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13.10.2015
Gerichtsbeschluss erklärt

Urteil zur Kostenheranziehung junger Menschen in der Jugendhilfe

Das Verwaltungsgericht Berlin hat ein wesentliches Urteil zur Kostenheranziehung von jungen Menschen, die in der Jugendhilfe leben (hier in einer Pflegefamilie) erlassen.

Im Rahmen dieses Urteils beschäftigt sich das Verwaltungsgericht mit den Fragen:

  • Ist eine Heranziehung überhaupt gerechtfertigt?
  • Wenn ja, welcher Zeitraum ist für Einkünfte des jungen Menschen maßgeblich?.

Heranziehung

Zur Frage, ob eine Heranziehung überhaupt gerechtfertigt ist urteilt das Gericht
"Ausbildungsverhältnisse erscheinen daher - anders als es der Beklagte sieht - nicht als generell ausgeschlossen von einer Bewertung als Tätigkeit im Sinne des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGBVIII".

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§ 94 SGB VIII - Umfang der Heranziehung
Absatz 6:
Bei vollstationären Leistungen haben junge Menschen und Leistungsberechtigte nach § 19 nach Abzug der in § 93 Absatz 2 genannten Beträge 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen.

Das Urteil weist hierzu auch auf die Begründung im Gesetzesentwurf hin. Dort heißt es:

Ähnlich formulierte es die Begründung des Gesetzesentwurfes zum KJVVG. Dort heißt es zu § 94 Abs. 6 SGB VIII (BT-Drs. 17/13023, S.15):
Nach bisheriger Rechtslage hatten die Jugendämter keinen rechtlichen Spielraum, um in besonderen Fällen von der Kostenheranziehung junger Menschen in vollstationärer Unterbringung absehen zu können. Eine Kostenbeteiligung stationär untergebrachter Kinder und Jugendlicher kann jedoch in Einzelfällen zu dem Auftrag der Kinder-und Jugendhilfe in Widerspruch stehen, junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und sie zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren. Diesem Auftrag läuft eszuwider, wenn jungen Menschen die (ggf. ohnehin geringe) finanzielle Anerkennung für eine Tätigkeit genommen wird, die gerade dem (pädagogischen) Zweck der Jugendhilfeleistung dient. Hierzu gehören Tätigkeiten, in denen der junge Mensch Eigeninitiative ergreift und sich Verantwortungsbewusst gegenüber seinem Leben und seiner Zukunft zeigt.

Maßgebender Zeitraum

Zur Frage des maßgeblichen Zeitraumes möglicher Anrechnung heißt es im Urteil:

Der maßgebende Zeitraum für die Berechnung folgt vielmehr aus § 93 Abs. 4 SGB VIII. Diese Vorschrift (unter der gesetzlichen Paragraphenüberschrift „Berechnung des Einkommens“) lautet in der Fassung des Kinder-und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetzes:
Maßgeblich ist das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht.

§ 93 SGB VIII Berechnung des Einkommens:
Absatz 4
Maßgeblich ist das durchschnittliche Monatseinkommen, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht. Auf Antrag der kostenbeitragspflichtigen Person wird dieses Einkommen nachträglich durch das durchschnittliche Monatseinkommen ersetzt, welches die Person in dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme erzielt hat. Der Antrag kann innerhalb eines Jahres nach Ablauf dieses Kalenderjahres gestellt werden. Macht die kostenbeitragspflichtige Person glaubhaft, dass die Heranziehung zu den Kosten aus dem Einkommen nach Satz 1 in einem bestimmten Zeitraum eine besondere Härte für sie ergäbe, wird vorläufig von den glaubhaft gemachten, dem Zeitraum entsprechenden Monatseinkommen ausgegangen; endgültig ist in diesem Fall das nach Ablauf des Kalenderjahres zu ermittelnde durchschnittliche Monatseinkommen dieses Jahres maßgeblich.

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Weiterlesen: 
Gerichtsbeschluss

von:

vom: 
05.03.2015

Kostenheranziehung von jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe

Das Verwaltungsgericht weist darauf hin, dass von einer Kostenheranziehung eines jungen Menschen in Ausbildung im Rahmen einer Ermessensentscheidung abgesehen werden kann und dass, wenn eine Kostenheranziehung unumgänglich ist, nur die Einkünfte des Vorjahres heranzuziehen sind.

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