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Herausnahme aus der Pflegefamilie wegen möglicher sexueller Gefährdung
2014 nahm ein Ehepaar ein Kind mit dem Ziel der Adoption auf. Das Jugendamt hatte die Vormundschaft für das Kind. Während des Adoptionsverfahrens erfuhr das Jugendamt in 2018, dass der Pflegevater schon 2013 wegen des Besitzes von kinderpornografischen Bildern und Videos zu einer mehrmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Die Eheleute hatten diese Tatsache bei der Bewerbung als Adoptiveltern nicht angegeben. Nun sah das Jugendamt eine mögliche sexuelle Gefährdung des Kindes durch den Pflegevater und beabsichtigte die Herhausnahme des Kindes. Die Pflegeeltern stellten daraufhin einen Antrag auf Verbleib. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag ab mit der Begründung:
Die Voraussetzungen der Verbleibensanordnung lägen nicht vor. Im Gegenteil könne angesichts der Verurteilung des Pflegevaters nicht verantwortet werden, das Kind in seinem Haushalt zu belassen. Die Gefährdung des Kindeswohls lasse sich nur durch die Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt abwenden, weil keine ständige Überwachung möglich sei.
2019 wurde das Kind aus der Pflegefamilie herausgenommen, zuerst in einer anderen Adoptivpflegefamilie und von dort aus einige Wochen später in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Die Adoptivpflegeeltern gingen gegen die Herausnahme des Kindes beim Oberlandgericht in Beschwerde. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens trennten sich die Pflegeeltern. Der Pflegevater zog aus dem gemeinsamen Haus aus und nahm seine Beschwerde zurück. Die Pflegemutter betrieb das Beschwerdeverfahren nunmehr mit dem Ziel weiter, die Rückführung des Beschwerdeführers an sie alleine zu erreichen.
Der Mann war in die direkte Nachbarschaft gezogen und erklärte, für Frau und Kind weiter einzustehen zu wollen. Das OLG beschloss, trotz Warnung des Jugendamtes, die Rückführung des Kindes zu der Pflegemutter. Der Amtsvormund des Kindes ging für sein Mündel in Beschwerde vor das Bundesverfassungsgericht. Der Vormund sah die Gefährdung des Kindes nicht aufgehoben, da die Eheleute weiterhin eng zusammen sein wollten und beantragte eine Beschwerde für sein Mündel beim Bundesverfassungsgericht. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers zur Entscheidung an und erläutert dazu:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere wird der selbst nicht verfahrensfähige Beschwerdeführer im Verfassungsbeschwerdeverfahren durch das Jugendamt als Amtsvormund wirksam vertreten. Ein Interessenkonflikt zwischen dem Beschwerdeführer und dem Amtsvormund, der eine Vertretung ausschließen würde, besteht nicht.
In seinem Beschluss setzt sich das BVerfG kritisch mit dem OLG-Beschluss auseinander und schreibt u.a. dazu:
Bei der Annahme, eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Haushalt der Pflegemutter beinhalte keine Kindeswohlgefährdung und die Gefahr eines Missbrauchs des Beschwerdeführers durch den Pflegevater sei durch die erteilte Auflage so weit herabgesetzt, dass sie einer Rückführung zur Pflegemutter nicht entgegenstehe, berücksichtigt das Oberlandesgericht nicht alle für eine solche Gefährdung des Kindeswohls sprechenden Umstände. [...]
Das Oberlandesgericht berücksichtigt bei seiner Würdigung nicht, dass die Pflegeeltern nach der Aufdeckung der Taten des Pflegevaters noch lange Zeit zusammenlebten und sogar gemeinsam zunächst versuchten, diese Taten zu verheimlichen und sodann zu verharmlosen, indem unter anderem die Pflegemutter gegenüber dem Jugendamt erklärte, die Taten seien nicht von Bedeutung, denn der Pflegevater habe nicht selbst ein Kind missbraucht. Die beteiligten Fachpersonen haben die Einschätzung geäußert, dieses Verhalten der Pflegeeltern lasse darauf schließen, dass insbesondere die Pflegemutter die Gefahr eines Missbrauchs des Beschwerdeführers durch den Pflegevater nicht anerkennt und lasse daher auch Zweifel aufkommen, ob sie bereit ist, konsequent und langfristig Maßnahmen zum Schutz des Beschwerdeführers durchzuführen [...]
Bei der Annahme, es liege eine endgültige Trennung der Pflegeeltern vor, berücksichtigt das Oberlandesgericht nicht die aus dem Ablauf des Verfahrens und den Umständen der Trennung resultierenden Anhaltspunkte, die gegen die endgültige Aufhebung einer ehelichen Lebensgemeinschaft und der Beziehung der Ehegatten sprechen. So haben die Pflegeeltern stets ‒ auch nach der Trennung ‒ ihre gegenseitige Verbundenheit zum Ausdruck gebracht und gegenüber dem Jugendamt geäußert, dass sie den Wunsch hätten, zusammen zu leben. Die Pflegeeltern begehrten vor dem Amtsgericht zunächst, den Beschwerdeführer gemeinsam weiter zu betreuen. Erst nach der erstinstanzlichen Entscheidung vollzogen sie die Trennung, die sie selbst damit begründeten, dass nur so eine Betreuung des Beschwerdeführers durch die Pflegemutter ermöglicht werden könne. Der Pflegevater wolle sie glücklich sehen und ihr ermöglichen, ein eigenes Kind zu betreuen. Unmittelbar nach der Trennung erklärten sie aber auch gegenüber dem Jugendamt, der Pflegevater habe eine neue Anschrift, lebe aber weiterhin bei der Pflegemutter. [...]
Die Annahme der bei der Pflegemutter vorhandenen Erziehungsfähigkeit beruht ebenfalls nicht auf einer hinreichend zuverlässigen Grundlage. Insoweit führt das Oberlandesgericht lediglich aus, die Erziehungsfähigkeit der Pflegemutter habe seit jeher außer Frage gestanden. Es berücksichtigt dabei nicht, dass das Jugendamt durchaus Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Pflegemutter geäußert hat, die zum einen aus ihrer fehlenden Anerkennung der Gefahr eines Missbrauchs des Beschwerdeführers durch den Pflegevater resultieren als auch aus Äußerungen der Pflegemutter gegenüber dem Jugendamt, sie wisse nicht, wie sie das Leben mit Kind ohne den Pflegevater finanzieren könne und ob sie der Betreuung des Kindes als Alleinerziehende gewachsen sei. Insbesondere mit dem selbst festgestellten Gesichtspunkt, dass die Pflegemutter nunmehr alleine die Betreuung des Beschwerdeführers übernehmen müsste und der Frage, ob zu erwarten ist, dass sie mit dieser neuen Situation hinreichend umgehen kann, setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. [...]
Auch für die Annahme, durch die erteilte Auflage sei die Gefahr eines Missbrauchs des Beschwerdeführers durch den Pflegevater so weit herabgesetzt, dass sie einer Rückführung des Beschwerdeführers zur Pflegemutter nicht entgegenstehe, ist den Gründen des Beschlusses eine tragfähige Grundlage nicht zu entnehmen. Dabei ist das Bestehen einer Gefahr eines sexuellen Missbrauchs des Beschwerdeführers durch den Pflegevater bei einem unüberwachten Kontakt zu unterstellen. Das Oberlandesgericht geht nach seiner Begründung selbst von dieser Gefahr aus. Eine weitere insbesondere gutachterliche Abklärung der Gefahr, insbesondere der sexuellen Neigungen und der Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs auf den Beschwerdeführer, hat es nicht vorgenommen. Es wäre aber eine weitergehende Auseinandersetzung damit erforderlich, dass die räumliche Nähe der Wohnungen der Pflegeeltern kurzfristige gegenseitige Besuche ermöglicht und auch zufällige Begegnungen möglich erscheinen lässt. Zudem berücksichtigt das Oberlandesgericht auch die weiterhin bestehende Zuneigung der Pflegeeltern zueinander und den zum Ausdruck gekommenen Wunsch nach einem Zusammenleben oder zumindest gemeinsamer Zeit nicht. [....]
Die Feststellung des Oberlandesgerichts, die Rückführung des Beschwerdeführers entspreche seinem Willen, beruht ebenfalls nicht auf einer erkennbaren hinreichenden Grundlage. Auf eine eigene Anhörung des Beschwerdeführers konnte das Oberlandesgericht seine Feststellung nicht stützen, weil es von einer solchen abgesehen hat. [...]
Auch in Bezug auf die Annahme, der Beschwerdeführer werde durch das Aufrechterhalten der Trennung von der Pflegemutter erheblich beeinträchtigt, ist keine hinreichend zuverlässige Grundlage der Feststellungen des Oberlandesgerichts erkennbar. Aus der angegriffenen Entscheidung ergibt sich nicht, aus welchen Erkenntnisquellen das Oberlandesgericht seine Erkenntnisse über das aus seiner Sicht auffällige Verhalten des Beschwerdeführers gezogen hat und aufgrund welcher ‒ insbesondere fachlichen ‒ Grundlage es den Schluss zieht, dieses Verhalten sei (allein) auf eine Traumatisierung aufgrund der Trennung von der Pflegefamilie zurückzuführen und der Beschwerdeführer habe bislang nur lose Bindungen in der Jugendhilfeeinrichtung geknüpft. Den im Verfahren vorgelegten fachlichen Stellungnahmen kann diese Erkenntnis nicht entnommen werden. Im Gegenteil berichten Jugendamt und Verfahrensbeiständin, dass sich der Beschwerdeführer in der Wohngruppe gut eingelebt habe. Anderweitige Erkenntnisquellen für die Feststellungen des Oberlandesgerichts sind nicht ersichtlich. [...]
Zu den Anforderungen und Folgen einer Verbleibensanordnung nach 1632.4 BGB in einer Bereitschaftspflege