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Interview zum neuen Adoptionskonzept des Jugendamtes Mülheim/Ruhr
Themen:
I.: In Mülheim an der Ruhr gibt es seit Januar 2013 eine Konzeption zur Adoption. Was ist das Besondere daran?
R.: Vor Erstellung der Konzeption stand die Entscheidung der Stadt Mülheim an der Ruhr zwei Planstellen schwerpunktmäßig für die Adoptionsvermittlungsstelle einzurichten. So hatten wir die Möglichkeit, auch inhaltlich die Adoptionsvermittlung in Mülheim an der Ruhr weiter zu entwickeln. Fachlich begleitet wurde der Prozess von Frau Henrike Hopp als Fachfrau für Pflege und Adoption sowie von den KollegInnen aus dem Bereich Dauerpflege der Stadt Mülheim an der Ruhr.
I.: Was sind denn die herausstechendsten Dinge in dieser Konzeption?
R.: Das Herausstechendste ist, dass es nun eine Konzeption zur Adoptionsvermittlung in Mülheim an der Ruhr gibt.
Die Ausbeute meiner vorgelagerten Internetrecherche war sehr sparsam, was Konzeptionen zur Adoptionsvermittlung angeht.
Unsere Konzeption zur Adoptionsvermittlung haben wir dann auf der Grundlage der Empfehlungen der Landesjugendämter erstellt, so dass sie inhaltlich und fachlich abgesichert ist. Wir haben die Gelegenheit genutzt, die für Mülheim besonderen Dinge festzuschreiben und die Konzepte in den verschiedenen Ausschüssen der Stadt Mülheim an der Ruhr präsentieren können.
Besonders wichtig war uns hier der § 9 Adoptionsvermittlungsgesetz. Er besagt, dass Adoptiveltern und Adoptierte nach Abschluss der Adoption einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung haben. Das, so weiß ich aus meiner Zusammenarbeit mit anderen Kollegen, können andere Kommunen aufgrund verschiedener Aspekte nicht vorhalten. Wir haben dies konzeptionell festgeschrieben, um zukünftigen Adoptiveltern die Möglichkeit zu geben, sich nicht nur zu bewerben um Eltern zu werden, sondern um auch die fachliche Unterstützung zu erhalten, die diese etwas andere Form von Elternschaft auch über den Adoptionsabschluss hinaus oft braucht.
I.: Wenn ich das richtig verstehe, unterscheidet sich das kaum von der Nachbetreuung bei einer Vollzeitpflege.
R.: Im Wesentlichen nicht. Der Unterschied ist natürlich, dass Pflegeeltern zur Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe verpflichtet sind. Adoptiveltern nehmen Beratung rein freiwillig in Anspruch.
I.: Können Sie schon was dazu sagen, wie das Angebot angenommen wird oder wie es in andern Städten angenommen wird?
R.: Hier in der Region kenne ich keine Stadt, die das so anbietet. Im Rahmen meines Aufgabengebietes betreue ich 25 Familien nach abgeschlossener Adoption.
Zusätzlich startet Ende dieses Monats der vierteljährliche Treff für Adoptiveltern. Diese Treffen haben auch Selbsthilfecharakter. Zudem werden wir im Herbst dieses Jahres eine Bewerberschulung für Adoptiveltern anbieten.
I.: Und was glauben Sie, was das Wichtigste ist, was diese Familien brauchen - die Kinder und ihre Eltern? Wieso fehlte das?
R.: Was mir in den Gesprächen deutlich wurde war, dass Adoptiveltern sich in den gemeinsamen Veranstaltungen mit Pflegeeltern mit ihren Themen oft zurück nahmen, weil sie die Themen der Pflegefamilien als problematischer bewertet haben. Das waren Themen wie Gerichtsverfahren, Umgangskontakte, Ärger mit dem Jugendamt, Geldangelegenheiten und so weiter. Die Rückmeldungen der Adoptiveltern heute ist: Ja, das ist gut, dass wir auch mit anderen zusammen sein können, die eine ähnliche Familie sind wie wir. Dass wir nicht alleine sind, dass wir Menschen haben, die diese emotionale Belastung - die dieses Thema mit sich bringen kann - teilen können, z.B. Angst vor der Einschulung, der Pubertät, der Biographiearbeit. Wird mein Kind mit seiner Vorbelastung das schaffen? Wie gehe ich mit der Lehrerin zum Thema Adoption um? Wie gehe ich damit um, wenn das Kind Probleme hat mit dem Anderssein in unserer Familie, mit seiner anderen Optik? Wir haben die Hoffnung, wenn wir die Menschen gleicher Interessenlagen zusammenbringen können wir sie durch diese Treffen auch unterstützen.
I.: Haben sie den Eindruck, dass viele Adoptivkinder auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern sind?
R.: Ich würde sagen die meisten. In den Familien erlebe ich häufig, dass ein Geschwister-Adoptivkind ganz aktiv sucht und das andere Geschwister-Adoptivkind zurückhaltend bleibt. An Einzelkinder, die gar nicht suchen, kann ich mich nicht erinnern.
I.: Haben Sie den Eindruck, dass es für die Kinder eine wirkliche dringende Angelegenheit ist? Dass es wichtig ist, sie da zu unterstützen?
R.: Ja.
I.: Wenn dieser erste Kontakt zustande gekommen ist, wie geht es dann in der Regel weiter? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
R.: Das kann sehr unterschiedlich sein. Ich habe erlebt, dass es bei dem einen Termin geblieben ist. Die Betroffenen fanden das gut und richtig so. Ziel führend für die Adoptierten ist immer: Ich will meine leiblichen Eltern mal gesehen. Ich will selber fragen warum ich nicht bei ihnen bleiben konnte. Ich will mir selber eine Bild machen. Am Anfang kriegen die Kinder dies von den Adoptiveltern erklärt, später fragen sie dann auch uns als Adoptionsvermittler. Um zu ihrer eigenen Identität zu kommen wollen sie ihre leiblichen Eltern aber selber fragen und selber bewerten. Sie wollen sich ihr eigenes Bild machen.
In einigen wenigen Fällen hat es weitere Kontakt gegeben, aber die emotionale Intensität ist bei weitem nicht so wie viele Adoptiveltern das vermuten.
I.: Haben Sie es erlebt, dass Adoptivkinder sich Sorgen machen, ihren Adoptiveltern zu sagen, dass sie sich jetzt auf die Suche machen wollen. Haben sie es dann auch manchmal „heimlich“ getan?
R.: Seitdem wir im Rahmen der Nachgehenden Hilfe halbjährliche Kontakte mit den Familien haben (seit ca. 10 Jahren), hat kein Adoptivkind heimlich zu uns Kontakt aufgenommen. Ich habe zum Beispiel jetzt mit einer 16-Jährigen gearbeitet, die mich schon ganz oft im Hausbesuch gefragt hat, wie das damals bei ihr war. Kürzlich bekam ich eine e-mail in der sie mich bat in mein Büro kommen zu können. Sie hatte zuvor mit ihren Eltern gesprochen und ihnen gesagt, sie wolle mit mir einmal alleine sprechen. Die junge Frau hat im Termin alle Informationen zu ihrer Herkunft aufgeschrieben und dann gesagt, es sei gut, dass sie das jetzt mitnehmen kann. Ich habe danach noch mal mit den Eltern telefoniert und sie meldeten zurück, sie seien ein bisschen irritiert gewesen hätten.
Die suchenden Adoptivkinder, die um die 30 sind sagen mir, dass sie ihre Adoptiveltern nicht über den Termin informiert haben. Der Gedanke, der auf Nachfrage formuliert wird ist, dass sie Angst haben sie mit ihrer Suche zu verletzen.
Ich glaube, dass hat auch was mit der damals noch fehlenden Transparenz der Adoptionsvermittlung zu tun.
I.: Können Sie etwas zu den Zahlen, zu den Veränderungen in den letzten Jahren sagen? Gibt es Erklärungen, warum es relativ wenig Adoptivbewerber und relativ wenig Adoptionen gibt?
R.: Das, was wir wissen ist, dass deutschlandweit die Geburtenzahlen rückläufig sind. Daraus lässt sich schließen, dass immer weniger Menschen Familie leben möchten. Das betrifft dann auch Kinder für die wir Adoptiveltern suchen.
Was vielleicht auch eine Rolle spielt ist, dass Bewerber heute von den Vermittlungsstellen umfänglich über die möglichen Probleme die aus der Adoption erwachsen können informiert werden.
Das soll bei dem ein oder andern auch dazu geführt haben, dass er sich dann gegen die Aufnahme eines Adoptivkindes entschieden hat.
I.: Wäre es in Ihrem Sinne, dass mehr Dauerpflegekinder adoptiert würden?
R.: In der neuen Arbeitssituation können wir uns jetzt auch um Pflegekinder kümmern, bei denen die juristische Umsetzung der Adoption aufwendig ist. Ich führe in diesem Monat bereits das dritte Einwilligungsersetzungsverfahren durch. Den zeitlichen Spielraum für solche Verfahren hatte ich zuvor nicht.
Für Pflegekinder stellt die Adoption die „größtmögliche familiäre Kontinuität auch über die Kindheit hinaus dar“. Sie schweißt Eltern und Kind juristisch zusammen. Eine Trennung dieser Beziehung ist juristisch nicht mehr möglich. Und das wäre für mich - wo möglich oder wo auch angeraten - immer das Ziel.
I.: Aber es ist so, dass immer noch relativ wenig leibliche Eltern mit einer Adoption einverstanden sind oder wie ist da ihre Erfahrung?
R.: Wenn sie einverstanden wären, müssten wir am Anfang kein Pflegeverhältnis daraus machen. Das heißt, wir arbeiten in der Adoptionsvermittlung vielfach auch mit Kindern die als Pflegekinder mit dem Ziel der späteren Adoption vermittelt werden. Diese Fälle werden in der Adoptionsvermittlungsstelle bearbeitet. Damit wird für alle Beteiligten klar, wo es hingehen soll. Ein sechs Wochen altes gesundes Baby ohne tatsächlichen Bezug zur den leiblichen Eltern in Dauerpflege zu belassen, ist meines Erachtens fachlich nur selten zu vertreten. Es gibt viele Kinder, bei denen am Anfang eine Adoption nicht umsetzbar ist und man das Leben einfach laufen lassen muss, um dann die Fakten zu haben, die dann für das Ersetzungsverfahren relevant sind.
I.: Vielen Dank für das Gespräch.
Interview vom 17.3.14 mit Andrea Rumswinkel, seit 16 Jahren Sozialarbeiterin im Kommunalen Sozialen Dienst der Stadt Mülheim an der Ruhr im Bereich Adoption und Familiäre Bereitschaftsbetreuung.
Das Interview führte Ricarda Hartwich-Reick.