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01.02.2011
Fachartikel

Das Pflegekinderwesen im Rheinland

Der Jugendhilfereport 04.10 des Landschaftsverbandes Rheinland brachte in seinem Schwerpunktthema „Pflegekinderwesen“ Beiträge zur aktuellen Qualitätsentwicklung.

Inhalt der Broschüre

  • Ursula Hugot vom Landesjugendamt Rheinland beschreibt „Leistungen und Angebote der Fachberatung ‚Pflegekinderwesen’ des LVR-Landesjugendamtes
  • Dr. Heinz Kindler und Dr. Thomas Meysen schreiben zur „Ergebnisqualität und fachliche Weiterentwicklung in der Pflegekinderhilfe – Ausgewählte Forschungsergebnisse aus dem Projekt ‚Pflegekinderhilfe’.
  • Prof. Dr. Klaus Wolf fragt: „Wird das Pflegekinderwesen zur Pflegekinderhilfe“
  • Judith Pierlings und Dirk Schäfer erläutern ein Projekt der Uni-Siegen, dem Landesjugendamt Rheinland und der Stadt Düsseldorf: „ Auf dem Weg zu Qualitätsstandards in der Pflegekinderhilfe – das Leuchtturmprojekt PflegeKinderDienst“.
  • Diesem Bericht schliessen sich Werkstatt- und Erfahrungsbericht der am Modellprojekt „Leuchtturm“ beteiligten Kommunen Bornheim, Kamp-Lintfort, Duisburg und Düsseldorf. an.
  • Daniela Reimer stellt das Projekt „Pflegekinderstimme“ vor und Christine Schubert schrieb einen Erfahrungsbericht dazu.
  • Henrike Hopp schreibt einen „Rückblick auf die Entwicklung der letzten Jahre“.

Dieses letzte Referat finden sie anschließend hier im Magazin.
Alle oben angeführten Referate können Sie auf der Seite des Landesjugendamtes Rheinland herunterladen: www.jugend.lvr.de

Rückblick auf die Entwicklung der letzten Jahre

Das Pflegekinderwesen hat in der letzten Zeit einen Schub bekommen.
In der Zeitschrift JUGENDAMT 12/2009 schrieb Herr Dr. Meysen:

Sie ist an der Reihe, verdient die gesteigerte bundesweite Aufmerksamkeit der Kinder- und Jugendhilfe, über Wege zu ihrem Ausbau und ihre weitere Qualifizierung brauchen wir einen breiten Diskurs: die Pflegekinderhilfe in Deutschland.
Und die Zeichen stehen gut!

Die Pflegekinderhilfe - das Pflegekinderwesen – was ist das? Sind das die Fragen und Diskussionen rund um den § 33 SGB VIII – oder sind das Überlegungen und Praxiserfahrungen zum Pflegekindsein schlechthin?

Die SPD-Fraktion schrieb in ihrem Antrag zur „Änderung des Vormundschaftsrechts und weitere familienrechtliche Maßnahmen“ vom 6.7.2010:

„Derzeit leben etwa 50.000 Kinder in einer von der Jugendhilfestatistik erfassten Pflegefamilie. Weitere schätzungsweise 85.000 Kinder leben in nicht registrierten Pflegefamilien“.

Verwandtenpflege

Wir Praktiker wissen, dass die im Antrag der SPD benannten 85.000 Kinder überwiegend in der von uns so genannten Verwandtenpflege leben.
In den letzten Jahren ist die Anzahl der selbst gesuchten Pflegestellen und der Verwandtenpflegestellen gestiegen bzw. öffentlicher geworden. Die Verwandtenpflege wurde bewusster, da der Gesetzgeber in seiner Änderung des § 27 SGB VIII diese Pflegestellen in den Blick genommen und deutlich gemacht hat, dass auch Verwandtenpflegestellen im Rahmen des § 33 als Hilfe zur Erziehung tätig sein können.

Es ist regional immer noch sehr unterschiedlich, ob und wie viele Verwandtenpflegestellen als Hilfe zur Erziehung anerkannt werden und wie die finanziellen Leistungen für diese Pflegestellen sind. (Siehe dazu auch das Referat „Verwandtenpflege in der wirtschaftlichen Jugendhilfe“ von Hans-Peter Ziegner in Jugendhilfereport 03.09 des Landschaftsverbandes Rheinland)

Betreuung und Beratung von Verwandtenpflegen ist in Vielem ähnlich, aber in sehr Vielem auch sehr anders als die Beratung von Fremdpflegefamilien. Hier müssen die Fachkräfte neue Formen und manchmal auch andere Inhalte von Beratung finden. Hierzu gibt es viel Bedarf an Information und Erfahrungsaustausch. Das LVR- Landesjugendamtes hat auch zu diesem Thema gearbeitet und 2008 eine Fachtagung mit dem Schwerpunktthema Verwandtenpflege“ durchgeführt und eine Dokumentation veröffentlicht.

Behinderte Kinder in Pflegefamilien

Durch die Ergänzung des § 54 SGB XII können nun behinderte Kinder auch im Rahmen der Eingliederungshilfe in Pflegefamilien untergebracht werden. Für eine Unterbringung der Kinder in diesen Pflegefamilien ist allerdings eine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII erforderlich. Außerdem ist diese Änderung zeitlich befristet auf das Jahr 2013. Bis dahin hofft die Politik, eine große Reglung für alle Pflegekinder im Rahmen der Jugendhilfe gefunden zu haben.

Forschung

Es gibt zur Zeit mehrere Forschungsprojekte im Bereich des Pflegekinderwesens - unter anderem die in diesem Heft vorgestellten Projekte der Uni Siegen, aber auch weitere Studien z.B. durch die Universitäten Köln, München, Ulm, Dortmund, Erlangen-Nürnberg, Frankfurt (versch. Masterarbeiten und Promotionen).

Von großer Bedeutung zeigen sich die Studien des DIJuF im Projekt „Pflegekinderhilfe“. Die Vorstellung dieses Projektes und seiner Ergebnisse werden die Pflegekinderhilfe beeinflussen und maßgebliche Standards setzen.

Praxis unterstützt die Forschung und Forschung unterstützt Praxis. Die Praxis erfährt, dass das war wir „gewusst“ haben nun auch belegt wird - wir müssen nicht mehr um alles diskutieren.

Kontinuität der Pflegeverhältnisse

Die vor einigen Jahren noch empfundene Sicherheit von dauerhaften Pflegeverhältnissen hat einen Knacks bekommen. Sowohl Urteile einiger oberer Gerichte als auch manches Gerangel um die Weiterführung der bisherigen Hilfe nach dem Wechsel auf ein anderes zuständiges Jugendamt ( bei Umzug der Herkunftseltern in den ersten beiden Jahren – oder gemäß § 86 (6) SGB VIII auf den Wohnort der Pflegeeltern) hat zu einer deutlichen Verunsicherung der Fachkräfte und der Pflegeeltern geführt.

Es wurde deutlich, dass mit der jetzigen Rechtslage des BGB und des § 86.6 SGB VIII eine verlässliche und kontinuitätssichernde Pflegekinderhilfe nicht ermöglicht werden kann – denn jedes neu zuständige Jugendamt kann fachlich und wirtschaftlich alles neu überprüfen und eventuell andere Notwendigkeiten sehen und andere Entscheidungen treffen. Leider ist das „Wohl des Kindes“ hier sehr oft nicht handlungsleitend.

Auch zukünftig müssen aber weiterhin Pflegeeltern geworben werden. Dies kann nur gelingen, wenn Pflegekinder und Pflegeeltern darauf bauen können, dass Kontinuität erwünscht und geplant wird und das gemachte Vereinbarungen und erlebte Standards langfristig erhalten bleiben. 2008 wurde von der Uni Siegen die „Siegener Erklärung zur Kontinuität in der Biografie von Pflegekindern“ veröffentlicht, in der Ziele, Arbeitsqualitäten und Fehlentwicklungen benannt wurden.

Knappe Kassen – ein Fluch und ein Segen

Knappe Kassen führen bundesweit in manchen Jugendämtern zu absurdem Verhalten.
Die Pflegekinderhilfe wird dort als löchrige Spardose betrachtet - mit der Werbewirksamkeit und dem Charme des Ausgenutztwerdens und der Aussichtslosigkeit. Wie sollen so neue Bewerber motiviert werden? Diese Antwort auf knappe Kassen hat keine Chance.

In vielen anderen Jugendämtern – erst recht in NRW – führen knappe Kassen zu offensivem Denken, um die Pflegefamilien als kostengünstige und erfolgreiche Fremdunterbringung zu erhalten und sogar zu vermehren.

Dabei darf der Blick auf eine fachlich durchgeführte Diagnostik und Prognose nicht verloren gehen. Die Fachkräfte müssen wissen, was die Pflegekinderhilfe leisten kann und was nicht. Nicht immer stellt sich dieses Angebot als Alternative dar, die Prüfung „ob oder ob nicht“ muss jedoch gerade bei jüngeren Kindern obligatorisch sein.

Verantwortliche der Kommunen fragen sich:
Was kann ich tun – was muss ich tun, damit mir diese Familien auch weiterhin zur Verfügung stehen? Welche Rahmenbedingungen muss ich anbieten, sowohl den Pflegeeltern als auch den Fachkräften des Jugendamtes? Welche Finanzen aufbringen? Welche Standards fahren? Welche Unterstützungen und Hilfen ermöglichen?

Hier wird auch gesehen, dass zum Erreichen des Ziels ‚Ausbau des Pflegekinderwesens’ eine ausreichende Personalausstattung mit qualifizierten Fachberatern gehört, um gute Standards der Vorbereitung, Vermittlung und Begleitung von Pflegeeltern und Pflegekindern zu garantieren. Dabei unumgänglich notwendig ist die klare Wertschätzung und Partnerschaftlichkeit den Pflegeeltern gegenüber, welche sich im Miteinander auf Augenhöhe darstellt.

Wichtig ist es, diese guten Bedingungen dann auch zu benennen und öffentlich zu machen und damit der Pflegekinderhilfe einen Stellenwert geben. Außerdem hilft die Veröffentlichung von Standards auch diese Qualitätsstandards zu erhalten. Was einmal öffentlich war, ist schwer wieder zurück zu nehmen.

In der Pflegekinderhilfe arbeiten zu können muss wieder erstrebenswert gemacht werden – dies gibt eine gute Chance auf mehr Pflegeelternbewerber und mehr interessierte Fachkräfte.

Arbeit und Veröffentlichungen des LVR- Landesjugendamtes

Eindrucksvoll erlebte ich die Entwicklung (in) der Arbeit der LVR- Landesjugendamtes. Engagiert und mutig wird hier daran gearbeitet, Standards und Grundvoraussetzungen der Pflegekinderhilfe zu entwickeln, zu benennen und einzufordern.
Beeindruckend die Entwicklung der Arbeitskreise für die Pflegekinderdienste.
Die Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Fachkräfte in den Pflegekinderdiensten zeigt sich

  • einerseits in der immer noch zunehmenden Anzahl der Teilnehmer,
  • andererseits auch darin, dass sich immer mehr Fachkräfte an gemeinsam zu entwickelnden Themen und Aufgaben konkret einbringen.

So sind alle Veröffentlichungen der letzten Zeit von Mitarbeitern des LVR- Landesjugendamtes und TeilnehmerInnen der Arbeitskreise gemeinsam erarbeitet worden. In themenorientierten Kleingruppen wurden Arbeitsinhalte erstellt und anschließend in größerer Gruppe zusammengefügt. Die Broschüren erhalten dadurch einen hohen Praxiswert und werden von den Pflegekinderdiensten als arbeitsweisend und arbeitsunterstützend benutzt.

Die Broschüre „Rahmenkonzeption Pflegekinderdienst“ galt für einige Jugendämter, die neue Pflegekinderdienste aufbauten, als Grundlage ihrer eigenen Konzepte.

Alle Veröffentlichungen und Broschüren, ebenso wie die in Zusammenarbeit mit der Uni Dortmund erhobenen statistischen Unterlagen dienen deutlich der Qualitätserweiterung und führen zu besseren Standards und vergleichbaren Standards in den einzelnen Kommunen.

Nicht der Wohnort des Pflegekindes darf über die Hilfe entscheiden, sondern der Bedarf des Kindes muss die Hilfe bestimmen. Diesem Ziel fühlen sich die Fachkräfte des Landesjugendamtes und der Pflegekinderdienst verpflichtet – ich glaube, sie sind auf einem guten Weg.

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