In den 1960/70er Jahren wurden Pflegekinder im Rahmen des Kentler-Experimentes auch bei pädophilen Pflegevätern untergebracht. Wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen bestätigt, dass es im Rahmen des „Kentler-Experiments“ zu schwerem sexuellen Kindesmissbrauch kam. Das Land Berlin hat infolgedessen im April 2021 das Leid zweier Betroffener anerkannt und sich zu finanziellen Leistungen bereit erklärt. Kentler war auch in Bayern tätig. Das Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal und die Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern haben nun Stellungnahmen zur Zusammenarbeit mit Kentler veröffentlicht. Die Kirche will sich an der Aufarbeitung in Josefstal beteiligen und erklärt weiterhin: "Wir werden aktiv die Aufarbeitung der unkritischen Aufnahme von Kentlers Theorien und Haltungen zu Sexualität und Jugendarbeit im Bereich der ELKB und der EKD und den Gründen, weshalb dem nicht früher und lauter widersprochen wurde, anstoßen und unterstützen." Moses-online hat im Januar 2017 einen Artikel zum Kentler-Experiment mit Pflegekindern in Berlin veröffentlicht.
Stellungnahme des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal
Das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. begrüßt die durch das Land Berlin ausgezahlten Entschädigungen für Betroffene des sogenannten “Kentler-Experiments”. In diesem Experiment hatten die Jugendbehörden des Landes Berlin auf Initiative und mit „wissenschaftlicher Begleitung“ durch Prof. Dr. Helmut Kentler (1928 – 2008) Jungen und Jugendliche an Pflegeväter vermittelt, von denen bekannt war, dass sie pädophile Neigungen hatten oder bereits als Päderasten aufgefallen waren. Hier kam es zu schwerem Missbrauch, für den wenige Betroffene nun durch den Staat entschädigt werden.
Wir nehmen die Entscheidung zum Anlass, zur Beziehung von Helmut Kentler zum Studienzentrum Stellung zu nehmen.
Helmut Kentler war von 1962 bis 1965 kurz nach Gründung des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. hauptamtlicher Mitarbeiter im theologisch-pädagogischen Team, mit dem Ziel, die Weiterentwicklung evangelischer Jugendarbeit voranzutreiben und hauptberufliche Mitarbeitende fortzubilden. In dieser Zeit prägte er zusammen mit anderen den Begriff von „emanzipatorischer Jugendarbeit“.
In der Folgezeit verstand Kentler es auf perfide Weise, die richtige Idee von der Rolle von Jugendarbeit zur Emanzipation und zur Subjektwerdung von Kindern und Jugendlichen mit seiner Verteidigung der Pädophilie zu verbinden. Er machte damit eine pädagogische Theorie zu einem Vehikel der Unterdrückung und des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Wir treten dieser Verknüpfung entschieden entgegen und sind bestürzt, dass auch das Studienzentrum einen Resonanzboden dafür geboten hat.
Kentler nutzte seine anerkannte Stellung als Wissenschaftler nicht nur für das bereits benannte, gut dokumentierte „Kentler-Experiment“ in Berlin, sondern auch in seiner Tätigkeit als Gerichtssachverständiger, in denen er in vielen Fällen zu Freisprüchen für Täter des sexuellen Missbrauchs beitrug. Diese Fälle in ihrer Gesamtheit sind erst in den letzten Jahren in ihrer Breite bekannt geworden.
Helmut Kentler blieb auch über seine hauptamtliche Zeit mit dem Studienzentrum verbunden. So wurde er immer wieder, zuletzt 2001, zu Symposien und Fachgesprächen eingeladen. Bis 1999 war er jährlich für drei Wochen als „pädagogischer Berater“ an Freizeiten für Familien mit Menschen mit Behinderungen beteiligt.
Das Studienzentrum Josefstal war Teil des Milieus, das Kentler zu einem anerkannten Wissenschaftler und seine Ideen hoffähig gemacht hat. Es hat seinen Aussagen zur Rechtfertigung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen öffentlich nicht widersprochen. Auch als sich 2011 anlässlich einer Befassung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Gelegenheit bot, hat sich das Studienzentrum zwar intern, aber nicht in aller Deutlichkeit öffentlich von Helmut Kentler distanziert.
Das Studienzentrum hätte seine Aussagen in publizierten Werken kennen und ihnen entschieden entgegentreten müssen. Damit hat es der gewachsenen Beziehung zu einem bekannten Wissenschaftler mehr Raum gegeben als dem unbedingten Schutz von Kindern und Jugendlichen. In diesem Fall ist das Studienzentrum seinem Anspruch, für Kinder und Jugendliche einzutreten, nicht gerecht geworden. Damit trägt das Studienzentrum Mitschuld an dem Leid, das Kentler über viele junge Menschen gebracht hat.
Diese Stellungnahme ist Teil der Aufarbeitung durch das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit.
Weitere Schritte stehen an, darunter die folgenden:
Dem Vorstand des Studienzentrums sind keine Fälle von sexualisierter Gewalt oder anderen Formen von Missbrauch durch Helmut Kentler oder andere auf dem Gelände oder in Programmen des Studienzentrums bekannt. Betroffene sind gebeten, sich am besten vertraulich an die Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu wenden (Landeskirchenamt, Karlstr. 18, 80333 München, Tel.: 089/5595-335, ansprechstelleSG@elkb.de).
Wir werden aktiv weitere Nachforschungen über die Verbindungen von Helmut Kentler im Studienzentrum und seine Arbeit im Studienzentrum anstellen.
Wir werden uns aktiv an der Aufarbeitung einer Theorie von Jugendarbeit beteiligen, die es nicht vermocht hat, pädophilen Interessen rechtzeitig und klar entgegenzutreten.
Wir setzen seit 2010 ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt im Studienzentrum um. Dazu gehören u.a. die Selbstverpflichtung aller festen und freien Mitarbeitenden, die Benennung und Bekanntmachung von internen Vertrauenspersonen und externen Ansprechpersonen sowie die Schulung allen Personals.
Der Vorstand des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. am 1. Mai 2021
Stellungnahme des Landeskirchenrats der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu Helmut Kentler
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern begrüßt und unterstützt die Stellungnahme des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. zu seiner Beziehung zu Helmut Kentler.
Der Landeskirchenrat nimmt diese Initiative zum Anlass, selbst Stellung zu Helmut Kentler und seinen Bezügen zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu beziehen.
Helmut Kentler (1928-2008) war von 1962 bis 1965 pädagogischer Referent des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. Nach seinem Ausscheiden hatte er dort bis ins Jahr 2001 immer wieder als Gastreferent bei Symposien und Fachgesprächen sowie als pädagogischer Berater bei Familienfreizeiten mitgewirkt. Darüber hinaus trat er in Veranstaltungen der Evangelischen Akademie in Tutzing sowie auf mehreren evangelischen Kirchentagen auf.
Kentler hat sich stark für eine Enttabuisierung von Homosexualität und von Sexualität eingesetzt. Verknüpft mit seinem pädagogischen Ansatz einer emanzipatorischen Jugendarbeit fand er im Bereich der evangelischen Jugendarbeit und der evangelischen Kirche große Aufmerksamkeit und Unterstützung. Er publizierte in theologischen und kirchlichen Zeitschriften und beeinflusste kirchenpolitische Diskussionen.
Bereits Ende der 60er Jahre begann Helmut Kentler im Rahmen seiner Tätigkeit in Berlin, Jungen in die Obhut von Päderasten zu geben. Später wurde dies von Berliner Jugendämtern im Rahmen eines von Kentler angestoßenen und begleiteten Experiments von öffentlicher Seite unterstützt. In mehreren seiner Schriften finden sich zudem Aussagen, die Kentlers Anerkennung von Pädophilie und das Bestreben, Pädosexualität zu legalisieren, deutlich machen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen nicht nur Kentlers Haltung, sondern auch die Tatsache, dass es im Rahmen des „Kentler-Experiments“ zu schwerem sexuellen Kindesmissbrauch kam, bestätigt. Das Land Berlin hat infolgedessen im April 2021 das Leid zweier Betroffener anerkannt und sich zu finanziellen Leistungen bereit erklärt.
Es beschämt uns, wie Helmut Kentler die Offenheit der evangelischen Kirche für eine aufgeklärte und emanzipierte Haltung gegenüber Sexualität genutzt und sie gleichzeitig durch seinen Einsatz für Pädophilie pervertiert hat. Wir sind bestürzt, dass weder das entsprechende Problembewusstsein noch die notwendige Sensibilität vorhanden waren, seinem kinderverachtenden Interesse entschieden zu widersprechen.
Selbst als Kentlers Verteidigung der Pädophilie öffentlich kritisiert wurde, haben wir als evangelische Kirche versäumt, uns öffentlich von ihm und seiner Haltung zu distanzieren – wir haben es auch nicht getan, als 2010 im Rahmen einer Eingabe an die Landessynode die ausdrückliche Möglichkeit dazu bestanden hätte. Dafür bitten wir heute um Entschuldigung.
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern verurteilt jede Form von sexualisierter Gewalt. Um sexualisierte Gewalt in der Kirche in Zukunft umfassend zu verhindern, ist es notwendig, Räume und Strukturen, die ihr Vorkommen in der Vergangenheit ermöglicht oder gar begünstigt haben, aufzudecken und zu verändern.
Der Landeskirchenrat unterstützt die Aufarbeitung des Verhältnisses der evangelisch-lutherischen Kirche zu Helmut Kentler deshalb mit folgenden Schritten:
Wir schließen uns dem Aufruf des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit an: sollte es Betroffene von sexualisierter Gewalt oder anderer Missbrauchsformen durch Helmut Kentler im Bereich des Studienzentrums Josefstal oder einer anderen kirchlichen Einrichtung im Bereich der ELKB geben, bitten wir diese, sich an die Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu wenden. (Landeskirchenamt, Katharina-von-Bora-Straße 7-13, 80333 München, Tel: 089/5595-335, Mail: AnsprechstelleSG@elkb.de).
Wir werden uns aktiv an der Aufarbeitung des Studienzentrums Josefstal zu Kentlers Einfluss auf die Theorie evangelischer Jugendarbeit beteiligen.
Wir werden aktiv die Aufarbeitung der unkritischen Aufnahme von Kentlers Theorien und Haltungen zu Sexualität und Jugendarbeit im Bereich der ELKB und der EKD und den Gründen, weshalb dem nicht früher und lauter widersprochen wurde, anstoßen und unterstützen.
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am 18.05.2021.“
Der Landessynodalausschuss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat sich in seiner Sitzung am 21.05.2021 einstimmig dieser Stellungnahme des Landeskirchenrats angeschlossen.
Das sogenannte 'Kentler-Experiment' bedeutete Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre in Berlin die Unterbringung einiger 13 - 17 jährigen Jungen bei pädophilen - wegen sexuellem Missbrauchs verurteilten - Männern in Vollzeitpflege. In 2013 machten Berliner Medien auf das ‚Experiment‘ aufmerksam und forderten eine Aufarbeitung der Geschehnisse vom Berliner Senat.
Am 30. September tagt in Berlin erneut der Runde Tisch Missbrauch. Im März hatte die Bundesregierung beschlossen ihn einzuberufen, nachdem zahlreiche Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch die Öffentlichkeit erschüttert hatten. Sein Ziel: Kinder und Jugendliche sollen besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen.
Stellungnahme der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch: "Die aktuelle Diskussion über sexuellen Kindesmissbrauch in organisierten und rituellen Strukturen wirkt wie ein Déjà-vu: Es ist noch keine drei Jahrzehnte her, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt im familiären Kontext mit der massiven Infragestellung ihrer Glaubwürdigkeit zu kämpfen hatten. Ihre Berichte wurden damals ebenfalls mit der Verallgemeinerung abgewehrt, es handle sich um die Beeinflussung durch Beratung und Therapie."
Im Fall von sexueller Gewalt bzw. dem Verdacht auf sexuelle Gewalt gegen ein Kind oder ein*e Jugendliche*n stellen sich für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe in Bezug auf die Einleitung und den Ablauf eines Strafverfahrens zahlreiche Fragen. Das DIJuF hat auf Basis eines in seiner Fachzeitschrift 'Jugendamt' erscheinenden Artikels immer wiederkehrende Fragen und entsprechende Antworten zum Thema in einem Arbeitspapier zusammengefasst und auf seine Webseite gestellt.
Jahresbilanz des Missbrauchsbeauftragten: Sexueller Kindesmissbrauch bleibt auch ein Jahr nach Ende des Runden Tisches ein gravierendes Problem. Bis heute warten Betroffene auf Verbesserungen. Gesellschaftliche Dachorganisationen zeigen Bereitschaft, Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt zu schützen.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat im Mai 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Jetzt stellt sie ihren ersten Zwischenbericht vor. Neben der Dokumentation ihrer Arbeit beinhaltet der Bericht erste Erkenntnisse aus vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichten. Er beinhaltet zudem Botschaften von Betroffenen an die Gesellschaft und Empfehlungen der Kommission an die Politik.
Das Deutsche Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht eV (DIJuF) hat am 14. September 2020 eine Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder veröffentlicht. Das Institut äußert sich in seiner Stellungnahme besonders zu den geplanten Veränderungen in familiengerichtlichen Verfahren und zu den Straftatbeständen bei sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Ebenso hat der Paritätische Gesamtverband im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum Gesetzentwurf Stellung genommen.
Ein Zwischenruf der Kinderschutz-Zentren zur aktuellen Debatte. Die jüngst bekannt gewordenen Fälle von Gewalt an Kindern zeigen in aller Dramatik die Dimensionen von Ursachen, Formen und Folgen von Gewalt. Es sind Fälle organisierter, systematischer schwerer sexueller Gewalt in einem Ausmaß, das fassungslos macht. In der derzeitigen medialen und politischen Debatte fehlt es an Differenzierung und vielen fachlich notwendigen Überlegungen, denn organisierte systematische Gewalt unterscheidet sich in Ursachen, Dynamik, Verlauf und Handlungserfordernissen von Gewalt in der Familie und in Beziehungen im Nahfeld von Kindern und Jugendlichen.
Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, und das Wissenschaftsteam der Universität Hildesheim – Prof. Dr. Meike Baader, Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Dr. Julia Schröder sowie Dr. Carolin Oppermann – haben heute den Abschlussbericht der Universität Hildesheim zum Wirken von Helmut Kentler in der Berliner öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe vorgestellt. Hintergrund sind Kentlers Initiativen zur Einrichtung von Pflegestellen bei pädophilen, auch wegen Sexualdelikten vorbestraften Männern ab Ende der 1960er bis zu Beginn der 2000er Jahre.
In einem ersten Schritt hat die Arbeitsgruppe des Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungInstituts Freiburg evaluiert, wie viele auf sexuellen Kindesmissbrauch spezialisierte Beratungsstellen es bundesweit gibt und wie diese verteilt sind. In einem zweiten Schritt haben die Wissenschaftlerinnen mit den Mitarbeiter(innen) der Beratungsstellen eine Befragung durchgeführt zu den Rahmenbedingungen und Spezifikationen ihrer Arbeit.
Stellungnahmen zum Kentler-Experiment
Themen:
Stellungnahme des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal
Das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. begrüßt die durch das Land Berlin ausgezahlten Entschädigungen für Betroffene des sogenannten “Kentler-Experiments”. In diesem Experiment hatten die Jugendbehörden des Landes Berlin auf Initiative und mit „wissenschaftlicher Begleitung“ durch Prof. Dr. Helmut Kentler (1928 – 2008) Jungen und Jugendliche an Pflegeväter vermittelt, von denen bekannt war, dass sie pädophile Neigungen hatten oder bereits als Päderasten aufgefallen waren. Hier kam es zu schwerem Missbrauch, für den wenige Betroffene nun durch den Staat entschädigt werden.
Wir nehmen die Entscheidung zum Anlass, zur Beziehung von Helmut Kentler zum Studienzentrum Stellung zu nehmen.
Helmut Kentler war von 1962 bis 1965 kurz nach Gründung des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. hauptamtlicher Mitarbeiter im theologisch-pädagogischen Team, mit dem Ziel, die Weiterentwicklung evangelischer Jugendarbeit voranzutreiben und hauptberufliche Mitarbeitende fortzubilden. In dieser Zeit prägte er zusammen mit anderen den Begriff von „emanzipatorischer Jugendarbeit“.
In der Folgezeit verstand Kentler es auf perfide Weise, die richtige Idee von der Rolle von Jugendarbeit zur Emanzipation und zur Subjektwerdung von Kindern und Jugendlichen mit seiner Verteidigung der Pädophilie zu verbinden. Er machte damit eine pädagogische Theorie zu einem Vehikel der Unterdrückung und des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen. Wir treten dieser Verknüpfung entschieden entgegen und sind bestürzt, dass auch das Studienzentrum einen Resonanzboden dafür geboten hat.
Kentler nutzte seine anerkannte Stellung als Wissenschaftler nicht nur für das bereits benannte, gut dokumentierte „Kentler-Experiment“ in Berlin, sondern auch in seiner Tätigkeit als Gerichtssachverständiger, in denen er in vielen Fällen zu Freisprüchen für Täter des sexuellen Missbrauchs beitrug. Diese Fälle in ihrer Gesamtheit sind erst in den letzten Jahren in ihrer Breite bekannt geworden.
Helmut Kentler blieb auch über seine hauptamtliche Zeit mit dem Studienzentrum verbunden. So wurde er immer wieder, zuletzt 2001, zu Symposien und Fachgesprächen eingeladen. Bis 1999 war er jährlich für drei Wochen als „pädagogischer Berater“ an Freizeiten für Familien mit Menschen mit Behinderungen beteiligt.
Das Studienzentrum Josefstal war Teil des Milieus, das Kentler zu einem anerkannten Wissenschaftler und seine Ideen hoffähig gemacht hat. Es hat seinen Aussagen zur Rechtfertigung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen öffentlich nicht widersprochen. Auch als sich 2011 anlässlich einer Befassung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern die Gelegenheit bot, hat sich das Studienzentrum zwar intern, aber nicht in aller Deutlichkeit öffentlich von Helmut Kentler distanziert.
Das Studienzentrum hätte seine Aussagen in publizierten Werken kennen und ihnen entschieden entgegentreten müssen. Damit hat es der gewachsenen Beziehung zu einem bekannten Wissenschaftler mehr Raum gegeben als dem unbedingten Schutz von Kindern und Jugendlichen. In diesem Fall ist das Studienzentrum seinem Anspruch, für Kinder und Jugendliche einzutreten, nicht gerecht geworden. Damit trägt das Studienzentrum Mitschuld an dem Leid, das Kentler über viele junge Menschen gebracht hat.
Diese Stellungnahme ist Teil der Aufarbeitung durch das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit.
Weitere Schritte stehen an, darunter die folgenden:
Dem Vorstand des Studienzentrums sind keine Fälle von sexualisierter Gewalt oder anderen Formen von Missbrauch durch Helmut Kentler oder andere auf dem Gelände oder in Programmen des Studienzentrums bekannt. Betroffene sind gebeten, sich am besten vertraulich an die Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu wenden (Landeskirchenamt, Karlstr. 18, 80333 München, Tel.: 089/5595-335, ansprechstelleSG@elkb.de).
Wir werden aktiv weitere Nachforschungen über die Verbindungen von Helmut Kentler im Studienzentrum und seine Arbeit im Studienzentrum anstellen.
Wir werden uns aktiv an der Aufarbeitung einer Theorie von Jugendarbeit beteiligen, die es nicht vermocht hat, pädophilen Interessen rechtzeitig und klar entgegenzutreten.
Wir setzen seit 2010 ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt im Studienzentrum um. Dazu gehören u.a. die Selbstverpflichtung aller festen und freien Mitarbeitenden, die Benennung und Bekanntmachung von internen Vertrauenspersonen und externen Ansprechpersonen sowie die Schulung allen Personals.
Der Vorstand des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. am 1. Mai 2021
Stellungnahme des Landeskirchenrats der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu Helmut Kentler
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern begrüßt und unterstützt die Stellungnahme des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. zu seiner Beziehung zu Helmut Kentler.
Der Landeskirchenrat nimmt diese Initiative zum Anlass, selbst Stellung zu Helmut Kentler und seinen Bezügen zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu beziehen.
Helmut Kentler (1928-2008) war von 1962 bis 1965 pädagogischer Referent des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. Nach seinem Ausscheiden hatte er dort bis ins Jahr 2001 immer wieder als Gastreferent bei Symposien und Fachgesprächen sowie als pädagogischer Berater bei Familienfreizeiten mitgewirkt. Darüber hinaus trat er in Veranstaltungen der Evangelischen Akademie in Tutzing sowie auf mehreren evangelischen Kirchentagen auf.
Kentler hat sich stark für eine Enttabuisierung von Homosexualität und von Sexualität eingesetzt. Verknüpft mit seinem pädagogischen Ansatz einer emanzipatorischen Jugendarbeit fand er im Bereich der evangelischen Jugendarbeit und der evangelischen Kirche große Aufmerksamkeit und Unterstützung. Er publizierte in theologischen und kirchlichen Zeitschriften und beeinflusste kirchenpolitische Diskussionen.
Bereits Ende der 60er Jahre begann Helmut Kentler im Rahmen seiner Tätigkeit in Berlin, Jungen in die Obhut von Päderasten zu geben. Später wurde dies von Berliner Jugendämtern im Rahmen eines von Kentler angestoßenen und begleiteten Experiments von öffentlicher Seite unterstützt. In mehreren seiner Schriften finden sich zudem Aussagen, die Kentlers Anerkennung von Pädophilie und das Bestreben, Pädosexualität zu legalisieren, deutlich machen. Wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen nicht nur Kentlers Haltung, sondern auch die Tatsache, dass es im Rahmen des „Kentler-Experiments“ zu schwerem sexuellen Kindesmissbrauch kam, bestätigt. Das Land Berlin hat infolgedessen im April 2021 das Leid zweier Betroffener anerkannt und sich zu finanziellen Leistungen bereit erklärt.
Es beschämt uns, wie Helmut Kentler die Offenheit der evangelischen Kirche für eine aufgeklärte und emanzipierte Haltung gegenüber Sexualität genutzt und sie gleichzeitig durch seinen Einsatz für Pädophilie pervertiert hat. Wir sind bestürzt, dass weder das entsprechende Problembewusstsein noch die notwendige Sensibilität vorhanden waren, seinem kinderverachtenden Interesse entschieden zu widersprechen.
Selbst als Kentlers Verteidigung der Pädophilie öffentlich kritisiert wurde, haben wir als evangelische Kirche versäumt, uns öffentlich von ihm und seiner Haltung zu distanzieren – wir haben es auch nicht getan, als 2010 im Rahmen einer Eingabe an die Landessynode die ausdrückliche Möglichkeit dazu bestanden hätte. Dafür bitten wir heute um Entschuldigung.
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern verurteilt jede Form von sexualisierter Gewalt. Um sexualisierte Gewalt in der Kirche in Zukunft umfassend zu verhindern, ist es notwendig, Räume und Strukturen, die ihr Vorkommen in der Vergangenheit ermöglicht oder gar begünstigt haben, aufzudecken und zu verändern.
Der Landeskirchenrat unterstützt die Aufarbeitung des Verhältnisses der evangelisch-lutherischen Kirche zu Helmut Kentler deshalb mit folgenden Schritten:
Wir schließen uns dem Aufruf des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit an: sollte es Betroffene von sexualisierter Gewalt oder anderer Missbrauchsformen durch Helmut Kentler im Bereich des Studienzentrums Josefstal oder einer anderen kirchlichen Einrichtung im Bereich der ELKB geben, bitten wir diese, sich an die Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu wenden. (Landeskirchenamt, Katharina-von-Bora-Straße 7-13, 80333 München, Tel: 089/5595-335, Mail: AnsprechstelleSG@elkb.de).
Wir werden uns aktiv an der Aufarbeitung des Studienzentrums Josefstal zu Kentlers Einfluss auf die Theorie evangelischer Jugendarbeit beteiligen.
Wir werden aktiv die Aufarbeitung der unkritischen Aufnahme von Kentlers Theorien und Haltungen zu Sexualität und Jugendarbeit im Bereich der ELKB und der EKD und den Gründen, weshalb dem nicht früher und lauter widersprochen wurde, anstoßen und unterstützen.
Der Landeskirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am 18.05.2021.“
Der Landessynodalausschuss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat sich in seiner Sitzung am 21.05.2021 einstimmig dieser Stellungnahme des Landeskirchenrats angeschlossen.
von:
Die mühsame Aufarbeitung des "Kentler-Experimentes" durch den Berliner Senat