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04.12.2016
Fachartikel

Bedarfe von und notwendige Rahmenbedingungen für Pflegeeltern beim Zusammenleben mit behinderten Kindern

Pflegeeltern sind nicht gesetzlich zur Pflege und Erziehung des ihnen anvertrauten Kindes verpflichtet, sondern entscheiden sich freiwillig dazu, diese Aufgabe zu übernehmen. Nehmen sie ein von Behinderung betroffenes oder bedrohtes Kind auf, sind sie auf geeignete Rahmenbedingungen und Unterstützungen angewiesen, um diesem Kind ein inklusives Aufwachsen und entsprechende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

I. Einleitung

Inklusion ist in aller Munde. Im Blick sind dabei die Schulen, die Arbeitswelt, eine barrierefreie Öffentlichkeit und Vieles mehr. Was aber liegt näher als die inklusive Familie? Familie sollten idealerweise der Ort sein, in dem jedes ihrer Mitglieder sich seinen Bedarfen entsprechend entwickeln und einbringen darf. In einer Pflegefamilie überschneiden sich öffentlicher und freier Raum. Pflegeeltern sind nicht gesetzlich zur Pflege und Erziehung des ihnen anvertrauten Kindes verpflichtet, sondern entscheiden sich freiwillig dazu, diese Aufgabe zu übernehmen. Nehmen sie ein von Behinderung betroffenes oder bedrohtes Kind auf, sind sie auf geeignete Rahmenbedingungen und Unterstützungen angewiesen, um diesem Kind ein inklusives Aufwachsen und entsprechende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

Mit dem folgenden Beitrag sollen aus der Perspektive von Mitarbeiter/innen eines freien Trägers für Erziehungsstellen (Erziehungsbüro Rheinland gGmbH) Strukturprobleme der Pflegekinderhilfe im Hinblick auf die Unterbringung von Kindern mit Behinderungen in Pflegefamilien erläutert sowie die entsprechenden Bedarfe von Pflegefamilien abgeleitet werden. Zur Veranschaulichung soll dies anhand eines Fallbeispiels erfolgen. Anschließend werden Unterstützungsmöglichkeiten durch eine gelingende Fachberatung aufgezeigt, die über die Beratung zu Erziehungsfragen hinausgehend zur Entwicklung und Gestaltung eines professionellen Settings für Pflegefamilien beitragen kann.

Seit 2009, dem Jahr der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, sowie seit der anschließend normierten befristeten Regelung einer Rechtsgrundlage im SGB XII zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Pflegefamilien ist zu beobachten, dass die Anzahl der Pflegeverhältnisse von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen zugenommen hat. Dem Bedarf dieser Kinder und Jugendlichen und ihrer Pflegefamilien gerecht zu werden, stellt die Fachdienste vor neue Herausforderungen. Erschwerend wirkt sich das Fehlen bundeseinheitlicher gesetzlicher Regelungen zur Finanzierung, Ausstattung, zu unterstützenden Leistungen, Beratung und Begleitung von Pflegefamilien mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung sowie zur Qualität und Ausstattung von begleitenden und beratenden Fachdiensten aus.

II. Friktionen aufgrund der nicht inklusiven Zuständigkeitsverteilung

Die Rechtssituation im Hinblick auf die Zuständigkeit ist nach wie vor unbefriedigend. Aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeit für Kinder ohne oder mit bestehenden bzw. drohenden seelischen Behinderung der Kinder- und Jugendhilfe einerseits und der Zuständigkeit für Kinder und Jugendlichen mit körperlichen oder geistigen bestehenden oder drohenden wesentlichen Behinderungen der Sozialhilfe andererseits bedarf es eines verlässlichen Kriteriums der Abgrenzung. Dieses hat die Praxis mit der Ermittlung des IQ gefunden: Für Kinder mit einem IQ unter 69 liegt die Zuständigkeit beim Sozialhilfeträger. Für Kinder mit einem IQ von 70 und darüber ist die Kinder- und Jugendhilfe zuständig. Ob eine solche Abgrenzung im Ergebnis den Bedarfen der betroffenen Kinder und Jugendliche gerecht wird, sei dahingestellt.

Wenngleich verlässliche Empirie zu dieser Beobachtung fehlt, ist unser Eindruck der, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zunehmend dazu übergehen, die Fallverantwortung für bereits im Rahmen der Hilfe zur Erziehung untergebrachte Kinder mit Behinderungen an Sozialhilfeträger abzugeben. Was in der Theorie allein zu einer Änderung des zuständigen Leistungsträgers ohne weitere Auswirkungen führen sollte. In der Praxis führt dies allerdings häufig zu erheblichen Änderungen in Art und Umfang der Leistungsbewilligung.

Daraus resultieren große Verunsicherungen bei Pflegefamilien sowie den begleitenden Fachdiensten. Auch wenn die Rechtsgrundlage für die Weitergewährung der Leistungen zum notwendigen Unterhalt des Pflegekindes in der Sozialhilfe mit § 27a Abs.4 SGB XII geregelt ist und sich die Praxis zur Ermittlung der dort normierten „tatsächlichen Kosten“ an den Vorgaben der Kinder- und Jugendhilfe entsprechend § 39 Abs. 4 SGB VIII ausrichtet, so gibt es doch Kostenträger, die bei Fallübernahme in die eigene Verantwortung erhebliche Änderungen vornehmen. Da der in § 37 Abs. 2a SGB VIII geregelte Grundsatz der Hilfekontinuität nicht für den Fallübergang in die Sozialhilfe unmittelbar anzuwenden ist, sehen sich die Träger der Sozialhilfe zu einer solchen Änderung der Fallgestaltung befugt.

Eine weitere Problematik besteht darin, dass es den überwiegenden Sozialhilfeträgern an Fachkenntnissen im Bereich des Pflegekinderwesens fehlt. Dagegen verfügen Mitarbeiter/innen von Jugendhilfeträgern meistens nur über unzureichendes Wissen über Leistungen der Eingliederungshilfe, einschließlich der Ansprüche gegenüber weiteren Leistungserbringern für Kinder mit Behinderungen.

Was dies für die Kinder und ihre Pflegefamilie wie auch den begleitenden Fachdienst bedeutet, sei in dem nachfolgenden Praxisbeispiel dargestellt:

III. Erfahrungen aus der Praxis

1. Ein Beispiel – Fin und Bastian

Fin und Bastian sind Zwillinge und als Frühgeburten zur Welt gekommen. Fin verbrachte seine ersten fünf Monate im Krankenhaus, wobei Bastian schon früher in einer Bereitschaftspflegefamilie leben konnte. Ein Aufwachsen in der Herkunftsfamilie war ausgeschlossen. Die weiteren zehn Monate waren geprägt von akuten lebensbedrohlichen Krankenaufenthalten von Fin und immer wieder wechselnden Bereitschaftsunterbringungen beider Kinder. Bei einem Fachdienst der freien Pflegekinderhilfe wurde angefragt, ob eine Unterbringung von Fin und Bastian in einer Erziehungsstelle möglich sei. Für die Kinder wurde eine Pflegefamilie gefunden, die Pflegemutter ist Erzieherin. Mit 15 Monaten wurden Fin und Bastian in dieser Erziehungsstelle aufgenommen, in der noch ein leiblicher Sohn lebt. Der Zustand von Fin stabilisierte sich, allerdings blieb der bei Zwillingen ohnehin schon hohe Bedarf an pädagogischem Einsatz, aufgrund der Entwicklungsrückstände beider Kinder, extrem. Bei Fin wurde ein Säuglingshospitalismus diagnostiziert und forderte die Pflegeeltern besonders.

Nach einem Jahr wurde deutlich, dass das Familiensystem eine Unterstützung braucht, um die Pflege und Erziehung der Zwillinge auf Dauer sicherzustellen. Die Überlastung seitens der Erziehungsstelle wurde dem begleitenden Fachdienst in immer kürzeren Abständen rückgemeldet, sodass es notwendig wurde, schnell Entlastungsangebote zu schaffen, um das System zu stützen. Es wurde eine Ergänzungskraft zur Unterstützung der Familie im Alltag eingestellt. Als deutlich wurde, dass die Bedarfe beider Kinder sich in absehbarer Zeit nicht maßgeblich ändern werden, wurde mit dem Jugendamt vereinbart, die Ergänzungskraft auf Dauer in der Erziehungsstelle einzusetzen.

Mit dem Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zum Jugendamt am Ort der Pflegefamilie wurde diese Regelung noch einmal in Frage gestellt. Der örtliche Träger vertrat die Auffassung, dass mit dem erhöhten Pflegesatz der Erziehungsstelle die entsprechenden Mehrbedarfe schon pauschal abgegolten seien. Die Pflegeeltern sahen sich jedoch nicht in der Lage, den Alltag mit den Kindern ohne die Ergänzungskraft zu meistern, sodass die Frage im Raum stand, ob sie notfalls die Pflegekinder abgeben müssten, bevor die Kernfamilie zu sehr darunter leide. Nach mehreren Gesprächen mit dem Erziehungsstellenträger und dem Vormund der beiden Kinder bewilligte das örtliche Jugendamt die Ergänzungskraft weiter.

Die nächste Herausforderung für die Erziehungsstelle stand an, als die Kinder eingeschult wurden. Der Fahrdienst weigerte sich, die Kinder im Bus zu befördern, weil beide zu viel „Unsinn“ trieben. Damit fiel der Fahrdienst von heute auf morgen aus und die Kinder blieben fünf Wochen zu Hause bis eine Finanzierung für einen Taxidienst gefunden wurde. Diese fünf Wochen stellten eine extreme Belastungsprobe für die Erziehungsstelle dar, die die Pflegeeltern erneut bis an ihre Grenzen und vor die Frage brachte, ob die Kinder in der Familie verbleiben können. In dieser Zeit war eine intensive Beratung und Begleitung der Familie notwendig, mit deren Hilfe es am Ende gelang, die Finanzierung eines geeigneten Fahrdienstes zu erwirken.

Diese Fallgeschichte steht exemplarisch für viele Pflegefamilien, die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aufnehmen. Sie könnte noch weiter beschrieben werden, frei nach dem Motto „nach der Krise ist vor der Krise“.

2. Strukturprobleme der Pflegekinderhilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen

Die überwiegende Anzahl der Pflegefamilien mit einem behinderten Kind ist noch immer auf sich allein gestellt oder erhält weder ausreichende Beratung noch ergänzende Unterstützungsleistungen. In der Zusammenarbeit mit Pflegeeltern beobachten wir zunehmend, dass diese sich angesichts der häufig rigiden Sparpraxis der Kommunen in einem ständigen Kampf um angemessene Unterstützung befinden. Neben der meist sehr aufwändigen Pflege und Betreuung ihres Kindes mit einer Behinderung, mit der ein erheblicher zeitlicher Einsatz und oft auch eine besondere emotionale Belastung einhergehen, fehlt es ihnen an Ressourcen, sich im Dschungel der unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen zurechtzufinden, um die ihnen gesetzlich zustehenden Hilfen für ihr Kind und sich in Anspruch nehmen zu können.

Ständige Probleme bereitet die Beantragung von Teilhabeleistungen wie beispielsweise die Finanzierung einer Integrationskraft zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sowie die Übernahme der Anschaffungskosten für einen behindertengerechten Pkw einschließlich dessen Umbau. Häufig lässt sich der Anspruch auf diese Leistungen nur mit Hilfe anwaltlicher Unterstützung erfolgreich durchsetzen. Bei allen Hilfemaßnahmen sollte das Wohl des einzelnen Kindes im Vordergrund stehen, wie es in Art. 7 Abs. 2 UN-BRK gefordert wird. Da es die unterschiedlichsten Behinderungsformen und Schweregrade gibt, sind die Hilfen dem individuellen Bedarf eines jeweiligen Kindes anzupassen.

Dennoch meistern die Pflegeeltern ihren Alltag mit Pflegekind häufig ohne diese Hilfen oder geben erschöpft aufgrund der dauerhaften Überforderung auf. Für das betroffene Kind gibt es dann oft keinen anderen Weg als die Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe. Gerade für die von Behinderung betroffenen oder bedrohten Kinder sind verlässliche Bindungen aber die Basis ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Beziehungsabbrüche führen bei ihnen häufig zu noch dramatischeren Konsequenzen, als dies bei Kindern und Jugendlichen ohne Behinderungen schon der Fall ist.

Fehlende gesetzliche Grundlagen hinsichtlich der Rahmenbedingungen für Pflegekinder mit Behinderungen und ihre dauerhafte Absicherung sind aus unserer Erfahrung ua die Ursache dafür, dass sich Familien, die zur Betreuung eines Pflegekindes mit Behinderung geeignet wären, gegen die Aufnahme entscheiden.

IV. Leistungen eines spezialisierten Fachdienstes

Angesichts der geschilderten Situation sehen wir einen dringenden Bedarf für den Einsatz von Fachberater/innen mit einem Expertenwissen aus dem Bereich sowohl der Pflegekinderhilfe als auch der Eingliederungshilfe. Soweit die öffentlichen Träger der Sozial- sowie der Kinder- und Jugendhilfe diese spezifischen Querschnittskompetenzen nicht vorhalten oder es ihnen an personellen Ressourcen mangelt, haben sie die Möglichkeit, Erziehungsstellenträger oder Fachpflegekinderdienste mit der Vermittlung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Pflegefamilien zu beauftragen und diese in der Folge zu begleiten. Zudem ist es möglich, die Begleitung bereits bestehender Pflegeverhältnisse, bei denen die Behinderung des Kindes oder Jugendlichen erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert wurde, an diese zu übertragen.

Als besonders geeignet bietet sich hier die Anbindung der Hilfe im Einzelfall an Träger für Erziehungsstellen an, da sie personell häufig gut ausgestattet sind, bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Familienpflege vorhalten und bereits auf die Beratung und Begleitung von Fachpflegestellen für Kinder und Jugendliche mit besonderem Bedarf spezialisiert sind.

Als Erziehungsstellen verstehen wir hier Pflegefamilien entsprechend der Rahmenkonzeption der Erziehungsstellen im Rheinland (www.tk-erziehungsstellen-rheinland.de). Wesentliche Eckpunkte der Konzeption sind der Beraterschlüssel von einem Berater für zehn Kinder, die Begrenzung auf max. zwei Pflegekinder in einer Erziehungsstelle und das Erfordernis einer pädagogischen Ausbildung oder vergleichbaren Qualifikation der Erziehungsstelleneltern.

Vermehrt gehen Erziehungsstellenträger dazu über, ausdrücklich auch die Beratung und Begleitung von Erziehungsstellen mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen vorzuhalten und entsprechend den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention ihre Mitarbeiter/innen hierfür zu qualifizieren. Darüber hinaus wird eine multidisziplinäre Zusammenarbeit mit Expert/innen aus den Bereichen, Pflege, Medizin, Heilpädagogik, Recht, Rehafachberatung, Trauerarbeit etc. aufgebaut. So kann sichergestellt werden, dass Pflegefamilien mit einem behinderten oder kranken Kind oder Jugendlichen, die für ihre individuelle Situation fachspezifische Beratung und Unterstützung erhalten.

Die Fachberater/innen für Erziehungsstellen leisten eine intensive psychologische sowie pädagogische Beratung und Begleitung der Pflegefamilie. Zudem zählt zu ihren Aufgaben die Beantragung sozialrechtlicher Ansprüche für die betroffenen Familien. Dies umfasst ua die Unterstützung bei der sehr aufwändigen Pflege und Betreuung der Kinder, ergänzende Kinderbetreuung, Entlastungszeiten, wie zB freie Wochenenden oder Urlaube von der Pflege und Betreuung des Kindes, Therapien, medizinische Behandlungen, Pflegeeinstufung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen, Beantragung eines Schwerbehindertenausweises einschließlich Einstufung des Grades der Behinderung und Zuerkennung von Merkzeichen, behindertengerechter Wohnungsumbau etc.

Unserem Selbstverständnis nach ist es notwendig, nicht nur eine reine Fachberatung für die Pflegeeltern anzubieten, sondern darüber hinaus, ein professionelles Setting für die Pflegefamilie zu gestalten und zu begleiten. Dafür bedarf es verschiedener Angebote auf der Ebene der Pflegeeltern, der Kinder und Jugendlichen und der Fachberater/innen.

Besonders bewährt hat sich deshalb, für Pflegeeltern, neben der Akquise, Vorbereitung und Begleitung, regelmäßige, regionale Arbeitskreise anzubieten. In den Arbeitskreisen wird zum Beispiel theoretisches Wissen vermittelt, zudem kann eine 1:1-Beratung in der Gruppe stattfinden sowie kollegiale Fallberatung und Selbstreflexion in Anspruch genommen werden. Diese Gruppenarbeit wirkt vor allem der Isolierung der einzelnen Pflegefamilie entgegen und schafft meist ungeahnte Synergieeffekte in der gegenseitigen Unterstützung der Pflegefamilien. Um in der Lage zu sein, sehr komplexe Problemsituationen zu erkennen und den eigenen Bezugsrahmen zu erweitern, sind externe Supervisionen für die Pflegeeltern unabdingbar, um blinde Flecken in der Erziehung zu entdecken oder verdichtete, persönliche Fragestellungen zu bearbeiten.

Neben den monatlichen regionalen Arbeitskreisen werden, auch durch das Erziehungsbüro Rheinland, Facharbeitskreise für Pflegeeltern ua zu Themenschwerpunkten wie FASD, Biografiearbeit, ADHS, Herkunft uÄ angeboten. Hier werden themenspezifische Besonderheiten und Fachwissen gesammelt, verarbeitet und zB in der regelmäßig erscheinenden, trägereigenen Zeitschrift für Erziehungsstellen „Puzzle“, veröffentlicht.

Auf der Ebene der in Pflegeverhältnissen untergebrachten Kinder und Jugendlichen wird sich, je nach Möglichkeit, um die Aufrechterhaltung des Kontakts zu leiblichen Eltern und Geschwistern bemüht. Begleitete Umgangskontakte werden mit den Kindern und Jugendlichen, aber auch den Pflegeeltern und leiblichen Eltern vor- und nachbereitet. Die Fachberater/innen sind hierbei Ansprechpartner/innen für alle Beteiligten. Um den Themen der Kinder und Jugendlichen zusätzlichen Raum zu geben, werden Kinder- und Jugendwochenenden sowie mehrwöchige Freizeiten veranstaltet. Innerhalb der peer-group können so, unabhängig vom Pflegefamilien- und Herkunftssystem, eigene Anliegen, Wünsche oder Ängste und Sorgen besprochen und bearbeitet werden. Sowohl für die Pflegeeltern als auch für die Kinder und Jugendlichen haben diese Freizeiten einen Erholungseffekt.

Auf der Ebene der Fachberater/innen setzt das Erziehungsbüro Rheinland auf eine Kontinuität in der Betreuung der Pflegefamilien, was eine den Prozess von Anfang an begleitende Beratungsarbeit beinhaltet. Dadurch soll von Beginn an vertrauensvolle Gesprächskultur zwischen Fachberater/innen und Pflegefamilie entwickelt werden. Die Beratungsarbeit kann deshalb nicht erst in einer akuten Krise beginnen, sondern gerade dann kommt es darauf an, dass man sich auf eingeübte, vertraute und damit tragfähige Kommunikationsprozesse zwischen Pflegeeltern und Fachberater/innen verlassen kann. Gerade in den Zeiten, in denen es keine besonderen Schwierigkeiten gibt, kann jedoch eine gute Gesprächskultur entwickelt werden.

Abgesehen von den genannten Aspekten, die für die direkte Betreuungs- und Beratungsarbeit notwendig sind, haben großen Wert Fortbildungen und die Möglichkeit, sich auf Fachtagungen über aktuelle Entwicklungen zu informieren und zu diskutieren. Ebenso wird ein großer Mehrwert darin gesehen, dass die Pflegekinderhilfe durch kompetente Praxisforschung weiterentwickelt wird. Als Kooperationspartner der Forschungsgruppe Pflegekinder der Universität Siegen beteiligt sich das Erziehungsbüro Rheinland an einem Modellprojekt, in dem sich aus Sicht von Pflegeeltern und Fachberater/innen für Erziehungsstellen mit der Frage beschäftigt wird, wodurch Pflegeverhältnisse stabilisiert bzw destabilisiert werden und wie es gelingen kann, Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedarfen in geeigneten und verlässlichen Pflegefamilien zu betreuen.

Dieses umfangreiche professionelle Setting für Pflegefamilien soll einerseits zur Unterstützung im Alltag dienen und andererseits zu einer professionellen Kommunikations- und Interventionskultur zwischen Pflegefamilien und Fachberater/innen beitragen.

V. Forderungen an die Gesetzgebung

Deutschland ist gemäß Art. 23 UN-BRK dazu verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, um für Kinder mit Behinderungen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie leben können, Möglichkeiten zu schaffen, damit diese in einem familiären Umfeld aufwachsen können. Die Akquise von Pflegeeltern allein reicht dafür nicht aus. Eine Pflegefamilie, in der ein von Behinderung betroffenes Kind verlässliche Bindungen eingehen darf und soll, benötigt verlässliche Unterstützung und Begleitung.

Die wichtigste der in der UN-BRK aufgeführten Forderungen (Art. 7 Abs. 1), dass alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen gleichberechtigt sind mit Kindern und Jugendlichen ohne Behinderung, sollte durch eine Reform des SGB VIII mit der Ergänzung um den Bereich Leistungen zur Entwicklung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche in absehbarer Zeit umgesetzt werden.

Wir meinen, dass in diesem Rahmen die positiven Erfahrungen mit begleitenden spezialisierten Fachdiensten Schule machen sollten. Es sollte auch auf gesetzlicher Grundlage sichergestellt werden, dass für die Vermittlung und Begleitung von Pflegekindern mit Behinderung Fachdienste in ausreichender Zahl mit hierfür qualifizierten Fachkräften (unter Beachtung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. i UN-BRK) zur Verfügung stehen. Wir sehen mit dieser Form der Hilfe und Unterstützung einen wesentlichen Beitrag, um den von Behinderung betroffenen Pflegekindern zur ihrem Recht auf ganzheitliche Entwicklung und eine inklusive Teilhabe zu verhelfen.

Die bestehenden Regelleistungen wie Unterhalt und Erziehungsbeitrag für ein Pflegekind mit Behinderung müssen um Individualleistungen, die sich nach dem Bedarf des einzelnen Kindes oder Jugendlichen richten, ergänzt werden.

Auch nach einem erfolgreichen Gesetzgebungsverfahren sollten die weiteren notwendigen Schritte zur Qualifizierung der Pflegekinderhilfe für von Behinderung betroffene Kinder nicht übersehen werden. Hierzu gehört aus unserer Sicht die Einigung auf Standards

  • zur Finanzierung der Unterbringung von Kindern mit Behinderungen in Pflegefamilien;
  • zur Ausstattung und der unterstützenden Leistungen für Pflegefamilien mit behinderten Kindern;
  • zur Beratung und Begleitung von Pflegefamilien mit behinderten Kindern;
  • zu Qualität und zur Ausstattung von Fachdiensten für Pflegekinder mit Behinderungen;
  • zur umfassenden Qualifizierung der Vormünder, um in der Lage zu sein die Lebenssituation, Bedarfe und Möglichkeiten einer Pflegefamilie zu erkennen.

Als freier Träger für Erziehungsstellen setzen wir uns dafür ein, dass für die Betreuung und Pflege eines Pflegekindes mit Behinderung ein Rahmen geschaffen wird, in dem Pflegeeltern nicht an den Rand der Überforderung gebracht werden, sondern in die Lage versetzt werden, langfristig der anspruchsvollen Pflege und Betreuung des Kindes gerecht zu werden.

Quelle: JAmt 2016, 471 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF), Heidelberg, www.dijuf.de.

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