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Eine einprägsame persönliche Erfahrung in Bezug auf Umgangskontakte
Themen:
Zu Beginn meines Referats möchte ich eine kleine Szene schildern, die sich bereits vor vielen Jahren ereignete hat und mir dennoch ganz gegenwärtig ist.
Ich befand mich als Kindertherapeutin zusammen mit einem 9-jährigen Jungen in dem Spielraum einer Beratungsstelle. Die Eltern dieses Jungen hatten sich gerade getrennt und es machte ihm sehr zu schaffen, dass er nicht mehr tagtäglich mit seinem Vater zusammen sein konnte. Ganz vertieft in Austausch und Spiel schreckten wir plötzlich auf, denn vom Flur her hörte man das bitterliche Weinen eines Kindes, das einem durch Mark und Bein ging. Kurz darauf brüllte es wie am Spieß, - als würde es körperlich misshandelt werden. Das Kind schien sich überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Zuerst versuchten der Junge und ich die Situation zu ignorieren indem wir weiterspielten und so taten, als würden wir von dem, was da draußen vor sich ging, nichts mitbekommen. Doch das funktionierte nicht, da man in Gedanken bei dem heftig weinenden Kind war. Schließlich brach der Junge das Schweigen und fragte mich ganz direkt: „Was ist denn da draußen los?“. Im Vorfeld hatte ich mitbekommen, dass es hier um eine „Kontaktanbahnung“ ging – offensichtlich gegen den erheblichen Widerstand dieses Kindes. Im Warteraum hatte ich zuvor ein kleines Mädchen in Begleitung einer Frau – wahrscheinlich seiner Mutter - gesehen. Dies erklärte ich dem Jungen, woraufhin dieser mir seine Missbilligung signalisierte, indem er seinen Kopf langsam hin- und herbewegte und sagte: „Und ich dachte, hier hilft man Kindern.“
Diese kurze Begebenheit zeigt, dass es in der Frage des Umgangs Grenzen gibt, die zu achten sind. Intuitiv hat dieser Junge sofort erfasst, dass man hier zu weit gegangen und die Achtung diesem Kind gegenüber auf der Strecke geblieben ist. Denn der menschlichen Würde widerspricht es, den Menschen zum Objekt zu machen und seine Subjektivität außer Acht zu lassen. Subjektivität bedeutet: Der Mensch von innen wahrgenommen, aus seiner eigenen Perspektive. D.h. es geht hier immer auch um die Perspektive der 1. Person Singular, denn die jedem Menschen innewohnende Würde ist unvergleichlich und einmalig. Angst beispielsweise ist ein seelischer Zustand, den im Kern nur derjenige erfährt, dessen eigener Zustand diese ist. Empathie und Mitgefühl vorausgesetzt, können wir uns jedoch dem Zustand fremder Angst annähern. Zwangsweise durchgeführter Umgang richtet sich potentiell gegen das Kind selbst, da Zwang in der Beziehung seine Angst- und Ohnmachtsgefühle aktiviert und es hilflos und wütend macht.
Das Bundesverfassungsgericht (BverfG, 1 BvR 1620/04) hat in einem Urteil vom 1.4.2008 zu Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Vater, der den Umgang mit seinen Sohn verweigert hatte - d.h. sich hierzu nicht hat zwingen lassen – deutlich gemacht, „dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines den Umgang mit seinem Kind verweigernden Elternteils zu unterbleiben hat, es sei denn, es gibt im konkreten Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dient.“Die Pflicht von Eltern zur Erziehung beziehe sich „nicht lediglich auf das Kind, sie besteht auch gegenüber dem Kind. Denn das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.“ BverfG, 1 BvR 1620/04 vom 1.4.2008, Absatz-Nr. 71, www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080401_1bvr162004.html Damit hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Urteilsbegründung das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt.
Denn die allgemein anerkannten Werte, wie: Achtung vor dem Leben, der Integrität, Recht und Gerechtigkeit, gelten auch und insbesondere für das Kind und sind ihm rechtlich zugesichert. Es ist vollwertiger Träger eigener Menschenwürde und hat als Grundrechtsträger Anspruch auf den Schutz des Staates.Zur Bindung des Elternrechts an das Kindeswohl siehe BVerfGE 24, 119, 144, FamRZ 1968, 578; Jestaedt, Art. 6 Rn 35, 146 ff.; zum Menschenbild des Grundgesetzes siehe Staudinger-Coester § 1666, Rz. 111.