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Prozesskosten für Pflegeeltern bei einem Verbleibensantrag nicht die Regel
Leitsatz
In Verfahren gem. § 1632 Abs. 4 BGB (Herausgabe oder Verbleib des Pflegekindes in der Pflegefamilie) ist die Erhebung von Gerichtskosten nicht die Regel, sondern bedarf der besonderen Begründung.
Kam es über den Aufenthalt des Kindes zu einer Verständigung der
Beteiligten und hat das Familiegericht nur noch über die Kosten entschieden, so ist das Familiengericht im Verfahren
über die Beschwerde gegen die Kostenentscheidung gem. § 68
Abs. 1 Satz 2 FamFG zur Abhilfe nicht befugt.Beschluss:
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 wird der
Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Eilenburg
vom 02.05.2011 in Ziffer 2 des Tenors wie folgt abgeändert
und neu gefasst:
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche
Kosten werden nicht erstattet.
2. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht
erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens
werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf
3.128,68 EUR festgesetzt.G r ü n d e :
I.
Die Beschwerde betrifft die Erhebung von Gerichtskosten für
ein Verfahren über die Herausgabe eines Pflegekindes gemäß
§ 1632 Abs. 4 BGB.Das Kind xxxxxxxxx, geb. am xxxxxxxxxx, befand sich seit
30.07.2008 in Familienpflege bei den Beteiligten zu 2 und 3
(im Folgenden: Pflegeeltern). Im Frühjahr 2010 entschied
die leibliche Mutter des Kindes in Abstimmung mit dem Jugendamt,
die Vollzeitpflege zu beenden und das Kind wieder
zu sich zu nehmen. Am 02.05.2010 stellten die Pflegeeltern
bei dem Familiengericht den Antrag, dass xxxxxxx bei ihnen
bleibt und ggf. an sie zurückzuführen ist. Tatsächlich
wechselte xxxxxxx im Mai 2010 zur leiblichen Mutter. Das
Familiengericht holte im anschließenden Verfahren u. a. ein
Sachverständigengutachten zu der Frage ein, ob das Wohl des
Kindes nachhaltig und unzumutbar gefährdet wäre, wenn es
nicht bei den Pflegeeltern verbleibt. Für das Gutachten
einschließlich weiterer Stellungnahmen der Gutachterin entstanden
Kosten i.H.v. 5.662,85 EUR. Am 02.05.2011 trafen
die leibliche Mutter und die Pflegeeltern eine dahingehende
Vereinbarung, dass xxxxxxx zukünftig und auf Dauer bei den
Pflegeeltern leben soll. Die von der Sachverständigen und
dem Verfahrensbeistand des Kindes unterstützte Vereinbarung
wurde familiengerichtlich genehmigt. Mit Beschluss vom
02.05.2011 ordnete das Familiengericht an, dass die Pflegeeltern
gesamtschuldnerisch die Hälfte der Gerichtskosten zu
tragen haben, ebenso die leibliche Mutter die Hälfte der
Gerichtskosten. Der Antrag der Pflegeeltern sei weder von
vornherein aussichtslos, sondern aus ihrer Sicht durchaus
nachvollziehbar gewesen; ebenso nachvollziehbar sei aber
die ursprüngliche Rechtsverfolgung der leiblichen Mutter
gewesen. Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten und des
Umfangs nicht nur des Verfahrens, sondern auch der Ermittlungen
sowie der mehrfachen Anhörungstermine erscheine es
nicht angebracht, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen.Die Pflegeeltern wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die
Auferlegung der hälftigen Gerichtskosten. Von der Rückführungsabsicht
der leiblichen Mutter und des Jugendamts seien
sie überrascht worden, da ihnen xxxxxx zur sog. Dauerpflege
übergeben worden sei. Die Verlagerung des Aufenthalts des
Kindes zur leiblichen Mutter ohne jede Vorbereitung und
nach rund zweijährigem Aufenthalt bei ihnen sei mit einer
erheblichen Gefährdung des Kindeswohls verbunden gewesen.
Die Sachverständige habe sie als uneingeschränkt erziehungsgeeignet
angesehen, während sich das Vermögen der
leiblichen Mutter, für das Kind zu sorgen, stets als fraglich
dargestellt habe. Nachdem dies auch die leibliche Mutter
eingesehen habe, sei es nun im Einvernehmen aller Beteiligten
zu einer Rückführung gekommen. Die Kostenentscheidung
sei unbillig, weil das Verfahrens vor allem der
Sicherung des Kindeswohls gedient habe. Sie stehe der verbreiteten
Rechtsprechung entgegen.
Das Familiengericht hat in seiner vorsorglich erlassenen
Nichtabhilfeentscheidung ausgeführt, dass die Kostenentscheidung
dem Regelfall des § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG folge.
Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung des Familiengerichts
sowie den Beschluss vom 14.06.2011 Bezug genommen,
ferner auf den Beschwerdeschriftsatz.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
1. Die Beschwerde der Pflegeeltern ist gemäß § 58 Abs. 1
FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 31.01.2011, Az.
21 WF 70/11; OLG Oldenburg, FamRZ 2010, S. 1466 ff.; OLG
Stuttgart, FamRZ 2010, S. 664 ff.; OLG Hamburg, FamRZ
2010, S. 665 ff., OLG Nürnberg, FamRZ 2010, S. 998 ff.).Zutreffend ist das Familiengericht davon ausgegangen,
dass es einer Abhilfeentscheidung nicht bedarf. Das Ausgangsgericht
ist hierzu gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG
nicht befugt. Eine Endentscheidung i.S. dieser Vorschrift
liegt auch dann vor, wenn nach Wegfall der
Hauptsache infolge Erledigung oder Antragsrücknahme nur
über die Verfahrenskosten entschieden wird (OLG Oldenburg,
FamRZ 2010, S. 1466 ff., juris Rn. 5; vgl. auch
BT-Drs. 16/6308, S. 195; Meyer-Holz in: Keidel, FamFG
16. Aufl., § 38 Rn. 4). Für eine Abhilfeentscheidung ist
danach kein Raum (OLG Naumburg, FamRZ 2011, S. 577 f.,
juris Rn. 2).
2. Die Beschwerde ist begründet und führt dazu, dass davon
abgesehen wird, für das erstinstanzliche Verfahren Gerichtskosten
zu erheben.
Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG kann das Gericht die Kosten
des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten
ganz oder zum Teil auferlegen. Nach Satz 2 der Vorschrift
kann es auch anordnen, dass von der Erhebung der
Kosten abzusehen ist.
a) Den Gesetzesmaterialien ist kein Hinweis zu entnehmen,
ob in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in denen
der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, die Kostentragung
durch die Beteiligten oder das Absehen von der Erhebung
der Gerichtskosten die Regel sein soll (BT-Drs. 16/6308,
S. 215).
b) Nach der bis zum 31.08.2009 geltenden Rechtslage war gemäß
§ 2 Nr. 2 KostO bei Geschäften, die von Amts wegen
vorgenommen werden, derjenige zur Zahlung der Kosten
verpflichtet, dessen Interesse wahrgenommen wird.7
Teilweise wurde hierzu in der Rechtsprechung vertreten,
dass im Verfahren auf Erlass einer Verbleibensanordnung
nach § 1632 Abs. 4 BGB das Verfahren jedenfalls auch im
Interesse der Pflegeeltern geführt werde und sie deshalb
Kostenschuldner und auch tatsächlich mit den Gerichtsgebühren
und Auslagen zu belasten seien (BayObLG, FamRZ
1998, S. 37 f., juris Rn. 12 f.).
Nach der Gegenauffassung waren die Pflegeeltern bereits
tatbestandlich nicht als Kostenschuldner zu betrachten,
selbst wenn sie den Antrag auf Einleitung des Verfahrens
gestellt hatten, weil das Gericht ausschließlich von
Amts wegen und nicht im rechtlichen Interesse der Pflegeeltern
tätig werde (OLG Hamm, FamRZ 1995, S. 1365 f.,
juris Rn. 14 ff.; OLG Schleswig, OLGR 2002, S. 249 f.,
juris Rn. 15).
Nach der wohl überwiegenden Auffassung war die Beteiligung
der Pflegeeltern an den Gerichtskosten nicht schon
von vornherein nach dem Wortlaut von § 2 Nr. 2 KostO
ausgeschlossen, wohl aber die Ausnahme und nur dann veranlasst,
wenn dies aufgrund konkreter Umstände geboten
erschien (OLG Köln, FamRZ 2011, S. 842, juris Rn. 2 ff.;
OLG Braunschweig, FamRZ 2009, S. 60 f., juris Rn. 3 ff.;
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.07.2006, Az.: 16 WF 100/04,
juris Rn. 3 f.; OLG Koblenz, FamRZ 2002, S. 1577, juris
Rn. 3; OLG Celle, FamRZ 2004, S. 390 f.; juris Rn. 8).
Dies wurde vor allem damit begründet, dass § 1632 Abs. 4
BGB das öffentliche Interesse und das Interesse des Kindes
in den Vordergrund stelle (vgl. etwa OLG Celle,
aaO.).
Auch eine stichprobenweise Recherche zeigt, dass von den
Entscheidungen ohne nähere Begründung der Kostenvertei8
lung diejenigen, in denen von der Erhebung von Gerichtskosten
abgesehen wurde, deutlich in der Überzahl sind
(OLG Naumburg, FamRZ 2007, S. 1351 f.; OLG Hamm, FamRZ
2010, S. 2083 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom
05.07.2010, Az.: 2 UF 90/10, zitiert nach juris; OLG
Stuttgart, FamRZ 2006, S. 139 f. unter Hinweis auf die
Umstände des Einzelfalls; a. A. - soweit ersichtlich -
außer dem BayObLG, aaO., nur OLG Köln, FamRZ 2009,
S. 989 f.).
c) Auch für die seit 01.09.2009 geltenden Rechtslage wird
mit der bisher herrschenden Auffassung davon auszugehen
sein, dass die Erhebung von Gerichtskosten nicht der Regelfall
ist, sondern der besonderen Begründung bedarf.
Jedenfalls im vorliegenden Fall ist das Ermessen gemäß
§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG dahingehend auszuüben, dass die
Pflegeeltern auch nicht teilweise mit den Gerichtskosten
zu belasten sind.
aa)
Nach § 2 Nr. 2 KostO war auch derjenige Kostenschuldner,
dessen Interessen wahrgenommen wurden, obwohl es sich
dabei um Amtsverfahren handelte, also i.d.R. stets auch
ein öffentliches Interesse bestand. Eine vergleichbare
Regelung enthält das FamFG nicht. Die Haftung der Pflegeeltern
für Gerichtskosten kann deshalb keinesfalls
strenger sein als nach der bisherigen Rechtslage.
bb)
Zwar ist die Rechtsposition der Pflegeeltern in den vergangenen
Jahren erheblich gestärkt worden, worauf auch
das Familiengericht während des Verfahrens hingewiesen
hat, doch steht im Mittelpunkt einer Entscheidung nach
§ 1632 Abs. 4 BGB nicht der individuelle Rechtsschutz
der Pflegeeltern, sondern das Kindeswohl und die darausabzuleitende Regelung des Aufenthalts (OLG Celle, aaO.;
OLG Schleswig, aaO., juris Rn. 15).
Mit Blick auf den vorliegenden Fall ist auch nicht davon
auszugehen, dass das Familiengericht das Gutachten allein
wegen der Anregung der Pflegeeltern eingeholt hat,
sondern vorrangig weil es im Rahmen seiner amtswegig geführten
Ermittlungen die Aufklärung für erforderlich
hielt, ob die Trennung des Kindes von den Pflegeeltern
dessen Wohl gefährden könnte.
In die Ermessensüberlegungen ist auch einzubeziehen,
dass der Aufenthalt des Kindes letztendlich mit Zustimmung
der Sachverständigen und des Verfahrensbeistands in
der von den Pflegeeltern gewünschten Weise einvernehmlich
geregelt wurde.
cc)
Der Senat hat auch bedacht, dass Pflegeeltern nicht abgehalten
werden sollen, aufgrund des Kostenrisikos dem
Kindeswohl dienliche Anträge zu stellen (vgl. dazu OLG
Köln, aaO., juris Rn. 2). Es besteht ein allgemeines Interesse
daran, dass sich Eltern zur Übernahme von Pflegschaften
bereit erklären (OLG Koblenz, aaO., juris
Rn. 3).
dd)
Den Pflegeeltern ist auch nicht aufgrund des individuellen
Prozessverhaltens ein Teil der Kosten zuzuweisen.
Dies wird etwa dann angenommen, wenn Pflegeeltern das
Verfahren bewusst verzögern, das Umgangsrecht der leiblichen
Eltern erschweren oder sich bei der Begutachtung
nicht kooperativ zeigen (Faber, ZfE 2007, S. 368 [371]).Es liegt insbesondere keiner der Regelfälle des § 81
Abs. 2 FamFG vor.
Auch das Familiengericht hat festgehalten, dass der Antrag
der Pflegeeltern nicht von vornherein aussichtslos
war. Dass es zwischen den Pflegeeltern und dem Jugendamt
offenbar Missverständnisse über die Dauer des Pflegeverhältnisses
gab, kann nicht ohne weitere Aufklärung zu
Lasten der Pflegeeltern gewertet werden. Eine Verletzung
der Mitwirkungspflichten wurde ihnen vom Familiengericht
nicht bescheinigt und ist auch weder aus den Ausführungen
der Gutachterin noch sonst aus der Akte ersichtlich.
ee)
Nach alledem sind die Pflegeeltern nicht an den Gerichtskosten
zu beteiligen (so auch die - soweit ersichtlich
- bisher einzigen veröffentlichten Entscheidungen
zu § 81 FamFG: OLG Frankfurt, Beschl. v.
18.06.2010, Az.: 6 UF 13/10, zitiert nach juris, und OLG
Zweibrücken, Beschl. v. 03.12.2010, Az.: 2 UF 59/10, zitiert
nach juris, jeweils ohne nähere Begründung).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1
FamGKG; § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes
für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 42
Abs. 1 FamGKG.