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08.01.2010
Politik

Justizministerin: Vormund darf Kind nicht nur aus Akten kennen

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zu verbessertem Kinderschutz durch beabsichtigte Änderungen im Vormundschaftsrecht:

Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 8.1.10

Kinder sind die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Nicht jedes Kind hat das Glück, in der eigenen Familie Schutz und Fürsorge zu erfahren. Schreckliche Fälle von Kindesvernachlässigung sind unvergessen. Änderungen im Vormundschaftsrecht können dazu beitragen, Missbrauch und Vernachlässigung zu verhindern.

Wird Eltern das Sorgerecht entzogen, übernimmt ein Vormund die volle Verantwortung für das Kind. In drei von vier Fällen liegt die Vormundschaft beim Jugendamt als "Amtsvormund". Wer Verantwortung für Kinder trägt, darf seine Schützlinge nicht nur aus Akten kennen. Ein direkter Draht zum Kind und Einblicke in das persönliche Umfeld sind unverzichtbar, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwenden. In der Praxis muss ein Amtsvormund in vielen Fällen bis zu 120 Kinder gleichzeitig im Blick haben, bei Kevins Vormund in Bremen waren es mehr als 200. Der persönliche Kontakt ist oft nicht mehr möglich.

Wir wollen den persönlichen Kontakt ausdrücklich im Gesetz verankern. Der Vormund soll seine Mündel regelmäßig treffen, möglichst jeden Monat. Mindestens ein Mal im Jahr soll er dem Familiengericht nicht nur über persönliche Verhältnisse des Kindes, sondern auch über den Umfang des persönlichen Kontakts berichten. Die Familiengerichte sollen die Erfüllung der Kontaktpflicht überwachen. Damit gerade Amtsvormünder genug Zeit für den persönlichen Kontakt haben, sollen sie sich maximal um 50 Kinder kümmern.

Den jetzt geplanten Regelungen zum persönlichen Kontakt soll eine umfassende Modernisierung des Vormundschaftsrechts folgen. Die Grundkonzeption stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Viele Vorschriften müssen aktuellen Verhältnissen angepasst werden.

Zum Hintergrund:

Ein Vormund wird nicht nur für Waisen, sondern auch bestellt, wenn das Familiengericht den Eltern ihr Sorgerecht z.B. wegen akuter Kindeswohlgefährdung entzieht. Der Vormund ist dann an Stelle der Eltern zur umfassenden Sorge für Person und Vermögen des Kindes verpflichtet. In der Vergangenheit kam es auch bei bestehender Vormundschaft wiederholt zu Kindesmisshandlungen und Vernachlässigungen durch Pflegepersonen.

Eine mögliche Ursache ist der oftmals fehlende persönliche Kontakt zwischen Vormund und Mündel. In der Praxis übernehmen zumeist Mitarbeiter des Jugendamtes die Vormundschaft als Amtsvormund. Da ein einziger Amtsvormund häufig bis zu 120 Kinder betreut, kennt er seine Mündel oft kaum persönlich und kann daher seiner Verantwortung nicht gerecht werden. Hätte beispielsweise der Amtsvormund im Fall Kevin regelmäßigen persönlichen Kontakt und Einblicke in das persönliche Umfeld gehabt, hätte er seine Kontrollfunktion besser wahrnehmen und das Unglück möglicherweise vermeiden können.

Ein vom Bundesjustizministerium erarbeiteter Referentenentwurf sieht deshalb vor:

  • Ein ausreichender persönlicher Kontakt des Vormunds mit dem Mündel wird ausdrücklich im Gesetz verankert.
  • Die Pflicht des Vormunds, Pflege und Erziehung des Mündels zu beaufsichtigen, wird im Gesetz stärker hervorgehoben.
  • Die Frage des persönlichen Kontakts wird in die jährliche Berichtspflicht des Vormunds gegenüber dem Familiengericht aufgenommen.
  • Die Aufsicht des Familiengerichts über die Amtsführung des Vormunds wird ausdrücklich auf die Erfüllung der Kontaktpflichten erstreckt.
  • Die Fallzahlen in der Amtsvormundschaft werden auf 50 Vormundschaften für jeden Vollzeitmitarbeiter begrenzt.

Bei der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg hat die Bundesregierung dem Vorschlag der Bundesjustizministerin zugestimmt, den persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Mündel zu stärken und dazu einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Mittlerweile liegt der Referentenentwurf vor. Momentan haben Länder und Verbände die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Zusätzlich zu dem aktuellen Gesetzgebungsvorhaben ist im zweiten Schritt eine Gesamtreform des Vormundschaftsrechts beabsichtigt. Die Grundkonzeption des Vormundschaftsrechts stammt aus dem 19. Jahrhundert und bedarf daher in vielen Bereichen der Anpassung an die aktuellen Rechts- und Lebensverhältnisse. Ein Gesetzesentwurf soll im Laufe der Legislaturperiode erarbeitet werden.

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