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Basiswissen

Hilfen für das traumatisierte Kind

So helfen Sie einem traumatisiertem Kind (und sich selbst), wenn Sie es in Ihre Familie aufgenommen haben.

Ein eindeutiges Bindungsangebot

Wenn Pflege- oder Adoptiveltern das Kind aufgenommen haben, ist es von großer Bedeutung, dass es erfährt in wessen Hände es nun gehört. Ein eindeutiges Bindungsangebot ist absolut notwendig. Geben Sie das Kind nicht weg, lassen Sie es nicht durch mehrere Personen versorgen, lassen Sie es bei sich und versorgen SIE es. Solange das Kind keine stabile Bindung zu Ihnen aufgebaut hat, kann eine Trennung von Ihnen (auch für kürzere Zeit) einen Schritt rückwärts in der Entwicklung hin zu Ihnen bedeuten. Geben Sie das junge Kind keinem Menschen, den es nicht täglich sieht, auf den Arm. Durch vorsichtige Berührungen und dem Kind angenehme Massagen macht es neue positive Körpererfahrungen – aber seien Sie vorsichtig – geschädigte Kinder können nur sehr langsam Nähe zulassen.

Versuchen Sie den Blick des Kindes einzufangen und es für Gesichter zu interessieren. Bleiben Sie beharrlich – auch das ist für ein traumatisiertes Kind schwer.

Klare Strukturen und Rituale im Ablauf des Tages

Kinder ohne sichere Bindung reagieren empfindlich auf Veränderungen im Tagesablauf. Sie wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen, werden schnell verunsichert, da sie noch kein sicheres inneres Arbeitsmodell im Umgang mit anderen haben.
Je größer das Chaos im Inneren des Kindes, desto klarer und struktuierter muss das Äußere sein.
Das Kind erfährt durch klare äußere Grenzen Beruhigung. Strukturen geben ihm das Gefühl sich „zusammen zu halten“ und sich nicht zu „zerfasern“.

Die sich immer in gleicher Weise wiederholenden Rituale ( z.B. Bettgeh-Rituale, Essens-Rituale, Begrüßungs-Rituale etc.) geben dem Kind ein Gefühl von Verlässlichkeit und Immer-Wiederkehrendem.
Sie müssen für das Kind vorhersehbar, eindeutig, konsequent und so wiederholend wie nur möglich sein.

Verändert sich der normale Ablauf des Tages in den Ferien, im Urlaub, am Wochenende, bei Besuchen, dann ist das Kind oft irritiert und unsicher. Es bekommt Angst und reagiert unangemessen, oft provozierend oder verstört.
Veränderungen müssen vorbereitet werden – aber auch dann kann das Kind immer noch mit Verunsicherungen reagieren.
Große Veränderungen in seinem Leben wie Klassenwechsel, neue Lehrerin, neue Kindergärtnerin, ein Umzug, andere Nachbarn, Tod eines Verwandten u.a. können das Kind wieder in seine Entwicklung zurückwerfen und alte Verhaltensweisen aufleben lassen.

Klare Ansagen und klare Vorgaben

Traumatisierte Kinder haben Distanzprobleme. Sie verhalten sich Fremden gegenüber oft zu „nah“ und zu intim. Hier brauchen die Kinder klare und deutliche Vorgaben z.B. geküsst werden nur Familienmitglieder - ich möchte nicht, dass du dich Besuchern auf den Schoß setzt – ich möchte, dass du neben mir bleibst und nicht mit Anderen mitgehst – usw. Sagen Sie dies in ruhiger Selbstverständlichkeit, ohne dass das Kind sich dadurch schuldig fühlen muss.

Auch sonst ist es wichtig, dass die Kinder mit wenigen Worten von Ihnen hören, was Sie sich vorstellen und wie das Kind was tun sollte. Wiederholen Sie sich, solange es notwendig ist. Erklären Sie nicht so viel mit so vielen Worten, das Kind versteht Sie nicht und schaltet innerlich ab.

Traumatisierte Kinder glauben lange nicht an Erwachsene und haben oft viele Jahre lang das Gefühl, sich nur auf sich selbst und nicht auf die Erwachsenen verlassen zu können. Geben Sie dem Kind soweit es möglich ist Wahlmöglichkeiten, um so dem starken Kontrollbedürfnis des Kindes entgegen zu kommen. Das Kind muss aber auch erfahren, dass sein Verhalten Konsequenzen hat.

Gefühle zeigen, Gefühle akzeptieren

Zeigen Sie dem Kind Ihre Gefühle, erklären Sie ihm, wie Sie sich fühlen. Machen Sie das Kind auf seine eigenen Gefühle aufmerksam. Zeigen Sie ihm wie einer aussieht, der traurig, fröhlich, sauer oder wütend ist. ALLE Gefühle sind in Ordnung und Jeder hat alle Gefühle zu unterschiedlichen Zeiten und das alles ist o.k. Man muss nicht immer perfekt sein, es gibt Situationen, die man nicht gut geregelt bekommt, aber man kann sich Hilfe holen und wird auch Hilfe bekommen – das ist wichtig für ein Kind zu erfahren.

Alles was der Körper und die Seele des Kindes Gutes erfährt schafft Bindungen des Kindes an Sie.

Wir reagieren auf die Traumata der Kindes

Meist wissen wir nicht wirklich, was das Kind alles erlebt hat. Aber seine Gefühle zeigen sich und „springen“ auf uns über. Das Kind überträgt seine Gefühle auf uns, und es gibt Zeiten wo wir uns so fühlen wie das Kind sich fühlt. Also auch wir fühlen uns dann hilflos, ausgeliefert, traurig, allein gelassen. Diese Gefühle lähmen uns, machen uns deprimiert und wütend und erschöpfen uns.

Daher ist wichtig, dass Pflege- und Adoptiveltern auch an sich denken –gut für sich selbst sorgen. Achten Sie darauf, dass auch Sie Ruhe und Unterstützung bekommen, suchen Sie sich Gesprächspartner, gehen Sie in eine Selbsthilfegruppe, fordern Sie sich Supervision ein. Vielleicht ist sogar ein Wochenende allein mit Ihrem Partner drin? Schauen Sie, ob es jemanden gibt, der Sie mal vertreten kann.

Mit Pflegekindern ist es oft schwierig, geduldige und verständige Freunde zu finden. Oft gehen die „alten“ Freunde verloren - aber es finden sich neue Freunde im Kreise anderer Pflege- oder Adoptiveltern.

Tun Sie sich was Gutes – etwas was nichts mit problematischen Kindern zu tun hat, sondern nur mit Ihnen und Ihrer Freude daran: Sport, Musik, Werkeln – was auch immer.

Haben Sie Geduld, Geduld, Geduld.

Manchmal sieht es so aus, als würde all Ihr Bemühungen nichts oder nur wenig bringen. Schauen Sie, ob Ihre Erwartungen auch den Möglichkeiten des Kindes entsprechen – kann es das überhaupt leisten, was Sie von ihm wünschen? Es geht nur langsam voran in der Entwicklung des Kindes, sein Verhalten bricht immer wieder auf – aber es ändert sich auch, aber es dauert. Die Zeit, die Sie ihrem Kind widmet ist nicht verloren, sie hilft und sie wirkt.

Holen Sie sich und dem Kind Hilfe durch Berater und Therapien.

Im zweiten Teil unseres Schwerpunkt-Themas "Traumatisierte Adoptiv- und Pflegekinder" haben wir Fachartikel verschiedener Autorinnen und Autoren für Sie zusammengestellt.

Letzte Aktualisierung am: 
04.12.2008

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