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15.05.2008
Erfahrungsbericht

Michail - Die Geschichte eines aussichtslosen Adoptionsversuchs

Wir, Petra und Hans (54 und 52), haben im Dezember 2005 unsere beiden „älteren“ Geschwisterkinder Andrey (9) und Marija (6) adoptiert.

Wir, Petra und Hans (54 und 52), haben im Dezember 2005 unsere beiden „älteren“ Geschwisterkinder Andrey (9) und Marija (6) adoptiert. Wir erfuhren, dass die beiden einen älteren leiblichen Bruder namens Michail haben, sein Aufenthaltsort sei jedoch nicht bekannt. Michail ist 1995 geboren, jetzt also 11 bis 12 Jahre alt. Bei unserem 2. Russlandbesuch (Adoptionstermin und Abholen der Kinder) fragten wir, was denn aus dem Bruder geworden sei, konnten aber nichts Konkretes erfahren.

In den Osterferien im April 2006 war Andrey mit seinen Sprachkenntnissen so weit, dass er uns erzählte, er habe einen sehr, sehr, sehr guten Freund, der Michail heiße. (Den Begriff „Bruder“ konnte er damals noch nicht anwenden.) Seine Erzählung endete mit „ihr habt vergessen, Michail aus Russland mitzunehmen“. Das ging uns ganz schön unter die Haut.

Am nächsten Tag kam dann „gute Idee – schreibt Brief nach Russland, Michail soll kommen“.
Andrey hatte so viel Vertrauen zu uns gefasst, dass er uns von nun an immer wieder von seiner Sehnsucht nach seinem Bruder erzählte.

Mein Mann und ich tauschten uns darüber aus und bei uns entwickelte sich der Gedanke, dass wir Michail ausfindig machen und ihn adoptieren wollten, sofern er zu unserer Familie gehören will.

Wir ließen also in Russland nachforschen und es gelang auch tatsächlich, bereits Anfang Mai einiges über Michail zu erfahren. Er lebt in einem Kinderheim mit Internat und ist adoptierbar. Die russische Partnerin unserer Auslandsadoptionsvermittlungsstelle teilte uns mit, dass, wenn wir schnell einen kompletten Satz der erforderlichen Unterlagen für den Adoptionsantrag zusammenstellen, wir Michail schon im August 2006 kennen lernen könnten.

Im Mai waren wir also bei unserem Jugendamt mit der Bitte, dass unser Sozialbericht aktualisiert werde. Wir gingen davon aus, dass diese Angelegenheit ein „Heimspiel“ sei, dass man uns selbstverständlich ermöglichen würde, die Geschwister wieder zusammenzuführen. Immerhin hatten Michail und Andrey 6 Jahre ihres Lebens gemeinsam verbracht.

Der Sozialbericht wird nicht erstellt

Für uns stürzte eine Welt ein, als die Sozialarbeiterin unser Vorhaben mit der Begründung ablehnte, wir müssten als Familie erst weiter zusammenwachsen, der Zeitpunkt für eine neue Adoption sei zu früh. Mit unseren Argumenten drangen wir bei ihr nicht durch. Im Bewusstsein, von dieser Sozialarbeiterin in diesem Jugendamt abhängig zu sein, meinten wir, ihre Entscheidung zunächst hinnehmen zu müssen. Da sie aber gesagt hatte, es sei noch zu früh, gab ich die Hoffnung nicht auf, erschien in etwa 2 monatigen Abständen im Amt und fragte vorsichtig nach.

In der Zwischenzeit fragte ich natürlich auch bei unserer Adoptionsvermittlungsstelle an. Von dort erhielten wir keine Unterstützung. Die Adoptionsvermittlungsstelle legt Wert auf Einvernehmlichkeit mit dem Jugendamt. Außerdem lehnte die Vermittlungsstelle es ab, über uns einen Sozialbericht zu erstellen, da wir zu alt seien. Die Vermittlungsstelle hat uns aber zugesagt, dann für uns tätig zu werden, wenn uns für Michails Adoption vom Jugendamt ein positiver Sozialbericht zugesagt ist.

Die Nachfragen beim Jugendamt führten immerhin dazu, dass die Sozialarbeiterin uns für den Herbst einen Hausbesuch zusagte und unsere Angelegenheit dann prüfen wollte.

Der Hausbesuch

Der Hausbesuch fand Anfang November 2006 statt. Der Besuch verlief steif. Sie sprach nur kurz mit Andrey, Marija nahm sie gar nicht zur Kenntnis. Sie zeigte sich verständnislos, als die Kinder sie bestürmten, wann denn Michail nun endlich käme. Michail war ansonsten nicht Gegenstand des Gesprächs. Kurz und gut, wir hatten schon während des knapp 90 minütigen Gesprächs ein ungutes Gefühl. Als sie im Aufbruch begriffen war, fragte ich die Sozialarbeiterin, wann wir beginnen könnten, unsere Adoptionsbewerbungsunterlagen zusammen zu stellen. Da meinte sie zwischen Tür und Angel, sie werde eine weitere Adoption nicht befürworten. Ihre Begründung hatte sie plakativ in wenigen Sätzen parat.

Dieser Schlag saß.

Als ich unserem Sohn erzählen musste, dass unsere Besucherin uns nicht helfen wird, Michail zu uns zu holen, weinte Andrey ganz bitterlich und fragte, ob er jetzt Michail vergessen müsse.

Ich selbst brauchte über eine Woche, um darüber hinweg zu kommen, d. h. dass sich erst danach wieder mein Kampfgeist regte und wir nach Lösungen suchten. (Zuvor empfand ich nur ohnmächtige Wut und Enttäuschung.)
Ein psychologisches Gutachten befürwortet die Adoption

Ich kürze die weitere Geschichte nun ab:

Wir suchten eine Anwältin für Familienrecht auf, die uns riet, ein psychologisches Gutachten durch eine Gerichtsgutachterin erstellen zu lassen. Das Gutachten sollte nicht nur uns Adoptionsbewerber sondern auch die Kinder einbeziehen.

Parallel sprach ich einen Kommunalpolitiker an, der sich für Bürger einsetzt, die Probleme mit Behörden haben. Dieser Politiker hat wohl auch mit der Sozialarbeiterin telefoniert. Das Ergebnis war jedenfalls, dass unsere Auslandsadoptionsvermittlungsstelle einen Brief erhielt, der die Begründung enthielt, warum das Jugendamt unseren Adoptionswunsch nicht befürworten könne. Wir erhielten eine Kopie dieses Briefs zur Kenntnis.

Nach Einschätzung der Sozialarbeiterin seien wir aufgrund unseres Alters und des Gesundheitszustands des Ehemannes mit der Annahme des 12-jährigen Bruders unserer Kinder überfordert.

Zeitgleich liefen unsere Gespräche mit der Psychologin sowie deren Hausbesuch bei uns.

Seit Mitte Januar 2007 liegt das Gutachten vor. Die Psychologin befürwortet die Adoption von Michail ausdrücklich. Sie bestätigt uns, dass die Adoption unserer beiden Kinder sehr erfolgreich war, dass wir uns der Risiken einer weiteren Adoption bewusst seien und auch in der Lage seien, mit diesen Risiken umzugehen. Man möge den drei Geschwistern die Möglichkeit zu geben, gemeinsam aufzuwachsen.

Eine ärztliche Bescheinigung bestätigt meinem Ehemann, dass bei ihm keine ansteckenden Krankheiten, lebensverkürzenden Krankheiten, psychischen oder psychosomatischen Beeinträchtigungen, Krankheiten und Behinderungen, die die Erziehungsfähigkeit wesentlich herabsetzen sowie auch keine Suchterkrankungen vorliegen.

Ich hatte auch mit dem Bundesverband für Eltern ausländischer Adoptivkinder e. V. (BVEaA) Kontakt aufgenommen und habe hierüber wiederum dem Leiter der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption unseren Fall nahe bringen können. Er hat sich an die zuständige Gemeinsame Zentrale Adoptionsstelle gewandt mit der Bitte um Abgabe einer Einschätzung zu unserem Fall.

Der Brief unserer Anwältin mit dem Gutachten der Psychologin hatten keinen Erfolg beim Jugendamt. Die Ablehnung wurde bestätigt, diesmal mit dem Hinweis, bei Michail stehe die Pubertät bevor und die Geschwister seien bereits seit 4 Jahren getrennt.

Besuch beim Landesjugendamt

Falls Sie einen ähnlichen Fall kennen oder davon betroffen sind, können Sie über uns gern mit der Autorin Kontakt aufnehmen. Benutzen Sie dafür unser Kontaktformular. Bitte schreiben Sie kurz dazu, um welchen Artikel es sich handelt.

Ein letzter Versuch war ein Besuch beim Landesjugendamt. Er brachte für uns ebenfalls kein günstiges Ergebnis.

  1. Das Landesjugendamt hat kein Weisungsrecht gegenüber dem Jugendamt unserer Stadt
  2. Wir können auf kein anderes Jugendamt ausweichen und uns von keiner anderen Stelle einen Sozialbericht ausstellen lassen

Ansonsten wurden wiederum Bedenken gegen Heimkinder in Michails Alter angeführt und auf die Risiken hinwiesen, die seine Aufnahme mit sich bringen könnte - für Michail, für seine Geschwister, für den Zusammenhalt der Familie

Trotz einer guten Eltern-Kind-Beziehung zu unseren beiden Adoptivkindern sind wir als Adoptionsbewerber abgelehnt. Das Ermessen einer Sozialarbeiterin in einem Amt entscheidet über das Schicksal von drei Kindern und einer Familie.

Alle Namen wurden von der Redaktion geändert. Juni, 2007

Weiterlesen: 
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