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Die Neuordnung der Pflegekinderhilfe
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Die Qualitätsentwicklung in der Pflegekinderhilfe ist ein Schwerpunkt der geplanten Reform des SGB VIII. Insbesondere die Perspektivklärung sowie die Kontinuitätssicherung für Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien leben, sollen im Fokus der Neuordnung der Pflegekinderhilfe stehen. In diesem Kontext werden auch Änderungen im Zivilrecht diskutiert.
Eine Reform der Pflegekinderhilfe wird seit vielen Jahren von Akteuren aus Wissenschaft, Politik und Praxis gefordert. Bereits 1982 beschäftigte sich der Deutsche Juristentag mit der Frage nach der zivilrechtlichen Stärkung langfristiger Pflegeverhältnisse. In jüngerer Zeit wurde auf Empfehlung der Jugend- und Familienministerkonferenz (2014) zur Frage der Qualifizierung der Pflegekinderhilfe eine Bund-Länder-AG zur Stärkung der Kinderrechte eingesetzt. Diese erhielt den Auftrag zu prüfen, inwiefern rechtliche Änderungen, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), notwendig sind, um bestmögliche Rahmenbedingungen für Kinder in lang andauernden Pflegeverhältnissen zu schaffen. Ausgehend von den Zielsetzungen „Kontinuität der Beziehungen des Pflegekindes“, „Stabilität in der Familiensituation für das Pflegekind“ und der „dauerhaften Sicherung der gewachsenen und tragfähigen Bindungen des Pflegekindes“, nahm die Bund-Länder-AG die Regelungen des BGB und des SGB VIII in den Blick und prüfte diese auf Änderungsbedarf.
Parallel zur Bund-Länder-AG wurde Mitte 2015 das „Dialogforum Pflegekinderhilfe“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eingerichtet. Ausgewählte Vertreter aus Wissenschaft und Praxis erhielten den Auftrag, konkrete fachliche und gesetzliche Handlungsbedarfe festzustellen und zu bündeln. Die Erkenntnisse wurden über das BMFSFJ in die Bund-Länder-AG transportiert.
Leitthemen des Dialogforums waren die Perspektivklärung und Kontinuitätssicherung, Beteiligung, Berücksichtigung von Kindeswohl und Kindeswille, Rechtsstellung von Pflegepersonen, Qualitätssicherung, Arbeit der Pflegekinderdienste (Ausstattung, Fallzahlen, Kooperation von Pflegekinderdienst, Allgemeinem Sozialen Dienst und Amtsvormundschaft).
Insbesondere durch die Einrichtung des Dialogforums sind in der Fachöffentlichkeit die Erwartungen an die lang geforderte Reform der Pflegekinderhilfe gewachsen. Für die Pflegekinderhilfe ergeben sich aus den bislang bekannten Entwürfen zur Reform des SGB VIII begrüßenswerte Neuerungen.
- Kontinuitätssicherung als Leitthema in der Hilfeplanung für stationäre Hilfen
- Anspruch der Pflegeperson auf Beratung
- Beratung der Eltern gilt auch der Sicherung dauerhafter Pflegeverhältnisse
- Die Inklusive Lösung
Kontinuitätssicherung als Leitthema in der Hilfeplanung für stationäre Hilfen
Beabsichtigt ist eine Qualifizierung der Hilfeplanung bei stationären Maßnahmen im Sinne eines „permanancy plannings“, einer kontinuitätssichernden Perspektiv- und Hilfeplanung, die das kindliche Zeitempfinden gebührend berücksichtigt.
Schon zu Beginn des Hilfeprozesses soll eine Prognose darüber abgegeben werden, ob die Aufnahme in der Pflegefamilie zeitlich befristet oder auf Dauer angelegt ist. Die deutliche Fokussierung auf eine zeitnahe Perspektivklärung trägt dem Bedürfnis von Kindern und Jugendlichen Rechnung, Klarheit über ihre Perspektive und Sicherheit hinsichtlich ihres Lebensmittelpunktes zu erlangen. Beide Aspekte sind gewichtige Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen.
Anspruch der Pflegeperson auf Beratung wird gestärkt
Der Anspruch der Pflegeperson auf Beratung und Unterstützung soll künftig in einer eigenen Vorschrift fixiert werden. Die Vorschriften zum Beratungsanspruch der Pflegeperson und der Anspruch auf Vermittlung bei der Ausübung der Personensorge aus den bisherigen § 37 Abs. 2 und § 38 SGB VIII sollen zusammengeführt werden. Der Umfang der Beratung und Unterstützung der Pflegeperson ist im Hilfeplan zu dokumentieren. Nach Intention des Gesetzgebers soll die Zusammenführung der Ansprüche in einer eigenen Norm die Rechte von Pflegepersonen stärken.
Beratung der Eltern gilt auch der Sicherung dauerhafter Pflegeverhältnisse
Auch das Elternrecht soll gestärkt werden, indem die Eltern des Kindes oder Jugendlichen bei stationären Leistungen einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung erhalten. Diese soll nicht nur dem Zweck dienen, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie zu verbessern. Sollte eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt nicht möglich sein, kann die Beratung gemeinsam mit den Eltern eine dem Kindeswohl entsprechende, auf Dauer angelegte Lebensperspektive entwickeln und diese langfristig bewahren. Sie soll somit auch zur Stabilisierung und Sicherung bestehender Pflegeverhältnisse beitragen. Die Beratung der Eltern und der Pflegeeltern soll dahingehend abgestimmt werden, dass die Pflegepersonen und die Eltern zum Wohle des Kindes zusammenarbeiten.
Häufig wird die Beratung und Unterstützung der Eltern mit Beginn eines Pflegeverhältnisses eingestellt, da „schließlich kein Kind mehr in der Familie lebt“. Dass ein solches Verfahren dem Auftrag des Gesetzgebers widerspricht, die Eltern selbst wieder in die Lage zu versetzen ihr Kind zu erziehen, ist offensichtlich. Dennoch entspricht dies vielerorts der gelebten Praxis.
Die Inklusive Lösung
Die geplante Gesamtzuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung wird einige der Grabenkämpfe, die bislang an der Schnittstelle von SGB VIII und SGB XII ausgetragenen wurden, beenden.
Für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung, die nicht bei ihren Eltern leben können, wird der Zugang zu einem Aufwachsen in einer anderen Familie durch die Gesamtzuständigkeit erleichtert. Dies entspricht der Verpflichtung aus Artikel 23 der UN-Behindertenrechtskonventionen. Dieser schreibt vor, dass für Kinder mit einer Behinderung, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, alle Anstrengungen unternommen werden sollen, ihnen ein Aufwachsen in einem familiären Umfeld zu ermöglichen.
Für die Pflegekinderhilfe werden mit der inklusiven Lösung einige neue Anforderungen verbunden sein. Dreh- und Angelpunkt wird sein, dass die Fachkräfte in den Pflegekinderdiensten ihr Wissen über Behinderungen und behinderungsbedingte Bedarfe von Kindern, Jugendlichen und Pflegefamilien ausweiten. Konzepte der Akquise und Vorbereitung sowie Begleitung von Pflegepersonen müssen auf diese Bedarfe hin angepasst werden.
Fazit
Die für die Pflegekinderhilfe diskutierten Änderungen haben das Potential, zur Qualitätsentwicklung in diesem Bereich der Jugendhilfe beizutragen. Es ist zu wünschen, dass neben den Veränderungen im SGB VIII auch die Überlegungen zu einer zivilrechtlichen Stärkung von Pflegeeltern umgesetzt werden. Diesbezügliche Entwürfe sind bis dato noch nicht bekannt. Der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim BMFSFJ hat ein Gutachten zur rechtlichen Situation von Pflegefamilien als soziale Familie verfasst, das im Juni 2016 herausgegeben wurde. In dem Gutachten wird die aktuelle rechtliche Basis, auf der Pflegeeltern ihre Kinder betreuen und erziehen, dargestellt. Mit Blick auf dauerhafte Pflegeverhältnisse wird die Diskrepanz zwischen der erlebten Zugehörigkeit eines Kindes zu seiner Pflegefamilie und der mangelhaften rechtlichen Anerkennung dieser Beziehung kritisiert. Die Anregungen und Empfehlungen der Gutachter sind aus fachlicher Sicht nachvollziehbar und finden bei einer möglichen Veränderung des BGB hoffentlich Berücksichtigung.
Mit dem Dreiklang – konsequente Perspektivklärung, intensive Elternarbeit und zivilrechtliche Absicherung von auf Dauer angelegten Pflegeverhältnissen – könnten die Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendliche, die in Pflegefamilien aufwachsen, deutlich verbessert werden.
Sandra Terodde
LVR-Landesjugendamt Rheinland
Tel 0221 809-6788
sandra.terodde@lvr.de
von:
Betreuung von Kindern mit Behinderung in Pflegefamilien