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01.11.2011
Stellungnahme

Drogenbeauftragte: Gynäkologen sollen schwangere Mädchen vor Alkoholkonsum warnen

Schätzungsweise 10.000 Kinder mit einer Form der Fetalen Alkoholspektrum-Störung (FASD) werden in jedem Jahr in Deutschland geboren. Damit ist FASD die häufigste angeborene Behinderung in diesem Land. Zu den dauerhaften Beeinträchtigungen zählen dabei Minderwuchs, körperliche Missbildungen und Schädigungen des zentralen Nervensystems.

„Untersuchungen haben gezeigt, dass 80 Prozent der schwangeren Frauen in Deutschland während ihrer Schwangerschaft Alkohol trinken“, sagte die Leiterin des Evangelischen Kinderheims Sonnenhof, Gela Becker, am Internationalen Tag des alkoholgeschädigten Kindes vergangenen Freitag in Berlin. „Dabei kann Alkohol schon in geringen Mengen ausreichen, um eine Fetale Alkoholspektrum-Störung hervorzurufen.“

Obwohl die Behinderung so weit verbreitet sei, dauere es in Deutschland lange, bis die Eltern oder Pflegeeltern der Kinder eine richtige Diagnose erhielten. „Man sieht den Kindern nicht im Gesicht an, dass sie an FASD leiden“, sagte Hans-Ludwig Spohr, Leiter des FASD-Zentrums an der Charité.

Deshalb würden sie zunächst häufig von zahlreichen Spezialisten behandelt, die die Kinder nur auf ihrem Gebiet untersuchten und häufig nicht die richtige Diagnose stellten. „Deshalb ist es so wichtig, auch in Deutschland endlich eine S3-Leitlinie für dieses Störungsbild zu erhalten“, so Spohr.

„FASD ist eine zu 100 Prozent vermeidbare Behinderung“, betonte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans. „Deshalb müssen wir versuchen, schon Mädchen über die Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft frühzeitig zu informieren.“
Dyckmans möchte erreichen, dass Gynäkologen bereits bei dem ersten Verschreiben der Antibabypille darauf hinweisen, dass Alkohol während der Schwangerschaft zu schweren Schäden des ungeborenen Kindes führen kann.

„Eine Therapie für FASD gibt es nicht“, erklärte Spohr. „Die Therapie heißt Prophylaxe. Die Prognose lebenslange Schädigung.“ Deshalb müssten Suchtberater in die Schulen gehen, um die Kinder dort aufzuklären.

Und es sei wichtig, dass Jugendämter Informationen über die leibliche Mutter der Kinder herausgeben, um eine Diagnose zu erleichtern. „Doch viele Jugendämter weigern sich mit dem Hinweis auf den Datenschutz“, kritisierte Spohr. 

„Das zentrale Ziel ist es, in Deutschland die Diagnostik zu verbessern“, sagte Diplom-Psychologin Becker. „In Deutschland fangen wir jetzt erst an, das Vollbild der Behinderung, das Fetale Alkoholsyndrom, zu definieren. Dabei sind die Unterformen von FASD viel zahlreicher und schwerer zu diagnostizieren.“ Hier sei Deutschland international Schlusslicht.

Viele Kinder mit FASD seien heute zudem nicht an den richtigen Schulen, weil ihr Intelligenzquotient als Grundlage der Einstufung in das Schulsystem herangezogen werde. „Doch der IQ ist bei FASD gar nicht entscheidend“, so Becker. 

In Deutschland gibt es zwei Zentren für FASD, eines in Münster und eines in Berlin. Doch das FASD-Zentrum an der Berliner Charité, das bislang von der Stiftung für das behinderte Kind finanziert wird, steht vor dem Aus. „In Deutschland müsste es viel mehr Spezialambulanzen zur Erkennung und Behandlung von Kindern mit FASD geben“, erklärte Becker.

„Stattdessen könnte es sein, dass in einem Land wie Deutschland die Hälfte der existierenden FASD-Zentren geschlossen wird, weil die Trägerstiftung nicht genug Spenden eingenommen hat. Das wäre  nicht nur ein Armutszeugnis für unser Land, sondern auch ein schwerer Schlag für die betroffenen Familien!“ © fos/aerzteblatt.de