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31.10.2020

Stellungnahmen des DIJuF und der IGFH zur SGB VIII-Reform

Neben der bereits Anfang Oktober veröffentlichen Synopse, hat nun das DIJuF - Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht - auch eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes erarbeitet, ebenso wie die IGFH. Die IGFH hat im Rahmen des 'Dialogforums Pflegekinder' intensiv auf die Praxissituation und die sich darauf ergebenden notwendigen Verbesserungsmöglichkeiten im Bereich der Pflegekinderhilfe hingewiesen. Inzwischen hat es eine Vielzahl von Stellungnahmen der verschiedenen Institutionen gegeben, auf die wir hier hinweisen.

Stellungnahme des DIJuF

Auszug aus der Einleitung: A. Gesamteindruck

Das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht begrüßt den vorgelegten Entwurf des KJSG ausdrücklich. Er greift wichtige Weiterentwicklungsbedarfe im Recht der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere die Gestaltung eines inklusiven SGB VIII, auf und bietet in weiten Teilen konstruktive, ausdifferenzierte und interessengerechte Lösungen.

Als besonders positiv hervorzuheben ist zunächst die klare Entscheidung für die inklusive Lösung, auch wenn eine unmittelbare Verankerung in diesem Gesetz und ein ehrgeizigerer Zeitplan wünschenswert gewesen wären. Die Ansätze zur Stärkung der Beteiligung, Selbstbestimmung und -vertretung sowie der Beschwerdemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen und ihren Familien in der Kinder- und Jugendhilfe sind ebenfalls als besonders gelungen hervorzuheben. Erfreulich ist weiter, dass der Entwurf Verbesserungen für junge Volljährige und Care-Leaver*innen vorsieht.

Kritisch werden vor allem die geplante Neustrukturierung des § 4 KKG sowie die verpflichtende Vorlage der Hilfepläne im familiengerichtlichen Verfahren (§ 50 Abs. 2 S. 2 SGB VIII-E) gesehen. In diesen Regelungen deutet sich ein mangelndes Vertrauen in die fachlich gute Arbeit von Jugendämtern an (wie z.B. auch in § 35a Abs. 1a S. 4 SGB VIII-E). Eine generelle Kontrolle und weitere Bürokratisierung der Abläufe erscheint zur Qualifizierung jedoch weniger geeignet als die Investition in ausreichendes und gut ausgebildetes Personal und birgt zudem die Gefahr, dass zentrale Elemente sozialarbeiterischer Hilfeprozesse (Aufbau einer Hilfe- und Vertrauensbeziehung, Kommunikation, Fallverstehen) vernachlässigt bzw. in den Hintergrund gedrängt werden. 

In Bezug auf die äußerst kontrovers diskutierten Regelungen zur sog. Dauerverbleibensanordnung (§§ 1632 Abs. 4, 1696 Abs. 3 BGB-E) appelliert das DIJuF an Fachwelt und Politik, sich hier nicht in ideologischen Debatten aufzureiben, sondern eine pragmatische Lösung zu finden, die die Rechte und Interessen aller Beteiligten ausgewogen berücksichtigt. 

Stellungnahme der IGFH

Anmerkung der IGFH zum vorliegenden Gesetzesentwurf

Der vorgelegte Referent*innenentwurf wird von der IGfH und ihren Mitgliedern im Grundsatz be-grüßt und als ein diskussionswürdiger und weiterführender Vorschlag für Änderungen im SGB VIII angesehen. Der sozialpädagogische Grundgedanke des Kinder- und Jugendhilfegesetzes bleibt er-halten und die Beratungs-, Beteiligungs- und Beschwerderechte der Adressat*innen werden aus-gebaut. Wichtige Stolpersteine im Übergang ins Erwachsenenleben werden angegangen und der Einrichtungsbegriff wird geschärft, ohne familienanaloge Settings nach § 34 SGB VIII zu verunmög-lichen, wie es im Entwurf in 2017 noch angelegt war. Weiterhin begrüßen wir, dass der Grundge-danke „Hilfen aus einer Hand“ auch im Hinblick auf Leistungen einer inklusiven Kinder- und Ju-gendhilfe verfolgt wird und sich die Ansprechpartner*innen für Hilfesuchende nicht multiplizieren, sondern es mit dem Lotsenmodell eine/n Ansprechpartner*in geben soll, auch wenn die Ausformung dieser inklusiven Übergangsbegleitung noch wenig verbindlich konturiert ist.

Die IGfH verweist in diesem Zusammenhang zudem darauf, dass die Abschaffung der Regelungen zum „Vorläufigen Verfahren von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise“ (§§ 42a ff. SGB VIII) zur Reform gehört und unmittelbar nach Abgabe des Berichts an den Deutschen Bundestag bis zum 31.12.2020 umgesetzt werden muss. Das zum 01. November 2015 in Kraft getretene „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländi-scher Kinder und Jugendlicher“ hat zu einer Zwei-Klassengesellschaft innerhalb des Jugendhilfe-rechts und generell innerhalb der Jugendhilfe geführt. Die Leistungen des SGB VIII sollten allen Kin-dern und Jugendlichen uneingeschränkt zur Verfügung stehen! Sowohl die jährliche Evaluation zu den Auswirkungen des Gesetzes durch das BMFSFJ, als auch die Erfahrungen in der Praxis und die Befragung der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (umF) selbst haben mehrfach aufgezeigt, dass das Gesetz zu vielen negativen und nachteiligen Auswirkungen auf die umF und keineswegs zu einer Verbesserung der Versorgung und Betreuung geführt hat. Zudem hat es zu einem „Bürokratie-monster“ mit örtlichen, überörtlichen und Bundesverteilstellen geführt, die komplizierte Fristen und Quoten beachten müssen. Außerdem verursacht diese Bürokratie nicht unerhebliche Kosten, die als Ausgaben für direkte Hilfeleistung für die Geflüchteten wesentlich besser investiertes Geld wären.

Weiterhin steht auch das Gesetzesvorhaben zur Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Ganztages-betreuung für Kinder im Grundschulalter in Kindertageseinrichtungen aus. Zumindest landesrecht-lich muss diesen Einrichtungen der Jugendhilfe ein Rahmen garantiert werden, innerhalb dessen die Träger Bedingungen erhalten, unter denen sie qualifiziertes Personal gewinnen können. Das heißt, dass es vernünftig entlohnte und sichere Arbeitsverhältnisse geben muss, in denen Personalpla-nung, Fortbildung, Supervision etc. realistisch geleistet werden können – denn davon hängt die Qua-lität, die sich auch die Eltern wünschen, entscheidend ab. Dabei muss es um einen Rechtsanspruch auf Erziehung, Bildung und Betreuung in Tageseinrichtungen gehen, der ebenfalls im Hinblick auf ein inklusives SGB VIII ausgestaltet werden muss.

Die IGfH vermisst im vorgelegten Entwurf darüber hinaus eine rechtliche Weiterentwicklung in wei-teren Themenfeldern wie beispielsweise
• Recht auf Aufarbeitung im SGB VIII
• Gemeinsame Wohnformen nach § 19 SGB VIII für Vater/Mutter und Kind z.B. nach Inobhut-nahme (siehe auch EREV und AGJ)

Im Mai 2020 im Vorfeld der Veröffentlichung des Referent*innenentwurfes hat der Vorstand der IGfH ausführliche Bewertungskriterien für eine Reform des SGB VIII aus der Sicht der IGfH veröffentlicht, die den fachlichen Rahmen einer Einschätzung von rechtlichen Regelungen bilden (www.igfh.de/sgb-viii-reform).
Aufgrund der Fülle von auch im obigen IGfH Papier angesprochenen und breit diskutierten positi-ven Einzelregelungen spricht sich die IGfH dafür aus, dass – trotz auch kritischer Einzelaspekte – eine Verabschiedung der Gesetzesnovellierung in dieser Legislaturperiode endlich gelingen soll.