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22.08.2013
Gerichtsbeschluss
vom: 
06.05.2013

Erweiterter pädagogischer Förderbedarf - erhöhter Erziehungsbedarf

Eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung im Sinne des § 33 Satz 2 SGB VIII ist anzunehmen, wenn die Vollzeitpflege besondere Anforderungen an die Erziehungsperson stellt und darüber hinaus die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen vorliegen.

Leitsätze

Eine besondere Entwicklungsbeeinträchtigung im Sinne des § 33 Satz 2 SGB VIII ist anzunehmen, wenn die Vollzeitpflege besondere Anforderungen an die Erziehungsperson stellt und darüber hinaus die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen vorliegen.
2. Erziehung im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB VIII ist auch integrativer Natur. Sie umfasst daher alle Maßnahmen, die der Förderung der Entwicklung eines jungen Menschen dienen und geeignet sind, zu seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beizutragen. Das Vorliegen geistiger und mehrfacher körperlicher Schwerstbehinderung steht der Annahme einer Erziehungsfähigkeit in diesem Sinne grundsätzlich nicht entgegen.
3. Der Bezug von Pflegegeld nach § 37 SGB XI schließt die Gewährung von Leistungen zur Pflege und Erziehung nach § 39 Abs. 1 und 4 SGB VIII nicht aus. Im Hinblick auf den im Sozialleistungsrecht geltenden Grundsatz, dass Doppelleistungen ausgeschlossen werden sollen, gilt etwas anderes allerdings dann, wenn die Leistungen nach § 37 SGB XI wegen eines Sonderbedarfs gewährt werden, für den der Hilfeempfänger Leistungen nach dem SGB VIII begehrt (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2000 - 5 C 34/99 -, BVerwGE 111, 241 ff., Rn. 16 bei juris). Ein solcher Doppelleistungscharakter ist im Hinblick auf Leistungen der Jugendhilfe für die Erziehung eines besonders entwicklungsbeeinträchtigten Kindes und die Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI nicht anzunehmen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 26. April 2011 geändert.
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2007 verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis 30. April 2009 einen Erziehungsbeitrag für den erweiterten pädagogischen Förderbedarf des Pflegekindes J... in Höhe des nach der Richtlinie des Beklagten jeweils geltenden Satzes zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines erhöhten Erziehungsbeitrages für den Pflegesohn der Klägerin im Zeitraum 1. Februar 2007 bis 30. April 2009.
Der am 25. Juli 2000 geborene Pflegesohn der Klägerin, J..., ist von Geburt an sowohl körperlich als auch geistig schwerstbehindert. Er leidet u.a. an einer schweren Tetraspastik mit Steh- und Gehunfähigkeit, multiplen persistierenden Mustern, einer ausgeprägten proximalen Muskelhypertonie und distalen Hypertonie sowie einer schweren Adaptionsstörung. Während seiner ersten fünf Lebensmonate blieb J... im Krankenhaus. Anschließend kam er in eine Pflegefamilie nach Eisenhüttenstadt. Im April 2002 nahm die Klägerin ihn in den Haushalt ihrer Familie auf, in dem ein ausgelagerter Heimplatz eingerichtet wurde. Die Klägerin, die J... seither versorgt, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 20. Juni 2003 zur Ergänzungspflegerin für die gesamte elterliche Sorge bestellt. Zum 31. Dezember 2004 endete der mit dem DRK-Kreisverband über den in den Haushalt der Klägerin ausgelagerten Heimplatz bestehende Vertrag. Die Klägerin behielt J... in ihrer Familie und beantragte am 7. Februar 2005 Hilfeleistungen nach dem SGB VIII beim Jugendamt des Landkreises O..., der ihr mit Bescheid vom 27. Mai 2005 Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII in Form einer heilpädagogischen Pflegestelle für den Zeitraum 7. Februar 2005 bis 31. August 2006 gewährte.
Nach einem zwischenzeitlich erfolgten Zuständigkeitswechsel gewährte der Landkreis T... der Klägerin mit Bescheid vom 2. November 2006 erneut Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß § 27 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII für den Zeitraum 1. September 2006 bis 31. August 2008. Diese setzte sich ausweislich einer gesonderten Mitteilung vom 28. November 2006 aus materiellen Aufwendungen in Höhe von 422 Euro monatlich sowie heilpädagogischem Bedarf in Höhe von 460 Euro monatlich zusammen.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2007 stellte der Beklagte die Zahlung des Erziehungsbeitrages für den heilpädagogischen Förderbedarf ein und gewährte insoweit stattdessen lediglich noch die allgemeine Erziehungspauschale in Höhe von 207 Euro monatlich. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2007 zurück und führte zur Begründung sinngemäß aus: Grundlage der Gewährung der Pauschale für einen sogenannten erweiterten pädagogischen Förderbedarf sei eine vom Jugendhilfeausschuss des Landkreises erlassene und mit Wirkung vom 1. Januar 2007 geltende Richtlinie des Amtes für Jugend und Soziales über die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII). Danach erhielten Eltern bei Vollzeitpflege finanzielle Leistungen nach § 33 SGB VIII, die sich, nach Altersstufen gestaffelt, aus den materiellen Aufwendungen und den Aufwendungen für Erziehung zusammensetzten. Die allgemeine Pauschale für Erziehung betrage 207 Euro. Bei einem sogenannten erweiterten pädagogischen Förderbedarf bestehe Anspruch auf einen Pauschalbetrag von 600 Euro. Ein erweiterter Förderbedarf des Kindes sei dann gegeben, wenn besondere, über den allgemeinen Erziehungshilfebedarf hinausgehende Anforderungen aufgrund erheblicher Erziehungsschwierigkeiten und emotionaler, psychischer, kognitiver oder körperlicher Entwicklungsbeeinträchtigungen vorlägen, die den erzieherischen Umgang mit dem Kind erheblich erschwerten und daher besondere erzieherische und pädagogische Leistungen erforderten. Das Vorliegen schwerer Entwicklungsbeeinträchtigungen allein rechtfertige nicht die Annahme eines erweiterten pädagogischen Förderbedarfs. Es bedürfe in jedem Fall einer genauen Prüfung, ob der individuelle Hilfebedarf des Kindes Merkmale aufweise, die für die Auffälligkeiten von Kindern mit erweitertem Förderbedarf und für die Besonderheiten im pädagogischen Alltag kennzeichnend seien. Die Heilpädagogik habe zur Aufgabe, Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten bzw. Verhaltensstörungen oder mit geistigen, körperlichen und sprachlichen Beeinträchtigungen sowie deren Umfeld durch den Einsatz entsprechender pädagogisch therapeutischer Angebote zu helfen. Die betreute Person solle dadurch lernen, Beziehungen aufzunehmen und verantwortlich zu handeln, Aufgaben zu übernehmen und dabei Sinn und Wert zu erfahren. Im Falle des Pflegesohns der Klägerin lägen die Voraussetzungen für die Annahme eines erweiterten pädagogischen Förderbedarfs jedoch nicht vor. Ein im dargelegten Sinne notwendiger Entwicklungsfortschritt sei aufgrund seiner Schwerstbehinderungen kaum möglich. Sein Hilfebedarf liege im medizinischen und pflegerischen und nicht im erzieherischen Bereich. Daher bestehe kein erweiterter erzieherischer Bedarf durch die Pflegeeltern. J...erhalte zur Absicherung seines Pflegebedarfs durch die Pflegekasse Leistungen in Form von Pflegegeld der Stufe III in Höhe von 665 Euro pro Monat. Von seiner Krankenversicherung erhalte er zudem Leistungen für eine Physiotherapie. Schließlich erhalte er Leistungen in Form von Erziehungshilfen durch das Jugendamt als Eingliederungshilfe in Form von ambulanter Frühförderung in Höhe von 500 Euro Pflegegeld sowie für Vollzeitpflege gemäß § 33 und § 39 SGB VIII, welche sich aus den materiellen Aufwendungen in Höhe von 433 Euro und den Aufwendungen für Erziehung in Höhe von 207 Euro zusammensetze.
Im Frühjahr 2009 zog die Klägerin gemeinsam mit ihrem Pflegesohn nach B..., wo sie seit dem 1. Mai 2009 vom zuständigen Jugendamt Leistungen nach § 27 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII bezieht, die eine erhöhte Pauschale für einen erweiterten pädagogischen Förderbedarf umfassen.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Gewährung eines höheren Erziehungsbeitrages gegen den Beklagten gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Ergänzend hat es ausgeführt: Nach seiner Auffassung sei es zwar durchaus möglich, dass auch bei einem schwerstbehinderten Kind ein erweiterter pädagogischer Erziehungsbedarf vorliegen und damit ein Anspruch darauf bestehen könne, ein Erziehungsdefizit durch Hilfeleistung auszugleichen. Aus den vorliegenden Unterlagen sei jedoch nicht erkennbar, dass ein solches Erziehungsdefizit bei J...bestehe. Sowohl aus den umfangreichen Ausführungen der Klägerin als auch den ärztlichen Stellungnahmen ergebe sich, dass der Pflegesohn aufgrund geistiger und körperlicher Behinderungen einer besonders aufwändigen Hilfe bedürfe. Erziehungsdefizite, die auszugleichen wären, seien jedoch nicht erkennbar.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie aus: Ihr Pflegekind sei unstreitig erziehungsfähig. Seine Erziehung erfordere eine erhöhte pädagogische Förderung bzw. erzieherische Leistung seitens der Pflegeeltern. Dieser Bedarf gehe weit über das hinaus, was als Erziehungsbedarf eines nichtbehinderten bzw. nichtpflegebedürftigen Kindes üblicherweise anfalle. J...sei während des streitgegenständlichen Zeitraums vom 1. Februar 2007 bis zum 30. April 2009 zudem über das zuständige Schulamt des Beklagten viermal pro Woche durch einen Lehrer zu Hause einzeln beschult worden.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 26. April 2011 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2007 zu verpflichten, an die Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2007 bis 30. April 2009 einen Erziehungsbeitrag für den erweiterten pädagogischen Förderbedarf des Pflegekindes J...in Höhe des nach der Richtlinie des Beklagten jeweils geltenden Satzes zu zahlen.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und weist im Übrigen in der mündlichen Verhandlung ergänzend darauf hin, dass die Leistungen der Pflegekasse nach dem SGB XI auf die Erziehungshilfen nach dem SGB VIII anzurechnen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte, den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die vom Senat beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bezirksamtes S...verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auf Gewährung eines erhöhten Erziehungsbeitrages gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Klägerin steht der nach der mit Wirkung zum 1. Januar 2007 erlassenen Richtlinie geltende erhöhte Pauschalbetrag für einen erweiterten pädagogischen Förderbedarf in dem hier streitigen Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis zum 30. April 2009 zu. Der Bescheid vom 29. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, er ist aufzuheben und der Beklagte zur Gewährung des erhöhten Erziehungsbeitrages zu verurteilen (vgl. § 113 Abs. 1 und 4 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher antragsgemäß zu ändern.

1. Der Beklagte hatte der Klägerin als für ihr Pflegekind J... Personensorgeberechtigte (vgl. Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 20. Juni 2003) mit Bescheid vom 2. November 2006 Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII unter Anerkennung eines erweiterten pädagogischen Förderbedarfs bestandskräftig bewilligt. Der Bescheid enthält selbst zwar keine ausdrücklichen Festlegungen über Inhalt und Umfang der gewährten Leistungen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Leistungsgewährung und namentlich im Hinblick auf die erfolgten gesonderten schriftlichen Mitteilungen, in denen die Leistungen im Einzelnen aufgeschlüsselt sind, ergibt sich jedoch, dass mit dem Bescheid Leistungen für einen sogenannten erweiterten pädagogischen Förderbedarf gewährt wurden. In diesen Mitteilungen sind Beträge für „heilpädagogischen Bedarf“ aufgeführt, die dem sogenannten erweiterten Förderbedarf entsprechen (vgl. z. B. die Mitteilung vom 28. November 2006). Von der Anerkennung eines erweiterten pädagogischen Förderbedarfs im Bescheid vom 2. November 2006 ging im Übrigen auch der Beklagte im angegriffenen Bescheid vom 29. Januar 2007 aus. Es heißt dort: „…wird zum 31.07.2007 für Ihren Pflegesohn … die Zahlung des Erziehungsbeitrages mit erweitertem pädagogischen Förderbedarf eingestellt“. Der mit der Klage angegriffene Bescheid vom 29. Januar 2007 beinhaltet somit die teilweise Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes, die gemäß § 45 SGB X nur bei dessen (teilweiser) Rechtswidrigkeit in Betracht kommt. Eine derartige Rechtswidrigkeit liegt indes nicht vor. Der Bescheid vom 2. November 2006 erweist sich insgesamt als rechtmäßig und geht zutreffend von einem erweiterten pädagogischen Förderbedarf des Pflegekindes der Klägerin aus. Mit der Aufhebung des Bescheides vom 29. Januar 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2007 wird die ursprüngliche Regelung des Bescheides vom 2. November 2006 hinsichtlich des erweiterten pädagogischen Förderbedarfs wieder wirksam und die Klägerin kann die Zahlung des ab Januar 2007 nach der Richtlinie des Beklagten geltenden erhöhten Pauschalbetrages verlangen. Soweit der Beklagte nach dem im Bescheid vom 2. November 2006 genannten Zeitraum ab dem 1. September 2008 die Hilfe zur Erziehung in dem eingeschränkten Umfang weiter gewährt hat, hat er ausdrücklich keine erneute mit dem Bescheid vom 2. November 2006 vergleichbare Regelung getroffen, sondern die Regelung des Bescheides vom 2. November 2006 in dem durch den Bescheid vom 29. Januar 2007 eingeschränkten Umfang lediglich faktisch fortgeführt. Auch für diesen späteren Zeitraum folgt aus der Aufhebung der hier angegriffenen Bescheide vom 29. Januar 2007 und 22. Mai 2007, dass der erhöhte Pauschalbetrag für einen erweiterten pädagogischen Förderbedarf zu zahlen ist. Soweit in den Bescheiden vom 29. Januar 2007 und 22. Mai 2007 neben der Klägerin ihr damaliger Ehemann, der sich nur in erster Instanz an dem Rechtsstreit beteiligte, als Adressat aufgeführt ist, ist dies auch im Hinblick auf die Regelung des § 173 VwGO in Verbindung mit § 62 ZPO ohne Bedeutung; denn gegenüber dem damaligen Ehemann ging die in den angegriffenen Bescheiden erfolgte (teilweise) Rücknahme des nur gegen die zu diesem Zeitpunkt allein sorgeberechtigte Klägerin erlassenen begünstigenden Bescheides vom 2. November 2006 ins Leere.

2. Nach § 27 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist (Abs. 1); die Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt (Abs. 2). Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll nach § 33 SGB VIII entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten (Satz 1); für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen (Satz 2). In den Fällen einer Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ist der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen und umfasst auch die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des Kindes (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Zwischen den Beteiligten sind die genannten Voraussetzungen für eine Vollzeitpflege dem Grunde nach unstreitig. Streitig sind lediglich die in § 39 Abs. 1 SGB VIII genannten Kosten für die Pflege und Erziehung.
Die Kosten für Pflege und Erziehung als Teil des notwendigen Unterhalts sollen gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII als regelmäßig wiederkehrender Bedarf durch laufende Leistungen gedeckt werden, die gemäß § 39 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII nach den Absätzen 4 bis 6 der Vorschrift zu bemessen sind. Danach sollen die laufenden Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (Abs. 4 Satz 1); sie sollen in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalles abweichende Leistungen geboten sind (Abs. 4 Satz 3); die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt sollen von den nach Landesrecht zuständigen Behörden festgelegt werden und dem altersbedingt unterschiedlichen Unterhaltsbedarf Rechnung tragen, wobei das Nähere durch Landesrecht zu regeln ist (Abs. 5). Diese gesetzlichen Vorgaben hat der Beklagte für den hier streitigen Zeitraum Februar 2007 bis April 2009 durch die vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 geltende Richtlinie über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) umgesetzt und hinsichtlich der „Kosten der Erziehung“ zwischen einer allgemeinen Pauschale, die für jedes Kind in Vollzeitpflege gewährt wird, in Höhe von 207 Euro je Monat und den „Kosten der Erziehung bei erweitertem Förderbedarf“ aufgrund erheblicher Erziehungsschwierigkeiten in Höhe von 600 Euro monatlich unterschieden. Der Beklagte verkennt, dass bei dem Pflegesohn der Klägerin nach den zitierten gesetzlichen Bestimmungen des SGB VIII und seinen eigenen Festlegungen in der Richtlinie die Voraussetzungen für laufende Leistungen aufgrund eines erweiterten pädagogischen Erziehungsbedarfs in Höhe des Pauschalbetrages von 600 Euro vorliegen (a.); die Konkretisierung der Vorgaben des SGB VIII durch eine Richtlinie des Beklagten, insbesondere die Festsetzung des Pauschalbetrages von 600 Euro für einen erweiterten pädagogischen Erziehungsbedarf, die von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird, ist dabei nicht zu beanstanden (b.); schließlich stehen dem Anspruch der Klägerin nach dem SGB VIII nicht die Leistungen anderer Hilfeträger entgegen, insbesondere sind Leistungen der Pflegekasse nach dem SGB XI nicht anzurechnen (c.).

a. Mit der Festsetzung unterschiedlicher Pauschalbeträge für die laufenden Kosten der Pflege und Erziehung im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII trägt die Richtlinie des Beklagten der Differenzierung in § 33 SGB VIII Rechnung. Nach Satz 2 der Vorschrift sollen für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche geeignete Formen der Familienpflege geschaffen und ausgebaut werden. Die Einrichtung solcher „geeigneten Formen“ der Familienpflege kann sinnvollerweise nur unter Einsatz von Fachkräften erfolgen, was eine höhere Honorierung der erzieherischen Leistung rechtfertigt. Dementsprechend ist der unbestimmte Rechtsbegriff „besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder“ nach Maßgabe eines eine verstärkte therapeutische Betreuung erfordernden Bedarfs auszulegen, der eine erhöhte fachliche Qualifikation der Pflegeeltern erfordert. Damit steht es im Einklang, dass die Richtlinie des Beklagten für solche Fälle von dem nahezu dreifachen Satz der „einfachen“ Erziehungspauschale ausgeht. Durch diese nahezu verdreifachte „einfache“ Erziehungspauschale wird nicht lediglich ein höherer zeitlicher Aufwand abgegolten. In Anbetracht der stets den gesamten Tag umfassenden Vollzeitpflege wäre die Annahme eines derart vervielfachten Aufwandes für die Erziehung nicht naheliegend. Der massive Erhöhungssprung bei den Kosten der Erziehung dient insoweit vielmehr in erster Linie als finanzieller Anreiz, Fachkräfte für die Arbeit als sozialpädagogische Pflegefamilie mit besonderen fachlichen Kenntnissen, hoher Motivation und Belastbarkeit zu gewinnen (vgl. auch OVG Bautzen, Urteil vom 6. April 2005 - 5 B 86/04 -, 2. Orientierungssatz und Rn. 26 bei juris). Mit dem Pauschalbetrag nach § 39 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII sollen laufende „Kosten der Erziehung“ im Sinne eines „Marktpreises der Erziehung“ zusammengefasst werden (BVerwG, Beschluss vom 26. März 1999 - 5 B 129/98 -, FEVS 51, S. 10 f., Rn. 3 bei juris). Dem Pauschalbetrag wohnt insoweit demnach weniger ein quantitatives als ein qualitatives Moment inne (OVG Bautzen, a.a.O., Rn. 29 bei juris).
Vor dem dargelegten Hintergrund stellt die Richtlinie des Beklagten für die Annahme eines erweiterten Förderbedarfs zutreffend darauf ab, ob die Vollzeitpflege besondere Anforderungen an die Erziehungsperson stellt und darüber hinaus die Erziehung des Kindes erheblich erschwerende Beeinträchtigungen vorliegen.

aa. Die Anlage 1 der Richtlinie enthält einen Leitfaden zur Feststellung der Eignung und Auswahl von Erziehungspersonen bei Vollzeitpflege. Die darin formulierten „Anforderungen an die Erziehungsperson“ dürften im Wesentlichen auf die Klägerin zutreffen. Sie verfügt erkennbar über die notwendige Motivation, um die erforderliche Pflege zu erbringen. Ihre Bereitschaft, ein Pflegekind aufzunehmen und sich auf dessen individuelle Bedürfnisse einzustellen, hat sie in der Zeit seit Aufnahme J...in ihren Haushalt im April 2002 hinreichend unter Beweis gestellt. Das gleiche gilt für ihre erzieherische Kompetenz und Erfahrung sowie ihre Beziehungs-, Bindungs-, Reflexions- und Kooperationsfähigkeit im Rahmen des öffentlichen Erziehungsauftrags. Auch der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die Klägerin die an die Erziehungsperson zu stellenden Anforderungen erfüllt.

bb. In der Anlage 2 formuliert die Richtlinie weiter Beeinträchtigungen, die die Erziehung des Kindes erheblich erschweren und bei dem Pflegesohn der Klägerin zweifelsfrei vorliegen. Dabei nennt sie „1. Schwere Verhaltens- und/oder emotionale Störungen“. Diese werden u.a. mit „erheblichen Entwicklungsdefiziten (Sprache, Motorik)“ beschrieben. Als „erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung/Erziehungsperson“ werden insofern bestimmte persönliche Kompetenzen wie Empathiefähigkeit, besondere Belastbarkeit und erhöhte Reflexionsfähigkeit genannt. Unter „3.“ sind weiter „Globale Entwicklungsstörungen“ aufgeführt, die mit „Störung der Kommunikation“, „verzögerte oder keine Sprachentwicklung“, „verzögerte / gestörte Entwicklung der Motorik und Wahrnehmung“ beschrieben werden. Sie erforderten von der Erziehungsleistung / Erziehungsperson die Mitwirkung bei der therapeutischen medizinischen Versorgung, Kenntnisse spezifischer Hilfeformen und Therapien, die Fähigkeit, zusätzlich notwendige Hilfe für das Kind realistisch einzuschätzen und auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen und die Annahme von Entlastung. Unter „4.“ werden „Schwere körperliche (Sinnes-) und / oder geistige Behinderungen, z.B. schwere spastische Behinderungen (Tetraspastik)“ sowie „geistige Behinderungen (schwere Intelligenzminderung mit Auswirkungen auf die Lernfähigkeit, die Sprache, Motorik und das Sozialverhalten, die ständige Begleitung / Beaufsichtigung im Alltag notwendig machten)“ genannt.
Nach den aktenkundigen ärztlichen Unterlagen leidet der Pflegesohn der Klägerin in allen vier Entwicklungsebenen an erheblichen Defiziten. Schon aus der medizinischen Beschreibung seiner Behinderungen ergibt sich, dass er sowohl hinsichtlich der Motorik als auch hinsichtlich der sprachlichen wie der kognitiven Fähigkeiten und der sozialen Kompetenz erheblich beeinträchtigt ist. Dies stellt auch der Beklagte nicht in Abrede.

cc. Soweit der Beklagte dem Pflegesohn der Klägerin einen erweiterten pädagogischen Förderbedarf offenbar mit dem Argument absprechen will, dieser sei gewissermaßen nicht erziehungsfähig, weil bei ihm letztlich keine Entwicklungsfortschritte mehr zu verzeichnen seien, steht dies im Widerspruch zu den vorliegenden Unterlagen. Nach diesen Unterlagen ist ohne weiteres von der Erziehungsfähigkeit des Pflegesohns der Klägerin auszugehen.
Erziehung im hier maßgeblichen Kontext ist in einem weiten Sinne zu verstehen. Der Umstand, dass der Pflegesohn der Klägerin geistig und mehrfach körperlich schwerstbehindert ist, schließt seine Erziehungsfähigkeit nicht aus. Die Frage der Erziehungsfähigkeit in diesem Sinne hat nicht lediglich Kinder und Jugendliche im Blick, deren Befähigung zu einem selbstständigen Leben in der Gemeinschaft durch erzieherische Maßnahmen mehr oder weniger erreicht werden kann. Erziehungsfähigkeit in diesem Sinne ist bereits dann anzunehmen, wenn durch besondere Zuwendung Beeinträchtigungen einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wenigstens teilweise ausgeglichen werden können. Ausgangspunkt ist dabei das in § 1 Abs. 1 SGB VIII formulierte Recht jedes jungen Menschen, auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Dementsprechend soll die Jugendhilfe insbesondere junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII). Das kommt weiter in den Vorschriften über die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche des § 35a SGB VIII zum Ausdruck, der Hilfe unter anderem dann gewährt, wenn die Teilhabe eines Kindes oder Jugendlichen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Dieser integrative Charakter liegt auch dem Begriff der Erziehung im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB VIII zu Grunde. Erziehung in diesem Sinne umfasst daher alle Maßnahmen, die der Förderung der Entwicklung eines jungen Menschen dienen und geeignet sind, zu seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beizutragen. Das Vorliegen geistiger und mehrfacher körperlicher Schwerstbehinderung steht der Annahme von Erziehungsfähigkeit in diesem Sinne grundsätzlich nicht entgegen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Senat keinen Zweifel an der Erziehungsfähigkeit des Pflegesohns der Klägerin. Nach dem ärztlichen Bericht des Zentrums für Kindesentwicklung e.V. vom 5. Dezember 2006 habe J..., seit er bei der Klägerin lebt, allmählich Fortschritte im Bereich der Bewegung und Wahrnehmung mit deutlicher besserer Kopfeinstellung und vor allem Stabilisierung seines emotionalen Zustandes erzielt. Es werde empfohlen, J...noch ein weiteres Jahr in der Pflegefamilie zu belassen und zunächst eine Hausbeschulung durchzuführen. Auch im „Protokoll - Förderausschussverfahren“ vom 6. Dezember 2006 wird empfohlen, J...vier Stunden wöchentlich zu Hause zu beschulen und dies nach einem Jahr zu überprüfen. Im „Teamprotokoll“ vom 4. Mai 2005 heißt es, dass J...von der Klägerin „sehr intensiv gefördert“ worden sei und werde und eine gleich intensive Förderung in einer Einrichtung nicht möglich sei. In dem Hilfeplan vom 19. Oktober 2005 wurde festgestellt, dass für J...ein Einzelfallhelfer oder eine Hausbeschulung notwendig werde. Das müsse über das Schulamt geklärt werden.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ferner nachvollziehbar dargelegt, dass es bei ihrem Pflegesohn hinsichtlich der erzieherischen Maßnahmen auch darum gehe, den gegenwärtig erreichten Stand zu halten und nicht auf ein früheres Niveau zurückzufallen. In ihrem Entwicklungsbericht über den Berichtszeitraum Juli 2003 bis Mai 2004 schildert sie beispielsweise, dass J...seit Neuestem beim Zähneputzen zu helfen versuche. Wenn man ihm die Zahnbürste in die Hand gebe, halte er sie fest, brauche jedoch bei der Übung sanfte Führung, um auch nur die vorderen Zahnreihen zu treffen. Dies sei einer der wenigen Momente, in denen er bewusst nach etwas greife. Er schlafe nun nach einer Eingewöhnungszeit im eigenen Bett und im eigenen Zimmer. Er schlafe nur ein, wenn seine direkten Bezugspersonen am Bett säßen, bis er eingeschlafen sei. Sein Gleichgewichtssinn habe sich sehr verbessert, das Abstützen durch die Hände habe er sehr gut verinnerlicht, allerdings reiche es noch nicht ganz zum freien Sitzen. Gezieltes Greifen sowie die Auge-Hand-Koordination seien weiterhin ein Problem. Die rechte Hand diene mehr dem Halten, die linke sei seine Aktionshand. Gegenstände müssten ihm gereicht, die Hand entfaltet und der Gegenstand hineingelegt werden. Dann sei er jedoch rege damit beschäftigt, diesen immer wieder in den Mund zu stecken und mit der Zunge zu erforschen. Sei der Gegenstand jedoch hart und es komme wie üblich zu unkontrollierten schlagartigen Bewegungsmustern, erschrecke er und lasse den Gegenstand daraufhin fallen. In diesem Fall würde ein Führen der Hand nötig. Gäben die Gegenstände dabei Töne von sich, falle es ihm leichter, diesen mit den Augen zu folgen. Ansonsten zeige er wenig Interesse, den Dingen mit den Augen zu folgen. Ausnahmen bildeten nur Gesichter, die allerdings meist mit Geräuschen verbunden seien. Um ihn zum Halten oder Bewegen der Gegenstände zu bewegen, bedürfe es ständiger verbaler Motivation. Die Gestaltung sozialer Beziehungen werde durch die Betreuungssituation indiziert. J...sei nicht in der Lage, alleine mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Es habe sich herausgestellt, dass entweder jüngere Kinder, die selbst noch nicht alle Fähigkeiten besäßen, oder schon deutlich ältere Kinder, die oftmals schon sensibler in ihrer Wahrnehmung seien und über mehr Fantasie für Überbrückungsstrategien verfügten, die besseren Spielpartner für J...seien. Beides sei im engeren Freundeskreis vorhanden und werde auch gefördert. J...habe ein sehr enges Verhältnis zu seinen beiden ständigen Betreuungspersonen aufgebaut, welches jedoch noch nicht auf Dritte habe ausgeweitet werden können. Er habe ein freundliches offenes Wesen, werde jedoch viel gelöster und entspannter, wenn er sich in seinem bekannten Umfeld mit einer Betreuungsperson aufhalte. Halte er sich in einer Gruppe auf, sei er wesentlich ruhiger als sonst. Hierbei beschränke er sich aufs Zuhören und Zusehen.
Schon diese Ausführungen machen deutlich, dass bei dem Pflegesohn der Klägerin erhebliche Erziehungserfolge zu verzeichnen gewesen sind, die gefährdet würden, wenn er nicht in gewohnter Weise Zuwendung und Entwicklungsförderung erfahren hätte. Dieser Eindruck wird zudem durch die vom Gericht beigezogenen Unterlagen des Bezirksamts S...bestätigt und verstärkt. Der Umstand, dass diese Unterlagen den Entwicklungsstand J...in einem Zeitraum nach Beendigung der Hilfe zur Erziehung durch den Beklagten dokumentieren, ist dabei unerheblich. Es ist nicht ersichtlich oder geltend gemacht, dass sich die Situation des Pflegekindes der Klägerin ab Mai 2009 grundsätzlich geändert haben könnte.
Die Klägerin schildert in ihrem Bericht über die jährliche Hilfeplanung vom 26. Juni 2011 unter der Überschrift „Entwicklung im sozialen und emotionalen Bereich“, dass sich im Berichtszeitraum die Pflegefamilie um zwei Mitglieder erweitert habe und J...seine neuen Familienmitglieder sofort an ihren Stimmen erkenne und dann freudig erregt reagiere. Der Umzug in eine neue Wohnung sowie der Schulwechsel beider Schwestern hätten wieder zu neuen Kontakten / Aktivitäten geführt, bei denen er, sofern möglich, integriert werde. Er besuche einmal wöchentlich die P...-Schule. Im Zeugnis der P...-Schule, einer Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, vom 6. Juli 2010 wird der Pflegesohn der Klägerin verbal beurteilt. Darin heißt es etwa: J...zeige viel Freude an der Kommunikation und Interaktion. Ihm vertraute Bezugspersonen könne er stimmlich klar von anderen unterscheiden. Zur Begrüßung strahle er häufig. Besonders viel Spaß habe er am Austausch von Lauten. Dabei scheine er zunehmend abzuwarten, bis seine Laute mit einem ähnlichen Klang beantwortet würden. Insgesamt vermittle er den Eindruck, dass ein großer Teil der Wahrnehmung über den akustischen Kanal laufe. Er zeige sichtliches Vergnügen beim Ertönen bestimmter Geräusche. Um ihn in seiner Eigenaktivität zu stärken, würden ihm unterschiedliche Aktivitäten angeboten, durch die er selber Geräusche erzeugen könne. Zunehmend länger gelinge J...feinmotorisch das Festhalten des Klangschlegels. Im Bällebecken liegend werde er mit beiden Armen ausdauernd aktiv, um sich das Rollen der Plastikbälle anzuhören. Darüber hinaus zeige J...auf der visuellen Ebene eine deutliche Aufmerksamkeitshaltung, wenn Lichtquellen in seinem Gesichtsfeld erschienen. Manchmal ließe sich beobachten, dass er diese mit den Augen oder einer Kopfwendung zu verfolgen beginne. Da er ganzkörperlich wenig Möglichkeiten zur Eigenbewegung habe, finde ein Teil des Unterrichts auf dem Schoß statt, um ihn unterschiedliche Eindrücke erleben zu lassen. Zu den Bewegungen würden Liedbegleitungen gesungen. Den Einsatz von Musik genieße er sehr. Beim Wiedererkennen einer Lieblingsmusik freue er sich sichtlich ganzkörperlich.

b. Der beklagte Landkreis ist die im Sinne des § 39 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII nach Landesrecht zuständige Behörde, um die Pauschalbeträge für laufende Leistungen zum Unterhalt festzusetzen. Dies folgt aus der Kompetenz der Landkreise als örtliche Träger der Jugendhilfe (vgl. § 1 Abs. 1 AGKJHG), die im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. Artikel 97 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg) in ihrem Gebiet grundsätzlich alle Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft wahrnehmen (vgl. auch Drucksache des Landtags Brandenburg 5/1787). Von der Verordnungsermächtigung des § 27 Nr. 2 AGKJHG Bbg zur Festsetzung laufender Leistungen zum Unterhalt gemäß § 39 Abs. 2 und 5 SGB VIII ist im Land Brandenburg bisher nicht Gebrauch gemacht worden. Der Umstand, dass die Pauschalbeträge lediglich durch Richtlinie des örtlichen Jugendhilfeträgers und nicht durch Landesgesetz oder aufgrund eines Landesgesetzes festgesetzt werden, ist unschädlich. Die Ermächtigung in § 39 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII („Das Nähere regelt Landesrecht“) fordert nicht ein Gesetz im formellen Sinne. Landesrecht können auch Verwaltungsvorschriften sein. Hätte der Gesetzgeber des SGB VIII unter Landesrecht zumindest eine Rechtsverordnung verstanden, hätte er das ausdrücklich bestimmt (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Pauschalbeträge in Niedersachsen durch Erlass des Kultusministeriums OVG Lüneburg, Urteil vom 10. März 1999 - 4 L 2667/98 -, NVwZ-RR 2000, S. 30 f., Rn. 24 bei juris).

c. Der Anspruch der Klägerin scheitert entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung schließlich nicht daran, dass auf ihn die Leistungen der Pflegekasse anzurechnen wären. Zwar erhielt der Pflegesohn der Klägerin Leistungen der Pflegestufe III gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI in Höhe von seinerzeit 665 Euro je Monat, so dass im Falle einer Anrechnung der Anspruch auf die Erziehungspauschale bei erweitertem Förderbedarf von 600 Euro entfiele. Der Bezug von Pflegegeld nach § 37 SGB XI schließt die Gewährung von Leistungen zur Pflege und Erziehung nach § 39 Abs. 1 und 4 SGB VIII jedoch wegen des unterschiedlichen Charakters beider Leistungsarten nicht aus.
Die Leistungen der Pflegeversicherung haben grundsätzlich keinen abschließenden Charakter. Mit ihnen wird eine Vollversorgung der Pflegebedürftigen weder angestrebt noch erreicht, da die Pflegeversicherung nur eine soziale Grundsicherung in Form der unterstützenden Hilfeleistungen darstellt (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2000 - 5 C 34/99 -, BVerwGE 111, 241 ff., Rn. 16 bei juris; VGH München, Urteil vom 10. November 2005 - 12 BV 04.1638 -, Rn. 29 bei juris). Im Hinblick auf den im Sozialleistungsrecht geltenden Grundsatz, dass Doppelleistungen ausgeschlossen werden sollen, würde etwas anderes allerdings dann gelten, wenn die Leistungen nach § 37 SGB XI wegen eines Sonderbedarfs gewährt werden, für den der Hilfeempfänger Leistungen nach dem SGB VIII begehrt. Ein solcher Doppelleistungscharakter ist im Hinblick auf die hier streitigen Leistungen der Jugendhilfe für die Erziehung eines besonders entwicklungsbeeinträchtigten Kindes und die Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI indes nicht anzunehmen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 SGB XI werden die Leistungen der Pflegeversicherung für den Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung gewährt. Dementsprechend sind gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Pflegebedürftige der Pflegestufe III Personen, die - wie der Pflegesohn der Klägerin - bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Die Leistungen nach der Pflegeversicherung beschränken sich demnach im Wesentlichen darauf, die menschlichen Grundbedürfnisse, was Ernährung, Körperpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und Mobilität anbelangt, zu befriedigen. Demgegenüber geht es aus den bereits dargelegten Gründen bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen im Sinne des SGB VIII um die Förderung der Entwicklung seiner Persönlichkeit und seiner geistigen Fähigkeiten sowie der Ausschöpfung der jeweiligen Möglichkeiten einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Letztlich geht es dabei um Maßnahmen, die sich deutlich von einer bloßen ernährungstechnischen und hauswirtschaftlichen Grundversorgung, wie sie die Leistungen der Pflegeversicherung bezwecken, unterscheiden.
Ob etwas anderes dann gilt, wenn das Pflegegeld nach § 37 SGB XI zumindest auch wegen des Sonderbedarfs gewährt wird, mit dem die Erhöhung des pauschalierten Pflegegeldes nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII begründet wird (so der VGH München, a.a.O., Rn. 30 bei juris), kann vorliegend auf sich beruhen. Der Sonderbedarf des Pflegesohns der Klägerin besteht hier nicht in dem erheblichen Betreuungsaufwand, der auch die von der Pflegeversicherung bezweckte Hilfe für die gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens umfasst, sondern er bezieht sich auf die hiervon zu unterscheidenden Maßnahmen der Förderung und Entwicklung im Bereich der Erziehung.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Bezüge:

§ 33.2 SGB VIII

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