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27.06.2011
Nachricht aus Hochschule und Forschung

Abschluss des Projektes "Pflegekinderstimme"

Das Projekt "Pflegekinderstimme" wurde in Auftrag gegeben von PAN e.V. und gefördert durch die Aktion Mensch. Im Rahmen des Projektes wurden durch die Uni-Siegen erwachsene Pflegekinder interviewt und die Fragebögen und Interviews wissenschaftlich ausgewertet.

Abschlussveranstaltung Projekt Pflegekinderstimme

Am 11. März 2011 fand die Abschlussveranstaltung des Forschungsprojektes „Pflegekinderstimme: Modellprojekt zur Beratung und Qualifizierung von Pflegeeltern“ in Düsseldorf statt. Das zweijährige Projekt wurde von der Aktion Mensch finanziert und in Kooperation zwischen der Universität Siegen (Forschungsgruppe Pflegekinder) und dem Verein PAN (Pflegeeltern und Adoptiveltern in Nordrhein-Westfalen) organisiert und durchgeführt. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte durch Prof. Klaus Wolf und dessen wissenschaftliche Mitarbeiterin Dipl. Pädagogin Daniela Reimer.
Am Vormittag wurden in drei Hauptvorträgen der methodische Zugang, die Abläufe des Projektes sowie aktuelle Fragen erörtert. Anschließend wurde ein Überblick über die erzielten Ergebnisse des Projektes geboten.

Projektgrundlage: Erfahrungen und Schilderungen ehemaliger Pflegekinder

Zunächst hielt Prof. Klaus Wolf (Universität Siegen) den Eröffnungsvortrag, in dem er betonte, dass es sich beim Projekt Pflegekinderstimme um einen besonderen Zugang in das Feld der Pflegekinderhilfe handele. „Es geht darum, systematisch aus den Erfahrungen und Schilderungen von ehemaligen Pflegekindern zu lernen.“ Die Analyse des Interviewmaterials erfolge dabei nicht nach ideologisch vorgeprägten Linien, sondern vor dem Hintergrund der Belastungen und Ressourcen von Pflegekindern. Dadurch würden nicht die immer gleichen Ergebnisse und Erkenntnisse reproduziert und bestätigt, sondern man müsse sich als Forschender auf neue und unbekannte Suchbewegungen begeben und sich dabei auf neue Entwicklungsimpulse einlassen.
Mit Blick auf das Buch „Pflegekinderstimme“, das im Rahmen des Projektes erarbeitet wurde, sagte Prof. Wolf, dass es zum einen Sequenzen enthalte, die Pflegeeltern und auch Fachkräfte aus dem Pflegekinderwesen „richtig gut“ gefallen könnten und zum anderen auch solche, die sicherlich Irritationen auslösen würden. In jedem Fall sei damit zu rechnen, beim Lesen neue Anregungen für die eigene Tätigkeit zu finden.

Projektrahmen

Anschließend beschrieb Christine Schubert (Dipl. Sozialarbeiterin; PAN e.V.) den Projektrahmen. Das Ziel des Projektes sei die Entwicklung von Arbeitshilfen für Akteure des Pflegekinderwesens gewesen. Dieses Ziel habe man durch eine dreistufige Methode verfolgt: Zunächst seien über 50 tiefenbiographisch narrative Interviews mit ehemaligen Pflegekindern geführt und verschriftlicht worden. Die Interviews seien dann Grundlage des wissenschaftlichen Auswertungsprozesses gewesen, der sich auf die Belastungen und Ressourcen von Pflegekindern bezogen hat. Aus dieser Arbeit sei dann ein Kategoriensystem der Belastungen und Ressourcen von Pflegekindern entwickelt worden. In 12 Workshoptreffen hätten Pflegeeltern in vier Standorten die Gelegenheit bekommen, die Themen der Pflegekinder und das Material kennenzulernen und es in Bezug zu ihren eigenen Erfahrungen zu setzen. Auf dieser Grundlage seien schließlich Empfehlungen und Arbeitshilfen für die Akteure des Pflegekinderwesens entwickelt worden.

Einblick in die Projektergebnisse

Der letzte Beitrag des Vormittags erfolgte durch Daniela Reimer (Dipl. Pädagogin; Uni Siegen). Dabei ging es um die Darstellung eines Einblickes in die Projektergebnisse. Insgesamt vier Themenfelder wurden unter Verwendung von Originalzitaten der ehemaligen Pflegekinder vorgestellt und am Ende mit abgeleiteten Empfehlungen präsentiert.

PFLEGEELTERN
Zunächst wurden die Pflegeeltern als zentrale Ressource der Pflegekinder gekennzeichnet. Aus der Perspektive der ehemaligen Pflegekinder seien es entscheidende Aspekte gewesen, was ihnen ihre Pflegeeltern bieten, zur Verfügung stellen und ermöglichen konnten. Dabei handelte es sich nicht um besondere materielle Bedingungen der Pflegefamilie, sondern beispielsweise eine sichere Versorgung, eine warme Atmosphäre oder das neue Gefühl, Kind sein zu dürfen. Aus Sicht der an den Workshops beteiligten Pflegeeltern sei dies eine überraschende Erkenntnis gewesen, weil die Pflegeeltern diese Punkte für selbstverständlich gehalten hätten und sich nicht im Klaren darüber gewesen seien, wie bedeutsam diese für die Pflegekinder wären.

LEIBLICHEN KINDER DER PFLEGEELTERN
Anschließend wurde die besondere Bedeutung der leiblichen Kinder der Pflegeeltern vorgestellt. Sie besäßen ein „enormes Potential, das Pflegeverhältnis zum Gelingen oder zum Scheitern zu bringen“. Hieran zeige sich, wie wichtig es sei, die leiblichen Kinder nach Möglichkeit von Beginn an in die Entscheidung zur Aufnahme eines Pflegeverhältnisses einzubeziehen. Die ehemaligen Pflegekinder berichten von Situationen, in denen deutlich wird, dass die leiblichen Kinder insbesondere eine besondere Bedeutung dabei hätten, Brücken in die neue Familie zu bauen. Dabei hätten die Interviewpartner auch von Solidaritätsbekundungen zwischen den Kindern berichtet („Der hat sich in der Situation dann auf meine Seite gestellt“), was ihnen sehr wichtig gewesen sei.

LEIBLICHE GESCHWISTER DER PFLEGEKINDER
Der folgende Teil befasste sich mit der wichtigen Rolle, die die leiblichen Geschwister der Pflegekinder in den Interviews gespielt haben. Das, was man gemeinsam in der leiblichen Familie erlebt habe und wie es einem damit in unterschiedlichen Phasen des eigenen Lebens geht, stellt demnach eine wichtige Verbindung zwischen den leiblichen Geschwistern dar. Dies sei unabhängig davon gewesen, ob die Kinder getrennt wurden oder gemeinsam in einer Pflegefamilie untergebracht wurden. Aus den Interviews wird deutlich, dass gemeinsame und getrennte Unterbringungen von Kindern immer sowohl Chancen als auch Risiken beinhalten können. Eine Vereinfachung der Unterbringungspraktik nach dem Motto: „Immer getrennt“ oder „Immer zusammen“ sei aus den Schilderungen der Pflegekinder nicht zu halten. Vielmehr müsse es darum gehen, Kontakte zu den Geschwistern und damit zu einem entscheidenden Teil der leiblichen Familie zu organisieren und zu moderieren, um den Pflegekindern einen Zugang zur eigenen Biografie zu ermöglichen. Deutlich sei auch geworden, dass eine zu große Sorge um und Unkenntnisse über die leiblichen Geschwister für die Pflegekinder zumeist die Möglichkeit verhindere, in der Pflegefamilie anzukommen und sich dort wohlfühlen zu dürfen.

HERKUNFTSFAMILIE DER PFLEGEKINDER
Als vierter und letzter Punkt wurde die Bedeutung der Herkunftsfamilie für die Pflegekinder hervorgehoben. Auch in den Fällen, in denen die Beziehung zu den leiblichen Eltern von Belastungen geprägt gewesen sei, wären diese dennoch wichtig geblieben. Es gäbe phasenweise eine sehr intensive Auseinandersetzung der Pflegekinder mit den Themen leibliche Eltern und Herkunft im Allgemeinen. Aus den Interviews wurde deutlich, dass es den Pflegekindern wichtig sei, zu verstehen, was passiert sei und warum sie nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können. Wichtige Auskünfte erhielten sie dann zumeist von ihren Pflegeeltern. Diesbezüglich sei es ihnen sehr wichtig gewesen, wie die Pflegeeltern über ihre leiblichen Eltern sprechen und wie sie diese darstellen. Es sei bedeutsam gewesen, dass die Pflegeeltern eine neutrale Position gegenüber der Person (nicht gegenüber deren z.T. problematischen Handeln) einnehmen konnten, auch wenn die Pflegekinder selbst über ihre leiblichen Eltern schimpfen.

Fazit

In ihrem Fazit betonte Daniela Reimer die Notwendigkeit und die besondere Chance, wenn zunächst die Pflegekinder und schließlich alle anderen am Pflegeverhältnis beteiligten Personen gehört würden. Zum einen könnte dadurch die institutionelle Weiterentwicklung des Pflegekinderwesens vorangetrieben werden, aber noch wichtiger sei es, die konkrete Lebenssituation von Pflegekindern weiter zu verbessern.

Am Nachmittag wurden folgende Schwerpunkte des Projektes vorgestellt:

1. Pflegekinder und ihre (Halb-)Geschwister (Klaus Wolf; Uni Siegen)
2. Die Herkunftsfamilie und Besuchskontakte (Daniela Reimer; Uni Siegen)
3. Start von Pflegeverhältnissen / Übergang in die Pflegefamilie (Christine Schubert; PAN e.V.)
4. Beendigung von Pflegeverhältnissen / Übergang in die Selbständigkeit (Sabine Wehn; Uni Siegen)

Das Buch zum Projekt

Das Projekt wird zusammengefasst in dem Buch
Pflegekinderstimme – Arbeitshilfe zur Qualifizierung von Pflegefamilien
Autorin: Daniela Reimer.
Inhalt der Arbeitshilfe:
• Vorwort
• Einleitung
• Kapitel 1: Vor der Pflegefamilie
• Kapitel 2: Übergang in die Pflegefamilie
• Kapitel 3: Die Pflegefamilie als Ressource
• Kapitel 4: Pflegefamilien als Belastung – Kardinalfehler von Pflegeeltern und Pflegefamilien
• Kapitel 5: Die Rolle der Herkunftseltern
• Kapitel 6: Besuchskontakte
• Kapitel 7: Die leiblichen Geschwister der Pflegekinder
• Kapitel 8: Leibliche Kinder in Pflegefamilien
• Kapitel 9: Pflegekinder in der Schule
• Kapitel 10: Beendigung von Pflegeverhältnissen
• Kapitel 11: Und danach? Ist die Pflegefamilie eine Familie fürs Leben
• Literatur

Das Buch Pflegekinderstimme ( ISBN-Nr. 978-3-00-034023-9) kann erworben werden beim Herausgeber:
PAN Pflege- und Adoptivfamilien NRW e.V.
Walzwerkstr. 14, 40599 Düsseldorf
Tel: 0211-1799 6380 Fax: 0211-1799 6381
Email: info@pan-ev. de Internet: www.pan-ev.de
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