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04.05.2023
Positionspapier

Die Situation von Pflegekindern erfordert schnelles Handeln. Ein Appell!

Die drei Träger PFIFF gGmbH aus Hamburg, PiB gGmbH aus Bremen und Familien für Kinder gGmbH haben ein Positionspapier erarbeitet, um einen alarmierenden Abwärtstrend der vergangenen Jahre zu stoppen. Sie schreiben dazu: "Trotz intensiver Werbung gibt es für immer mehr Kinder, die am besten in einer Pflegefamilie aufwachsen würden, immer weniger Familien. Dieser Trend muss sich umkehren!" Ihr Appell lautet: "Familien brauchen einen guten Rahmen. Pflegefamilien erst recht! Sonst zahlen Kinder den Preis und gehen leer aus."

Positionspapier und Appell 

210.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland wuchsen im Jahr 2021 außerhalb ihrer leiblichen Familie auf, rund 87.000 davon in einer Pflegefamilie. Doch schon seit 2019 sinkt die Zahl aktiver Pflegefamilien in Deutschland1 . Diese Entwicklung zeigt sich in Berlin Hamburg und Bremen, betrifft aber andere Städte und Kommunen gleichermaßen. Als Jugendhilfeträger appellieren wir deshalb an Politik und Verantwortliche: Lassen Sie uns diesen Trend umkehren.

Deutschland braucht mehr Pflegefamilien. Den Preis zahlen sonst Kinder.

Denn wo Pflegefamilien fehlen, entgeht Kindern die Chance, in der verlässlichen Geborgenheit einer zweiten Familie groß zu werden. Dabei brauchen gerade diese Kinder eine Extra-Portion an Zuwendung und Förderung – und damit die Zuversicht auf eine eigene, starke Zukunft.

Deshalb sollten die Rahmenbedingungen für Pflegefamilien modernisiert werden.

Sie passen nicht zur Lebenswirklichkeit junger Paare. Da wollen beide im Beruf stehen. Beide wollen sich die Sorge für Kinder teilen und beide zahlen in die Sicherungssysteme ein. Nicht zu vergessen die vielen Menschen, die Kindern heute alleinerziehend zur Seite stehen.

Doch das Jugendhilfesystem hat nicht Schritt gehalten mit den Erwartungen moderner Eltern.

Stattdessen müssen Pflegeeltern neben viel Aufwand mit echten Einbußen rechnen – und die Hauptbetreuungsperson oft sogar mit Altersarmut. Dies hat bereits die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGFH) mit einer Stellungnahme vom März 2023 öffentlich gemacht.

Pflegefamilien übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die nachhaltig wirkt.

Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder ein Recht auf Familie, und wo die eigenen Eltern dies nicht leisten können, ist der Staat verpflichtet, für ein behütetes Aufwachsen der Kinder zu sorgen. Dafür stellen sich Pflegefamilien in den Dienst der Gesellschaft. Sie bieten Kindern und Jugendlichen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Aber sie haben aus Sicht von Fachdiensten auch berechtigte eigene Anliegen. Diesen sollte man wertschätzend begegnen – und wirkungsvoll. Damit wieder mehr Kinder in Pflegefamilien leben können, braucht die Pflegekinderhilfe moderne Rahmenbedingungen.  

Mit Pflegekindern zu leben ist für alle wichtig. -  Wir schlagen deshalb sieben wichtige Sofortmaßnahmen vor: 

1. die Zahlung von Elterngeld oder elterngeldanalogen Leistungen an Pflegeeltern 

2. eine deutliche Anhebung des Erziehungskostenanteils in der Pflegegeldpauschale

3. eine angemessene Neuberechnung der Sachkosten

4. angemessene Beiträge zur Altersvorsorge von Pflegepersonen

5. Entlastungsangebote für Pflegefamilien

6. garantierte Kindertagesbetreuung

7. eine Wertschätzung von Pflegeeltern als unverzichtbare Partner der Jugendhilfe.

Diese Sofortmaßnahmen machen die Aufgabe als Pflegefamilie attraktiver und entlasten zugleich die durch den Fachkräftemangel angespannte Situation in den Einrichtungen der Jugendhilfe nach § 34 SGB VIII, indem dort Personal und Plätze frei werden.

Zu den Sofortmaßnahmen im Einzelnen:

Zahlung von Elterngeld oder elterngeldanalogen Leistungen

Es gibt keinen guten Grund, Pflegeeltern das Elterngeld zu verweigern. Elterngeld ist per Definition ein Ausgleich für konkrete Nachteile in der Frühphase der Familiengründung und somit eine elternbezogene, zeitlich befristete Entgeltersatzleistung. Kommt ein Pflegekind neu in die Familie, muss der Elternteil, der das Kind hauptsächlich betreut, Zeit für das Kind haben, um es zu stabilisieren und in der Familie ankommen zu lassen. Dieser Aufwand ist auszugleichen - wie in einer Familie, bei der leibliche Kinder neu hinzukommen.

Anhebung des Erziehungskostenanteils in der Pflegegeldpauschale

Der Erziehungskostenanteil in der Pflegegeldpauschale beträgt laut Empfehlung des Deutschen Vereins 275 Euro/Monat. Doch sind Pflegeeltern rund um die Uhr im Einsatz für die Kinder. Dieses private Engagement im öffentlichen Auftrag muss aufgewertet werden. Eine Verdoppelung des Erziehungskostenanteils wäre angemessen und läge weiterhin deutlich unter den Ausgaben für die Betreuung in einer Einrichtung der Jugendhilfe gemäß § 34 SGB VIII.

Neuberechnung der Sachkosten in der Pflegegeldpauschale

Die Sachkosten müssen den tatsächlichen Ausgaben für gestiegene Mieten, Energiekosten und der Inflation angepasst werden.

Angemessene Beiträge zur Altersvorsorge von Pflegepersonen

Pflegeeltern erwerben durch die Betreuung eines Pflegekindes nicht automatisch einen Rentenanspruch. Das bedeutet: obwohl sich Pflegeeltern in den Dienst der Gesellschaft stellen und eine öffentliche Aufgabe übernehmen, die in Teilen zu einem Einkommensverlust führen können, sollen sie wie Selbstständige und Freiberufler*innen selbst für ihre Rente sorgen. Der Staat leistet nur einen sehr geringen Zuschuss.  

Entlastungsangebote für Pflegefamilien

Die Aufgabe als Pflegefamilie ist häufig sehr herausfordernd und kann bestehende familiäre Strukturen an ihre Grenzen bringen. Ein Scheitern des Pflegeverhältnisses würde zu einem neuerlichen Beziehungsabbruch für das Pflegekind führen. Deshalb muss es ein Anliegen und ein Auftrag der Jugendhilfe sein, Pflegefamilien unbürokratisch Entlastungsangebote zur Verfügung zu stellen, um das Pflegeverhältnis langfristig zu stabilisieren.

Garantierte Kindertagesbetreuung

Viele Pflegekinder benötigen aufgrund ihrer Vorgeschichte eine intensive Betreuung durch die Pflegeeltern. Um die Familien in der herausfordernden Aufgabe zu unterstützen und die gesellschaftliche Teilhabe der Kinder angemessen zu fördern, sind entsprechende Platzgarantien unerlässlich.

Wertschätzung der Pflegeeltern als unverzichtbare Partner der Jugendhilfe

Pflegeeltern werden zu Expert*innen für die Kinder. Sie leben 24 Stunden am Tag mit ihnen, kennen ihre Einschränkungen und Bedarfe. Deshalb sollten Pflegeeltern als unverzichtbare Partner*innen im Hilfeprozess stärker einbezogen werden und darüber hinaus für ihre für die Gesellschaft so wichtige Arbeit eine angemessene Wertschätzung erhalten.

Familien für Kinder gGmbH, Berlin (https://www.pflegekinder-berlin.de/) Peter Heinßen (Geschäftsführer), heinssen@familien-fuer-kinder.de

PFIFF gGmbH Pflegekinder und ihre Familien, Hamburg (https://www.pfiff-hamburg.de/) Sorina Miers (Geschäftsführerin), Sorina.Miers@pfiff-hamburg.de und Michael Gehrdau (Geschäftsführer), Michael.Gehrdau@pfiff-hamburg.de

PiB - Pflegekinder in Bremen gemeinnützige GmbH (https://www.pib-bremen.de/) Judith Pöckler-von Lingen (Geschäftsführerin), j.poeckler-vonlingen@pib-bremen.de 

Zur Durchsetzung dieser Sofortmaßnahmen wird dringend Unterstützung gebraucht. Die drei Träger der Pflegekinderhilfe möchten mit Vertreter*innen aus Politik, Amt, Behörde, Verbände und anderen Beteiligten in Kontakt kommen und gemeinsam in einem Gespräch im Sommer (August /September) diese Sofortmaßnahmen erörtern und auf den Weg bringen.