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01.02.2017
Gerichtsbeschluss
vom: 
19.07.2016

Kurzfristiger Ausschluss des Umgangs der Eltern mit ihrem Kind

Umgangsrecht der leiblichen Mutter in der Übergangsphase zwischen der Unterbringung in einer Bereitschaftspflegefamilie in eine Dauerpflegefamilie. Ein kurzfristiger Ausschluss des Umgangsrechts der Eltern mit dem Kind ist zulässig, auch wenn mit der Ausübung von Umgangskontakten keine Gefährdung des Kindeswohls einhergehen würde.

Kurzfristiger Ausschluss des Umgangs der Eltern mit ihrem Kind ist auch dann zulässig, wenn der Umgang nicht kindeswohlgefährdend wäre

Amtliche Leitsätze:

1. Zur Beschwerdebefugnis des Jugendamtes gegen eine Entscheidung zum Umgangsrecht, wenn es zum Vormund des betroffenen Kindes bestellt worden ist.

2. Ein kurzfristiger Ausschluss des Umgangsrechts der Eltern mit dem Kind ist zulässig, auch wenn mit der Ausübung von Umgangskontakten keine Gefährdung des Kindeswohls einhergehen würde.

3. Für die Phase des Übergangs eines einjährigen Kindes von einer Bereitschaftspflegefamilie in eine Dauerpflegefamilie kann das Umgangsrecht der leiblichen Eltern auch dann bis zu drei Monaten ausgeschlossen werden, wenn mit der Durchführung der Umgangskontakte keine Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre, der Ausschuss aber dem Kindeswohl entspricht.

4. Die Familiengerichte sind nicht befugt, ein Jugendamt ohne Zustimmung zur Durchführung begleiteter Umgangskontakte zu verpflichten.

Ein „längerfristiger“ Ausschluss des Umgangsrechts kann nicht generell, sondern nur im Kontext des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden. Je jünger ein Kind ist, desto kürzer muss die Unterbrechung der Kontakte sein, weil bei jungen Kindern bereits eine Unterbrechung der Umgangskontakte für einen relativ kurzen Zeitraum zu einer Entfremdung führen kann. Bei der entsprechenden Bewertung ist auf das Zeitempfinden eines Kindes im jeweiligen Alter einzugehen.

Zusammenfassung der Gründe - Auszüge aus dem Urteil

Das Jugendamt N. ist nach dem kompletten Sorgerechtsentzug Vormund für das im Juni 2015 geborenen Kindes. Seit ihrer Inobhutnahme durch das Jugendamt am im September 2015 lebt A. in einer Bereitschaftspflegefamilie. Zunächst hatte die Mutter an jedem Freitag für die Dauer von zwei Stunden Umgang mit dem Kind. Die Mutter verlang mehr Besuchskontakte und im November 2015 ergeht folgende einstweilige Anordnung: „Der Umgang findet in Form des begleiteten Umgangs wöchentlich jeweils montags und freitags von 11 Uhr bis 12.30 Uhr auf dem Gelände des Kinderheims ... statt. Der Umgang wird begleitet durch einen Mitarbeiter des Jugendamtes der Stadt .. oder einen Mitarbeiter des ... oder durch die Pflegemutter.“

In der Folgezeit wurde diese Entscheidung umgesetzt.

Mit Schreiben vom Februar 2016 regte das Jugendamt jedoch an, den Umgangskontakt auf einmal pro Woche zu beschränken. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Umgangskontakte nicht dem Kindeswohl entsprechen würden. A. würde durch die Umgangskontakte in ihrer geistigen und seelischen Entwicklung gefährdet, weil ihre Mutter auf Anforderungen durch die Umgangsbegleitung gar nicht oder erst nach mehreren Aufforderungen reagiert und aggressiv ihr Fehlverhalten (wiederholter Abbruch der Fütterung, sitzen mit dem Kind vor offenem Fenster, fehlendes Einschreiten, wenn das Kind an farbigen Illustrierten lutsche) verteidigt habe. Außerdem sei zu beobachten gewesen, dass A., wenn die Mutter das Zimmer betrete, erstarre und sich am ganzen Körper versteife. Dies werde von der Mutter entweder nicht wahrgenommen oder ignoriert. Außerdem sei die Mutter ständig mit den Händen an dem Kind und enge dadurch die Bewegungsfreiheit des Kindes massiv ein. Die Beteiligte T. H. sei gegenüber den Begleitpersonen mehrfach beleidigend gewesen. So habe sie u. a. geäußert: „Sie sitzen da auf ihrem fetten Arsch und trinken literweise Kaffee ... Auf Sie und Ihre Familie hat die Welt gewartet ... Gab es bei Ihnen noch keine Anti-Baby-Pille“.

Daraufhin wurde im März 2016 ein Kontakt der Mutter mit dem Kind von dem Richter beobachtet. Aus dem hierzu gefertigten Vermerk ergibt sich ein im Grunde liebevoller und fürsorglicher Umgang der Mutter mit dem Kind, wobei auffallend gewesen sei, dass die Mutter auf Gefahrenmomente für das Kind sehr unterschiedlich reagiert habe. Dass A. beim Erscheinen der Mutter erstarrt wäre oder sich am ganzen Körper versteift hätte, wurde nicht beobachtet. Auffallend sei allerdings gewesen, dass die Mutter kaum mit ihrer Tochter gesprochen habe, obwohl diese auf verbale Kommunikation offensichtlich gewartet und auf jede Ansprache durch dritte Personen sofort positiv reagiert habe. Hierdurch sei eine bedrückende Stimmung in dem Raum entstanden.

Am April berichtete das Jugendamt, dass der Umgangskontakt vom 20.4.2016 eskaliert sei. Die Umgangsbegleiterin habe mitgeteilt, dass die Mutter sie und Frau S. beleidigt und bedroht habe. Die Mutter habe sich im Beisein des Kindes sehr aggressiv benommen. Es sei davon auszugehen, dass A. durch die Ausbrüche ihrer Mutter immer wieder traumatisiert werde. Die familiäre Bereitschaftspflege werde der Mutter ein Hausverbot aussprechen. Umgänge zwischen der Mutter und A. würden bis auf weiteres ausgesetzt.[….]. Die Bereitschaftspflegemutter habe mitgeteilt, dass A. danach bei ihr sehr starr und unbeweglich gewesen sei. Sie habe sehr traurig und in sich gekehrt gewirkt. A. habe begonnen, Körperkontakt abzulehnen.

Die Verfahrensbeiständin des Kindes sprach sich für eine Reduzierung der Umgangskontakte aus.

Das Jugendamt machte geltend, dass während der Phase des Übergangs von einer Bereitschaftspflegefamilie in eine Dauerpflegefamilie das Umgangsrecht der leiblichen Eltern mit dem Kind in der Regel ausgesetzt und später eine Umgangsvereinbarung mit der neuen Pflegefamilie geschlossen werden müsse. Da A. inzwischen schon sehr an die Bereitschaftspflegemutter, Frau S., gebunden sei, müsse mit der Anbahnung zeitnah begonnen werden.

Ende April setzte das Familiengericht den Umgang der Mutter mit A. aus, da auch ein begleiteter Umgangskontakt der Mutter wegen ihrer Erkrankung derzeit nicht gewährt werden könne.

Zeitgleich wurde vom Familiengericht N. das Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht eingeleitet.

Das Jugendamt beantragte, Umgangskontakte zwischen der Mutter und dem Kind A. in der Phase des geplanten Übergangs des Kindes von der Bereitschaftspflege in eine Dauerpflegefamilie auszuschließen.

Die Verfahrensbeiständin sprach sich für einen Ausschluss des Umgangs für die Dauer von zwei Jahren aus.

Im Mai 2016 beschloss das Familiengericht:

Der Umgang findet in Form des begleiteten Umgangs wöchentlich jeweils mittwochs von 11 Uhr bis 12.30 Uhr statt. Der Umgang wird begleitet durch einen Mitarbeiter des Jugendamtes der Stadt ... oder durch eine vom Jugendamt zu beauftragte Person. Die Mutter hat den Weisungen der den Umgang begleitenden Person Folge zu leisten. Verbale oder körperliche Angriffe auf die den Umgang begleitende Person hat die Mutter zu unterlassen. Der Umgangsbegleiter kann bei Verstößen den Umgang abbrechen. Fällt der Umgang aus Gründen aus, die nicht bei der Mutter liegen, so wird der Umgang am darauffolgenden Freitag von 11 Uhr bis 12.30 Uhr zu den vorgenannten Bedingungen nachgeholt.

Weiterhin steht im Beschluss:

Für jeden Fall der zu vertretenden Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Regelung des Umgangsrechts kann das Gericht gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld in Höhe von jeweils bis zu 25.000,-- € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen. Verspricht die Anordnung von Ordnungsgeld keinen Erfolg, so kann das Gericht sofort Ordnungshaft für eine Dauer von bis zu 6 Monaten anordnen. Weiterhin kann das Gericht zur Vollstreckung unmittelbaren Zwang anordnen, wenn die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist, die Festsetzung von Ordnungsmitteln keinen Erfolg verspricht oder eine alsbaldige Vollstreckung unbedingt geboten erscheint.

Gegen diese Entscheidung geht das Jugendamt im Juni 2016 in Widerspruch und erläutert darin, wie es A. nach den nun nicht erfolgten Besuchskontakten deutlich besser ginge.

Weiterhin heißt es in der Begründung des Jugendamtes:

Dies zeige deutlich, dass A. durch die Umgangskontakte sehr gelitten habe. Bei einer Wiederaufnahme der Umgangskontakte sei zu befürchten, dass A. wieder Rückschritte mache und traumatisiert werde. Zumindest ein vorübergehender Ausschluss von Umgangskontakten sei erforderlich, um für A. den geplanten Übergang von der Bereitschaftspflege in eine Dauerpflegefamilie so einfach wie möglich zu gestalten. Zur Vorbereitung des Übergangs in eine Dauerpflegefamilie sei es notwendig, Kontakt zwischen der Dauerpflegefamilie und dem Kind aufzubauen. In der ersten Phase bleibe A. noch in der Bereitschaftspflegefamilie, werde aber in zunehmendem Maße von den Dauerpflegeeltern besucht, um langsam eine Beziehung aufzubauen. In der zweiten Phase lebe A. dann in der Dauerpflegefamilie, werde aber noch von der Bereitschaftspflegemutter dort besucht, um den Verlust der Bereitschaftspflegemutter, die ihre Hauptbezugsperson geworden sei, so schonend wie möglich zu gestalten und dem Kind die nötige Zeit zu geben, in der Dauerpflegefamilie anzukommen und sich dort einzuleben. Dies könne nicht geschehen, wenn auch noch Umgang mit der Mutter stattfinde, die die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie grundsätzlich ablehne. Außerdem stünden aktuell keine Räume zur Durchführung begleiteter Umgangskontakte zur Verfügung. Nach dem Wechsel in die Dauerpflegefamilie könne, begleitet durch den Träger der Pflegefamilie, also die ..., in den dort zur Verfügung stehenden Räumen der Versuch gestartet werden, regelmäßige Umgangskontakte zwischen der Mutter und dem Kind anzubahnen.

Das Jugendamt beantragte dann, das Umgangsrecht der Mutter wegen des Wechsels des Kindes in die Dauerpflegefamilie noch für die Dauer von zwei Monaten auszuschließen.

Diesem Antrag schloss die Verfahrensbeiständin an.

Die Beschwerde führte zu einem Ausschluss des Umgangsrechtes von H. mit ihrer Tochter A. für die Dauer von noch zwei Monaten.

Das Gericht begründet dies u.a. wie folgt:

Das Familiengericht kann darüber hinaus das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das Familiengericht kann insbesondere anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist.

Oberste Richtschnur für jede Entscheidung im Bereich des Umgangs ist das Kindeswohl, wobei zu beachten ist, dass der Zweck des Umgangs, der einer Entfremdung zwischen Eltern und Kindern vorbeugen soll und gleichzeitig dazu dient, dem Liebesbedürfnis der Beteiligten Rechnung zu tragen, Berücksichtigung findet. Entscheidungen zum Ausschluss oder zur Einschränkung des Umgangs müssen stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es aus Gründen des Kindeswohls geboten, das Umgangsrecht der Mutter mit A. für die Dauer von zwei Monaten auszuschließen.
Bei dieser Entscheidung geht der Senat mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass ein kurzzeitiger Ausschluss des Umgangsrechts aus Gründen des Kindeswohls zulässig ist, auch wenn nicht festgestellt werden kann, dass durch Umgangskontakte das Wohl des Kindes i. S. des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB gefährdet wäre.
Die Frage, ob ein „längerfristiger“ Ausschluss des Umgangsrechts vorliegt, kann nicht generell, sondern nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden. Als Faustregel ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Ausschlusszeitraum umso kürzer sein muss, je jünger ein Kind ist, weil bei jungen Kindern bereits eine Unterbrechung der Umgangskontakte für einen relativ kurzen Zeitraum zu einer Entfremdung führen kann. Abzustellen ist bei der entsprechenden Bewertung auf das Zeitempfinden eines Kindes im jeweiligen Alter.

Da A. erst 1 Jahr alt ist, bereits Ende September 2015 von dem Jugendamt in Obhut genommen worden ist und die zwischenzeitlich stattgefundenen Umgangskontakte von nicht unerheblichen Spannungen geprägt waren, wäre von einer „längeren Zeit“ i. S. des § 1584 Abs. 4 Satz 2 BGB auszugehen, wenn der Umgang für eine Zeit von mehr als zwei bis drei Monaten ausgeschlossen würde. Bereits ein Ausschluss des Umgangs für eine Zeit von mehr als zwei bis drei Monaten brächte das erhebliche Risiko mit sich, die Bindung A. zu ihrer Mutter nachhaltig zu beeinträchtigen.

Aus den dargelegten Gründen kann ein Ausschluss des Umgangsrechts für die Dauer von zwei Monaten auch nicht durch die Anordnung begleiteter Umgangskontakte vermieden werden. Die Mutter hat in der Vergangenheit auch im Rahmen begleiteter Umgangskontakte ein Verhalten gezeigt, welches in der besonders belastende Phase des Übergangs von der Bereitschaftspflege zur Dauerpflegefamilie von dem Kind ferngehalten werden muss, um eine unzumutbare Belastungen des Kindes zu vermeiden. Die Mutter war bisher auch im Rahmen begleiteter Umgangskontakte nicht in der Lage, ihre eigene Betroffenheit zurückzustellen und ihr Verhalten angemessen zu steuern.

Hier lesen Sie das komplette Urteil.

Bezüge:

BGB § 1666, § 1684
FamFG § 59 Abs. 3, § 162 Abs. 3 S. 2
SGB VIII § 18

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