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14.12.2005
Gerichtsbeschluss
vom: 
03.10.2005

Pflegegeld kann nicht gepfändet werden

Ein vom Träger der Jugendhilfe als Teil des Pflegegeldes an die Pflegeeltern für ein in deren Haushalt aufgenommenes Kind ausgezahlter "Anerkennungsbetrag" ist unpfändbar

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Kuffer, Bauner, die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Safari Chabestari

beschlossen:

Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 19. Mai 2004 wird auf Kosten des Gläubigers zurückgewiesen.

Wert: 10.880,61 Euro

Gründe:

I.

Der Gläubiger ist der minderjährige nichteheliche Sohn des Schuldners. Er betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen rückständigen und laufenden Unterhalts. Auf seinen Antrag hat das Amtsgericht zunächst einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die angebliche Forderung des Schuldners aus einem Arbeitsverhältnis mit der Drittschuldnerin gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen wurde. Der pfändungsfreie Betrag wurde auf 840 Euro monatlich festgesetzt.

Der Schuldner und seine Ehefrau haben zwei Pflegekinder in ihren Haushalt aufgenommen, für die sie als sogenannte Erziehungsstelle von dem Drittschuldner neben dem Pflegegeld für die Kinder Aufwandsentschädigungen von monatlich je 725,79 Euro beziehen.

Auf die Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben. Den zwischenzeitlich gestellten Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses mit einem auf 0,00 Euro festgesetzten pfandfreien Betrag hat es zurückgewiesen.

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Gläubigers hatte keinen Erfolg.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält die an den Schuldner und seine Ehefrau neben dem Pflegegeld gezahlte Aufwandsentschädigung gemäß § 850 a Nr. 6 ZPO für unpfändbar.

Mit der Bezahlung dieses Betrags würden die Leistungen der Pflegeperson anerkannt. Der Anerkennungsbetrag diene dazu, die Bereitschaft erwachsener Menschen zur Aufnahme von Pflegekindern zu fördern, um den betroffenen Kindern eine Heimerziehung, die zudem mit ganz erheblich höheren Kosten verbunden wäre, zu ersparen. Die gesetzgeberische Zielsetzung, soweit wie möglich eine Privatpflege zu erreichen, würde unterlaufen, wenn der in den Pflegekosten enthaltene Anteil für die Anerkennung der Pflege der Pfändung unterworfen wäre.

2. Die Rechtsbeschwerde steht auf dem Standpunkt, der Anerkennungsbetrag sei mit den in § 850 a Nr. 6 ZPO aufgeführten Erziehungsgeldern oder Studienbeihilfen nicht zu vergleichen. Die Aufwandsentschädigung werde als Gegenleistung für die Pflege eines fremden Kindes gezahlt und stehe den Pflegeeltern zur freien Verfügung.

Da es sich nicht um Arbeitseinkommen handele, stehe dem Schuldner auch kein pfandfreier Betrag zu. Zudem sei sein Lebensbedarf durch den von seiner Ehefrau geleisteten Familienunterhalt gedeckt.

3. Der Auffassung des Beschwerdegerichts ist zu folgen.

a) Dem Rechtsmittel ist nicht bereits deshalb der Erfolg versagt, weil der Gläubiger in dem Antrag auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses die angebliche Forderung des Schuldners gegenüber der Drittschuldnerin fehlerhaft als Forderung aus einem Arbeitsverhältnis bezeichnet hat. Der Gläubiger wollte mit diesem Antrag erkennbar eine Pfändung und Überweisung der dem Schuldner gegenüber der Drittschuldnerin zustehenden Forderung unabhängig von deren rechtlicher Qualifikation erreichen. Dementsprechend ist sein Antrag auszulegen.

b) SGB VIII § 39 Abs. 1 Satz 1 bestimmt, dass bei der Gewährung von Hilfe nach § 33 (Vollzeitpflege) auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen (im folgenden Kind) außerhalb des Elternhauses sicherzustellen ist. Der durch Art. 1 Nr. 21 des 1. Gesetzes zur Änderung des VIII. Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 (BGBl. I S. 239) eingefügte Satz legt fest, dass auch die Kosten der Erziehung Bestandteil des notwendigen Unterhalts sind. In der Regierungsbegründung (BT-Drucks. 11/5948, S. 76) wird auf die Parallele zum zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch verwiesen. Es gebe keine Gründe dafür, dass der Unterhaltsanspruch nach § 1610 Abs. 2 BGB die Kosten der Erziehung umfasse, die öffentlich-rechtliche Sicherstellung des Lebensunterhalts diese Kosten aber ausspare, wenn das Kind in der Pflegefamilie lebe. Die staatliche Gemeinschaft müsse seinen - des Kindes - Lebensunterhalt ersatzweise jedenfalls in der Art und Weise sicherstellen, dass das Kind in der Lage sei, Personen zu finden, die anstelle der Eltern Erziehungsaufgaben übernähmen.

Damit ist klargestellt, dass der hier als Aufwandsentschädigung bezeichnete Erziehungsbeitrag bei der Hilfe zur Erziehung der Bedarfsdeckung des Kindes dient. Er ist nicht an den Bedarf der Pflegeperson, sondern allein an den des Kindes geknüpft (Hauck/Heines, Kommentar zum SGB VIII, § 39 Rdn. 22). Als Bestandteil des Unterhaltsanspruchs des Kindes kann er nicht hiervon abgekoppelt und als zweckneutrale Zuwendung an die Pflegeperson aufgefasst werden (OVG Münster, Urteil vom 24. November 1995 - 24 A 4833/94, FamRZ 1996, 900). Den von der Drittschuldnerin an den Schuldner gezahlten Aufwandsentschädigungen kommt damit keine Lohnersatzfunktion zu. Es handelt sich vielmehr um öffentliche Beihilfen, die wie die in § 850 a Nr. 6 ZPO aufgeführten Erziehungsgelder und Studienbeihilfen unmittelbar der Erziehung und Ausbildung der Pflegekinder dienen (jeweils zu § 850 a ZPO: Stein/Jonas/ Brehm, 22. Aufl., Rdn. 31; MünchKommZPO-Smid, 2. Aufl., Rdn. 18; Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rdn. 1002). Dementsprechend wird der Erziehungsbeitrag auch im Anwendungsbereich des § 76 BSHG nicht als Einkommen angesehen und mindert einen etwaigen Sozialhilfeanspruch der Pflegeeltern nicht (OVG Münster, Urteil vom 24. November 1995 - 24 A 4833/94, FamRZ 1996, 900).

Die unterhaltsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 18. April 1984 - IVb ZR 80/82, FamRZ 1984, 769 = NJW 1984, 2355) steht dieser Bewertung nicht entgegen. Der Erziehungsbeitrag wird insoweit zwar als den Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten minderndes Einkommen berücksichtigt. Dies wird darauf gestützt, dass die entsprechenden Einkünfte dem Bezieher tatsächlich zur teilweisen Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung stehen. Damit ist jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, dass dem Erziehungsbeitrag Lohnersatzfunktion zukommt.

Die Entscheidung des Landgerichts ist daher nicht zu beanstanden. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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