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01.09.2012
Fachartikel

Besuchskontakte und Herkunftsfamilie

Die Rechtsprechung und Gesetzgebung geht im Grunde herein davon aus, dass es dem Wohle des Kindes entspricht, Kontakte zu seinen Herkunftseltern und seiner Herkunftsfamilie zu haben. Im § 1684 BGB wird der Umgang der Eltern zum Kind daher als Recht, aber auch als Pflicht definiert, während es im gleichen Paragrafen heißt: Das Kind hat ein Recht auf Umgang. Eine Pflicht zum Umgang hat das Kind nicht.

Die Rechtsprechung und Gesetzgebung geht im Grunde herein davon aus, dass es dem Wohle des Kindes entspricht, Kontakte zu seinen Herkunftseltern und seiner Herkunftsfamilie zu haben. Im § 1684 BGB wird der Umgang der Eltern zum Kind daher als Recht, aber auch als Pflicht definiert, während es im gleichen Paragrafen heißt: Das Kind hat ein Recht auf Umgang. Eine Pflicht zum Umgang hat das Kind nicht.

Mit der Frage der Pflicht der Eltern hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 01.04.2008 (1 BvR 1620/04) im besonderen Maße auseinandergesetzt. Hier ging es um die Frage der Pflicht eines leiblichen Vaters, der den vom Kind gewünschten Kontakt ablehnte. Das BVerfG kam letztendlich zu der Überzeugung, dass zwar eine Pflicht besteht, diese Pflicht jedoch nicht mit Zwangsmaßnahmen umsetzbar sei. Ein Kontakt gegen den Willen des Vaters würde das Kindeswohl gefährden.

In der Praxis des Pflegekinderwesens erleben wir immer wieder, dass besonders ältere Kinder oder Jugendliche sich Kontakte zu ihren Herkunftseltern wünschen – und dass manche dieser Kontaktwünsche sich aufgrund der Verweigerung der Eltern nicht verwirklichen lassen. Auch hier besteht zwar eine Pflicht der Eltern, welche jedoch nicht erzwungen werden kann.

Überlegungen zu Besuchskontakten mit Blick auf die Herkunftsfamilie

Besteht für die Eltern Klarheit über die Perspektive der Unterbringung?
Gibt es ein klare Perspektive? Haben sich alle Beteiligten darauf geeinigt?
Tragen die leiblichen Eltern die Perspektive mit?

Bei der Perspektive „zeitliche befristete Vollzeitpflege“ bedeutet dies:

  • wollen sie die Bindung zum Kind durch eine Vielzahl von Besuchskontakten aufrechterhalten?
  • Arbeiten sie mit dem Jugendamt und den Pflegeeltern eng zusammen?
  • Erfüllen sie die zeitlichen Bedingungen ihrer Stabilisierung zur Rückkehr des Kindes?
  • u.a.

Bei der Perspektive „zeitlich unbefristete Vollzeitpflege“ bedeutet es:

  • Lassen sie die Integration des Kindes in die Pflegefamilie zu?
  • Können sie sich mit der Rolle der „Besuchseltern“ abfinden?
  • Versuchen sie das Kind zu verstehen und auf seine Bedürfnisse einzugehen?
  • Akzeptieren sie auch für sich eine Klarheit und Sicherheit durch diese Perspektive?
  • Können sie weiterhin am Kind interessiert bleiben?
  • Können sie mit dem Geschehen der Vergangenheit (Vorgeschichte) umgehen?
  • u.a.

Betreuung und Begleitung der Herkunftsfamilie

Die Herkunftseltern brauchen intensivere und längerfristige Betreuung um für sich und für das Kind angemessene und notwendige Entwicklungen machen zu können. Sie müssen Hilfen bekommen, um die Perspektiven für die Zukunft des Kindes auch in den Alltag umsetzen zu können.

Es muss ihnen Hilfe angeboten werden, um mit dem Geschehenen umgehen und leben zu können. Es muss ihnen deutlich werden, dass die Verleugnung des Vergangenen ihnen und ihrem Kind schadet. Die Auswirkungen des Geschehenen auf das Kind müssen klar erkannt und Schädliches muss als solches auch benannt werden.

Wir wissen, dass viele Herkunftseltern selbst eine schwere, traumatisierende Kindheit hatten. Ihre Handlungen sind oft durch diese Selbsterfahrungen geprägt und erklärbar.
Paula Zwernemann schreibt dazu in ihrem Aufsatz: Sozialromantik und Realtität im Pflegekinderwesen:

Einen Menschen, der selbst ein schweres Schicksal zu tragen hat, zu verurteilen, widerstrebt dem moralischen Empfinden. ….. Die soziale Einzelfallhilfe, die als wissenschaftliche Methode der Sozialarbeit aus den USA und England in der Nachkriegszeit Eingang in der Bundesrepublik fand, hat zwischen TAT und TÄTER unterschieden. Der Täter wurde als Mensch voll akzeptiert, seine Not wahrgenommen und ihm Hilfe gewährt.
Die Tat jedoch war ein anderes Kapitel. Diese konnte nicht akzeptiert werden. Der sexuelle Missbrauch ist ein Verbrechen an einem Kind. Dieses Kind geschah großes Unrecht, das nicht verleugnet werden darf und das dem Täter auch in das Bewusstsein gerufen werden muss, damit er für sich und auch für das Opfer – und das Kind ist das Opfer – Hilfe bekommen kann.
Wenn die Unterscheidung zwischen Tat und Täter wieder in das Bewusstsein der Fachkräfte käme, könnten diesen die Empathie für das Kind leichter fallen, ohne dabei dem Täter Unrecht zu tun.

Anspruch an die Herkunftseltern während der Kontakte

Auszug aus dem Referat „Umgang mit dem in Familienpflege untergebrachten Kind, §§ 1684, 1685 BGB – psychologische Aspekte von Dipl.Psychl. Dr. Eginhard Walter, Berlin
Aus der Zeitschrift: Familie, Partnerschaft, Recht 8/2004 Themenschwerpunkt: Kinder in Familienpflege

„Erziehungsfähigkeit“ der Eltern

Von den zum Umgang berechtigten leiblichen Eltern wird bei der Beurteilung der Möglichkeiten von Umgang keine umfassende Erziehungsfähigkeit (mehr) erwartet werden müssen, da die Erziehung des Kindes nun Aufgabe der Pflegeeltern ist. Der Begriff der Erziehungsfähigkeit im Zusammenhang mit der Prüfung umgangsrechtlicher Fragestellungen ist insofern ungenau. Das zentrale Kriterium der Beurteilung des Umgangs ist die Bewertung der elterlichen Fähigkeiten, die Umgangskontakte mit dem Kind so zu gestalten, dass dessen Wohl nicht gefährdet wird. Konkret bedeutet dies, während des Umgangs die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse des Kindes sicher zu stellen. Zu diesen Grundbedürfnissen zählen jene nach körperlicher Unversehrtheit und emotionaler Sicherheit.

a)Grund der Unterbringung:
[...]
Den Eltern ist bei der Frage des Umgangs nach der Fremdunterbringung weniger an Kompetenz abzuverlangen als bei der Herausnahme selbst.
Zu prüfen wird also sein, von welcher Qualität und Intensität die auf das Kind wirkenden Gefährdungen sind und wie sich diese auf die gegebene Vulnerabilität des Kindes auswirken.
[...]

b) Interesse am Kind und Empathie
Ferner wird das Interesse der leiblichen Eltern am Kind zu bewerten sein.
So kann nach Pflegestellenunterbringung nicht immer davon ausgegangen werden, dass Eltern über eine ausreichende Motivation verfügen Kontakte zum Kind regelmäßig wahrzunehmen. Werden Kontakte nur unregelmäßig eingehalten, so können sie für das Kind zu einer wiederkehrenden Quelle von Frustationen werden und das Selbstwertgefühl (weiter) destabilisieren.
[...]

Gerade diese zentralen Forderungen gegenüber der Herkunftsfamilie,

  • die Unterbringung zumindest zu tolerieren
  • das Kind nicht zu instrumentalisieren
  • und die Umgangskontakte regelmäßig zu gestalten

stehen in engem Zusammenhang mit der zu fordernden Empathie, der Fähigkeit, sich emotional in die Gefühlswelt des Kindes hineinzufühlen bzw. sich kognitiv in dessen Rolle zu versetzen, eben Loyalitätskonflikte zu erkennen und Belastungen des Kindes zu erspüren.

Gibt es klare Vereinbarungen zu den Besuchskontakten?

  • Wer bringt, wer holt das Kind?
  • Wann, wie lange findet der Kontakt statt?
  • Wo genau findet er statt?
  • Mit wem? Wer darf mitgebracht werden?
  • Wie lange muss gewartet werden wenn einer nicht pünktlich kommt?
  • Müssen die Eltern alkoholfrei/clean sein?
  • Wer entscheidet was in dem Kontakt? z.B. Kind möchte nach Hause? Möchte länger beleiben?
  • Wie ist es mit Geschenken?
  • Ausfall der Kontakte im Urlaub der Pflegeeltern/leiblichen Eltern?
  • Kontakte an Feiertagen, Geburtstagen?
  • Begleitete Kontakte? Wenn ja, durch wen? Vor- und Nachbereitung?
  • Wissen die Eltern über die Wohlverhaltensklausel im § 1684 Abs. 2: Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.
  • u.a.

Umgang mit anderen Familienmitgliedern

In der Praxis erleben wir Besuchskontakte zwischen Pflegekind und Großeltern und zwischen Pflegekind und Geschwistern. Seltener spielen entferntere Verwandte eine Rolle. Solche Kontakte sind immer abhängig von gemeinsamen früheren Erfahrungen des Kindes mit diesen Personen. Auch hier gelten die o.a. Bedingungen der Kontakte.

Der Aufrechterhaltung von Geschwisterkontakten wird zunehmend mehr Beachtung geschenkt. Erwachsene Pflegekinder schildern immer wieder, wie wichtig ihnen Kontakte zu Geschwistern waren. Gerade wenn Besuchskontakte zu den leiblichen Eltern nicht möglich waren behielten sie jedoch durch die Treffen mit den Geschwistern Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie und ihrer Herkunft. Bei Kontakten von Geschwistern untereinander muss darauf geachtet werden, dass das älteste Kind (Versorgerkind) nicht wieder in die Verantwortungsrolle schlüpft.

Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind eine Beziehung entwickelt hatte

Auch andere Personen z.B. Stiefeltern, Partner eines Elternteils, ehemalige Pflegeeltern haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Der Gedanke dieses Rechtes besteht darin, dass das Kind Trennungen nicht als totale Brüche in seinem Leben erleben muss, sondern dass ihm wichtige Personen weiterhin erhalten bleiben.

Die Umsetzung dieses Rechtes hängt also von den gemeinsamen Erfahrungen des Kindes mit diesen Personen, seinen Gefühlen gegenüber diesen Personen, seinem Willen und der Frage des Kindeswohls durch diese Kontakte ab.
Auch bei solchen Kontakten gelten natürlich die o.a. Bedingungen zu Besuchskontakten.

Nach Rückführungen in die Herkunftsfamilie oder Beendigung des Pflegeverhältnisses haben die ehemaligen Pflegeeltern ein Recht auf Umgang mit ihrem ehemaligen Pflegekind. Auch hier besteht der Sinn darin, Brüche im Leben eines Kindes zu vermeiden und die neuen für das Kind verantwortlichen Erwachsenen und die ehemaligen verantwortlichen Erwachsenen im Sinne des Kindes zu gemeinsamem Handeln zu bewegen. In solchen Fällen spielt die Rollenklarheit der Beteiligten eine entscheidende Rolle. Alle Beteiligten brauchen hier Hilfe und Beratung, um ihre Aufgabe im Sinne des Kindeswohls gemeistert zu bekommen.

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