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Zur Frage des Umgangsauschluss wegen ablehnenden Kindeswillen
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In einem Urteil des Oberlandgerichtes Schleswig ging es um die Frage der Wertung des Kindeswillens. Vier Kinder im Alter von knapp sechs, acht, zehn und elf Jahren lehnten einen Besuchskontakt zu ihrem leiblichen Vater ab.
Das Gericht schreibt in seinem Urteil dazu:
Hinweise zu Fundstellen haben wir aufgrund besserer Lesbarkeit aus dem Text genommen. Diese können Sie im kompletten Urteil lesen - den Link dazu finden Sie unten.
3. Zwar ist ein wesentlicher Aspekt bei der Prüfung des Kindeswohls, § 1697 a BGB, der Kindeswille. Der Wille des Kindes ist Ausdruck seiner Selbstbestimmung und ein Bindungsindiz, wobei die Bindung und der tatsächlich geäußerte Wille nicht übereinstimmen müssen. Das Persönlichkeitsrecht des Kindes erfordert es, seine Wünsche und Interessen bei der Umgangsregelung zu berücksichtigen; wobei mit zunehmendem Alter dem geäußerten Willen des Kindes immer stärkere Bedeutung zukommt. Ab einem Alter von ca. 11-13 Jahren dürfte die Anordnung eines Umgangs gegen einen gefestigten Willen des Kindes nicht mehr in Betracht kommen. Allerdings kommt dem Willen des Kindes kein absoluter Vorrang zu. Vielmehr ist er gegen die Interessen des Umgangsberechtigten abzuwägen.
Wenn und soweit – wie hier – die Kinder verbal den Umgang ablehnen, ist das Familiengericht verpflichtet, nähere Feststellungen zu den Gründen für die Ablehnung und insbesondere zur Qualität des Kindeswillens zu treffen. Ein Kindeswille ist dabei grundsätzlich beachtlich, wenn er autonom, intensiv, stabil und zielorientiert ist. Wenn der Kindeswille eine derartige Qualität hat, ist ein Übergehen des Kindeswillens in aller Regel kindeswohlgefährdend, da dieses Übergehen zu einem Verlust von Selbstwirksamkeitsüberzeugung des Kindes führen würde. Dieser Fall ist von dem zu unterscheiden, bei dem das Kind zwar eine erhebliche Ablehnungshaltung hat, dieser ablehnende Wille aber durch die vom betreuenden Kindeselternteil grundsätzlich zu fordernde erzieherische Einwirkung ohne Kindeswohlgefährdung überwunden werden kann.
Die weitere Zusammenfassung des Urteils erhalten Sie in unserem Abonnement.4. Die bisherigen Feststellungen des Familiengerichts tragen lediglich die Entscheidung über den Ausschluss von unbegleiteten Umgangskontakten.
Für einen Ausschluss von begleiteten Umgangskontakten reichen die bisherigen Feststellungen nicht aus. Zwar ist auch in den Fällen des Umgangsausschlusses nicht zwingend die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens geboten. Insbesondere bei älteren Kindern (ab ca. 11 – 13 Jahren), die in einem stärkeren Maß als jüngere Kinder zu einer autonomen unbeeinflussten Willensbildung in der Lage sind, dürfte häufig ein Sachverständigengutachten entbehrlich sein und eine aussagekräftige Kindesanhörung genügen. Dafür spricht insbesondere der Umstand, dass die vom betreuenden Elternteil zu fordernde erzieherische Einwirkung bei einem verfestigten Kindeswillen in diesem Alter regelmäßig nicht mehr zum Erfolg führen dürfte.
Bei einer von jüngeren Kindern geäußerten Ablehnung des Umgangs dürfte hingegen zur Feststellung der Voraussetzungen für einen vollständigen Umgangsausschluss häufig ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten erforderlich sein.
So liegt der Fall nach Auffassung des Senats hier.
Das älteste Kind M. ist 11 Jahre alt, das Kind Le. wird 6 Jahre, das Kind O. 8 und das Kind L. 10 Jahre. Jedenfalls bei den Kindern Le. und O. kann nicht ohne weiteres von einem verfestigten Kindeswillen und der Erfolglosigkeit von erzieherischen Einwirkungen auf das Kind zur Wahrnehmung von Umgangskontakten ausgegangen werden.
Die bisherigen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts hält der Senat im vorliegenden Fall nicht für geeignet, um die rechtlichen Voraussetzungen für den Ausschluss auch von begleiteten Umgangskontakten hinreichend zu klären.
Die Gestaltung der Kindesanhörung durch das Familiengericht trägt dem Erfordernis einer möglichst aussagekräftigen Ermittlung des Kindeswillens nicht hinreichend Rechnung. Aufgrund des verschiedenen Alters/Entwicklungsstandes der Kinder und ihrer ggf. unterschiedlichen Wahrnehmung und Verarbeitung der verfahrensgegenständlichen Vorgänge erscheint es nicht sachgerecht, alle vier Kinder zusammen persönlich anzuhören. Insbesondere ergibt sich dann nach Erfahrung des Senats, dass je nach Persönlichkeitsstruktur der einzelnen Kinder ein Teil der Kinder sich den Äußerungen von Geschwisterkindern ohne weiteres anschließen. Der autonome Wille der einzelnen Kinder wird dann nicht hinreichend deutlich. Dieser Umstand ist auch von der Verfahrensbeiständin in ihrer Stellungnahme vom 5. März 2015 thematisiert worden. Dort heißt es u.a.: „Wobei sich Le. an den Äußerungen der älteren Geschwister orientiert, da sie sich nicht erinnert, wann sie den Vater zuletzt gesehen hat und wie der Kontakt war“. Dieser Umstand spricht bei dem Kind Le. eher gegen einen autonomen gefestigten Willen. Bei ihrer Ablehnung dürfte eher eine etwaige Beeinflussung durch die Geschwisterkinder im Vordergrund stehen.
Auch der Umstand, dass im Jahre 2013/14 begleitete Umgangskontakte und danach sogar unbegleitete Umgangskontakte durchgeführt wurden, die zum Teil auf den Wunsch der Kinder zurückgingen, spricht gegen eine stark verfestigte Ablehnungshaltung der Kinder.
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Familiengericht wird zunächst ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten dahingehend einzuholen haben, ob Umgangskontakte und insbesondere auch begleitete Umgangskontakte das Wohl der Kinder konkret und erheblich gefährden. Im Rahmen dieses Sachverständigengutachtens sollte insbesondere auf die Qualität des jeweiligen Kindeswillens eingegangen werden und auf die Frage, ob durch die von der Kindesmutter grundsätzlich zu fordernden erzieherischen Einwirkungen begleitete Umgangskontakte ohne Kindeswohlgefährdung durchgeführt werden können.
Weiterhin ist zu prüfen, ob im Rahmen der zu treffenden Entscheidung des Familiengerichts der Maßstab für eine Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen aus § 1696 Abs. 2 BGB zu entnehmen ist. In diesem Beschluss sind begleitete Umgangskontakte angeordnet. Zwar steht es den Eltern frei – wie hier geschehen – im Konsens von dieser Regelung abzuweichen. Dieser Konsens hat aber spätestens mit dem Antrag der Kindesmutter auf Aussetzung des Umgangs ihr Ende gefunden.
Im Hinblick auf die weitere zu erwartende Verfahrensdauer wird das Familiengericht auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf das Umgangsrecht (vgl. § 156 Abs. 3 FamFG) zu prüfen haben.
Das komplette Urteil können Sie unten lesen.