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25.04.2012

Unzulässigkeit einer Personalunion von Fachkräften im Pflegekinderdienst und Amtsvormund-/Pflegschaft - DIJuF Rechtsgutachten

Eine Personalunion von Fachkräften des Pflegekinderdienstes mit Fachkräften in der Amtsvormundschaft/-pflegschaft ist rechtlich nicht zulässig - so ein Rechtsgutachten des DIJuF

Umsetzung des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts-und Betreuungsrechts
Unzulässigkeit einer Personalunion von Fachkräften im Pflegekinderdienst und Amtsvormund-/Pflegschaft

§ 37 Abs. 1, Abs. 2, § 55 Abs. 3 SGB VIII, § 16 SGB X,
§ 1793 Abs. 1a BGB
DIJuF-Rechtsgutachten 16.12.2011, V 6.100 HO

I. Gesetzesziel: Persönliche Führung der Amtsvormundschaft / -Pflegschaft

Wesentliches Ziel der Reform des Vormundschaftsrechts war das Sicherstellen und Fördern eines persönlichen Kontakts zwischen Vormund/Pfleger und Mündel/Pflegling. In diesem Sinne hält § 1793 Abs. 1a BGB nunmehr fest, dass der Vormund mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten hat und den Mündel idR einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen soll, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten. Die Verpflichtung zum persönlichen Kontakt in der üblichen Umgebung stellt letztlich eine Konkretisierung des § 1800 S. 2 BGB idF nach der Reform dar, nach dem der Vormund/Pfleger die Pflege und Erziehung des Mündels/Pfleglings persönlich zu fördern und zu gewährleisten hat.

Diese Grundsätze werden in § 55 Abs. 3 SGB VIII idF nach der Reform für die Fachkraft eines Jugendamts, auf die das Führen einer Vormund-/Pflegschaft übertragen wird, ausdrücklich wiederholt.

Auf den ersten Blick erscheint es naheliegend, dann diejenigen Fachkräfte im Jugendamt mit der Wahrnehmung der Aufgaben als Vormund oder Pfleger zu betrauen, die bereits regelmäßigen Kontakt zu den in einer Pflegefamilie lebenden Kindern und Jugendlichen und deren Pflegeeltern haben. Eine derartige Konstruktion würde dem Grundgedanken der Reform jedoch ebenso widersprechen wie eine Wahrnehmung von Aufgaben des Jugendamts als Amtsvormund/in oder Amtspfleger/in durch Fachkräfte des Pflegekinderdiensts oder des ASD – sei es aufgrund entsprechender amtsinterner Richtlinien oder nach einer Beauftragung durch die Fachkraft, der das Amt als Amtsvormund/in oder Amtspfleger/in übertragen wurde, im Einzelfall.

Bei einer Aufgabenwahrnehmung in Personalunion ist das unabhängige Wahrnehmen der Interessen des Kindes oder Jugendlichen, für das eine Vormund- oder Pflegschaft besteht, tendenziell noch gefährdeter als bei einer teilweisen Aufgabenwahrnehmung durch Fachkräfte des ASD, die der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung bereits ausdrücklich ablehnt (vgl insg. BT-Drucks. 17/3617, 6):

II. Ausschluss der Personalunion

1. Interessenkollision

Bei der gleichzeitigen Wahrnehmung von Aufgaben des Pflegekinderdiensts und der gesetzlichen Vertretung werden die Nachteile und die damit verbundene Unzulässigkeit einer Personalunion besonders deutlich. Fachkräfte, die gleichzeitig mit Aufgaben der Vormund-/Pflegschaft betraut sind, sind daher von der Wahrnehmung von Aufgaben des Jugendamts als Sozialleistungsträger im Pflegekinderdienst ausgeschlossen (§ 16 Abs. 1 Nr 3 SGB X).

Die Fachkraft des Pflegekinderdiensts hat Aufgaben in einem komplexen Beziehungsgefüge zwischen Pflegeeltern, leiblichen Eltern, dem Kind oder dem Jugendlichen und deren gesetzlichem Vertreter, sofern die Eltern nicht mehr zur elterlichen Sorge berechtigt sind, wahrzunehmen. So wird der Anspruch der Pflegeeltern nach § 37 Abs. 2 SGB VIII auf Beratung und Unterstützung in aller Regel durch den Pflegekinderdienst erfüllt. Zugleich nehmen diese Fachkräfte die Aufgaben der regelmäßigen Überprüfung der Pflegeeltern nach § 37 Abs. 3 SGB VIII und teilweise auch die Aufgaben der Vermittlung zwischen leiblichen Eltern und Pflegeeltern wahr (vgl etwa § 38 SGB VIII).

Hingegen ist das Amt als Amtsvormund/in oder Amtspfleger/in eines Kindes oder Jugendlichen ausschließlich den Interessen des Kindes verpflichtet. Diese decken sich keineswegs stets mit denen der Pflegeeltern oder der leiblichen Eltern. Erinnert sei in diesem Kontext an die in der Praxis regelmäßig eintretenden Konflikte im Hinblick auf den Umgang des Kindes oder Jugendlichen mit seinen leiblichen Eltern, wenn es in einer Pflegefamilie lebt, an Meinungsunterschiede im Hinblick auf die Rückführung eines Kindes oder Jugendlichen in seine Herkunftsfamilie bzw den Wechsel des Kindes oder Jugendlichen in eine andere Pflegefamilie, in Adoptionspflege oder in eine Einrichtung oder die Frage der Möglichkeit des Verbleibs eines Kindes in einer Pflegefamilie, wenn es selbst andere Kinder gefährdet oder durch dies gefährdet wird.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Fachkräften des Pflegekinderdienstses und den Fachkräften, die den Kindern und Jugendlichen als gesetzliche Vertreter/innen parteilich zur Seite gestellt sind, sind daher systemimmanent. Werden diese Meinungsverschiedenheiten in einem qualifizierten und strukturierten Verfahren ausgetragen, werden sie die Qualität der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe ebenso wie die Qualität der gesetzlichen Vertretung des Kindes oder Jugendlichen steigern-

2. Weisungsrecht, Aufsicht und Kontrolle gegenüber Fachkräften in Sozialen Diensten

a) Weisungsrecht, Aufsichts- und Kontrollpflicht

Die Untragbarkeit einer Vermischung von Aufgaben der Amtsvormundschaft/-pflegschaft mit Aufgaben der Sozialen Dienste (ASD, Pflegekinderdienst oder Jugendgerichtshilfe) wird auch deutlich bei einer Beleuchtung dessen, was eine entsprechende Einbeziehung jugendamtsintern bedeuten würde. Würden Aufgaben des Jugendamts als Amtsvormund/in oder Amtspfleger/in teilweise durch Fachkräfte in den Sozialen Diensten wahrgenommen, bliebe die Fachkraft, die Teile des Amts als Vormund oder Pfleger auf andere Fachkräfte wahrnehmen lässt, gleichwohl für die Aufgaben persönlich verantwortlich. Sie müsste gegenüber den zur Wahrnehmung der Aufgaben herangezogenen, unselbstständigen Hilfskräften aus dem ASD oder Pflegekinderdienst Kontrolle und
Aufsichtsfunktionen ausüben.

b) Interessenkollision mit Aufgaben des Jugendamts als Sozialleistungsträger

Für Aufgaben des Jugendamts als Sozialleistungsträger durch die Sozialen Dienste haben die Fachkräfte, welche die Amtsvormundschaft bzw -pflegschaft führen, kein Weisungsrecht (unabhängig davon, dass ASD-Fachkräfte keine Aufgaben des Vormunds/Pflegers ausführen dürfen, § 16 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Aber auch und gerade gegenüber dem Jugendamt als Sozialleistungsträger sollen sie die Interessen des Kindes oder des/der Jugendlichen vertreten. Gerade diese weitere Aufsichtsfunktion wurde nach Ansicht des Gesetzgebers aufgrund der zu großen Fallzahlen durch die Fachkräfte, denen Vormund- und Pflegschaften übertragen wurden, vor der Reform nur unzureichend wahrgenommen (vgl die ausf. Darlegung in BT-Drucks. 17/3617). Nähme eine Fachkraft in Personalunion Aufgaben des ASD bzw Pflegekinderdiensts und der gesetzlichen Vertretung als Vormund oder Pfleger wahr, hätte sich die Fachkraft letztlich selbst zu kontrollieren. Die vom Gesetzgeber gewünschte größere Sicherheit für das Kind oder den Jugendlichen, der unter einer Vormund- oder Pflegschaft des Jugendamts steht, wäre damit konterkariert.

III. Zusammenfassung

Anlass der Reform war auch der Fall Kevin. Aus dem Fall Kevin ist zu lernen, dass gerade dann, wenn das Jugendamt Amtsvormund oder Amtspfleger eines Kindes ist, seitens der Leitung des Jugendamts sorgfältig darauf zu achten ist, dass die Fachkraft, der die Aufgaben nach § 55 SGB VIII übertragen werden, eine unabhängige Stellung im Amt und vor allem gegenüber dem Jugendamt als Sozialleistungsträger hat.

Die Gesetzesbegründung enthält daher explizite Ausführungen dazu, dass bei einer Amtsvormundschaft/-pflegschaft des Jugendamts eine Aufgabenwahrnehmung durch Fachkräfte des ASD des jeweiligen oder eines anderen Jugendamts, Pflegeeltern etc ausgeschlossen ist (BT-Drucks. 17/3617, 7 f).

Die zugrunde liegenden rechtlichen Wertungen wollte der Gesetzgeber durch die Regelung in §55 Abs. 3 S. 3 SGB VIII verdeutlichen. Sie sind im Ergebnis ohne Weiteres auf die angedachte Konstruktion einer Personalunion von gesetzlicher Vertretung und Aufgaben des Pflegekinderdiensts zu übertragen. Bei einer derartigen Aufgabenwahrnehmung in Personalunion kann die Fachkraft die Pflege und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen nicht iSd § 1800 S. 2 BGB persönlich fördern und gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund ist eine spezifische gesetzliche Regelung, die gerade diese Personalunion verbietet, nicht erforderlich. Sie ergibt sich bereits aus der Regelung zu den ausgeschlossenen Personen in § 16 SGB X. Danach darf nicht derjenige für einen Sozialleistungsträger tätig werden, der gleichzeitig Beteiligter oder gesetzlicher Vertreter eines Beteiligten ist. Dies ist jedoch der Fall, wenn eine Fachkraft, die für ein Kind bzw ein Jugendlicher die Amtsvormundschaft/-pflegschaft führt, selbst Inhaber des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB VIII ist oder das Kind bzw den/die Jugendliche/n bei der Geltendmachung ihrer Sozialleistungsansprüche vertritt. Amtsvormundinnen/Amtspfleger sind somit Beteiligte im Sozialverwaltungsverfahren und zugleich über das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen, also das Bewilligen der Leistung entscheidet. Diese eindeutige Wertung des Verfahrensrechts im Sozialverwaltungsrecht findet ihre Entsprechung etwa in der datenschutzrechtlichen Sonderregelung für Amtsvormundschaft/-pflegschaft in § 68 SGB VIII.

Eine Personalunion von Fachkräften des Pflegekinderdienstes mit Fachkräften in der Amtsvormundschaft/-pflegschaft ist somit rechtlich nicht zulässig.

  • Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des DIJuF.