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Der Hilfeplan
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Das Bundesfamilienministerium erläutert zum Hilfeplan auf seiner Webseite folgendes: (auszugsweise)
Nach § 36 (2) 1 SGB VIII soll die Entscheidung über die Hilfeart im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden, wenn eine Hilfe zur Erziehung voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist. Münder geht hierbei von einem Zeitraum der Hilfeleistung für mindestens drei Monate aus (Münder u.a. 1993, S. 287). Den Erläuterungen des Gesetzgebers zum § 36 SGB VIII zufolge sollen Entscheidungen im Falle einer Hilfe zur Erziehung nicht mehr allein durch die fallverantwortliche Fachkraft, sondern im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte und - soweit davon tangiert - auch mit Fachkräften aus unterschiedlichen Disziplinen getroffen werden [...] § 36 SGB VIII verpflichtet zur Beteiligung von Personen, Diensten oder Einrichtungen an der Entwicklung und Fortschreibung des Hilfeplans, soweit diese bei der Durchführung der Hilfe(n) tätig werden.
Im gemeinsamen Aushandlungsprozeß der Hilfeplanerstellung sollen Entscheidungen über den erzieherischen Bedarf, die Art der Hilfe(n), die damit verbundenen notwendigen Leistungen und die voraussichtliche Dauer der Hilfe(n) getroffen werden. Die während dieses Verfahrens verabschiedeten Entscheidungen müssen in der Folge in festzulegenden Intervallen auf ihre Eignung und Notwendigkeit überprüft werden.
Schellhorn und Wienand betonen in diesem Kontext: "Keinesfalls darf ein 'starres Festhalten' am Plan erfolgen, da der Plan der Entwicklung und Dynamik des Erziehungsprozesses beweglich entsprechen muß" [...] Diese Vorgabe zur verpflichtenden Hilfeplanfortschreibung entspricht ganz den Erfahrungen qualifizierter Jugendhilfepraxis, denn die jeweiligen Entwicklungen im Betreuungsverlauf sind zu Beginn der Hilfe und oft auch in den folgenden Betreuungsphasen nur bedingt erkennbar. Darüber hinaus zeigt sich in diesem Zusammenhang die Hilfeplanregelung auch als ein geeignetes Instrument zur fachlichen Selbstkontrolle und Selbstevaluation der beteiligten Professionalebenen [...]
Schellhorn und Wienand weisen - wie auch andere Kommentatoren dieser Norm - nachdrücklich auf die Gefahr einer Formalisierung des Hilfeplanverfahrens hin: "Sinn der Verpflichtung zur Aufstellung eines Hilfeplanes ist es nicht, einen formellen und theoretischen Plan für die Akten zu erstellen, sondern vor allem auch einen gewissen Zwang zur Darlegung der Situation des Falles, der vorgesehenen Maßnahmen und der Dauer der Hilfe auszuüben" [...] Der Hilfeplan ist "weniger ein Schriftstück zum Abheften in den Akten", sondern stellt ein "fortlaufendes Protokoll eines die Hilfegewährung begleitenden Diskussions- und Aushandlungsprozesses dar" (Späth 1992, S. 154).
Hilfeplanung für eine mögliche Vollzeitpflege
Eine Hilfeplanung bedeutet, dass die beratende Sozialarbeiterin mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder Jugendlichen überlegen muss, welche Hilfe denn nun geeignet und notwendig wäre. Nun gehen wir davon aus, dass die beratende Sozialarbeiterin, der Personensorgeberechtigte und das Kind oder Jugendliche in der Unterbringung in Vollzeitpflege eine gute Lösung der Probleme sehen würden. Die Sozialarbeiterin wird dann den fachlich fundierten Vorschlag einem Fachteam ihres Jugendamtes vorgelegen, welches nun entscheiden muss, ob diese Art der Hilfe zur Erziehung, also die Unterbringung in einer Vollzeitpflege, auch wirklich geeignet und notwendig ist. Aufgrund fachlicher Einschätzungen anhand der Lebensgeschichte und Befindlichkeit des Kindes (psychosoziale Diagnose), der Situation in der Herkunftsfamilie und der sich daraus ergebenden möglichen Prognosen muss entschieden werden, warum das Kind in einer Pflegefamilie untergebracht werden soll und weswegen eine andere Form der Hilfe zur Erziehung nicht angemessen wäre.
Beispiele aus der Praxis
Aus dem Konzept der Vollzeitpflege des Jugendamtes Düsseldorf
Hilfeplanverfahren
- Die Federführung für dieses Verfahren liegt grundsätzlich bei dem Bezirkssozialdienst.
- Das Hilfeplanverfahren begleitet die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie langfristig.
- Es dient der Planung der Hilfe und der Fachkontrolle.
- Es wird in Form von Fachgesprächen und Hilfeplangesprächen durchgeführt.
- Aus dem Hilfeplan ergibt sich die Zielvorgabe für die Hilfe in der Pflegefamilie.
Fachgespräch
- Das Fachgespräch findet zwischen verantwortlichen Fachleuten statt.
- Es werden Prognosen zu dem zukünftigen Verlauf der Hilfe erstellt und Überlegungen zu dem individuellen Bedarf des Kindes oder der Familie an Hilfen getroffen.
Hilfeplangespräch
- Im Hilfeplangespräch verständigen sich die Beteiligten (Eltern, Vormund, Pflegeeltern, Sozialdienst, evtl weitere Fachleute, Fachdienst Pflegekinder) über den Stand der Hilfe. Es werden Ziele formuliert, an denen sich die weitere Hilfe für das Kind orientiert.
- Die Beziehungs- und Bindungsabläufe des Pflegeverhältnisses bilden eine wichtige Grundlage für die weitere Planung.
Aus der "Fachanweisung Pflegekinderdienst" des Senates Hamburg
Durch das gemeinsame Handeln der Fallführenden Fachkraft im ASD und dem Pflegekinderdienst unter Einbeziehung der Pflegeeltern und Pflegekinder soll eine Hilfeplanung sichergestellt werden, in der die Perspektive zwischen Rückkehr in die Herkunftsfamilie und Sicherung des neuen Lebensortes in Vollzeitpflege rechtzeitig getroffen und im Hilfeverlauf gestützt wird.
Bei auf Dauer angelegten Pflegeverhältnissen hat die Unterstützung und Sicherung der Bindung zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern im Hilfeverlauf hohe Priorität.
Frühe Beratung
Im § 36 Absatz 1 Satz 1 SGB VIII heißt es:
Die Personensorgeberechtigten und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen.
Diese im Gesetz benannte ‚frühe Beratung‘ stellt die Weichen sowohl innerhalb eines Amtes als auch in der Beziehung der Beteiligten zueinander.
Hier sind die Eltern darüber zu beraten, dass sie einen Anspruch auf Hilfe zur Stabilisierung ihrer Lebenssituation haben, damit nach dieser Stabilisierung das Kind wieder zu ihnen zurückkehren kann. Es ist jedoch überaus wichtig, den Eltern zu verdeutlichen, dass diese Hilfe eine zeitliche Begrenzung hat und dass ihre Stabilisierungsbemühungen in „einem für das Kind vertretbaren Zeitraum“ erfolgreich abgeschlossen sein müssen. Eine Aufklärung der Herkunftseltern darüber, wie sich ein Kind in einer Pflegefamilie entwickeln wird (besonders in der Frage der Bindung) und was diese Entwicklung für sie als Eltern bedeuten wird, ist daher von elementarer Bedeutung.
Deutlichkeit und Klarheit in der Information bis hin zu Erläuterungen rechtliche Positionen sind unabdingbar. So ist auch deutlich zu machen, dass Eltern ohne Sorgerecht einfach eine andere Position haben als Eltern mit Sorgerechten. Es muss klar sein, dass Kinder mit Vormündern andere ‚Entscheider’ haben.
Art und Umfang der Beratung muss sich an den Gegebenheiten der Familie und den Bedürfnissen und dem Schutz eines Kindes orientieren. Es ist notwendig, dass Eltern erfahren, dass in unserer Gesellschaft das Wohl ihres Kindes Vorrang hat vor ihrem eigenen Wohl und ihren eigenen Bedürfnissen. Es ist erstrebtes Ziel, beide Bedürfnisse aufeinander abzustimmen, aber die Bedürfnisse der Eltern können nicht auf Kosten der Bedürfnisse von Kindern gehen.
Prognose des Jugendamtes bei dem Angebot einer Vollzeitpflege
Um eine für das Kind gute Entscheidung im Fachteam treffen zu können, muss es eine Prognose der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes zu der Frage geben, welche zukünftige Entwicklung sie sieht. Schaffen die Eltern in dem für das Kind vertretbaren Zeitraum eine stabile Veränderung ihres Erziehungsverhaltens oder schaffen sie das eher nicht? Welche Hilfen wird man ihnen an die Seite geben, damit sie es schaffen könnten – und wie werden die Eltern voraussichtlich auf diese Hilfsangebote reagieren?
Die Prognose des Jugendamtes beruht auf Wissen und Einschätzung über:
- Die bisherigen Geschehnisse in der Familie
- Die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer möglichen Stabilisierung der Eltern in einem für das Kind vertretbarem Zeitraum
- Veränderungswunsch, Veränderungskönnen der Eltern
- Befindlichkeit und Entwicklungsstand des Kindes
Diese Prognose wird in die Beratung und Entscheidung über die Hilfe zur Vollzeitpflege eingebracht. Es wird also darüber gesprochen, ob die Vollzeitpflege zeitlich befristet oder auf Dauer angeboten werden soll. Wird diese Hilfe befristet geleistet – also normalerweise nicht mehr als zwei Jahre, oder wird eine unbefristete, dauerhafte Unterbringung in der Vollzeitpflege geplant, in der das Kind dann auch Bindungen zu den Pflegeeltern eingehen kann (darf und soll).
Prüfung einer Adoptionsmöglichkeit
In Satz 2 § 36 SGB VIII heißt es:
Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt.
Dieser Satz ist eine Aufforderung des Gesetzgebers an das Jugendamt, die Möglichkeit einer Adoption zu prüfen. Die Prüfung einer Adoption bedeutet, die leiblichen Eltern zu fragen, ob sie eventuell das Kind zur Adoption freigeben würden und die Pflegeeltern zu fragen, ob sie eventuell das Kind adoptieren würden. Passt beides zusammen und will das Kind bzw. sein gesetzlicher Vertreter dies auch, dann ist eine Adoption machbar. ‚Zu prüfen‘ bedeutet aber auch, heraus zu finden, ob die Ersetzung der Adoptionsfreigabe durch ein Gericht für das Kindeswohl notwendig wäre.
Die Frage einer eventuellen Adoptionsmöglichkeit ist schon zu Beginn zu betrachten und in die Prognose mit einzubeziehen. Zeigt sich, dass eine Adoption für das Kind Sinn machen würde, dann ist eine Vermittlung des Kindes zu Pflegeltern, die schon in den Vorstellungsgesprächen an einer möglichen Adoption interessiert waren, angezeigt.
Pflegeeltern kommen ins Geschehen
Nachdem die Hilfe der Vollzeitpflege nach den o.a. Kriterien durch das Jugendamt geleistet werden soll, wird nun innerhalb des Jugendamtes ein „Leistungserbringer“ - also Pflegeeltern- gesucht, die bereit sind, das Kind in ihrer Familie aufzunehmen.
Das Jugendamt greift dazu auf den Pool an Pflegeeltern zurück, die es schon durch Vorbereitungsseminare und vorbereitende Gespräche als geeignet ansieht. Es kann diese Aufgabe auch an einen Träger der freien Jugendhilfe abgeben, der für das Kind geeignete Pflegeeltern suchen wird. Ebenso kann es bei anderen Jugendämtern nachfragen, ob vielleicht dort passende Pflegeeltern zur Verfügung stehen könnten.
Der Pflegekinderdienst wird dann nach genauer Prüfung der „Passung“ von Kind und Pflegeeltern die Unterbringung vorschlagen und das Kind den Pflegeeltern, und die Pflegeeltern dem Kind vorstellen. Wenn bei beiden ‚der Funke fliegt‘, wird das Procedere der Aufnahme beginnen.
Das Jugendamt kann natürlich auch im Umfeld des zukünftigen Pflegekindes nach einer möglichen Pflegefamilie suchen. Diese Familie ist vielleicht nicht grundsätzlich an einem Pflegekind interessiert, aber sie sieht sich in der Lage, dieses Kind (Freundin der Tochter, Kind aus Nachbarschaft oder Kindergarten etc.) aufzunehmen.
Auch Verwandte, bei denen das Kind leben soll (oder schon seit einiger Zeit lebt) können Pflegeeltern im Sinne der Hilfe zur Erziehung werden. Für sie gelten die gleichen Rechte und Pflichten wie für Pflegeeltern in der Fremdpflege auch.
Der Sorgeberechtigte muss jeder Unterbringung zustimmen.
Die zukünftigen Pflegeeltern werden dann Beteiligte im Hilfeplanverfahren.