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24.10.2022
Erfahrungsbericht

Veras Einzelvormund

Während meiner Einzelvormundschaft für Vera beschäftigte sich diese immer wieder in besonderem Maße mit ihrer Herkunftsfamilie.

Das erste was wir zusammen erledigten - Vera und ich - war die Namensänderung. Ich zwar inzwischen der Vormund von Vera geworden. Als Vera den fünften Amtsvormund erlebte, hatten sie und ihre Pflegeeltern die Nase voll. Sie begannen, jemand zu suchen, der nicht einfach immer so ausgewechselt werden konnte und der sich als ehrenamtlicher Einzelvordmund für Vera zur Verfügung stellen würde. Sie fragten mich und ich sagte ja, denn ich kannte Vera und ihre Pflegeeltern durch gemeinsame Fortbildungen.

Ich bin ein starker Vertreter der ehrenamtlichen Einzelvormundschaft - besonders für Pflegekinder. Meist werden das ja dann die Pflegeeltern selbst, aber häufig macht es auch sehr viel Sinn, dritte Personen zu fragen. 

In Veras Fall hatten sich die Pflegeeltern durchaus Gedanken darüber gemacht, ob sie selbst sich als Einzelvormund zur Verfügung stellen sollten. Aufgrund der früheren Schwierigkeiten und bereits erfolgter gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Veras leiblichen Eltern jedoch, fanden sie es sinnvoller, eine andere geeignete Person zu finden, der sie auch vertrauen konnten. Sie fragten bei mir an und als ich mir dies vorstellen konnten, schlugen sie mich als Einzelvormund dem Jugendamt vor. Das Jugendamt sah keine Veranlassung, mich nicht zu akzeptieren und teilte dem Gericht mit, dass es für Vera eine geeignete Einzelperson als Vormund gäbe. Einige Wochen später wurde ich vom Familiengericht zum Einzelvormund von Vera bestellt.

Generell ist es günstig, sich in Fragen der Vormundschaftsveränderung mit dem Jugendamt zusammen zu setzten und die Angelegenheit zu besprechen. Das Jugendamt muss als fachkompetente Behörde in allen Fragen, die Kinder und Jugendliche angeht, Stellungnahmen für das Gericht erstellen. Natürlich besonders dann, wenn es auch noch Amtsvormund des Kindes ist.

Die betreuende Sozialarbeiterin des Jugendamtes, die Pflegeeltern und ich arbeiteten gut zusammen. Die Pflegeeltern hofften, hin und wieder durch mich auch mal in ihrer Alltagserziehung unterstützt zu werden. Natürlich leben SIE mit dem Kind zusammen, aber manchmal ist es hilfreich, wenn von außen auch noch mal Dinge bestätigt oder verstärkt werden.

Vera wendete sich in Laufe der Zeit in einigen Dingen direkt an mich z.B. wenn es um evtl. Kontakte zur Herkunftsfamilie ging. Vera hatte gegenüber dieser Familie sehr zwiespältige Gefühle. Einerseits lehnte sie sie ab, will eigentlich nichts mehr mit ihnen zu tun haben, wirft ihnen immer noch die schlimme Vergangenheit vor. Andererseits jedoch hatte sie das Gefühl, dass die Eltern über ganz wichtige Dinge in Veras Leben doch informiert sein sollten und dass man sie dann vielleicht auch sehen könnte.

Wie gesagt, als ich gerade Vormund geworden war, erlebte ich eine überaus zufriedene Vera, als wir die Namensänderung durchführten. So zu heißen wie ihre Pflegefamilie war ihr großer Wunsch gewesen und dies erreicht zu haben machte sie sicherer und stolz. Sie empfand, dass sie jetzt richtig "dazu" gehörte.

Und trotzdem - das so ganz Wichtige in ihrem Leben sollten aber auch die Herkunftseltern mitkriegen. Dieser Gedanke beschäftigten sie stark, als sie zur Konfirmation ging. Erst wollte sie die Eltern einladen .Dann jedoch sollten sie nur in die Kirche kommen, sie sehen und wieder gehen. Dann war auch das zu viel und zu dicht und ich sollte die Eltern nur über die Konfirmation informieren. Letztendlich war auch das noch zu viel und sie wollte keine Infos.

Vera wünschte einerseits, dass sie doch noch irgendwie interessant für ihre Eltern sein würde, andererseits befürchtete sie, dass die Eltern sich durch diese Information aufgefordert fühlen könnten und Kontakt haben wollten. Das wollte sie aber auch nicht. Sie sagte zu mir: "Ich habe Angst, dass dann alles von früher wieder hoch kommt und das will ich jetzt nicht".

In unseren vorherigen Gesprächen und Telefonaten zeichnete sich die Entwicklung bis hin zur dieser Aussage ab. Es war gut, dass ich mich in Geduld gefasst hatte und nicht in Aktionismus ausbrochen war, sonst hätte ich zu schnell zu viel gemacht und Vera damit überfordert.

Vera weiß, dass neben ihren Pflegeeltern auch ich ihr zur Seite stehe. Sie weiß, dass ich sie bei dem Weg, den sie einschlagen will, begleiten werde. Wir beide sind uns auch einig, dass sie mir erst einmal ihre Gedanken sagt, ich sie mir anhöre, nachfrage und warte. Vera kann so ihre Wünsche äußern und diese auch wieder verwerfen, wenn sie merkt, dass diese Wünsche ihr doch noch zu viel Angst machen - und dass dies dann auch völlig o.k. ist.

Einzelvormund sein heißt einerseits, das Kind juristisch zu vertreten und in seinem besten Intersse zu handeln, andererseits aber auch zu wissen, wie es ihm in der Pflegefamilie geht. Dies bedeutet, in gewissem Maße im Alltag präsent zu sein, ohne jedoch die Familie als Familie und die Pflegeeltern als Eltern zu verunsichern. Wir waren ein Team um das Kind herum und Vera gefiel das und uns anderen auch. 

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