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18.01.2010
Fachartikel

Punks, Skinheads und Hip Hopper - Jugendkulturen zwischen Gewaltlust und Kanalisation von Aggressionen

Referat über die vermeintliche Gewaltbereitschaft von Jugendkulturen.

Viele Menschen halten Skinheads, Punks und Hip Hopper für gewaltbereit.

Solche Vorurteile werden durch eine zum Teil einseitige mediale Berichterstattung über die jeweiligen Jugendkulturen intensiviert. Doch wie sieht das tatsächliche Gewaltverhalten von Hip Hoppern, Skinheads und Punks aus, bzw. wie drücken sie Aggressionen ohne die Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt aus?

Derzeit gibt es in Deutschland über drei Millionen Jugendliche und Erwachsene, die an der Hip Hop-Kultur interessiert sind.

Sie sind meist zwischen 14 und 34 Jahre alt und repräsentieren sämtliche Schichten der Gesellschaft. Demgegenüber sind lediglich mehrere hunderttausend Jugendliche in einem der vier Hip Hop-Elemente aktiv. Diese vier Hip Hop-Elemente sind „Rap“, „Dj-ing“, „Breakdance“ und „Graffiti“. Zentrale Werte der Hip Hop-Kultur sind „Fame“ (dt.: Ruhm), „Respect“ (dt.: Respekt), „Street-Credibilty“ (dt.: Straßenglaubwürdigkeit) und Gemeinschaft. Da diese Werte erarbeitet werden müssen, ist ein aktives Ausüben einer der vier Hip Hop-Techniken notwendig.
Der essentiellste Bestandteil der Hip Hop-Kultur ist der Battle-Gedanke, welcher vom DJ und Produzenten Afrika Bambaataa in die Hip Hop-Kultur eingeführt und etabliert wurde. Gemäß diesem Prinzip sollen Konflikte und Machtkämpfe nicht mit physischer Gewalt, sondern im Zuge von Battles ausgetragen werden. Battles sind künstlerische Wettkämpfe, die im Sprayen, Djing, Rappen und Breaken stattfinden. Auf diese Weise sollen Jugendliche ihre Fähigkeiten („skills“) miteinander messen, nicht ihre physische Kraft. Hip Hopper definieren sich über ihre „skills“. Die Battles dienen dabei als Praktik zum aktiven Gewaltausdruck.

Dem Battle-Gedanken entsprechend lehnen Hip Hopper physische Gewalt grundsätzlich ab. Im Gegensatz dazu ist die verbale Gewalt ein zentraler Bestandteil der Hip Hop-Kultur, da diese unter anderem durch Battle-Rap-Texte vermittelt wird. Verbale Gewalt ist ein Instrument des Rap, das zum „dissen“ sowie zum „boasten“ und somit für den Battle-Rap erforderlich ist. Beleidigungen, Beschimpfungen und Drohungen sind in diesem Kontext Battle-Rap immanent.

„Dissen“ ist ein Ausdruck, der das Beleidigen, Beschimpfen oder Bedrohen einer Person beschreibt. Die Sprachtechnik „Dissen“ folgt einem Wettbewerbsschema. Dementsprechend ist die Reaktion einer beleidigten Person in diesem Zusammenhang vorhersehbar. Sie intensiviert den Grad der Beschimpfung und „disst“ noch beleidigender zurück. So entstehen stetig neue Beleidigungen, die sich in ihrer Intensität steigern. Auch außerhalb der Battles wenden Rapper diese Taktik gegeneinander an. Hip Hopper, denen unzureichende „skills“, Charakterschwäche oder das Kopierens eines Stils unterstellt werden, werden „gedisst“. Der Terminus „Boasting“ beschreibt die Angebereien eines Rappers. „Boasting“ ist eine sprachliche Kampftechnik, die die Überlegenheit zum jeweiligen Battle-Gegner demonstrieren, und diesen infolgedessen herabsetzen soll. Diese Angebereien besitzen eine reaktive Wettbewerbsdynamik. Ziel des „boastens“ und „dissens“ ist es, den jeweiligen Gegner zu degradieren und dadurch als Sieger aus dem jeweiligen Battle hervorzugehen. Auf diese Art sollen herausragende individuelle „skills“ unterstrichen werden.

Obwohl Hip Hopper physische Gewalt grundsätzlich negieren, birgt die Hip Hop-Kultur Risikofaktoren, die physische Gewalt forcieren können. Diese ergeben sich häufig aus den Battles. Die Provokationen der jeweiligen Battle-Kontrahenten führen leicht dazu, dass Wettkämpfe in physische Gewalt umschlagen. Außerdem ist es möglich, dass die Verlierer des jeweiligen Battles ihre Niederlage nicht akzeptieren und mit physischer Gewalt reagieren. Des Weiteren können die „disses“, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, langfristige Streits, sog. „beefs“ verursachen. „Dissen“ hat also einen ambivalenten Charakter: Einerseits kann diese Technik eine Konfliktlösungspraxis sein, andererseits kann sie Streit auch verursachen. „Beefs“ sind durch Skrupellosigkeit und Brutalität charakterisiert. Im Rahmen eines „beefs“ agieren die jeweiligen Kontrahenten und deren „crews“ (dt.: Gemeinschaften) feindselig und aggressiv gegeneinander. Der bestehende Streit kann sich im Verlauf soweit steigern, dass es mitunter zu körperlichen Auseinandersetzungen beteiligter Personen kommen kann. In seltenen Einzelfällen können diese Auseinandersetzungen dahingehend eskalieren, dass in den Streit involvierte Crewmitglieder ermordet werden. Ein Beispiel für einen derartigen „Beef“, der mit dem Tod beider Hauptakteure endete, war der Streit zwischen den us- amerikanischen Rappern Notrious BIG und Tupac-Shakur. Zudem besteht die Gefahr, dass bereits vorhandene Gewaltaffinitäten einiger Personen durch den Konsum gewalthaltiger Rapmusik verstärkt werden und somit die Entstehung von physischer und verbaler Gewalt begünstigen.

Punks werden ebenso wie Hip Hopper von einigen Menschen als gewaltbereit klassifiziert.

Die deutsche Punk-Szene umfasst eine Mitgliederzahl im unteren fünfstelligen Bereich. In Deutschland lebende Punks sind zwischen 14 und 40 Jahre alt und stammen aus allen Gesellschafts- und Bildungsschichten. Bei der Punk-Kultur handelt es sich um eine heterogene Jugendkultur. So gibt es politische wie auch unpolitische Punks, Mode-Punks, auf der Straße lebende Punks und Punks, die den linksextremistischen Autonomen angehören.
Punks besitzen eine spontane Gewaltbereitschaft, die an situative Faktoren gebunden ist. Charakteristisch für Punks sind Provokationen in Form von aktiv ausgeübten Normbrüchen. Mit Provokationen verbinden Punks außeralltägliche Erfahrungen. Ziele ihrer Provokationen sind meist die bürgerliche Gesellschaft, rechtsextremistische Skinheads und die Polizei. Meist wird mit verbaler Gewalt provoziert, wobei diese eskalieren und in körperliche Gewalt umschlagen kann. Weitere Elemente dieser Jugendkultur sind Randale und Vandalismus. Damit demonstrieren Punks ihre Anti-Haltung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft. Mit Randale und Vandalismus assoziieren sie außerdem „action“, Spaß und außeralltägliche Erfahrungen. Meist reagieren sie auf Situationen, durch die sie sich massiv provoziert fühlen. Demnach lösen oftmals vermeintliche Provokationen die Gewalthandlungen von Punks aus. Mutmaßliche Provokateure sind in diesem Zusammenhang meist Polizisten. Neben Vandalismus sind weitere Gewaltdelikte in diesem Kontext Körperverletzung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Im Zuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei verifizieren sie ihre Weltanschauung. Folglich ist „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ein „punk-typisches Gewaltdelikt“. In einigen Fällen ist die Gewalt von Punks zielgerichtet. Ein Beispiel hierfür sind körperliche Auseinandersetzungen zwischen Punks und „rechten“ Skins. Dabei ist es von der jeweiligen Gruppengröße abhängig, ob Punks angreifen oder angegriffen werden. Derartige gewalttätige Auseinandersetzungen basieren auf der Feindschaft zwischen Punks und „rechten“ Skinheads, die sich während der Hannoveraner Chaos-Tage im Jahr 1984 verfestigt hatte.
Einige Punks sind allerdings grundsätzlich gewaltzentriert, da sie den gewaltbereiten Links-Autonomen angehören. Sie sehen physische Gewalt als effektivste Waffe im Kampf gegen Faschismus und Globalisierung. Um ihre Ziele zu erreichen, üben Links-Autonome massenmilitante und klandestine Aktionen aus. Zur Zielscheibe autonomer Gewalt werden meist Gegenstände, die als Symbole des Kapitalismus betrachtet werden, vom System profitierende Personen und Rechtsextremisten. Autonome Gewalt äußert sich vorwiegend durch massenmilitante Aktionen. Diese zeigen sich meist in Form von Straßenkrawallen, die im Umfeld von Demonstrationen entstehen und mit Vandalismus und physischer Gewalt einhergehen. Hingegen sind in klandestine Aktionen lediglich kleinere Gruppen Autonomer involviert, da diese geheim geplant und durchgeführt werden. Beispiele hierfür sind Brand- oder Sprengstoffanschläge.

In der Punk-Kultur fungiert der sog. „Pogo“ als Instrument, um aktiv Gewalt auszudrücken. Pogo ist ein von Punks entwickelter Anti-Tanz. Pogo-Tänzer schubsen, rempeln und boxen einander. Laut einem szene-internen Pogo-Gesetz muss gefallenen Tänzern aufgeholfen werden.

Eine weitere mit Vorurteilen behaftete Jugendkultur ist die „Skinhead-Kultur“.

Die deutsche Skinhead-Szene hat ca. 8.000 bis 15.000 Mitglieder, deren Alter durchschnittlich zwischen 14 und 30 Jahren liegt. In Deutschland lebende Skinheads entstammen allen Gesellschafts- und Bildungsschichten. Entgegen der negativen Stigmatisierung ist die Skinhead-Kultur eine heterogene Jugendkultur. So setzt sich die Skinhead-Szene aus verschiedenen Subtypen zusammen. Diese sind die als unpolitisch geltenden Oi-Skins, die rechtsextremistischen Fascho-Skins und die links einzuordnenden Red- und Sharp-Skins. Zentrale Werte dieser Jugendkultur sind Männlichkeit und Härte.
Das Gewaltverhalten „linker“ und „unpolitischer“ Skinheads kann nicht dargestellt werden, da dieses bislang kaum erforscht ist. Daher wird nachfolgend lediglich das Gewaltverhalten traditioneller und rechtsextremistischer Skinheads skizziert.

Die Gewaltfokussierung der heutigen Skinheads ist auf die Gewaltzentriertheit der traditionellen britischen Skinheads zurückzuführen. Aufgrund dessen betreiben Skinheads seit jeher primär physische Gewalt. Die traditionellen Skinheads reagierten mit physischer Gewalt auf ihre marginale gesellschaftliche Position und den sich vollziehenden Strukturwandel ihrer Arbeiterviertel. Deshalb praktizierten sie in Eigenregie eine gewaltsame Verteidigung ihrer Territorien. Gegenüber ihren Feinden übten traditionelle Skinheads das sog. „bashing“ aus. „Bashing“ ist ein Synonym für das Zusammenschlagen von Opfern und die häufig damit verbundene Menschenjagd. Bevorzugte Opfer gewaltsamer Skinhead-Angriffe waren gegnerische Skinhead-Gangs, Hippies, Homosexuelle, Studenten, Rocker, Punks und „Pakis“. Der Begriff „Pakis“ summiert Pakistani, Inder, Bengali und Asiaten. Skins projizierten ihren Missmut, der aus gesellschaftlichen Bedingungen resultierte, auf diese Immigranten. Daher wurden „Pakis“ zum Hauptangriffsziel der Skinheads. Jedoch waren die regelmäßigen gewaltsamen Skin-Übergriffe auf „Pakis“ nicht rechtsextremistisch motiviert, sondern Ausdruck des kollektiven Rassismus, der damals unter der britischen Bevölkerung vorherrschte. Damals wie heute gilt physische Kraft innerhalb dieser Jugendkultur als Indikator für Männlichkeit und körperliche Gewalt als Garant für Spaß. Deswegen waren traditionelle Skins häufig aktiv auf der Suche nach Situationen, in denen sie ihre Gewaltaffinitäten ausagieren konnten. Primär lebten sie diese im Zuge von Straßenkämpfen und der gewaltsamen Verteidigung ihrer Territorien aus. Zudem nutzten sie Fußballspiele, um gegnerische Fans anzugreifen und zu randalieren. Mit Hilfe physischer Gewalt wurden somit gesellschaftliche und individuelle Anerkennungsdefizite kompensiert.

Nachdem sich gegen Ende der 1970er Jahre die britische Skinhead-Szene in „linke“, „unpolitische“ und „rechte“ Skinheads ausdifferenziert hatte, griffen Skinheads einander nicht nur aus Gründen der Revierverteidigung, sondern auch wegen ihrer unterschiedlichen politischen Einstellungen an.

In Deutschland lebende rechtsextremistische Skins übernahmen die Technik des „Paki-bashings“ der traditionellen britischen Skins. Diese wenden sie bis heute auf die in Deutschland lebenden Ausländer an. Insbesondere nach der Wiedervereinigung Deutschlands intensivierte sich die Brutalität der fremdenfeindlichen Angriffe rechtsextremistischer Skinheads. Folglich mehrte sich die Zahl derer, die durch gewalttätige Angriffe der „rechten“ Skins zu Tode kamen. Die von rechtsextremistischen Skinheads ausgeübte physische Gewalt richtete bzw. richtet sich vorwiegend gegen „Linke“, Punks, Ausländer, Homosexuelle und Obdachlose. Jene, die vermeintlich nicht die von „rechten“ Skins propagierten Werte personifizieren. Rechtsextremistische Skins sind ebenso wie die traditionellen Skins gewaltzentriert. Diese Gewaltfokussierung zeigt sich in ihrer aktiven Suche nach Situationen, in denen sie ihre Gewaltlust ausleben können. So ist das Vorhaben „etwas unternehmen zu wollen“ mit dem Wunsch nach gewalttätigen Auseinandersetzungen mit feindlichen Gruppen gleichzusetzen. Getrieben von diesem Motiv suchen sie feindliche Gruppen an deren Treffpunkten auf. Dementsprechend sind sie auf gewalttätige Auseinandersetzungen mit ausländischen Jugendlichen, Asylbewerbern, Punks und „Linken“ fokussiert. Mit physischer Gewalt wollen „rechte“ Skins feindliche Gruppen aus ihren Revieren vertreiben. Außerdem kommt es regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Punks und „rechten“ Skins. Zusätzlich häufen sich seit Ende der 1980er Jahre körperliche Auseinandersetzungen zwischen „linken“ Sharp- bzw. Redskins und „rechten“ Skins.
In Relation zu physischer Gewalt besitzt die verbale Gewalt in der Skinhead-Kultur einen untergeordneten Stellenwert. Sie erfolgt in Form von Drohungen oder Beleidigungen meist als Vorstufe von Gewalthandlungen.
In der Skinhead-Kultur dient ebenfalls der Pogo-Tanz als Mittel zum aktiven Gewaltausdruck.

Die Praktiken zum passiven Gewaltausdruck sind in diesen drei Jugendkulturen identisch.

Das Hören aggressiv wirkender Musik fungiert als Mittel zur Kanalisation von Aggressionen. Ebenso stimmt eine weitere aktive Gewaltausdruckspraktik in den drei Jugendkulturen überein. So schließen sich Punks, Hip Hopper und Skins in ihren Jugendkulturen mitunter zu Bands zusammen, um aggressiv wirkende Musik zu produzieren.

Nina Schulz, Dipl. Sozialwissenschaftlerin

aus: AJS FORUM (4/2009)