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12.05.2022

Vertrauen und Misstrauen: zwei Seiten einer Medaille - Vertrauen macht Kinder stark!

„Vertrauen resultiert aus bisheriger Erfahrung und der Hoffnung auf das Gute im Menschen" Schottländer.

"Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat" Matthias Claudius

"Kontrolle ist gut, Vertrauen besser" Redeweise

In diesem Beitrag wird gefragt, was das Phänomen Vertrauen kennzeichnet, wie es entsteht, ob es immer gut ist, wofür es nützlich ist und wann es in Misstrauen umschlägt. Eine bildhafte Annäherung soll durch eine Szene im Zeichentrickfilm „Das Dschungelbuch“ geschehen:

Die Schlange Ka hängt an einem Ast und spricht mit verführerischer Stimme den Menschenjungen Mogli im Imperativ mit „Vertraue mir!“ „an. Dabei rollt sie die bunten Augen. Sie möchte Mogli damit überzeugen „ ihn „verführen“, sich von ihr voller Vertrauen nach oben in den hohen Baum ziehen zu lassen. Es bedeutet für sie eine körperliche und für Mogli eine psychisch-emotionale Kraftanstrengung. Haben sie es geschafft, ist klar, ob Moglis Vertrauen gerechtfertigt war.

Die ursprüngliche Wortbedeutung gibt einen ersten Hinweis und erschließt sich aus dem mittelhochdeutschen „Vertruwen“ mit dem darin enthaltenen Wortbestandteil „treu“ in der Bedeutung von ‚stark‘, ‚fest’. So werden Begriffe wie Zuversicht, Hoffnung oder Zutrauen oft als Synonyme gebraucht, obwohl sie in Wahrheit etwas anderes bezeichnen. Vielerorts ist heute ein Verfall von Vertrauen zu beklagen. Da der Begriff auf sehr vielen Gebieten angewandt wird, erscheint es nicht verwunderlich, dass der deutsche Philologe Franz Petermann (2013) zur Klärung verschiedene Vertrauensdefinitionen vorstellt. Er meint, dass in den letzten Jahren selten ein Begriff so strapaziert wurde wie der des Vertrauens. So sei zu klären, wie Vertrauen entsteht, wozu es dienlich ist und warum wir es im sozialen Miteinander benötigen, aber auch wieder unter bestimmten Verhaltensweisen zerstören. Im günstigsten Fall und oft unter Hinzunahme einer Therapie kann das Wiederherstellen gelingen. Oft geschieht dies bei einer Scheidung und Trennung von Kindern. Bei beiden Seiten ist das Vertrauen nicht mehr vorhanden. Per Knopfdruck ist Vertrauen niemals wieder herzustellen. Dafür wird große Mühe und viel Zeit benötigt.

Das Urvertrauen im ersten Lebensjahr als Basis

Das psychosoziale Entwicklungsmodell des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erikson (1977) stellt heraus, dass die Entwicklung des Vertrauens für die menschliche Entwicklung eine bedeutsame Rolle zukommt. Er definierte dafür acht Lebenszyklen des Menschen, davon sind fünf auf die Kindheit und Jugendzeit, bezogen. Deren Modalitäten sind sowohl für die Fragestellung und Zielsetzung als auch für die inhaltliche Ausrichtung auf der praktischen Ebene im vertrasuungsvollen Umgang miteinander wesentlich. Innerhalb der ersten Beziehung und Bildung des Urvertrauens ist das Nichtvorhandensein von Aggression und das Nichtvorhandensein bedrohlicher Handlungen dabei absolut notwendig. Denn vor allem in der ersten Phase muss durch einen offenen und ehrlichen Austausch die verständnisvolle Kommunikation und damit Vertrauen gekennzeichnet sein.

Dem ersten Lebenszyklus, dem „Urvertrauen“, spricht Erikson als psychosoziale Modalität ein „Bekommen / Geben“ zu und übersetzt sie auf den körperorientierten Förderraum mit Aktivitäten, die das Nähren, Getragen-, Berührt- und Gestreichelt-Werden meint. Optimal werden sie um stimulierende Elemente wie das Gepflegt-, Gewiegt-, Geschaukelt- und Gehalten-Werden angeregt und erweitert, Dies verschafft die innere erste personale emotionale Sicherheit zu seinen ersten Bezugspersonen , die es später zu einem Vertrauen in seine Umgebung und zu Kontakten mit anderen Menschen überhaupt erst befähigt. Urvertrauen ermöglicht also die erste Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den Eltern. Es ist nach Erikson die Grundlage für:

- Vertrauen auf sich selbst, Selbstwertgefühl, Liebesfähigkeit („Ich bin es wert, geliebt zu werden.“ „Ich fühle mich geborgen.“),

- Vertrauen in andere, in Partnerschaft, Gemeinschaft („Ich vertraue Dir.“ „Wir mögen uns.“, „Ich weiß mich verstanden und angenommen.“) und

- Vertrauen in das Ganze, in die Welt („Es lohnt sich zu leben.“).

Lieblosigkeit, Vernachlässigung oder Misshandlung können zu einer mangelhaften Ausbildung des Urvertrauens führen. Dies ist beispielhaft meistens bei Pflegekindern der Fall.(Thünemann-Albers 2020). Hiermit können Beziehungs- und Bindungsprobleme von Kindern und Erwachsenen erklärt werden. Folgestörungen können Misstrauen, Depressionen, Angstzustände, Aggressivität u. a. sein. Therapeutisch kann heute solchen Missentwicklungen der frühesten Kindheit begegnet werden. In der ersten Phase geht es nach Petermann auch um das Herstellen einer verständnisvollen und ehrlichen Kommunikation und muss durch einen offenen und ehrlichen Austausch nonverbal und später verbal aufgebaut werden.

Besonders die Haut als Hülle des Körpers und größtes Sinnessystem gilt es, das Kind innerhalb der ersten Vertrauenssentwicklung immer wieder mittels Entspannungsstimuli in Form von Berührung und Massage anzusprechen und gerade damit das Vertrautsein anzuregen. Besonders gilt es hier, mit größter Achtsamkeit, Vorsicht und Respekt die Signale von Bedürfnissen und Abwehr der Berührung des Kindes zu begegnen (Anders, Weddemar 2002).

Bei negativen Erfahrungen in dieser Phase , meint Petermann, muss die Bedrohung durch ein offenes, geplantes und einsehbares Verhalten abgebaut werden. Denn Bedrohungen entstehen durch "Handlungen - vor allem gegenüber Partnern, die sich unterlegen fühlen und Angst haben.

In der nächsten Phase findet der Vertrauensaufbau statt, d. h., dass der Vertrauensnehmer Vertrauen in die Kompetenz des Vertrauensgebenden setzt und der Vertrauensgeber durch gezielte Handlungen nun das volle Vertrauen gewinnen kann. Petermann betont, dass man Vertrauen nur aufbauen kann, wenn keine Angst vorliegt und sich die Kinder absolut sicher fühlen. So ist Vertrauen nicht nur zwischen Eltern lebensnotwendig, sondern auch zwischen Großeltern und Enkeln, sonstigen Verwandten, Erzieher*in, Lehrer*in, Arzt/ Ärztin und Patient, Trainer*in.

Das Gegenteil : das Misstrauen

Der deutsche Ethnologe Florian Mühlfried (2019) stellt fest, dass Misstrauen oder der Wert eines Unwertes dem Vertrauen entgegengesetzt werden sollte. Er meint, dass das Misstrauen zurecht einen schlechten Ruf hat. Und meint, dass es Populismus fördert, was momentan im Krieg in der Ukraine gut zu beobachten ist. Auch in dieser großen Krise heist es sofort, dass man wieder Vertrauen aufbauen muss, was aber äußerst schwierig und langwierig ist. Er meint zudem, dass Misstrauen aber auch ein kreatives und regulatives Potenzial enthält. Wenn es sich nicht entfalten könnte, würde sich das Misstrauen und die Angst verschärfen und sich u. U.zu einer Gefahr für Gesellschaft und Staat entwickeln.

Genau wie die Wortbedeuteutung beim Vertrauen gibt es auch für das Gegenteilige dem Misstrauen von der Wortbedeutung auszugehen: high-trust Society für das Vertrauen und Low- Trust Argwöhnen,verdächtigen,zweifeln für das Misstrauen, in Frage stellen, nicht glauben können.

Durch das verständliche sinnvolle Misstrauen z. B. gegenüber dem Staat kann es dadurch zu sinnvollen Veränderungen und notwendigen Protesten und damit verbundenen Veränderungen wie beispielsweise beim Fall der Mauer, kommen. Dadurch kann etwas in Frage gestellt werden. Es entsteht Angst und Entsetzen als „Nährboden“. Dies geschah beispielhaft u.a. bei Atomkraftprotesten, Volkszählung, Protesten gegen das Waldsterben, ökologische Fehlentwicklungen wie das Waldsterben, dem Vietnamkrieg, Antisemitismus, Wiederaufrüstung, Menschenrechtsverletzungen und Vorverurteilungen usw. Oder momentan beim weltweiten Protest gegen den Krieg in der Ukraine. Diese Haltung, diese Bereitschaft für Missstände und deren Beseitigung zu protestieren, einzugestehen und für notwendige Veränderungen zu kämpfen, wird vom mündigen Bürger der Demokratie ( gr. Herrschaft des Staatsvolkes) erwartet.

Die Frage, wie verlorenes Vertrauen in jedweder Beziehung wiederhergestellt werden kann, ist nicht leicht zu beantworten. Z. B. in Firmen, deren Mitarbeiter*innen das Vertrauen in sie verloren haben, erhalten umfangreiche, teure Weiterbildungsangebote, um Misstrauen Angst und Widerstand im Sinne positiver Geschäftsentwicklung abzubauen und Vertrauen wiederaufzubauen. Mit den Mitarbeiter*innen wird sogar oft ein erlebnispädagogischesTeamtraining durchgeführt( Berndl, S. 2006).

Es verdeutlicht, dass es beim Vertrauen sich um eine Grundlage des sozialen Zusammenhalts handelt. Was oft vergessen wird, ist, dass das Sichtbarmachen, die Transparenz von Missständen auch Vertrauen und Nähe schafft.

Auch wenn innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen Vertrauen missbraucht wird, ist es meistens sehr schwer, dieses zurückzugewinnen. Konkret: kann ein Kind, das von seinen Eltern gequält oder missbraucht wurde, ihnen jemals wieder vertrauen?

Fazit.

Es wird klar, dass Vertrauen und Misstrauen schwierige Dimensionen unseres Verhaltens im privaten, beruflichen und öffentlichen Leben sind. Sie sollten differenziert betrachtet werden, damit ihre Ursachen deutlich werden und bestimmtes Verhalten verändert werden kann. Nach Petermann handelt es sich heute noch um ein noch unüberschaubares Disskusionsfeld.

Zu sagen:

Vertrauen ist gut - Misstrauen schlecht,

wäre zu einfach und plakativ. Wie bei den meisten anderen Werten gilt jedoch auch beim Vertrauen und Misstrauen einen goldene Mittelweg zu finden, was, wie so oft das beste ist. 

Es kostet immer sehr viel Anstrengung verlorenes Vertrauen wieder herzustellen und Misstrauen zu verhindern und/oder zu reduzieren. Pädagogischem und therapeutischem Fachpersonal wird hierbei ein hohes Maß an Wissen und Empathie abverlangt.

Bedeutung in der Frühpädagogik

Für die Frühpädagogik bedeutet dies, den Kindern untereinander und ihnen vertrauensbildende Angebote zu ermöglichen, denn - Vertrauen macht Kinder stark!

Die Beachtung und Bearbeitung der Thematik stellt wieder eine Herausforderung für die Mitarbeiter*innen dar.

Fachbücher zum Thema können eine sinnvolle Hilfe sein. Beispielsweise das Buch von Bartoli y Eckert Petra (2012).

Ist das Vertrauen der Mitarbeiter*innen evtl. innerhalb der Einrichtung gestört, sollte dies z. B durch einen Coach bearbeitet und hoffentlich reduziert werden. Das könnte ein langer Prozess sein. 

Literatur  - eine Auswahl

Bartoli yEckert( 2012):Zusammenhalten in der Kita: Starke Spiele, die Vertrauen und Gemeinschaft fördern. . Amos Campus, Frankfurt a. M

Bauer,W.( 1996 ) Mut zum Vertrauen: Vom Gegeneinander zum Miteinander Frankfurt a. M. Amous Campus, Frankfurt a. M

Berndl, S. (2006). Persönlichkeit und Bereitschaft, anderen zu vertrauen. München: Grin.Google Scholar

Erikikson,E.H. (1963) Wachstum und Krisen der gesunden Persönlichkeit. Klett Stuttgart

Bartoli yEckert( 2012):Zusammenhalten in der Kita: Starke Spiele, die Vertrauen und Gemeinschaft fördern.

Mühlfries,F ( 2019).Vom Wert eines Unwertes. Ditzingen. Reclam

Petermann, F. (2013): Psychologie des Vertrauens, Göttingen: Hogrefe.

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