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Pflegeeltern und Versicherungsschutz - Erfahrungsbericht einer Pflegemutter
Wenn wir an diesen Tag zurückdenken, kommt immer noch so ein Bauchkribbeln und eine Nachdenklichkeit.
Es sollte ein toller Tag werden. Ich wollte mit einer Mitstreiterin nach Wesel zum Treffen der Landesverbände der Pflege- und Adoptivfamilien auf Bundesebene fahren.
Alles war vorbereitet und abgesprochen.
Da mein Mann sich bereit erklärt hatte, uns zu diesem Veranstaltungsort zu fahren, sind meine jüngeren Pflegekinder, beides tolle Jungs, mitgefahren. Sie freuten sich auf einen Besuch im Aquarium und natürlich auf einen tollen „Männertag“.
Unser 16-jähriger Sohn blieb zu Hause und hatte ein Treffen mit Freunden organisiert. Da es schon mal vorkam, dass er das Eigentum verwechselte, haben wir die wichtigsten Räume abgeschlossen und die Schlüssel versteckt.
Als wir nach einem wirklich schönen Tag und viel Spaß auf der Heimreise, zu Hause ankamen, brach eine Welt zusammen.
Ungläubig schaute mein Mann auf die freie Stelle im Hof und machte sich so seine Gedanken, wo er denn unser Firmenfahrzeug hingestellt hat.
Zur gleichen Zeit entdeckte ich einen Zettel von der Polizei auf dem Küchentisch, wo nur vermerkt war, dass unser Pflegesohn einen Schadensfall verursacht hat. Sofort fiel mir seine rasante Fahrweise mit seinem Rad ein, wo wir schon manchmal meinten, dass es nicht gerade Verkehrssicher sei.
Mein Mann und ich tauschten unsere Beobachtungen beim Aufeinandertreffen aus und als unser Sohn nicht auffindbar war und auch über Handy nicht zu erreichen, gingen wir um 22 Uhr zur Polizei um zu erfahren, was es denn mit der Schadensmitteilung auf sich hat und gleichzeitig eine Vermisstenmeldung zu machen.
Gut, dass wir die Vormundschaft hatten, sonst hätten wir keine Antworten auf unser Fragen bekommen.
Hier mussten wir erfahren, dass unser Pflegesohn die Schlüssel nach langem Suchen, vom im Haus befindlichem Büro gefunden hat, auch den Schlüssel für die Geldkassette im Büro gefunden hat und dann den Zündschlüssel aus dieser Kassette entnahm, sich mit einem Mädchen, 14 Jahre, ans Steuer gesetzt hat und eine Spritztour machen wollte.
Er kam nur bis zur nächsten Straße, hat Gas und Bremse verwechselt, ist mit vollen Power in 2 Autos und an eine Hausmauer mit Kellerfenster gefahren und hat dabei einen erheblichen Sachschaden verursacht und unser Auto war natürlich totaler Schrott.
- incl. Zusammenfassung der Schriftwechsel,
- incl. allgemeinen redaktionellen Erläuterungen zu Schadensfällen.
Das war aber diese menschliche Seite, die schwer zu verkraften war, sehr unangenehm und emotional sehr aufreibend, da das Mädchen ins Krankenhaus musste und unser Sohn zwei Tage verschwunden war.
Jetzt kam aber eine finanzielle und gesetzliche Seite dazu, die wir uns natürlich bei der Aufnahme unserer Jungs nie hätten träumen lassen.
Die Versicherung zweifelte erst an, dass wir den Schlüssel versteckt haben. Da hatten wir aber Glück, weil die Mitstreiterin, die wir mitgenommen hatten, gesehen hat, wie wir ein Versteck für den Büroschlüssel gesucht haben.
Dann kam der nächste Brief und der nächste Brief, wir schrieben einen Brief und noch einen Brief, nur passiert ist nichts und dadurch, dass die Polizei mit Einverständnis unseres Pflegesohnes den Unfallwagen abschleppen lies entstanden täglich Standgebühren für das Schrottauto von 9,52 €.
Nach fast 4 Wochen und schon ein aufgelaufener Betrag der Standkosten und der noch ausstehenden Abschleppkosten, kam endlich der langersehnte Gutachter.
Nach noch mehr Briefen, ständiger Ablehnung der entstandenen Kosten und der Frage, wie es denn jetzt weitergeht, kam endlich ein Schreiben mit der Feststellung, welche Beträge denn übernommen werden.
... teilen wir Ihnen mit, dass wir für das Auto einen Betrag von ...€ ermittelt haben (das war nicht der Betrag, der eigentlich fällig wäre).
Für die beschädigten Fahrzeuge der Fahrzeughalter ... und ... und der beschädigten Hauswand und dem Kellerfenster in ... werden wir die anfallenden Kosten in Höhe von ...€ übernehmen und mit unserem Justiziar beraten, in wie fern man die Kosten ihrem Pflegesohn in Rechnung stellen kann.
Auf Grund der Situation, wie der Unfall entstanden ist, werden wir die Standgebühren von 371,28 € und die Abschleppkosten von 220,15 € nicht übernehmen.Ihre Versicherung wir neu eingestuft, der jetzige Betrag ...€.
(Kurzfassung eines mehrseitigen Briefes)
Das Fazit der Sache ist, wir waren froh, dass der Junge nach zwei Tagen wohlbehalten gefunden wurde.
Das Mädchen konnte nach drei Tagen ohne weiteren Befund aus dem Krankenhaus entlassen werden und sie stellte mit den Eltern keine Schadensersatzansprüche, da sie wusste, dass unser Pflegesohn keine Fahrerlaubnis hatte. Dies bedurfte aber vorher ein intensives, gemeinsames Gespräch.
Da das Jugendamt hier auch nicht den Versicherungsschutz für die Pflegeeltern hat, sind wir auf den Kosten für die Standgebühren, das Abschleppen, die Differenz zu dem „wahren“ Wert des Autos, die Mehrkosten für ein Ersatzauto für die Firma und die erhöhte Einstufung der Versicherung sitzen geblieben.
Wir mussten auch einen Ersatz für das Auto finden, was auch wieder eine finanzielle Belastung war.
Natürlich haben wir uns rechtlich erkundigt, ob es möglich wäre mit einer Klage, die Differenz zu erstreiten. Diese Klage wäre aber nur ein Erfolg, wenn wir unseren Pflegesohn angezeigt hätten und er uns die Differenz, bei einer Verurteilung, bezahlt hätte. Da wir die finanziellen Hintergründe unseres Pflegesohnes kannten, wäre das ziemlich unrealistisch.
Nach noch mehr Postaustausch mit der Versicherung, in Eigenschaft unserer Person als Vormund, ist es uns auch gelungen, mit Hilfe der schriftlichen Diagnostik der behandelnden Neuropädiatrie und der Sozialpädagogin die Forderung nach 5.000,00 € Schadensersatz von der Versicherung an unserem Pflegesohn nieder zu schlagen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit diesem Schreiben schicken wir Ihnen die Diagnostiken über unser Mündel ... zum o.g. Schadensfall.Frau Dr. ... / Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin – Neuropädiatrie ..., hat nochmals in 2 Therapiesitzungen mit ... über den Schadensfall gesprochen.
Sie hat uns die vorherigen Diagnostiken zur Verfügung gestellt und ein neues Schreiben, im Falle einer Schadensersatzforderung bzw. für gerichtliche Schritte Ihrerseits, gemacht.
... wurde massiv Körperlich misshandelt, musste daher lange im Krankenhaus bleiben, hatte eine starke Vernachlässigung in Form von sehr unregelmäßiger Versorgung erfahren und konnte damals, als er mit 3,5 Jahren zu uns kam, kaum sprechen und sich mitteilen.
Trotz intensiver Therapien konnte er seine Traumatisierung nie ablegen, hat eine massive Bindungsstörung mit einer, durch die starke Misshandlung, Lernbehinderung.
Wir hoffen, die Schreiben der Ärztin, in Kombination mit der Sozialpädagogin ..., die ihn auch durch die Therapie unterstützt, helfen Ihnen bei der Entscheidungsfindung.
Wir bitten Sie, falls sie keine Aussetzung der Rückzahlung beschließen können, über eine Minderung der Strafe nachzudenken.
Da ... nie einen Beruf im herkömmlichen Sinne erreichen wird, ist eine Summe von 5.000,00€ eine unendliche Last für ihn die er nur in kleinen Raten zurückzahlen könnte.
Mit freundlichem Grüßen
... Vormund des Kindes, Kennzeichen ... des Amtsgerichtes ...
Als wir uns so langsam nach mehreren Monaten Kampf erholt hatten, stellten wir uns die Fragen: Wenn es nun was anderes gewesen wäre – z.B. Schaden am Haus, ein Feuer, Personenschaden oder...? Oder wenn wir den Schlüssel nicht versteckt hätten?
So sind wir nach langem Kampf zwar auf einer übersichtlichen aber dennoch hohen Summe sitzen geblieben, es hätte aber noch wesentlich schlimmer kommen können.
Daher sollte jede Pflegefamilie überlegen, wie sie versichert ist und mal im Jugendamt nachfragen, ob es denn sein kann, dass Kinder vermittelt werden und es am Versicherungsschutz mangelt.
Wenn Familien ein Pflegekind übernehmen, dann denkt man nicht in erster Linie an Versicherung, Schadensfall und finanzieller Absicherung, sondern man möchte einem Kind ein Zuhause geben.
Trotzdem möchten wir eindringlich bitten, stellt konkrete Fragen zum Schutz.
Wenn ein Schaden passiert ist, ist es zu spät.
Redaktionelle Erläuterungen zu Schadensfällen
Bis zum 6. Lebensjahr ist ein Kind raus aus jeder Haftung, denn es ist nicht geschäftsfähig und auch nicht deliktfähig. Hier kann nur die Frage möglicher Aufsichtspflichtverletzung gestellt werden.
Ab dem Alter von 7 Jahren bis zur Volljährigkeit (18) ist das Kind beschränkt geschäftsfähig und ab 14 Jahren als Jugendlicher auch strafrechtlich deliktfähig. Wenn es in dieser Zeit zu einem durch das Kind verursachten Schaden kommt, kommt es darauf an, ob das Kind "die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" besessen hat. Hat das Kind keine erforderliche Einsicht z.B. weil es an einer geistigen Behinderung leidet, dann muss es auch nicht für den Schaden aufkommen. Auch hier kann dann natürlich eine mögliche Aufsichtspflichtverletzung geprüft werden.
Hat das Kind jedoch „eine erforderliche Einsicht“ in sein Tun, dann ist es auch haftbar zu machen. Die Erstattung des Schadens richtet sich dann an das Kind selbst. Hat es kein Vermögen oder Einkommen, verschiebt sich die Erstattung, bis es ein Einkommen hat. Ab dem 14. Lebensjahr gilt man als Jugendlicher und damit beginnt auch die Strafmündigkeit. Hier kann neben der Pflicht der Erstattung des Schadens auch eine strafrechtliche Prüfung erfolgen.
Gegen einen mutwillig ausgeführten Schaden lässt sich auch keine Versicherung abschließen.