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Gastfamilienkonzept ist erwachsen
JuMeGa - Anbieterverbund verabschiedet Geschäftsordnung
„Junge Menschen, die in ihren Familien oder stationären Jugendhilfesettings an Grenzen stoßen und dort nicht mehr leben können bzw. die psychisch erkrankt oder beeinträchtigt sind, werden im Rahmen von JuMeGa in Gastfamilien betreut. Das Konzept, das ursprünglich aus der Erwachsenenpsychiatrie heraus entwickelt wurde , erhält inzwischen mehr Bedeutung und Nachfrage. Dies ist der Grund, dass die Anbieter von JuMeGa in Deutschland und Österreich sich mit JuMeGa und dessen Bedeutung für die aktuellen jugendhilfepolitischen Themen auseinandergesetzt haben. Dazu hat der Anbieterverbund jetzt eine Geschäftsordnung verabschiedet und beschlossen, die Wirkfaktoren des Konzeptes genauer untersuchen zu lassen.“
Entwickelt wurde das Konzept JuMeGa (Junge Menschen in Gastfamilien) 1997 von Arkade e.V. in Ravensburg. JuMeGa hatte das Ziel, den „Drehtür-Effekt“ vieler Jugendlicher zu beenden, die zwischen Psychiatrieaufenthalten und der Unterbringung in Jugendhilfe pendelten. Die Idee des Konzeptes ist, diese jungen Menschen in ganz „normalen“ Familien – Gastfamilien – unterzubringen. Die Erfahrung zei9gt, dass JuMeGa ein sehr tragfähiges Konzept ist und nicht – wie von Kritikern behauptet – eine Eintagsfliege in der Landeschaft der Jugendhilfe und Gemeindepsychiatrie.
Nach 18 Jahren erprobter Praxis ist JuMeGa gewissermaßen „erwachsen“ – im wahrsten Sinne des Wortes- geworden. JuMeGa ist längst über die Grenzen von Ravensburg und Baden-Württemberg hinaus bekannt. Aktuell gibt es 13 Träger, die sich den Qualitätsstandards von JeMeGa verpflichtet haben und nach dem Konzept arbeiten. Regionale Schwerpunkte sind dabei Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Aber auch im Saarland, Bayern und Österreiche gibt es JuMeGa-Anbieter. Und die Trägerlandschaft ist vielfältig. Unter den Anbietern sind Einrichtungen der Gemeindepsychiatrie, Jugendhilfeträger und Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter). Insgesamt werden aktuell fast 400 junge Menschen durch JuMeGa betreut.
Auf dem diesjährigen bundesweiten Treffen des JuMeGa-Anbieterverbundes am 22. Und 23. April in Bochum haben sich die Träger nun einer Verbandsstruktur gegeben. Es hat sich gezeigt, dass die zunehmende Akzeptanz und die Verbreitung des Konzeptes einer Vernetzung und Vertretung der Träger sowohl nach innen als auch nach außen bedarf.
Der JuMeGa-Anbieterverbund hat das Zeit, die Qualität des Konzeptes weiter zu entwickeln und das Konezpt in der (Fach)Öffentlichkeit zu vertreten und zu stärken. Die Anbieter verabschiedeten auf ihrer Tagung somit eine Geschäftsordnung, die wichtige Grundlagen für eine bundesweite Vertretung setzt.
In drei Arbeitsgruppen wurden aktuelle Schwerpunkte und deren Bedeutung für JuMeGa diskutiert:
Am Milieu orientierte Gastfamilien
Gastfamilien, die junge Menschen bei sich aufnehmen, müssen keine professionelle Ausbildung vorweisen. Die jungen Menschen profitieren erwiesenermaßen von der Alltagserfahrung und –kompetenz der Familien. Dabei zeigt sich, dass Familien, die von ihrer Struktur und ihren Lebensbedingungen eine Nähe zum Milieu der jungen Menschen aufweisen, für diese oft besonders tragend und entwicklungsfördernd sind. Barbara Roth (Arkade e.V. Ravensburg): „Es geht uns bei JuMeGa nicht darum, die Gastfamilien zu professionalisieren – dies ist oft eine Forderung, die Jugendämter oder Kritiker aus dem Pflegekinderwesen an uns herantragen. Die Gastfamilien haben ihre ganz eigene Kompetenz.“
Mit einer professionellen und intensiven Beratung durch die JuMeGa-Fachdienste können Gastfamilien individuell und situationsbezogen unterstützt werden. Damit wird JuMeGa der Forderung von Prof. Dr. Klaus Wolf (Universität Siegen) gerecht, der betont, dass nicht die Pflegefamilien zu professionalisieren sind, sondern die Fachkräfte, die die Pflegefamilien begleiten, besonders für ihre Aufgabe zu qualifizieren sind.
Familien, die selbst Brüche und Krisen in ihrem Leben bewältigt haben, können einen jungen Menschen meist sehr gut verstehen und seine als auffällig oder bizarr erlebte Verhaltensweisen oft gut aushalten. Genau diese Vielfalt unterschiedlicher Lebensmodelle ist für die Umsetzung und eine passgenaue Unterbringung der jungen Menschen für JeMeGa wichtig. Gleichsam sind sich die Anbieter einig, dass bei der Auswahl der Gastfamilien darauf zu achten ist, dass keine Gefährdung für das Wohl der jungen Menschen in der Familie vorliegt.
JuMeGa für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF)
Eine zweite Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit JuMeGa und der Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF). Es gibt bereits erste Erfahrungen mit UMFs in Gastfamilien. JuNeGa kann durchaus ein passendes Hilfsangebot für diese jungen Menschen sein. Insbesondere dann, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, die polytraumatische Erfahrungen gemacht haben oder aufgrund von Mangelerlebnissen stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind.
Die Flüchtlinge können sehr von der Lebens- und Alltagserfahrung der Gastfamilien profitieren, wenn diese einen sicheren wohltuenden Raum für die jungen Menschen bilden. Es zeigt sich aber auch, dass die intensive Begleitung durch den JuMeGa-Fachdienst unabdinglich ist, um die Gastfamilien bei ihrer sehr anspruchsvollen Aufgabe zu unterstützen und sie professionell zu beraten. Zudem sind viele rechtliche und administrative Aufgaben zu bewältigen, die in vielen anderen Hilfssystemen oft gar nicht zu leisten sind. In einzelnen Fällen könnte der Betreuungsschlüssel von 1:8 – der Mindeststandard für die JuMeGa-Fachdienste – zumindest in der Anfangszeit für die nötige Betreuung nicht ausreichen und müsste dann einzeln verhandelt werden.
Evaluation und Ausblick
Nach 18 Jahren JuMeGa-Erfahrung und mehr als 1.000 jungen Menschen, die durch JuMeGa inzwischen betreut wurden, besteht mittlerweise ein besonderes Interesse, die Wirkfaktoren von JuMeGa differenzierter zu evaluieren.
Erik Michael Nordmann hat 2011 bereits in seiner Dissertation Jugendliche, die nach einer stationären psychiatrischen Behandlung in Gastfamilien betreut wurden mit Jugendlichen, die in einer stationären Jugendhilfemaßnahme gingen, verglichen. Die Studie legt dar, dass es hinsichtlich des primären „Erfolgs“ von Hilfemaßnahmen und der Kennzeichnung der Zielgruppe auf der empirischen Ebene wenig Unterschiede gibt. Es stellte sich jedoch heraus, dass die jungen Menschen in Gastfamilien in signifikant höherem Maße zufrieden mit der Maßnahme waren und den Aufenthalt in einer Gastfamilie weiter empfehlen würden. Auch stellte sich heraus, dass die Beziehungen zur Gastfamilie nach Beendigung der Maßnahme hochsignifikant stabiler und intensiver waren als bei der Vergleichsgruppe.
Die Dissertation von E.M.Nordmann können Sie hier auf der Webseite der Uni Ulm lesen.
Die JuMeGa-Anbieter wollen nun mehr darüber erfahren, was genau die Wirkfaktoren für das Gelingen des Konzeptes sind, um das JuMeGa weiter qualifizieren zu können und auch einen schärferen Blick für die Auswahl einer möglichst passgenauen Gastfamilie und der Begleitung der Betroffenen zu erhalten. Dazu will der Anbieterverbund nun auf interessierte Hochschule zugehen und ein Forschungskonzept entwickeln.
Wolfgang Broer
Junikum-Gesellschaft für Jugendhilfe und Familien mbH
45739 Oer-Erkenschwick, Schillerstraße 1
Internet: www.junikum.de