis professioneller Arbeit in der Therapeutischen Übergangshilfe mit traumatisierten Vor- und Grundschulkindern

Stabile Pflegeverhältnisse sind keine Selbstverständlichkeit und auch kein Zufall. Sie werden hart erarbeitet: vom Pflegekind und den Pflegeeltern, den sozialpädagogischen und therapeutischen Fachkräften, den abgebenden leiblichen Eltern. Das hier beschriebene Forschungsprojekt, das auf wissenschaftlich interessante Vorgängerprojekte zurückgreifen kann, befasst sich mit der Effektivität und Nachhaltigkeit der stationären Therapeutischen Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes sowie mit Kriterien, welche die Stabilität oder auch einen Abbruch eines Pflegeverhältnisses beeinflussen.

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Henrike Hopp hat Kommentar zur dieser Studie verfasst.
Sie finden ihn hier (oder im Link unten am Ende der Seite).

Einleitung

„Damit es auf Dauer gelingt“ unter diesem Titel führte das Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine in Kooperation mit dem Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) in Mainz von 2009 bis 2014 ein Forschungsprojekt zur Ambulanten Familienarbeit (AFA) und zur Therapeutischen Übergangshilfe (TÜ) durch (Caritas-Kinderheim gGmbH, 2015). Das Design sah vor, dass die Hilfen prospektiv zu Beginn, im Verlauf, zum Abschluss und im Idealfall katamnestisch nach ein, drei und fünf Jahren dokumentiert wurden. Zum Einsatz kamen eine Vielzahl von Instrumenten, mit denen Belastungen, Ressourcen, Aussagen zur Bindung und zur Traumatisierung sowie zur familiären Situation und den Eltern erhoben wurden. Lagen in der Forschung die Schwerpunkte zunächst auf einem Vergleich der Klientel in den beiden Hilfesystemen und auf den während der Hilfe erzielten Effekten/Veränderungen, geriet die Frage der Prognosen zur Stabilität der Anschlussperspektiven der Kinder aus der TÜ und damit der „Zuweisungsqualität“ der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während der Projektdurchführung zusätzlich in den Fokus. Daher wurde beschlossen, über das Ende der Projektlaufzeit bis 2016 hinaus weiterhin Daten zur Katamnese, insbesondere zu Pflegeverhältnissen, zu erheben.

Im vorliegenden Beitrag wird zunächst die Arbeit in der Therapeutischen Übergangshilfe dargestellt sowie Kriterien zur Stabilität oder zum Abbruch von Pflegeverhältnissen bei traumatisierten Vorschul- und Grundschulkindern. Dann werden das Erhebungsdesign, die Stichprobe und die Ergebnisse der Katamneseforschung zur Stabilität der Pflegeverhältnisse und zu möglichen zugrundeliegenden Wirkfaktoren beschrieben. Schließlich folgen Interpretationen der Ergebnisse und mögliche Schlussfolgerungen.

Die Therapeutische Übergangshilfe

Kindern eine dauerhafte, gesunde und ungestörte Entwicklung zu ermöglichen, ist die primäre und selbstverständliche Aufgabe von Eltern. Solange ein Kind bei seinen Eltern sicher ist oder es berechtigte Hoffnung gibt, dass es in der Familie verbleiben kann, sollte alles getan werden, um die Familie in dieser oft sehr schweren und manchmal auch überfordernden Aufgabe zu unterstützen.

Wenn in diesen Familien professionelle Hilfe benötigt wird, übernehmen ambulante Hilfen, im Caritas-Kinder- und Jugendheim in Rheine das Hilfesystem der „Ambulanten Familienarbeit“ (AFA), diesen Auftrag. Was auch immer Fachleute in der Kinder- und Jugendhilfe tun, sie handeln im Auftrag des Kindeswohls. Wenn aber ein Kind bei seinen Eltern nicht sicher ist und sich bedroht fühlt oder wenn es keine Hoffnung gibt, dass die Eltern einen ausreichend sicheren und passenden Platz bereiten, sollte ein Kind die Chance bekommen, bei anderen gut ausgewählten elterlichen Personen groß zu werden. In der Therapeutischen Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes in Rheine, einer stationären und vorübergehenden Intensivhilfe für traumatisierte Kinder von 0 bis 10 Jahren, wird geprüft, ob die Familie in einem für das Kind vertretbaren Zeitraum (§ 37,1 SGB VIII) auch mit ambulanter oder sogar stationärer Familienarbeit in der Lage ist, die für das Kind erforderlichen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Damit es auf Dauer gelingt, brauchen Kinder rechtzeitig die richtige Hilfe.

Wenn also nach eingehender diagnostischer Klärung die Rückführung ins Herkunftssystem nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist, wenn ein Kind noch Hoffnung auf befriedigende Eltern-Kind-Beziehungen hat und wenn Fachkräfte elterlichen Bezugspersonen zutrauen, die Bedürfnisse des Kindes passend zu beantworten, dann sollte ein Kind in einer Pflegefamilie die Chance auf eine eigene und ungestörte Entwicklung erhalten.

Die 1989 gegründete Therapeutische Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes in Rheine ist eine stationäre Spezialeinrichtung für traumatisierte Kinder, die verwahrlost, vernachlässigt oder den Aggressionen der eigenen Eltern oft schutzlos ausgeliefert waren. Sie entwickelten in der Folge zunächst schwer verständliche Ängste und Verhaltensweisen, um zu überleben. Die insgesamt 25 Plätze verteilen sich auf zwei Gruppen mit 7 Kindern sowie eine mit 6 und eine mit 5 Kindern. Das ständig weiterentwickelte Konzept ist in verschiedenen Veröffentlichungen dargestellt (vgl. Dörnhoff, 1994; Janning, 1995; Caritas- Kinderheim gGmbH Rheine, 2000, 2014 und 2015; Temke & Tippkötter, 1997; Dörnhoff & Janning, 2010; Dörnhoff, 2018). Säuglinge und Kleinkinder werden je nach Entwicklungsalter und heilpädagogischem Bedarf in Therapeutischen Übergangsfamilien untergebracht. Eine konstante Bezugsperson sichert das Kind ab und sorgt für prompte Bedürfnisbefriedigung.

Pro 10 Kinder steht eine ganze Stelle des Heilpädagogischen und Psychologischen Dienstes für Diagnostik, Therapie, Förderung, Klärung mit den Eltern und Beratung zur Verfügung. Alle Kinder leben vorübergehend so kurz wie möglich und so lange wie nötig im Kinderheim, bis sie wieder einen Wunsch nach elterlichen Bezugspersonen entwickelt haben, bis Symptome verstanden und erste Wunden geheilt sind, bis der dauerhafte Verbleib geklärt ist und bis passende Hauptbezugspersonen gefunden sind.

Vorteile der Heimunterbringung mit Schichtdienst gegenüber der Bereitschaftspflege bestehen darin, dass Kinder, für die die Abhängigkeit zu Eltern hoch frustrierend und beängstigend war, nicht gleich wieder mit Eltern konfrontiert werden und nicht die Phantasie haben müssen, Elternerwartungen erfüllen zu müssen. Sie können selber Nähe und Distanz bestimmen und leichter Zugang zu ihren Affekten und Gefühlen gewinnen (vgl. Bettelheim, 1971, S. 27; Nienstedt & Westermann, 2007, S. 284-303). Die Kinder wissen, dass kein Kind auf Dauer in der Gruppe bleibt. Sie erleben Solidarität mit den anderen Kindern. Im Schichtdienst können auch schwer belastende Verhaltensweisen von einem Team ausgehalten und hilfreich beantwortet werden. Pädagogisch ausgebildete Fachkräfte können zusammen mit diagnostisch und psychotherapeutisch ausgebildeten Fachkräften die Frage nach der Lebensperspektive klären. Nienstedt und Westermann weisen darauf hin, „dass ein Kind nicht in eine Ersatzfamilie integriert werden kann, solange es noch nicht beziehungsfähig ist, es sei denn, man riskiert, dass es wieder aus der Familie ausgestoßen wird, oder aber, dass es, wenn es in der Familie bleibt, ein Fremdkörper, bestenfalls ein gelittener Gast in der Familie sein wird“ (2007, S. 279).

Neben dem vorübergehenden, an den Entwicklungsbedingungen des Kindes orientierten Betreuungssystem, kennzeichnen 4 weitere Konzeptbausteine die Therapeutische Übergangshilfe:

1. Diagnostik und Hilfe bei der Klärung

Durch umfangreiches Aktenstudium, Untersuchungen der Eltern und des Kindes sowie weiteren Bezugspersonen werden die Geschichte des Kindes, zu der auch die Geschichte der Eltern gehört, Entwicklung, Bindung, traumatische Erfahrungen und deren Bewältigung, Kindes- und Elternwille, Ängste, Bedürfnisse und Ressourcen des Kindes untersucht und in einem aussagekräftigen Bericht nach wissenschaftlichen Kriterien beschrieben und erklärt.

So können in der Folge schwer verständliche Verhaltensweisen des Kindes beantwortet und Kooperation erreicht werden. Es kann geklärt werden, wo ein Kind auf Dauer leben kann und welche Erziehungsbedingungen, Therapie- und Fördermaßnahmen es braucht. Diese Ergebnisse werden den Herkunftseltern, den Pflegeeltern und den Helfern zur Verfügung gestellt.

2. Ein heilpädagogisches Milieu in der Gruppe sowie Kinderpsychotherapie und Förderung außerhalb der Gruppe

Im Milieu von Beziehungssicherheit kann ein Kind traumatische Erfahrungen in Übertragungsbeziehungen aufarbeiten und korrigierende Erfahrungen mit Erwachsenen machen. Die heilpädagogische und therapeutische Arbeit orientiert sich am Neugier- und Übertragungsverhalten des Kindes und sorgt für angemessene Förderung auf der Grundlage seiner individuellen Stärken und Fähigkeiten. So werden Erfolgserlebnisse und positive Selbstwerterfahrungen ermöglicht. Eine neue heilsame Entwicklung kommt in Gang: „Die Kinder fordern ein Maß an Einfühlung, das elterliche Möglichkeiten meist übersteigt. Dazu sind ein Wissen um Übertragungsbeziehungen und die Fähigkeit, Distanz zu den kränkenden Äußerungen des Kindes einzunehmen und sie nicht persönlich zu nehmen ebenso notwendig wie ein langfristiges Interesse an Krisen und deren Bewältigung, ein freundlicher Umgang mit eigenen Fehlern und Schwächen“ (Janning, 1995, S. 348).

3. Am Kind orientierte Eltern- und Familienarbeit

Die Elternarbeit orientiert sich an den gemeinsamen Zielen bei der Aufnahme und den aus der Diagnostik entwickelten Zielen. Die Arbeit wird so gestaltet, dass das Kind nicht in Loyalitätskonflikte gerät oder gar davon ausgehen muss, dass Pädagogen sich mit ihren misshandelnden Eltern verbünden. In der klärenden und begleitenden Elternarbeit wird Eltern ermöglicht, eigene Überforderungen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte zu verstehen, sich in ihr Kind einzufühlen und vor allem Verantwortung für die Kränkungen, Verletzungen und Vernachlässigungen ihrer Kinder zu übernehmen. Dann braucht sich ein Kind nicht mehr selbst die Schuld für ein Scheitern der Eltern-Kind-Beziehung zu geben, braucht nicht mehr zu verleugnen, was war und es braucht nicht für seine Eltern zu sorgen. Eltern werden ermutigt, zum Beispiel in einem Brief an ihr Kind aufrecht und ehrlich anzuerkennen, welche Folgen ihr eigenes Handeln oder auch die Vernachlässigung für ihr Kind hat. So können sie am Ende starke und verantwortliche Eltern für ihr Kind sein. Das entlastet eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive (vgl. Janning, 1995, S. 350; Janning, 2016, S. 10-12 und 2018, S. 169-204).

Unter bestimmten Voraussetzungen, vor allem positiv zu bewertende Bindungen, kann es sinnvoll sein, eine Familie für eine begrenzte Zeit stationär aufzunehmen (vgl. Jakobs & Werning, 2014).

4. Perspektiventwicklung

Nach Möglichkeit werden Kinder in die Herkunftsfamilie zurückgeführt und die Eltern in ihrer Kompetenz gestärkt. Bei dauerhafter Fremdunterbringung in einer Pflegefamilie oder einer dauerhaften Heimeinrichtung wird der Abschiedsprozess zwischen Eltern und Kindern intensiv begleitet. Kinder und Eltern werden auf eine passende Perspektive vorbereitet. Der Übergang wird in kleinen Schritten meist im Tempo des Kindes gestaltet (Janning, 1995, S. 349).

Bei den in Pflegefamilien vermittelten Kindern handelt es sich ausschließlich um auf Dauer angelegte Pflegeverhältnisse. Rückführungsoptionen werden im Verlauf der Unterbringung sorgfältig überprüft. Es werden also keine Kinder in Bereitschaftspflege oder Pflegefamilien mit Rückführungsoption vermittelt. In diesem Sinne steht Heimerziehung nicht gegen Familienerziehung, sondern stellt sich in ihren Dienst. Sie will Familienerziehung für schwer emotional gekränkte Kinder überhaupt erst ermöglichen.

Nicht zu beeinflussen sind unter anderem das Alter des Kindes bei der Vermittlung, die fachliche Arbeit der Pflegekinderdienste und die Häufigkeit der Beratung, die Vorbereitung und Prüfung der Pflegeeltern, die persönliche und partnerschaftliche Entwicklung des Pflegeelternpaares, Einflüsse des sozialen Umfeldes wie Kindergarten, Schule, Nachbarschaft oder Freunde sowie die persönliche, individuelle Entwicklung des Kindes.

Bisherige Forschungsergebnisse zur Therapeutischen Übergangshilfe

In einer retrospektiven Längsschnittuntersuchung mit 127, bei Aufnahme durchschnittlich 5,4 Jahre alten Kindern, die seit 1990 vermittelt wurden, sind Ende der 90er Jahre bereits die „Effekte der Therapeutischen Übergangshilfe“ in Zusammenarbeit mit dem IKJ untersucht worden. Nach einer durchschnittlich etwa 14-monatigen Unterbringungsdauer konnten die schwer vernachlässigten und misshandelten Kinder in den Bereichen „Psychosoziale Belastung“, „Störungen und Symptome“, „Bindung“ und „Ressourcen“ eine deutlich positive Entwicklung aufweisen. Die Kontinuität der Anschlussperspektiven „Rückführung“, „Stationäre Unterbringung“ und „Pflegevermittlung“ betrug 79 %. Diese Stabilität der Anschlussperspektiven wurde damals allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Ende der Hilfe in der TÜ ermittelt. Von den 59 Kindern, die in eine Pflegefamilie untergebracht wurden, lebten zum Ende des Untersuchungszeitraums noch knapp 90 % (89,3 %) in der Familie (Caritas-Kinder- und Jugendheim gGmbH, 2000, S. 12 und 21; Dörnhoff & Janning, 2010).

Nach einer weiteren 2014 abgeschlossenen prospektiven Forschungsstudie zusammen mit dem IKJ, in der die Hilfen von 55, bei Aufnahme durchschnittlich 6,2 Jahre alten Kindern aus der Therapeutischen Übergangshilfe in den Jahren zwischen 2009 und 2013 untersucht wurden, weisen 86 % der Kinder ein mangelndes Bindungsverhalten auf, 44 % Distanzlosigkeit und über 33 % Rollenumkehr. 94,5 % der Kinder sind traumatisiert, die meisten über Jahre schwer depriviert oder misshandelt. Täter lebten fast ausschließlich innerhalb der Familie. 67,7 % der Kinder befanden sich in hoher Abhängigkeit zum Täter. Im Durchschnitt lebten sie über 20 Monate mit dem Täter zusammen. Über 70 % der Eltern und damit auch der Kinder erlebten Gewalt oder Erniedrigung eines Partners durch den anderen Partner, über 78 % Paarkonflikte.

Im Verlauf der Hilfe profitierten alle Kinder – unabhängig von der später gewählten Anschlussperspektive – überdurchschnittlich stark in Bezug auf den „Abbau von Symptomen“ (Symptomindex: -13,1; EVAS-Vergleichsstichprobe: -1,3) und den „Aufbau von Ressourcen“ (Ressourcenindex: 14,1, EVAS-Vergleichsstichprobe: 5,1). Die Werte liegen teilweise um ein Mehrfaches über den Werten der parallelisierten EVAS-Stichprobe. Bei EVAS handelt es sich um ein Dokumentations- und Evaluationsverfahren, mit dem seit 1999 erzieherische Hilfen im Einzelfall dokumentiert werden (Macsenaere & Knab, 2004). Bundesweit wurden bereits mehr als 50.000 Hilfen aus dem gesamten Spektrum der Hilfen zur Erziehung prospektiv erhoben. Die hohe Fallzahl erlaubt es, die Gesamtstichproben nach bestimmten Kriterien (z. B. Alter, Geschlecht, Hilfedauer, Art der Beendigung, Hilfeart) zum Vergleich mit anderen Studien zu filtern. Weiterhin entwickelte sich die Bindungs- und Beziehungsbereitschaft während der Unterbringung sehr positiv. Die „Bindungsstärke“ nahm deutlich zu. Verhaltensweisen von Bindungsmuster D (desorganisiert) nahmen ab, von Bindungsmuster B (sicher) nahmen zu. Bindungsstörungen, insbesondere „keine Anzeichen von Bindungsverhalten“, „Distanzlosigkeit“ und „gehemmtes Bindungsverhalten“ nahmen ab. Es wird messbar, dass eine Entwicklung in Gang kam.

Die Kinder kamen im Durchschnitt mit 6,2 Jahren in die Gruppe, etwa 0,8 Jahre später als die 127 Kinder, die in der Studie bis 1999 untersucht wurden (Caritas-Kinder- und Jugendheim, 2000). Von diesen Kindern, die länger in der Herkunftsfamilie blieben (Studie bis 2014), wurden 14,8 % zurückgeführt (bis 1999 waren es mit 28 % etwa doppelt so viele). 38,9 % der Kinder konnten in Pflegefamilien vermittelt werden, 46,3 % wurden weiterhin stationär untergebracht. Bis 1999 wurden 46 % in Pflegefamilien vermittelt und 26 % stationär untergebracht. Bei diesen hoch belasteten Kindern waren die Anschlussperspektiven nach fünf Jahren in 84,4 % der Fälle stabil (Caritas-Kinder- und Jugendheim, 2015, S. 16, 22 f. und 38).

Forschungsergebnisse zur Stabilität von Pflegeverhältnissen

Wie hoch ist die Stabilität der Pflegeverhältnisse? Welche Kriterien und Bedingungen lassen eine dauerhafte, gesunde und ungestörte Entwicklung erwarten und welche nicht? Wann gibt es die meisten Abbrüche?

Diese Fragen gewinnen angesichts einer 2016 veröffentlichten Studie (van Santen, S. 387 f.) bei einer Stichprobengröße von 7.571 Pflegekindern besondere Relevanz. Demnach bleiben nur maximal 40 % der Kinder, die zum Zeitpunkt der Vermittlung bis zu 10 Jahre alt sind, bis zum 18. Lebensjahr in der Pflegefamilie. Dabei wurden nur die Kinder berücksichtigt, die schon mindestens zwei Jahre lang in der Pflegefamilie lebten. Nahezu jedes vierte der zwischen 0 und 3 Jahren vermittelten Kinder, die zwei Jahre in der Pflegefamilie verweilten, lebte zwei weitere Jahre später bis zum maximal 7. Lebensjahr nicht mehr in der Pflegefamilie. Bis zum maximal 13. Lebensjahr wurden in dieser Gruppe ca. 46 % der Pflegeverhältnisse beendet.

Bei der Gruppe der 3- bis unter 6-jährigen Kinder wurden bis zum maximal 13. Lebensjahr 40 % und bis zum maximal 16. Lebensjahr 49 % der Pflegeverhältnisse beendet. Bei der Gruppe, die zu Anfang der Platzierung zwischen 6 und 9 Jahre alt waren, sind bis zum maximal 16. Lebensjahr 43 % der Pflegeverhältnisse beendet worden. Für all diese Zahlen gilt, dass in der Studie Hilfen mit Beginn oder Ende durch Zuständigkeitswechsel oder Platzierungen, die abweichend vom Hilfeplan durch die Herkunftseltern beendet wurden (9,3 % der Fälle mit einer Verweildauer von mehr als 24 Monaten), ausgeschlossen waren.

Wie kann es gelingen, dass auch ältere traumatisierte Kinder eine dauerhafte, gesunde und ungestörte Entwicklung in Pflegefamilien erwarten lassen? Wie hoch ist die Stabilität der Pflegeverhältnisse nach einem, drei und fünf Jahren, insbesondere bei traumatisierten und älteren Kindern, die nicht innerhalb des 1. Lebensjahres vermittelt werden konnten?

Allgemein fasst van Santen den Forschungsstand folgendermaßen zusammen: „Die Befunde der internationalen Studien stimmen in der Regel mit den Ergebnissen der deutschen Studien überein. Als besonders bedeutend für die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs erweisen sich das Alter der Pflegekinder zu Beginn der Hilfe, Verhaltensauffälligkeiten der Pflegekinder, die professionelle Unterstützung der Pflegeverhältnisse, die Beziehungsqualität der Stakeholder des Pflegeverhältnisses sowie die bisherige Hilfekarriere“ (2017, S. 105).

Werden weitere Faktoren aus unterschiedlichen Studien berücksichtigt (zusammengefasst in van Santen, 2017), erscheinen viele Pflegeverhältnisse stark risikobelastet.

Risiken auf der Seite der Pflegekinder:

pränatale negative Einflüsse, Bindungsdefizite, Traumatisierung durch Vernachlässigung und Kindesmisshandlung, kaum zu verstehende Verhaltensauffälligkeiten, insbesondere aggressive Symptome, geringe Motivation des Pflegekindes, jüngere Geschwister leben in der Familie, geringer Altersabstand zu Geschwisterkindern in der Pflegefamilie, ältere Geschwister aus derselben Herkunftsfamilie, wenig Entwicklung von Zugehörigkeitsgefühl möglich, Kind hat bereits Abbrüche hinter sich, Hilfekarrieren

Risiken auf der Seite der Pflegeeltern:

nicht speziell qualifizierte Pflegeeltern, unflexible Einstellungen, zu starke Helfermotive, eingeschränkte pädagogische und erzieherische Fähigkeiten, Erziehungsstil ist durch Einengung sowie Forderung nach Anpassung oder hohe Leistungserwartungen gekennzeichnet, schlechte Ehequalität, wenig ausgeprägtes soziales Netzwerk und wenig Unterstützung durch Freunde, Pflegeeltern und Pflegekind haben eine unterschiedliche ethnische Herkunft, jüngere Kinder leben in der Familie, mehrere Pflegekinder in einer Familie, es geht mehr darum einen Spielgefährten für ein Kind zu finden als um das Wohl des Pflegekindes, richtige und wichtige Informationen zu dem zukünftigen Pflegekind fehlen, nicht ausreichende oder zu wenig qualifizierte Unterstützung durch Fachkräfte, zu geringer Betreuungsschlüssel, in Deutschland höhere Abbruchrate bei Verwandtenpflege im Vergleich zur Fremdpflege, schlechte Beziehung zwischen Pflege- und Herkunftseltern

Risiken auf der Seite der Herkunftseltern:

Alkoholabhängigkeit (insbesondere der Mutter), Straffälligkeit der Eltern, mehr noch körperliche Gewalt und sexuelle Kindesmisshandlung als Vernachlässigung, niedriges Familieneinkommen, zu wenig einbezogen, behalten zu viel Einfluss, weniger Abbrüche, wenn Bindung zur leiblichen Mutter gering (vgl. van Santen, 2017, S. 100-105)

Weiterhin stellt die Aufrechterhaltung von Besuchskontakten der Herkunftseltern zu traumatisierten Kindern, insbesondere ohne schützende fachliche Begleitung einen erheblichen Risikofaktor dar (siehe Aufsätze in: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes, 2004).

In einer eigenen Analyse von 20.695 Vollzeitpflegeverhältnissen, die in den zwei Jahren vom 1.1.2012 bis 31.12.2013 beendet wurden, kam van Santen (2017, S. 115-120) zu folgenden Ergebnissen: Die stärksten Einflüsse für einen Abbruch hängen mit dem Alter und mit den Gründen für die Hilfegewährung zusammen. Die Abbruchwahrscheinlichkeit steigt mit dem Alter der Kinder bei Vermittlung in die Pflegefamilie. Je jünger die Kinder sind, umso eher können sie eine gegenseitige Bindung aufbauen, die das Risiko eines Abbruchs reduziert. Je schwieriger die Problemlagen des Kindes sind, desto wahrscheinlicher scheint eine Überschreitung der Problemlösekompetenz der Pflegeeltern.

Insbesondere externalisierendes Problemverhalten stellt einen der größten Risikofaktoren für Abbrüche dar. Das Wissen über Risikofaktoren kann die Abbruchwahrscheinlichkeit von Pflegeverhältnissen reduzieren.

Lohaus, Heinrichs, Konrad, Chodura, Ehrenberg, Job, Möller, Reindl und Symanzik (2017, S. 19 f.) verglichen Pflegefamilien von 94 Pflegekindern im Alter von zwei bis sieben Jahren, die maximal 24 Monate in der Pflegefamilie waren, mit 159 Familien mit leiblichen Kindern des gleichen Alters. Sie untersuchten, ob es in der Entwicklung von Pflegekindern zu den erwarteten Erholungseffekten kommt und welche Faktoren dabei hilfreich sind. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die internalisierenden und externalisierenden Symptome in der Pflegekindergruppe über die Zeit deutlich stabiler wahrgenommen wurden als in den Vergleichsfamilien. Sie schließen daraus, dass ein Wechsel in die Pflegefamilie nicht notwendigerweise eine Abnahme der Symptome bedeutet. Sie empfehlen frühzeitige Interventionen, um einer Stabilisierung entgegenzuwirken. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Heimgruppen haben daher die Aufgabe, den Kindern so zu helfen, dass die eigene Entwicklung in Gang kommt und Symptome sich nicht verfestigen.

Zu welchem Zeitpunkt aber sind die meisten Abbrüche zu erwarten? Van Santen kommt zu folgenden Ergebnissen: „Bisherige Analysen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit des Beendens einer Platzierung insbesondere während des ersten Jahres der Vollzeitpflege besonders hoch ist, dann geringer wird und in der Adoleszenzphase wieder zunimmt. Dies gilt unabhängig vom Alter zu Beginn der Platzierung“ (2016, S. 387).

Werden die von Nienstedt und Westermann (2007, S. 80-132) beschriebenen Integrationsphasen eines traumatisierten Kindes in Pflegefamilien (Anpassungs-, Übertragungs- und Regressionsphase) betrachtet, so wäre zu vermuten, dass sich Pflegeeltern insbesondere dann mit ihrer Aufgabe überfordert fühlen und das Pflegeverhältnis abbrechen, wenn Pflegekinder in der zweiten Phase der Integration ihre im Herkunftssystem entstandenen Ängste auf die Pflegeeltern übertragen. Werden diese nicht ausreichend verstanden und hilfreich beantwortet, entwickeln schwer gekränkte Kinder Symptome mit hoher energetischer Ladung. Daher sind Abbrüche vor allem innerhalb der ersten Jahre oder bei nicht gelungener Integration in der Jugendzeit mit großen Fremdheitsgefühlen zu erwarten.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Forschungsbefunde sollten in der vorliegenden Untersuchung folgende Fragen beantwortet werden:

  1. Wie effektiv und nachhaltig ist die Hilfe der „Therapeutischen Übergangshilfe“ nach einem, nach drei und nach fünf Jahren?
  2. Welche Kriterien führen zu Stabilität oder Abbruch von Pflegeverhältnissen? Welche geeigneten Zugangskriterien oder Risikofaktoren gibt es für Pflegeverhältnisse?

Erhebungsdesign

Den Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser beiden Fragen bildete die weiter oben bereits erwähnte 5-jährige Forschung zu den beiden Hilfesystemen im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine (Ambulante Familienarbeit und Therapeutische Übergangshilfe). Dieses Forschungsdesign sah vor, alle ab Januar 2009 begonnenen Hilfen prospektiv mit dem Ziel zu dokumentieren, zwei Stichproben von jeweils ca. 30 Hilfen zu erhalten, für die Angaben zum Beginn und zum Ende der Maßnahme vorliegen. Auf dieser Grundlage sollten die Effekte bestimmt werden. Zusätzlich zu den Daten aus dem prospektiven Teil der Forschung bemühten sich die Fachkräfte in der TÜ zu den drei Katamnesezeitpunkten (nach einem, drei und fünf Jahren) Angaben von allen jungen Menschen zu erhalten, deren Hilfen ab Januar 2005 beendet worden waren. Wie oben schon ausgeführt, ist es ein wesentliches Ziel der TÜ, auf der Grundlage der gewonnenen Ergebnisse und gesammelten Erfahrungen eine Empfehlung für die weitere Perspektive der jungen Menschen zu erarbeiten. Mit der Katamnese sollte vor allem überprüft werden, wie stabil diese empfohlenen Anschlusshilfen bzw. die Rückkehr in die Herkunftsfamilie waren. Wenn man bedenkt, dass die Forschung „nur“ über fünf Jahre lief, fiel es sehr schwer, eine ausreichend große Zahl an Fällen zum Zeitpunkt der 5-Jahres-Katamnese zu befragen. Daher beschlossen die Leitung, der Fachdienst und die Fachkräfte der TÜ des Caritas-Kinder- und Jugendheimes Rheine, die katamnestischen Erhebungen über das eigentliche Projektende fortzuführen und sich dabei auf die Kinder und Jugendlichen zu konzentrieren, die nach der TÜ in ein Pflegeverhältnis vermittelt worden waren. Bis Ende 2016 wurden diese jungen Menschen, deren Familien oder die Hilfesysteme, in die sie nach der TÜ gewechselt waren, telefonisch gebeten, einige Fragen zur aktuellen Situation zu beantworten. Dazu wurde im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Zeitressourcen ein kurzer, ökonomisch zu bearbeitender, standardisierter Fragebogen entwickelt.

Inhaltlich ging es in dem Fragebogen, dessen Fragen am Telefon im direkten Kontakt überwiegend mit den Pflegeeltern bearbeitet wurden, vor allem darum, ob sich der junge Mensch noch in der ursprünglichen Pflegefamilie befindet und falls nicht, was die Gründe für die Beendigung des Pflegeverhältnisses waren und wo er sich aktuell befindet. Weiterhin wurden noch einige Informationen zur Pflegefamilie (Anzahl leiblicher Kinder und anderer Pflegekinder, Alter dieser Kinder, Besuchskontakte und deren Begleitung) erfragt. Zusätzlich gaben die Fachkräfte der TÜ auf Grundlage der damaligen Dokumentation zum Ende der TÜ an, ob es sich bei der Entscheidung für die Pflegefamilie als Anschlussperspektive um einen Vorschlag der Fachkräfte der Therapeutischen Übergangshilfe handelte bzw. ob sie mit der Perspektive einverstanden waren.

Stichprobe

Insgesamt konnten in die Auswertungen für die vorliegenden Fragestellungen nach der Stabilität von Pflegeverhältnissen die Daten von maximal 76 jungen Menschen einbezogen werden. Da das Hilfeende schon unterschiedlich lange zurücklag, war es nur für Teilmengen möglich, Informationen für die Katamnese nach drei und fünf Jahren zu erheben (vgl. Tabelle 1). Leider lagen aber nicht zu allen Erhebungszeitpunkten alle Daten vor, so dass die Stichprobe bei manchen Auswertungen kleiner ausfällt. Die tatsächliche Fallzahl wird bei den Auswertungen jeweils gesondert ausgewiesen.

Tabelle 1: Stichprobengrößen
KatamnesezeitpunkteAnzahl%
nach einem Jahr76100,0 %
nach drei Jahren6686,8 %
nach fünf Jahren5065,8 %

Die Kennwerte zur Stichprobe hinsichtlich des Alters beim Verlassen der TÜ bzw. beim Beginn des Pflegeverhältnisses, der Hilfedauer in der TÜ und des Geschlechts finden sich in Tabelle 2.

Tabelle 2: Ausgewählte Kennwerte der Stichprobe
Merkmale
Alter bei Aufnahme in die TÜ (Mittelwert, Standardabweichung) 5,2 Jahre (2,5 Jahre)
Alter bei Hilfeende in der TÜ bzw. beim Beginn des Pflegeverhältnisses (Mittelwert, Standardabweichung) 7,0 Jahre (2,5 Jahre)
Geschlecht (♂/♀) 52,6 % / 47,4 %
Hilfedauer in der TÜ (Mittelwert, Standardabweichung) 20,8 Monate (7,0 Monate)

Bei den Pflegeverhältnissen, in die die Kinder nach der TÜ vermittelt wurden, handelte es sich ausschließlich um Dauerpflegeverhältnisse ohne Rückkehroption, es gab also keine Bereitschafts- oder Verwandtenpflege.

Für eine Teilmenge von insgesamt 56 Kindern und Jugendlichen liegen neben den Katamnesefragebögen auch Informationen aus der Evaluation erzieherischer Hilfen (EVAS), an der sich das Caritas-Kinder- und Jugendheim beteiligt, vor. Schaut man sich zunächst die Veränderung dieser Kinder hinsichtlich ihrer Ressourcen und Symptome während ihrer Zeit in der TÜ an, fällt auf, dass sie eine äußerst positive Entwicklung genommen haben. Operationalisiert wurde dies über zwei Indices, in die verschiedene EVAS-Items einbezogen werden. Diese Indices können jeweils Werte zwischen 0 (minimale Symptomatik bzw. Ressourcen) und 100 (maximale Symptomatik bzw. Ressourcen) annehmen (vgl. Abbildung 1). Demnach erzielen die Kinder auf dem Symptomindex eine Verbesserung von 16,3 und auf dem Ressourcenindex von 14,6 Punkten und liegen damit noch über den schon weiter oben erwähnten Werten für alle Kinder in der TÜ. Cohens d liegt damit über einem Wert von 0,8 und die Ergebnisse sind somit hoch bedeutsam.

Abbildung 1: Veränderung der Symptome und Ressourcen während der Unterbringung in der Therapeutischen Übergangshilfe

Betrachtet man nun die Ausgangslagen zu Beginn der Pflegeverhältnisse und vergleicht sie mit den Ausgangslagen der parallelisierten EVAS-Stichprobe für Hilfen nach § 34 SGB VIII, sieht man, dass die jungen Menschen trotz dieser enormen Verbesserung am Ende der TÜ „nur“ bzw. „endlich“ die Ausgangslage der Kinder erreichen, die normalerweise in stationären Angeboten betreut werden (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Symptome und Ressourcen anhand der EVAS-Indices zum Hilfeende in der TÜ bzw. beim Beginn des Pflegeverhältnisses

Ergebnisse

Die Ergebnisse gliedern sich in vier unterschiedlich große Teile. Zunächst wird die Stabilität des Pflegeverhältnisses insgesamt dargestellt, in der Folge wird für die drei Katamnesezeitpunkte dargestellt, welche Kennzeichen bei den Kindern vorliegen, die sich nicht mehr in der Perspektive befinden. Im dritten Abschnitt wird nach möglichen Einflussfaktoren für eine stabile Perspektive gesucht. Zuletzt wird die Stabilität anhand einer selektierten Stichprobe den Zahlen aus einer Untersuchung von Eric van Santen (2016) gegenübergestellt.

In Bezug auf die Stabilität der Anschlussperspektive in der Pflegefamilie müssen die drei Stichproben unterschieden werden, die schon weiter oben benannt wurden. Aus Tabelle 3 wird ersichtlich, dass zum einen über die fünf Jahre relativ hohe Stabilitäten von mindestens 80,0 % erreicht wurden. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass im Falle von Beendigungen dies überwiegend im ersten Jahr des Pflegeverhältnisses erfolgt. Leider lagen nicht für alle Fälle weitere Informationen bezüglich des Initiators, der Gründe für die Beendigung und des Verbleibs des Kindes vor. Teilweise wurden bei den Telefonaten keine weitergehenden Aussagen gemacht bzw. lagen die Informationen nicht vor. Tabelle 3: Stabilität der Anschlussperspektive und Zeitpunkt der Beendigung

  Katamnese nach…
  einem Jahrdrei Jahrenfünf Jahren
Fallzahl 766650
davon befindet sich noch in der Pflegefamilien665540
%86,8 %83,3 %80,0 %
davon befindet sich nicht mehr in der Pflegefamilien101110
%13,2 %16,7 %20,0 %
davon innerhalb des ersten Jahresn1085
davon zwischen einem und drei Jahren beendetn-33
davon zwischen drei und fünf Jahren beendetn--2

Zusammenfassend lässt sich zu den beendeten Pflegeverhältnissen Folgendes feststellen:

Beendigung innerhalb des ersten Jahres:

Es liegen weiterführende Informationen zu acht von den insgesamt 10 innerhalb des ersten Jahres beendeten Fällen vor. Bei allen acht Hilfen lag keine übereinstimmende Entscheidung aller am Hilfeprozess beteiligten Personen für die Beendigung der Maßnahme vor. In fünf Fällen war die Pflegefamilie selbst der Initiator für die Beendigung, zweimal war es der Kostenträger und einmal die Sorgeberechtigten. Als Gründe wurde am häufigsten (4) eine Verschlimmerung der Problematik angegeben. Jeweils dreimal wurden äußere Umstände seitens der Familie, Verschlimmerung einer aggressiven Symptomatik sowie Krisen bzw. aktuelle Vorkommnisse benannt. Äußere Umstände seitens der Helfenden, Verschlimmerung weiterer Symptome und fehlende Mitarbeit bzw. negatives Verhalten des Kindes wurden jeweils zweimal angeführt. Weitere Einzelnennungen waren fehlende Mitarbeit der Eltern und nicht ausreichende Hilfe. Nach dem Ende des Pflegeverhältnisses wurden vier Kinder in einer stationären Einrichtung untergebracht, zwei in familienanalogen stationären Settings (eines dieser Kinder wechselte mittlerweile wieder und befand sich zum Zeitpunkt der Befragung bei der Mutter). In einem Fall kam es trotz abweichender Empfehlung zu einer Rückführung in die Herkunftsfamilie.

Beendigung zwischen einem und drei Jahren:

Alle drei in diesem Zeitraum beendeten Hilfen wurden ebenfalls nicht im gemeinsamen Einvernehmen abgeschlossen, sondern es lag eine unplanmäßige Beendigung vor. Dies war in jedem Fall auf die Initiative der Pflegefamilie zurückzuführen, einmal wurde zusätzlich der Kostenträger als Initiator genannt. Bei allen drei Kindern wurde eine Verschlimmerung der aggressiven Problematik als Grund für die Beendigung angegeben. Jeweils zweimal wurden Verschlimmerung der Problematik allgemein und falsche, nicht ausreichende Hilfe als ein Grund für das Scheitern angesehen. Als Einzelnennungen wurden noch äußere Umstände der Familie, Verschlimmerung des ADHS und fehlende Mitarbeit des Jugendamtes benannt. In allen drei Fällen erfolgte ein Wechsel von der Pflegefamilie in eine stationäre Unterbringung.

Beendigung zwischen drei und fünf Jahren:

Wie aus Tabelle 3 ersichtlich, handelte es sich um zwei junge Menschen, deren Pflegeverhältnis in diesem Zeitraum beendet wurde. Sie waren zum Zeitpunkt des Abbruchs 11 und 17 Jahre alt. Für beide liegen Angaben vor und auch hier wurden die Hilfen abgebrochen, also ohne Einvernehmen aller am Hilfeprozess beteiligten Akteure. Beide Hilfen wurden auf Betreiben der Pflegefamilie beendet, einmal war es noch zusätzlich eine Initiative des jungen Menschen selbst. Als Gründe für die Beendigung wurden in beiden Fällen Krisen oder aktuelle Vorkommnisse angeführt, weiterhin jeweils einmal Verschlimmerung der Problematik und Verschlimmerung von Symptomen. Nur für einen jungen Menschen lag eine Information vor, wohin er aus der Pflegefamilie wechselte: Er befand sich danach in einem betreuten Wohnen.

Abgebrochene Hilfen, zumal zu einem so frühen Zeitpunkt wie im ersten Jahr der Hilfe, sind sowohl für das vermittelte Kind als auch für die betroffenen Pflegeeltern sehr belastende Situationen. Insofern wurde untersucht, ob es bestimmte Wirkfaktoren gibt, die eine Stabilität der Hilfe innerhalb des ersten Jahres begünstigen. Aus statistischer Sicht wäre es natürlich wünschenswert, dieses Thema mit Hilfe von multivariaten Methoden anzugehen. Allerdings lassen die Verteilung der Werte und die insgesamt noch geringe Stichprobengröße befürchten, dass die beobachteten Zellbesetzungen schnell zu klein werden. Es können daher keine Aussagen zu möglichen Beziehungen zwischen den identifizierten Wirkfaktoren gemacht werden.

Zunächst fällt auf, dass die Adressatenmerkmale (Alter bei Hilfeende, Geschlecht, Anzahl bisheriger Hilfen) keinen Einfluss auf die Stabilität der Anschlussperspektive innerhalb des ersten Jahres haben. Im Wesentlichen sind es fünf Faktoren, die als Wirkfaktor angesehen werden können, drei davon werden signifikant, zwei weitere sind tendenziell signifikant, haben also einen Wert von p < 0,1.

Die höchste Signifikanz erzielt die Variable „Aggressives Verhalten“ zum Hilfeende in der Therapeutischen Übergangshilfe. Dieses Symptom wird mit den EVAS-Bögen (zum Hilfeende) erfasst. Da die EVAS-Daten nicht für alle Kinder der TÜ vorliegen, beruht diese Aussage auf 55 Hilfen. Von den 32 Kindern, die keinerlei aggressive Symptomatik zeigten, dauerte bei 31 Kindern (96,9 %) die Anschlussperspektive nach einem Jahr noch an, bei den 13 Kindern mit einer leichten Ausprägung des aggressiven Verhaltens waren es noch 76,9 %, bei einer mittleren Ausprägung 83,3 % und bei schwerem aggressiven Verhalten nur noch die Hälfte (50,0 %). Diese Unterschiede sind mit einem x2-Test (Wert 8,997, p = 0,029) signifikant. Interessanterweise ist das Vorliegen eines aggressiven Verhaltens zum Ende der TÜ auch bei der 3-Jahreskatamnese ein signifikanter Wirkfaktor.

Von der Höhe der Signifikanz betrachtet, ist der zweitwichtigste Einflussfaktor auf die Stabilität auf strukturelle Aspekte der Pflegefamilie zurückzuführen. Aufgrund der Befunde aus der Forschung kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Kindern, die aus der TÜ in eine Pflegefamilie vermittelt werden, in stärkerem Maße traumatisiert und bindungsgestört sind als andere Pflegekinder. Empirisch lässt sich das leider jedoch aufgrund fehlender Zahlen zum Pflegekinderwesen nicht belegen. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass die Kinder aus der vorliegenden Katamneseforschung besonders hohe Anforderungen an die Pflegeeltern stellen.

So zeigte sich auch in den Ergebnissen, dass Kinder aus der TÜ, die das erste Pflegekind in der Familie waren, ein höheres Risiko auf einen frühen Abbruch des Verhältnisses hatten (15,6 % verließen die Pflegefamilie innerhalb der ersten 12 Monate). Während alle Kinder, die in Familien platziert werden konnten, in denen bereits ein Pflegekind lebt oder gelebt hat und die Eltern somit eine entsprechende Erfahrung in der pädagogischen Arbeit mit Pflegekindern aufwiesen, nach einem Jahr noch im Pflegeverhältnis verblieben waren. Dieser Zusammenhang ist mit p = 0,038 signifikant (x2-Wert = 4,321).

Der dritte bedeutsame Faktor ist in der Entwicklung der Kinder während der Zeit in der TÜ begründet. Operationalisiert wurde das über den sogenannten EVAS-Effektindex. Dieser Index ist ein Kennwert für die während der Hilfe erlangten Veränderungen. Es fließen darin der Grad der Zielerreichung, der Aufbau von Ressourcen sowie der Abbau von Defiziten. Er kann theoretisch Werte zwischen -50 und +50 annehmen. Da dieser Wert aus den EVASDaten abgeleitet wird, lag er nur für insgesamt 55 junge Menschen vor. Die Kinder, die sich nach einem Jahr noch im Pflegeverhältnis befanden, erreichten während der Maßnahme in der TÜ einen erstaunlich hohen Effektindexwert von 16,3 Punkten, während die jungen Menschen, deren Anschlussperspektive bereits beendet war, nur einen Mittelwert von 4,7 aufwiesen (t = 2,073, df = 53, p = 0,043).

Neben diesen drei signifikanten Effekten gab es - wie bereits oben erwähnt – noch zwei Einflussfaktoren, die zumindest tendenziell bedeutsam waren. Die erste Variable hat mit der hohen Fachlichkeit der Pädagoginnen und Pädagogen in dem intensiven Hilfesetting der TÜ zu tun. Es wurden die installierten Pflegeverhältnisse in der Auswertung danach unterschieden, ob die Fachkräfte des Caritas-Kinder- und Jugendheimes mit dieser Anschlussperspektive einverstanden waren. Diese Information lag in 59 Fällen vor. Bestand ein Einverständnis der Fachkräfte, lebten noch 91,2 % der Kinder nach einem Jahr in der Pflegefamilie, gab es kein Einverständnis lag diese Quote nur bei 50,0 % (x2-Wert = 3,595, p = 0,058).

Als weitere Einflussvariable wurde in den Auswertungen die gesamte Symptombelastung der Kinder identifiziert. Dies geschah mit dem bereits oben erwähnten Symptomindex zum Ende der Hilfe. Je höher die noch vorhandene Symptomatik, desto größer das Risiko auf ein schnelles Ende des Pflegeverhältnisses. Da dieser Index wieder nur mit EVAS-Daten berechnet werden konnte, umfasste die zugrundeliegende Stichprobe 55 Fälle. 48 Kinder befanden sich davon nach einem Jahr noch in der Pflegefamilie, der Symptomindex lag dabei am Ende der TÜ bei einem Wert von 47,5. Die 7 Kinder, die nicht mehr in der Anschlussperspektive lebten, wiesen hingegen am Hilfeende im Caritas-Kinder- und Jugendheim einen Wert von 71,0 auf (t = 1,88, df = 53, p = 0,066). Interessanterweise erreicht dieser Einflussfaktor auch zu den Katamnesezeitpunkten nach drei und nach fünf Jahren einen signifikanten bzw. tendenziell signifikanten Einfluss hinsichtlich der Stabilität der Anschlussperspektive (nach drei Jahren: p = 0,009, nach fünf Jahren: p = 0,063).

Der Vollständigkeit halber und zur besseren Übersicht werden im Folgenden die Merkmale aufgelistet, für die ebenfalls ein Einfluss auf die Stabilität der Anschlussperspektive vermutet wurde, die aber statistisch nicht signifikant sind (p > 0,1). Es handelt sich dabei um Kriterien, die entweder in anderen Studien identifiziert werden konnten oder die nach Ableitungen aus der Theorie erwartet worden wären.

Kriterien auf Seiten des Kindes:

  • Vorliegen einer Bindungsstörung zum Ende der TÜ
  • Ressourcenausprägung zum Ende der TÜ
  • Erreichung der kindbezogenen Ziele während Platzierung in der TÜ
  • Alter bei Beginn des Pflegeverhältnisses
  • Andere Jugendhilfe vor der Unterbringung in der TÜ, „Jugendhilfekarriereindex“
  • Geschlecht
  • Besuchskontakte durch die Herkunftseltern während der Pflege

Kriterien auf Seiten der Eltern:

  • Einverständnis der Eltern mit der Pflege
  • Erreichung der elternbezogenen Ziele während Platzierung in der TÜ

Kriterien auf Seiten des Jugendamtes

  • Einverständnis des Jugendamtes mit der Pflege Kriterien auf Seiten der Pflegeeltern
  • Leibliche Kinder in der Familie

    Zur Bestimmung der Stabilität von Dauerpflegeverhältnissen veröffentlichte van Santen (2016) eine Auswertung der Mikrodaten der Amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik. Diese Daten selektierte er so, dass nur die jungen Menschen berücksichtigt wurden, die bereits mindestens zwei Jahre bei ihrer aktuellen Pflegefamilie waren. Weiterhin schloss er alle Fälle von der Analyse aus, bei denen es zu einem Abbruch durch die Sorgeberechtigen gekommen war.

    Die gefundenen Stabilitäten stellt er differenziert nach Altersklassen zum Beginn des Pflegeverhältnisses dar. Um einen direkten Vergleich ziehen zu können, wurde die Stichprobe der TÜ-Fälle des Caritas-Kinder- und Jugendheimes nach denselben Kriterien selektiert. Es verblieben 56 Fälle, deren Hilfeende soweit zurücklag, dass Aussagen zur 3- Jahreskatamnese vorlagen und 45 Fälle, bei denen sogar die 5-Jahres-Katamnese durchgeführt werden konnte. In den Tabellen 4 und 5 sind die Stabilitäten für diese beiden Stichproben dargestellt, differenziert nach den Altersklassen, die von van Santen gewählt worden waren.

    Tabelle 4: Anteil der jungen Menschen, die sich nach einer Dauer von drei Jahren noch in der Pflegefamilie befinden, differenziert nach Alter bei Beginn der Pflege (nur Platzierungen mit einer Verweildauer von mehr als zwei Jahren)

     Alter zu Beginn des Pflegeverhältnisses
     0 – 2,9
    Jahre
    3 bis 5,9
    Jahre
    6 bis 8,9
    Jahre
    9 bis 11,9
    Jahre
    12 bis 14,9
    Jahre
    Amtliche Statistik83,9 %84,6 %85,8 %83,7 %80,3 %
    Therapeutische Übergangshilfe%100,0 %93,3 %92,0 %100,0 %100,0 %
    n5 (von 5)14 (von 15)23 (von 25)10 (von 10)1 (von 1)

    Tabelle 5: Anteil der jungen Menschen, die sich nach einer Dauer von fünf Jahren noch in der Pflegefamilie befinden, differenziert nach Alter bei Beginn der Pflege (nur Platzierungen mit einer Verweildauer von mehr als zwei Jahren)

     Alter zu Beginn des Pflegeverhältnisses
     0 – 2,9
    Jahre
    3 bis 5,9
    Jahre
    6 bis 8,9
    Jahre
    9 bis 11,9
    Jahre
    12 bis 14,9
    Jahre
    Amtliche Statistik69,5 %70,0 %68,8 %63,8 %31,6 %
    Therapeutische Übergangshilfe%100,0 %90,0 %86,4 %100,0 %0,0 %
    n5 (von 5)9 (von 10)19 (von 22)7 (von 7)0 (von 1)

    Die Fälle, die nach der TÜ aufgrund der fachlichen Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eine Pflegefamilie vermittelt wurden, weisen in dieser Anschlussperspektive eine deutlich höhere Stabilität sowohl nach drei als auch nach fünf Jahren auf. Der Unterschied wird sogar nach fünf Jahren nochmals größer als nach drei Jahren.

    In der Gruppe der jungen Menschen, die zum Beginn der Pflege zwischen 12 und 15 Jahren alt waren, befand sich nur ein Jugendlicher. Dieser war zum Zeitpunkt der Vermittlung 12,8 Jahre alt und blieb insgesamt 51 Monate in der Pflegefamilie.

    Bei den ohnehin schon insgesamt sehr hohen Stabilitäten fallen insbesondere die Altersgruppen der ganz jungen Kinder auf, die beim Beginn der Pflege jünger als drei Jahre alt waren und diejenigen der Kinder, die bei der Vermittlung 9 bis einschließlich 11 Jahre alt waren. Gerade die letzte Gruppe ist umso bemerkenswerter, da davon auszugehen ist, dass sie zu diesem Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der Pubertät standen.

    Diskussion und Interpretation

    Zunächst muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den jungen Menschen, die von der TÜ in Pflegeverhältnisse vermittelt wurden, um durchschnittlich 6- bis 9-jährige Kinder handelte, die zu Beginn ihrer Hilfe im Caritas-Kinder- und Jugendheim in Rheine hochgradig symptombelastet, überwiegend stark traumatisiert und hinsichtlich ihres Bindungsverhaltens äußerst auffällig waren. Dies sind die Befunde aus der Forschung zur TÜ, die im Zeitraum von Anfang 2009 bis Mitte 2014 durchgeführt wurde. Insofern sind diese Kinder vermutlich nicht mit der Mehrzahl der Kinder vergleichbar, die sonst in Pflegefamilien platziert werden. Zwar gelingt es, im Verlauf der Hilfe diese Belastungen signifikant zu verbessern, aber trotzdem sind die Kinder am Ende der Hilfe in der TÜ bezüglich Symptomatik und Ressourcen immer noch vergleichbar mit der Klientel, die sonst in stationären Hilfesettings nach § 34 SGB VIII untergebracht wird.

    Insofern ist es umso erstaunlicher, dass sich im Vergleich zu den Zahlen aus der amtlichen Statistik, die von van Santen (2016) aufbereitet wurden, eine deutlich bessere Stabilität der Pflegeverhältnisse zeigte. Dieses positive Ergebnis ist vermutlich in erster Linie – auch wenn es empirisch nicht operationalisiert wurde – auf die intensive Klärung und Heilpädagogik während der Unterbringung in der TÜ und die hohe Fachlichkeit der beteiligten Fachkräfte in den Gruppen und dem Fachdienst zurückzuführen. Eine auf diese Weise gestaltete Unterbringung in einem Kinderheim verhindert nicht etwa, sondern ermöglicht neue und dauerhafte Eltern-Kind-Bindungen.

    Zusätzlich konnten einige Faktoren identifiziert werden, die die Wahrscheinlichkeit auf einen längeren Verbleib der jungen Menschen in den Pflegefamilien begünstigen.

    Bereits zu Beginn der Unterbringung in der Therapeutischen Übergangshilfe ist es von besonderer Bedeutung, ob eine hilfreiche Entwicklung in einer Übertragungsbeziehung in Gang kommt, ob es also gelingt, ein Kind zu verstehen und zu beruhigen, damit es seine Angst und Not nicht mehr mit einer hohen Ladung aggressiv abwehren muss und ob ein Kind auf bisherige Strategien zu überleben, verzichten mag. Weiterhin, ob ein Kind ressourcenorientierte Angebote wie Musik, Bewegung oder Kunst annehmen mag (vgl. auch Macsenaere & Esser, 2015).

    Der wichtigste Risikofaktor für den Abbruch eines Pflegeverhältnisses ist dabei, wenn ein Kind noch zum Entlassungszeitpunkt seine Angst mit hoher ungekonnter Aggression zu bewältigen versucht. Hier gilt es zukünftig sehr gut abzuklären, ob eine solche Bewältigung vorliegt und in einer gut vorbereiteten Pflegefamilie hilfreich beantwortet werden kann. Manche schwer gekränkten Kinder sind auch dauerhaft mit nahen Eltern-Kind-Beziehungen überfordert. Es ist gut nachvollziehbar, dass Pflegefamilien diesen Ausdruck massiver Angst und unbegrenzter Aggression kaum halten können, sich auf Dauer überfordert fühlen und keinen anderen Ausweg sehen, als das Pflegeverhältnis zu beenden. Um diese Abbrüche möglichst zu minimieren, gilt es bei den jungen Menschen frühzeitig eine gute Abklärung und Diagnostik durchzuführen.

    Weiterhin scheint es bei der Vermittlung von stärker belasteten Kindern in Pflegefamilien von besonderer Relevanz zu sein, dass diese Familien bereits Erfahrung mit anderen Pflegekindern in der eigenen Familie sammeln konnten. Kritisch ist jedoch zu prüfen, was die Aufnahme eines weiteren Kindes für das schon in der Familie lebende Pflegekind bedeutet. Diese empirisch gefundenen Wirkfaktoren sollten bei einer Vermittlung in eine Pflegefamilie besondere Berücksichtigung bei den Fachkräften der TÜ finden. Sie gilt im Allgemeinen aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegekinderdiensten der Jugendämter.

    Eine besondere Herausforderung im Pflegekinderwesen stellen die häufigen Abbrüche zu Anfang der Hilfe dar. Auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse sollten die Prognosen fachlich qualifizierter und für ein Kind zuständiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Kinderheim, die die Bedürfnisse des Kindes kennen gelernt und hilfreiche Antworten gefunden haben, besondere Berücksichtigung finden. Häufig können sie sehr gut einschätzen, ob ein Kind in eine ausgewählte Pflegefamilie passt oder nicht.

    Im Auswahl- und Pflegeanbahnungsprozess sollten alle Hinweise auf Nöte und Ängste des Kindes sowie Unbehagen oder Überforderung bei den möglichen Pflegeeltern ernst genommen und besprochen werden. Eine umfängliche und qualifizierte Vorbereitung der Pflegeeltern wird vorausgesetzt (vgl. Tenhumberg & Michelbrink, 1998). Gerade für die anfänglich sensible und kräftezehrende Phase, in der ein Kind bei zunehmender Nähe zu den Pflegeeltern diese mit den Herkunftseltern geradezu verwechselt („Übertragungsphase“), benötigen Pflegeeltern besonders qualifizierte Unterstützung durch Fachkräfte (vgl. auch Hardenberg, 2006).

    Auch später ist in jedem Fall anzuraten, Pflegefamilien, die sich einem Kind mit vielfältig erlittenen Traumatisierungen und Schwierigkeiten im Bindungsverhalten, möglicherweise kombiniert mit anderen schwer verständlichen Verhaltensweisen zur Verfügung stellen, fachlich gut und zeitlich eng getaktet zu unterstützen, um ihnen und natürlich auch dem Kind selbst einen weiteren Beziehungsabbruch zu ersparen (s. dazu auch die empirischen Ergebnisse von Tenhumberg, 2014).

    Stabile Pflegeverhältnisse für traumatisierte Vor- und Grundschulkinder sind ein Ergebnis professioneller Arbeit in der Therapeutischen Übergangshilfe und von Fachkräften des Pflegekinderdienstes, vor allem aber ein Ergebnis enormer Beziehungsarbeit der Pflegeeltern und des Pflegekindes.

    Literaturverzeichnis 

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    • Jakobs, J. & Werning, U. (2014): Schutz für die Kinder – neue Chancen für Familien. In: Neue Caritas. 115. Jahrgang, Heft 21, S. 13-15
    • Janning, M. (1995): Kleine Kinder im Heim – Familienerziehung contra Heimerziehung? In: Mörsberger, H. (Hrsg.): Europa. Herausforderungen für die Erziehungshilfe, (S. 341-351) Freiburg: Lambertus Verlag.
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    • Janning, M. (2018): Zur Arbeit mit Herkunftseltern. In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), 7. Jahrbuch des Pflegekinderwesens (S. 169-204). Idstein: Schulz-Kirchner- Verlag.
    • Lohaus, A., Heinrichs, N., Konrad, K., Chodura, S., Ehrenberg, D., Job, A.-K., Möller, C., Reindl, V. & Symanzik, T.(2016): Zur Entwicklung von Kindern in Pflegefamilien: Erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes. In: PFAD. Fachzeitschrift für die Pflege- und Adoptivkinderhilfe. 32. Jahrgang, Heft 4, S. 19-20.
    • Macsenaere, M. & Esser, K. (2015): Was wirkt in der Erziehungshilfe?: Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. München: Reinhardt.
    • Macsenaere, M., & Knab, E. (Hrsg.) (2004): Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS). Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
    • Nienstedt, M. & Westermann, A. (1989): Pflegekinder. Psychologische Beiträge zur Sozialisation von Kindern in Ersatzfamilien. Münster: Votum.
    • Nienstedt, M. & Westermann, A. (2007): Pflegekinder und ihre Entwicklungschancen nach frühen traumatischen Erfahrungen. Stuttgart: Klett-Cotta.
    • Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (2004): 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Kontakte zwischen Pflegekind und Herkunftsfamilie. Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag.
    • Tenhumberg, A. & Michelbrink, M. (1998): Vermittlung traumatisierter Kinder in Pflegefamilien. In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.), 1. Jahrbuch des Pflegekinderwesens (S. 106-124). Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag.
    • Tenhumberg, A. (2014): Was kann Beratung zum Gelingen von Pflegekindschaft beitragen? In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.): 6. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Wie Pflegekindschaft gelingt (S. 125-135). Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag.
    • Temke, F. & Tippkötter, A. (1997): Bestehende und abgebrochene Pflegeverhältnisse: Integrationsverläufe und Unterscheidungskriterien. Diplomarbeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
    • Van Santen (2016): Sind Dauerpflegeverhältnisse wirklich auf Dauer? In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., 96. Jahrgang, Heft 9, 2016, S. 387-389.
    • Van Santen (2017): Determinanten der Abbrüche von Pflegeverhältnissen – Ergebnisse auf der Basis der Einzeldaten der Kinder- und Jugendhilfestatistik. In: Neue Praxis. Heft 2, 2017, S. 99-123.
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Über die Studie Stabile Pflegeverhältnisse

Die Studie belegt eindrücklich die Bedeutung guter Rahmenbedingungen für die Pflegekinderhilfe.

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