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Willkommen und Abschied
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Willkommen
Der Wunsch zukünftiger Pflegeeltern ein Kind in ihrer Familie aufnehmen zu wollen ist mehr als nur eine Entscheidung für ein Pflegekind, es ist eine Entscheidung zu einer Lebensumstellung. Das Willkommen für ein Pflegekind bedeutet auch ein Willkommen von Unabwägbarkeiten, ein Willkommen von bisher nicht Gekannten, von vielen neuen Erfahrungen, von neuem Wissen, von neuen Menschen, neuem Denken, manchmal auch von Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit, Unverständnis und Kampf.
Um ein Pflegekind bei sich willkommen heißen zu können, müssen zukünftige Pflegeeltern im Vorhinein viel lernen und viel über sich preisgeben. Sie haben sich beim Jugendamt oder dem Freien Träger beworben. Sie haben Unterlagen geschickt: Gesundheitszeugnisse, Gehalt der letzten drei Monate, Lebenslauf, ausgefüllte Fragebögen, Passbilder und erweiterte Führungszeugnisse.Sie haben Vorbereitungsseminare besucht und Vorbereitungsgespräche mit den Fachkräften der Pflegekinderdienste gehabt.
Wer Pflegemutter oder Pflegevater wird, bleibt nicht der Mensch, der er oder sie bisher waren. Das Pflegekind wird die Welt auf den Kopf stellen. Durch das Kind werden sich bisherige Freundschaften beenden und neue Freundschaften geschlossen werden. Mit Nachbarn werden Pflegeeltern neue Erfahrungen machen und in Kindergarten und Schule werden sie besonders beäugt werden. Ein Pflegekind mischt das Leben auf, erweitert den Horizont, bringt Freude, Kummer und vielleicht viel Stress. Ein Pflegekind wird immer etwas Fremdes in sich haben, nie werden die Pflegeeltern alles über das Kind und sein bisheriges Leben wissen. Das muss man wollen. Auch das müssen Pflegeeltern willkommen heißen.
Im Vorwort zu dem Moses-Online-Themenheft ‚Hilfeplan‘ www.moses-online.de/themenheft/hilfeplan habe ich geschrieben:
Schon bei der Vorbereitung auf ihre zukünftige Aufgabe erfahren Pflegeelternbewerber, dass amtliches Tun einen wesentlichen Anteil haben wird in der Aufgabe, die sie sich ausgesucht haben. Sie werden ‚Beteiligte‘ in einem jugendamtlichen Handeln, welches sich auf Gesetze, Verordnungen, Empfehlungen, fachliche Standards, internen Konzepten, Erfahrungen und persönlichen Haltungen der Fachkräfte bewegt. Sie werden ein Rad in einem Apparat, den sie nicht mit aufgebaut haben und dessen Bewegungen und Funktionen ihnen oft unverständlich sind. Sie kennen die Gebrauchsanleitung nicht oder haben vielleicht nur kurz reinschauen können. Amtliches Tun ist trotz aller Handlungsregelungen nicht immer logisch nachvollziehbar. Manchmal sogar verwirrend für das Amt selbst, umso verwirrender für ‚Beteiligte‘, die nicht in Amtsstrukturen denken.
Das Willkommen eines Pflegekindes ist also auch das Willkommen einer sich sehr verändernden Lebenssituation für die Pflegeeltern.
Solche Veränderungen bedürfen der Vorbereitung – Vorbereitung durch die zukünftigen Pflegeeltern selbst und Vorbereitung durch die Institutionen, mit denen diese Pflegeeltern dann zu tun haben.
Ich weiß von vielen Vorbereitungsseminaren für Bewerber, wie intensiv sich diese Bewerber mit der Aufnahme eines Pflegekindes beschäftigt haben und wie aufgeschlossen sie den Informationen und Gesprächen der Fachkräfte gegenüber dadurch geworden sind. Sie wollen ihr Pflegekind mit offenem Herzen, viel Verständnis und Zuneigung willkommen heißen und wissen, dass sie dafür erst einmal einen langen Weg gehen müssen.
Wenn dann die umfangreichen Bedingungen für die generelle Geeignetheit zur Pflegeelternschaft erledigt sind, gibt es ein tiefes Durchatmen und die innere Vorbereitung auf dieses eine spezielle Kind nimmt konkretere Züge an. Willkommensszenarien werden durchdacht und die Wartezeit mühselig ertragen.
Die meisten Pflegeeltern wünschen sich ein dauerhaft bei ihnen untergebrachtes Kind und denken an den Anfang eines gemeinsamen Lebens.
Anders erleben dies die Pflegeeltern, die sich zur Aufnahme von Kindern in Bereitschaftspflege entschlossen haben. Diese Pflegeeltern denken schon zu Beginn, schon beim Willkommen an den Abschied. Natürlich wissen auch sie, dass jedes Kind einzigartig ist und so angenommen und willkommen werden will, wie es ihm entspricht. Immer wieder müssen sich die Pflegeeltern auf jedes Besuchskind neu einlassen.
Eine sehr erfahrene Bereitschaftspflegemutter schrieb dazu:
Wenn ein Kind zu uns gebracht wird, ist es meistens verstört und geschockt, das heißt in der Praxis: das eine Kind versteckt sich unterm Tisch, das andere geht aggressiv auf uns los, ein nächstes sitzt apathisch in der Ecke oder verschläft seinen Schock. Einige Kinder sind allerdings auch so distanzlos, dass sie zur Tür reinkommen, sofort alles untersuchen und einfach da sind.
In der ersten Woche nach einer Neuaufnahme wird unser Familienleben erst einmal ordentlich durcheinander gewirbelt. Je nach Alter des Kindes entwickelt sich immer wieder ein anderer Tagesablauf. Ein Schul- oder Kindergartenkind hat natürlich ganz andere Bedürfnisse und es ergeben sich andere Zeitabläufe als bei einem Säugling oder Kleinkind.
Je nachdem wie traumatisiert oder vernachlässigt ein Kind ist, stellt es hohe Anforderungen an unser Einfühlungsvermögen und Verständnis. Meist haben diese Kinder keine Tagestruktur, sie kennen keine Grenzen und Regeln. Viele Kinder kennen keine regelmäßigen Mahlzeiten am Tisch. Es ist für sie auch nicht selbstverständlich in einem Bett in ruhiger Umgebung zu einer bestimmten Zeit schlafen zu gehen. Gleichzeitig stecken sie voller Angst und Misstrauen.
In Seminaren zu ‚Willkommen und Abschied‘ erklärten viele Pflegeeltern, dass für sie das Willkommen immer in Begleitung mit dem Jugendamt gewesen sei. „Ich war beim Jugendamt willkommen“ hieß es dazu. Natürlich lassen sich diese Gefühle auch auf einen Verein übertragen, der in diesem Bereich die Arbeit des Jugendamtes übernommen hat.
Wie empfinden denn die zukünftigen Pflegeeltern die Wartezeit auf das Pflegekind?
Die wartenden Pflegeeltern schilderten folgende Gefühle:
- Wir hatten das Gefühl schwanger zu sein – aufs Kommen des Kindes generell
- Wir warteten auf das Kommen – kommt es denn auch ??
- Wir stellten uns vor, jemanden willkommen zu heißen, den wir nicht kennen.
- Willkommen als Besucher oder als Geschwisterkind, je nachdem ob Bereitschaftspflege oder Dauer.
- Wir waren aufgeregt und stellten uns alles Mögliche vor.
- Wir überlegten ganz konkrete Dinge: Zimmer einrichten, wo soll es schlafen etc.
- Wir überlegten mit unseren leiblichen Kindern zusammen und wollten sie an Allem teilhaben lassen
Die Dauer der Wartezeit war natürlich auch ein Thema
- Wir empfanden die Wartezeit als lang und waren glücklich, wenn wir vom Jugendamt zu Seminaren etc. eingeladen wurden – denn dann hatten sie uns offensichtlich nicht vergessen.
- Wir wussten nicht: sollen wir uns nochmals beim Amt melden um unser Interesse zu zeigen, oder gehen wir denen damit auf den Geist?
- Wir fragten andere Pflegeeltern, wie lange es denn bei ihnen gedauert hatte.
- Unser Jugendamt sagte uns, dass die Wartezeit mindestens neun Monate dauern würde, solange wäre ja auch eine Schwangerschaft.
- Bei uns ging es ratz, fatz – eigentlich wusste das Amt nicht, wo sie das Kind denn unterbringen sollten.
Kinderlose Paare warteten mit Sehnsucht, Eltern mit eigenen Kindern verging die Zeit schneller, doch alle Pflegeeltern schilderten, dass die Wartezeit eine harte Zeit war und manche wunderten sich, wieso das nicht schneller ging, wo doch überall immer wieder Pflegeeltern für Pflegekinder gesucht würden.
Das Kind bekommt Gesicht und Namen
Manche Kinder kamen ohne Anbahnungen, kamen von jetzt auf nachher. Es war kaum Zeit, eine Schlafmöglichkeit zu richten.
Die meisten Pflegeeltern lernten jedoch ihre zukünftigen Pflegekinder im Rahmen einer Anbahnung kennen. Diese Anbahnungszeit war sehr unterschiedlich lang, manchmal nur ein einmaliges Sehen im Amt und sie wurde auch sehr unterschiedlich ausgeführt.
Wie auch immer, nun wurde das Vorhaben doch sehr konkret und die Wartezeit auf das Kind veränderte sich inhaltlich völlig. Nun dachten die Pflegeeltern an ein konkretes Kind, wenn sie über die Zukunft nachdachten und nun begannen sie, ihr Leben konkret auf dieses Kind hin zu verändern.
Und dann kam das Kind! Endlich. Endlich konnte nun die Pflegefamilie das Kind willkommen heißen.
Als wir in den Seminaren darüber sprachen, wie es denn so war, als das Kind kam, verbreitete sich beste Stimmung. Es wurde viel gelacht, verrückte kleine Dinge wurden erzählt und es herrschte eine befreite Atmosphäre von Freude, Neubeginn und Mut.
„Wir haben das Kind in den Mittelpunkt gestellt“ sagten viele. Erst mal reinkommen lassen, erst mal durch die Wohnung gehen lassen, erst mal schauen, schauen, schauen lassen. Meist entstand ein näherer Kontakt zuerst zu den anderen Kindern der Familie und manchmal überbrückte ein freundlicher Hund die Fremdminuten.
„Wir haben das erste Essen immer ganz besonders vorbereitet“. „Das hat uns alle gefreut, und Liebe geht durch den Magen“. Als eine Pflegemutter erklärte, dass sie zwar ein wundervolles Essen gekocht hatte, aber vor Aufregung davon nichts essen konnte erntete sie verständnisvolles Nicken.
Heiterkeit brach aus, als einer sagte „Wir haben die Kinder zuerst gebadet – denn dann riechen sie nach uns“.
Die meisten Pflegeväter bemühten sich sehr, beim Ankommen des Kindes zuhause zu sein.
Und dann...?
Dann drehte sich erst mal alles um das Pflegekind. Es musste ankommen, Vertrauen finden. „Aber“ sagte ein Pflegevater „wir gingen auf das Kind zu, mussten aber ‚unser‘ Leben auch erhalten“.
In den folgenden Jahren gab es in vielen Familien in jedem Jahr ein kleines ‚Willkommensfest‘ an dem Tag, an dem das Kind in die Familie gekommen war. „Weißt du noch, wie es war, als du damals gekommen bist?“
Manchmal war für die Pflegeeltern und für das Kind die Erinnerung an das Willkommen bedeutsam, besonders dann, wenn es Unsicherheiten und Krisen gab.
Während die Pflegeeltern willkommen heißen, beschäftigt sich das Kind noch mit dem Abschied.
Susanne Lambeck schreibt in ihrem Artikel „Kein neuer Anfang ohne Abschied“:
Wenn ein Kind neu in eine Pflege- oder Adoptivfamilie kommt, treffen Abschied und Neubeginn unvermittelt aufeinander. Auf der einen Seite steht eine erwartungsfrohe, freudig erregte aufnehmende Familie, für die die Ankunft des Kindes häufig die Erfüllung eines langen Wunsches ist. Diese Familie wünscht sich nichts mehr als diesen kleinen Menschen mit Liebe zu überschütten und ihn für all das zu entschädigen, was ihm bisher widerfahren ist.
Egal wie gut die Gründe sind dem Kind eine neue Familie zu geben, so bedeutet doch der Wechsel für das Kind in der Regel zunächst Verlust und Trauer. Vor allem kleine Kinder haben keine Vergleichsmöglichkeiten und halten das, was sie bisher an Behandlung erlebt haben, für völlig normal. Sie wissen nicht, dass Kinder in anderen Familien nicht geschlagen und angeschrien werden, dass es Erwachsene gibt, die sich um ihr leibliches Wohl sorgen. Und deshalb hängen sie an den Menschen und an der Umgebung, die ihnen vertraut ist.
Je unvorbereiteter die Herausnahme oder Umplazierung des Kindes geschehen ist, desto eher ist der plötzliche Ortswechsel für das Kind mit einem Schock verbunden. Das Kind erstarrt innerlich und weigert sich häufig, die neue Realität anzuerkennen. "Ich bin hier nur zu Besuch. Ich geh wieder zurück". Die Leugnung der Realität ist zunächst eine ganz gesunde Reaktion der Psyche, sich vor Tatsachen zu schützen, die so noch nicht zu ertragen sind. Bedrängen Sie das Kind jetzt nicht mit Richtigstellungen, sondern lassen Sie ihm die Zeit, die es braucht sich den Tatsachen stellen zu können.
Zum Willkommen der Pflegeeltern gehört also auch die Akzeptanz möglicher Trauer des Kindes. Auch wenn das Kind schon im Rahmen einer Anbahnungsphase sein neues Zuhause kennen gelernt hat, muss es sich vom Bisherigen verabschieden.
Abschied
Kinder, die im Rahmen von Inobhutnahme schnell in Bereitschaftspflege untergebracht werden, kennen keine Anbahnung. Sie müssen sich sofort und unmittelbar auf Neues einstellen. Für sie kommt auch schneller wieder eine neue Lebenssituation, in der sie wiederum Altes verlassen und Neues beginnen müssen.
Die Bereitschaftspflegemutter, die oben über das Ankommen der Kinder bei sich berichtete, schreibt zum Abschiednehmen:
Das Kind muss wieder gehen
Je nach Alter wissen oder spüren die Kinder, dass sie nicht für immer bei uns bleiben werden. Wenn sich die Kinder gut bei uns eingelebt haben, ist es für sie schwer zu verstehen, warum sie im Falle einer Dauerunterbringung noch mal die Familie wechseln müssen. Eigentlich fühlen sie sich ja wohl und wollen bleiben. Es entsteht selbstverständlich auch mit der Zeit eine Bindung zu uns, vielleicht die erste sichere Bindung, die diese Kinder erleben. Trotzdem haben wir die Erfahrung gemacht, dass dann bei einer Anbahnung und einem Wechsel das Kind, und sei es auch noch ein Säugling, ganz genau spürt, dass es nun an einem Platz angekommen ist, wo es hoffentlich bis zur Verselbständigung bleiben kann. Bei älteren Kindern bieten wir immer an, dass es zu unserer Familie noch Kontakte haben kann. Wir richten uns da ganz nach dem Wunsch des Kindes. Ist ein Kind in unserer Stadt in Dauerpflege untergebracht worden, werden wir es immer wieder auf diversen gemeinsamen Veranstaltungen des Jugendamtes treffen. Es ist schön die Entwicklung dieser Kinder aus einer gewissen Distanz weiter mit zu erleben.
Schwierig wird es für uns, wenn ein Kind zurückgeführt werden muss und man weiß, dass sich an der Ausgangssituation eigentlich nichts geändert hat. Dann fällt es uns schwer, Abschied zu nehmen und wir trösten uns damit, dass dieses Kind zumindest eine Zeitlang Verlässlichkeit und Bindung erlebt hat. Vielleicht hilft es ihm auf seinem weiteren Lebensweg.
Die Verweildauer in einer Bereitschaftspflege variiert sehr. Das Jugendamt ist bemüht einen Zeitraum von sechs Monaten nicht zu überschreiten, doch wenn wir auf einen Gerichtstermin oder ein Gutachten warten müssen, dauert es auch schon mal wesentlich länger. Hier haben uns die neuesten Erkenntnisse der Fachleute geholfen, den Zeitdruck aus dem Pflegeverhältnis zu nehmen. Früher hatten wir immer ein ungutes Gefühl wenn eine Pflege zu lange dauerte, da wir möglichst keine Bindung zulassen sollten. Gerade bei einem Säugling oder Kleinkind, das noch viel körperliche Zuwendung braucht, war das unmöglich. Und auch ältere Kinder entwickeln sich besser, wenn sie sich angenommen und geliebt fühlen.
Den Wohnortwechsel führt meistens die zuständige PKD-Fachkraft durch. Vorausgegangen sind bei einer Unterbringung in Dauerpflege einige Wochen der Anbahnung mit gegenseitigen Besuchen. Bei einer Rückführung wird dies nicht so lange dauern, da dann ja über den gesamten Zeitraum der Pflege Umgangskontakte mit den Herkunftseltern bestanden haben.
Wenn ein Umzugstermin feststeht, beginnt die Zeit der Verabschiedung. Wir suchen alle Dinge zusammen, die dem Kind wichtig sind und packen sie gemeinsam ein. Wir fertigen ein Fotoalbum über die gesamte Zeit bei uns, damit das Kind diesen Lebensabschnitt bei uns in Erinnerung behalten kann. Auch feiern wir mit allen Menschen, die diesem Kind wichtig geworden sind ein Abschiedsfest. Und wir zeigen dem Kind durchaus unsere Trauer, dass es uns verlässt, vermitteln ihm aber auch, dass wir uns freuen, wenn es ihm in Zukunft gut geht.
In den nächsten Tagen fällt es uns schwer zum Alltag zurückzufinden. Denn jedes Kind hinterlässt eine Spur...
Die Verweildauer des Kindes in der Pflegefamilie
Die Verweildauer des Kindes in der Pflegefamilie ist unterschiedlich. Auch wenn wir die eindeutig auf sehr begrenzte Zeit geplante Bereitschaftspflege ausnehmen gibt es Unterbringungen von einigen Monaten bis hin zu vielen Jahren. Es gibt Pflegeeltern, die sich mit einem kürzeren zeitweisen Zusammenleben mit einem Kind gut arrangieren können. Hier haben alle Beteiligten beim Beginn schon das Ende mit im Kopf.
Die meisten Pflegeeltern wünschen sich ein langes Zusammenleben mit ihrem Pflegekind. Das Kind soll Teil der Familie werden und seine schwierigen Lebenserfahrungen und mögliche Traumata ‚heilen‘ können. Pflegemutter, Pflegevater, auch die leiblichen Kinder in der Familie, oft auch Großeltern und andere Verwandte nehmen das Kind an, beginnen es zu mögen und zu lieben.
Trotzdem erleben wir häufig, dass das Pflegekind in der Pflegefamilie nicht erwachsen wird und dass die Pflegefamilie Abschied nehmen muss.
Was kann passieren?
- 1. Das Kind wird in seine Herkunftsfamilie zurückkehren (müssen).
- 2. Das Kind ist durch seine Erfahrungen in seiner Vorgeschichte so geprägt, dass es sich nur begrenzt oder zeitweise auf eine Familie mit ihrer Nähe einlassen kann und dann (meist in der Pubertät) diese Nähe als bedrohlich und unerträglich empfindet.
- 3. Die Pflegeeltern sehen sich nicht in der Lage, den Bedürfnissen des Kindes gerecht werden zu können und beenden das Pflegeverhältnis.
- 4. Das jugendliche Pflegekind provoziert eine Beendigung
- 5. Sorgeberechtigte oder Jugendamt beenden das Pflegeverhältnis
- 6. Das Pflegekind wird zwar volljährig, ist aber noch lange nicht ‚erwachsen‘.
Nun erlebt die Pflegefamilie den Unterschied zwischen Willkommen und Abschied:
Das Willkommen wird intensiv geplant, hat sich in verschiedenen Schritten aufgebaut und zu der Überzeugung geführt: ja, so wollen wir das.
Der Abschied ist (überwiegend) ungeplant, kommt letztendlich doch plötzlich, es gibt keine oder nur wenige Schritte bis dahin und es herrscht die Überzeugung vor: eigentlich wollen wir das nicht so, es geht nicht mehr anders, wir können es nicht mehr ändern.
Als wir in den Seminaren an diesen Punkt kamen, war es, als würde ein Wolke den Himmel überziehen. Es wurde leise – und weil wir uns Zeit ließen, begannen Pflegeeltern zu erzählen. Einfach so über sich zu reden. Sie sprachen darüber, wie erstarrt sie sich gefühlt haben, wie hilflos und machtlos und überrumpelt. Wie sie sich Vorwürfe gemacht haben, wie sie glaubten so sehr versagt zu haben und wie sie sich schämten deswegen. Manchen kamen dabei die Tränen.
Manche waren wütend und unversöhnt. Schilderten, wie sie sich allein gelassen, unverstanden, missverstanden und hilflos gefühlt haben.
Eine Pflegemutter sprach darüber, dass sie ja Pflegeeltern auch in ihrem ganzen sonstigen Leben seien. Sie hätten Freunde, die Pflegeeltern sind, sie seien engagiert in einem Pflegefamilienverband, sie arbeiteten mit Jugendamt und Trägern zusammen, sie gingen zu Fortbildungen und in eine Gruppe. Die Rolle 'Pflegeeltern sein' bestimme schon in hohem Maße ihr Leben. Und dann – wenn das Kind geht – dann sind wir keine Pflegeeltern mehr. Wir verlieren dann soo viel, müssen uns von so vielem verabschieden.
Abschied – welch ein Thema für Pflegeeltern!
Was könnte denn beim Abschied helfen?
Das konnten die Pflegeeltern spontan benennen:
- Nichts ist schlimmer, als wenn wir denken, dem Kind geht es schlecht wenn es nicht mehr bei uns lebt. Der Abschied wird uns sehr erleichtert, wenn wir wissen, dass es ihm gut gehen wird. Wenn wir wissen, wo und mit wem es dann lebt und wenn wir diese Personen sogar kennen lernen konnten. Und natürlich ist es ungemein wichtig, dass wir weiterhin mit dem Kind Kontakt haben können. Das wir sehen können, dass es ihm gut geht und das wir nicht einfach so aus dem Leben des Kindes verschwinden.
- Sehr hilfreich wäre, wenn wir uns alle Zeit nehmen und uns auf den Abschied vorbereiten könnten. Wenn auch uns Pflegeeltern jemand dabei begleiten würde, wenn wir nicht allein stehen würden und jemanden zum Sprechen hätten. Manchmal ist das ja nicht nur für uns traurig, sondern wir müssen ja auch noch unsere leiblichen Kinder auffangen, die ja schließlich ein Geschwister verlieren. Oft müssen wir ja auch der Verwandtschaft und Freunden Erklärungen abgeben. Da ist es gut, wenn auch wir irgendwo abladen können.
- Manchmal wäre es auch wirklich gut, wenn es in einem Konflikt, der letztendlich zu dem Abschied führt, vorher mehr Hilfe und Vermittlung gegeben hätte. Und manchmal wünschen wir uns jemanden, der die Verantwortung übernommen hätte, wo es nicht einfach nur so passiert wäre, sondern wo es eine Entscheidung gegeben hätte.
- Alle Pflegeeltern wiesen darauf hin, dass es unumgänglich sei, dass es eine bessere gesetzliche Regelung geben müsse, durch die ein Pflegeverhältnis nicht einfach so beendet werden kann.
Während ich dieses Referat schrieb, erreichte mich eine Mail und ein Anruf einer Pflegemutter. Schon an der Stimme konnte ich hören, dass es ihr nicht gut ging und auch sie erzählte ihre Geschichte:
Sie und ihr Mann hatten als Bereitschaftspflegeeltern einen acht Monate alten Säugling aufgenommen. Die Mutter hatte schwere psychische Probleme. Als das Kind über ein Jahr bei ihnen lebte wurde die Bereitschaftspflege in eine Dauerpflege umgewandelt. Das Kind hatte sich prächtig entwickelt und tiefe Bindungen an seine Pflegeeltern – die es Omi und Opa nannte – aufgenommen. Dann brach das für sie Unvorstellbare herein, die Mutter forderte nach gut vier Jahren das Kind zurück. Das Jugendamt unterstütze diese Planungen, informierte die Pflegeeltern nicht über die Möglichkeit eines Verbleibensantrages sondern tröstete damit, dass sie ja nach der Rückführung ein Besuchsrecht haben würden. Das Kind ging zur Mutter. In der Mail hieß es: „Drei Monate vorher: Rückführung mit Übernachtung. Das Kind veränderte sich schlagartig, wurde aggressiv und gewalttätig, konnte nicht begreifen, was geschah! Eine Trennung von uns war für ihn nicht zu fassen! Als der letzte Tag kam, sah er mich an, als würde ich ihn zum Tode verurteilen, einfach nur grausam! Niemals wäre er freiwillig mit vier Jahren von uns weg gezogen, wir waren seine sozialen Eltern, die er über alles liebte. Das Jugendamt wollte, dass er eine Eingewöhnungszeit nach dem Umzug hatte, und dann sollte es eventuell Besuchskontakte geben.“
Das Besuchsrecht wurde nach wenigen Monaten von der Mutter nicht mehr akzeptiert. Nun klagten die Pflegeeltern ihr Besuchsrecht ein, konnten aber keine weiteren Kontakte erreichen. Das war jetzt neun Monate her und die Pflegeeltern waren immer noch in einem Stadium tiefer Trauer. Ich fragte sie, ob sie mit jemandem darüber sprechen könnte. Nein, sie hätten keinen und dem Jugendamt würden sie nicht mehr vertrauen.
Neben der Fassungslosigkeit hatten sie jetzt auch Schuldgefühle, weil sie sich gegen die Rückführung nicht gewehrt hatten. In der Email hieß es: „ Ich habe mir Ihr Heft “Besuchskontakte” gekauft und beim Lesen immer wieder “Weinanfälle” bekommen. Ich glaube durch unsere Unwissenheit ist vieles falsch gelaufen“.
Ihre ganze Hoffnung sehen sie nun in der entfernten Möglichkeit, doch noch Besuchskontakte zum Kind zu bekommen. An Abschied nehmen zu können ist überhaupt nicht zu denken. Der Verlust zu unerwartet und schockierend, das Gefühl der Hilflosigkeit zu groß.
Abschied 'nehmen'
Als wir uns in den Seminaren so intensiv mit dem Thema Abschied beschäftigen wurde deutlich, dass die meisten Pflegeeltern den Abschied von ihren Pflegekindern als einen schmerzhaften Eingriff in ihr Leben empfunden haben. Nur manche Abschiede brachten direkte Erleichterung, und nur manchmal war es verständlich, dass auch ein plötzlicher Abschied notwendig sein konnte.
In unserer Sprache heißt es Abschied ‚nehmen‘, also eine Trennung aktiv mitgestalten. So gesehen hatten die wenigsten Pflegeeltern einen Abschied ‚genommen‘. Der Abschied war ihnen gewissermaßen zugestoßen. Der Abschied als Teil eines Überganges vom Leben mit dem Kind in ein Leben ohne das Kind war nicht ‚gestaltet‘ worden – weder von der Pflegefamilie, noch von den anderen Beteiligten. Er war passiert.
Abschied als Übergang gestalten
Während das Willkommen vorbereitet, gewollt und geplant war, ist der Abschied eben einfach die Beendigung des Pflegeverhältnisses – Punkt.
Den Pflegeeltern und mir wurde es wichtig, dies so nicht stehen zu lassen, sondern auch den Abschied in einen gestaltbaren Übergang umzuwandeln.
Dazu half es, darüber nachzudenken, ob es nicht auch hilfreiche und stützende Überlegungen dazu gab.
Auch hier hatten die Pflegeeltern aus ihren Erfahrungen heraus sofort Ideen:
- Uns wurde klar, dass wir uns nun nicht immer wieder verteidigen müssen
- Es ist wichtig, mit sich im Reinen zu sein
- Es ist alles klarer geworden (wir „hoffen“ nur noch auf eine gute Entwicklung, nicht mehr)
- Gespräche mit anderen suchen
- Positives Sehen
- Überlegen nicht nur was wir verlieren, sondern auch was wir gewinnen
- Das Vergangene als Gewinn ansehen
- Sich Zeit nehmen
- Die Änderungen im Alltag ansehen
- Welche Rollen in meinem Leben werden sich verändern?
- Welche Erwartungen habe ich an die anderen Beteiligten, damit der Übergang gut gelingt?
- Wie kann der Übergang gut für das Pflegekind und uns konkret gestaltet werden?
- Gibt es Rituale, die Übergänge erleichtern?
- Wie ist es mit unseren Freunden, unserer Verwandtschaft?
Die Beendigung eines Pflegeverhältnisses ist also weit mehr, als nur die Beendigung einer Jugendhilfemaßnahme. Während die Pflegefamilie in der Zeit, in der das Kind bei ihr lebt, von der Jugendhilfe beraten und unterstützt wird, gehört die Zeit danach nicht mehr zur Hilfe zur Erziehung in einer Vollzeitpflege und somit ist auch Beratung und Unterstützung nicht mehr vorgesehen. Sie wird dann auch nur noch wirklich selten angeboten.
Jetzt haben es Pflegeeltern, die sich schon vorher mit anderen Pflegeeltern getroffen und ausgetauscht haben leichter. Hier wird es besseres Verständnis geben als ‚nur‘ zwischen anderen Freunden, die oft den Weggang des Pflegekindes mit dem Auszug der leiblichen Kinder vergleichen. Da ist natürlich was dran – aber es fehlt auch was. Und das verstehen wiederum nur andere Pflegeeltern oder Menschen, die wissen, wie man ‚Pflegekind‘ schreibt.
In einem Flyer fand ich folgende Ziele, die wir am Ende der Seminare auch für die Abschiede in der Pflegefamilie übernehmen konnten:
- Altes abschließen und frei werden für das Leben vor mir
- Meine Trauer lösen und Verletzungen heilen
- Schuldgefühle und Vorwürfe beenden und Frieden finden
- Den Sinn im Vergangenen neu begreifen
- Lebenskraft und Freude wieder entdecken
- Gestern und Morgen verbinden.