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Erfahrungen aus der Adoptionsvermittlung
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Anfang der 80er Jahre führte das Jugendamt Frankfurt am Main das Projekt "Spätadoption" durch, bei dem 44 Kinder im Alter zwischen 3 und 12 Jahren eine neue Familie fanden. Damals war die Adoption älterer Kinder noch unüblich, denn der Grundgedanke, die Belange des Kindes und nicht mehr die der annehmenden Eltern in den Vordergrund der Adoptionsvermittlungspraxis zu stellen, war noch relativ neu. Erst kurz vorher - 1976 - war mit der Verabschiedung des Adoptionsvermittlungsgesetzes das Wohl des Kindes als oberstes Gebot für die Adoptionsvermittlung gesetzlich verankert worden.
Dieser neuen Sichtweise folgend, rückten auch "schwierige“ Kinder ins Blickfeld der Vermittlungspraxis, die bereits belastende Lebenserfahrungen hinter sich hatten und keinen einfachen Adoptionsprozess versprachen, für die eine Adoption aber die beste Perspektive bedeutete. In dieser Zeit des Umdenkens war das Projekt des Jugendamtes Frankfurt äusserst innovativ (vgl. Rodriguez Drescher 2006).
"Grundsätzlich haben die Erfahrungen gezeigt, dass es sich lohnt, nach potentiellen Eltern für Kinder bis zum Alter von 10/11 Jahren Ausschau zu halten."
So verfügt das Jugendamt Frankfurt über eine langjährige Erfahrung mit der Vermittlung älterer Kinder. Wir fragten Anne Weiler, Mitarbeiterin des Teams Pflegekinderhilfe und Adoption im Jugendamt Frankfurt, nach der Praxis von Spätadoptionen heutzutage.
"Grundsätzlich haben die Erfahrungen gezeigt, dass es sich lohnt, nach potentiellen Eltern für Kinder bis zum Alter von 10/11 Jahren Ausschau zu halten. Es ist sehr vom Einzelfall, das heisst vom jeweiligen Kind abhängig, ob noch eine Bindung wachsen kann. "Ältere" Kinder sind Einzelfälle, da die gesetzliche Jugendhilfe sich dahingehend verändert hat, dass zeitlich viel früher das Kindeswohl und Perspektiven bedacht werden müssen, die Kinder in der Regel viel jünger sind."
Begleitung der Adoptivfamilie notwendig
Bei einer Spätadoption bringt das Kind im Gegensatz zu einem Säugling bewusste Erfahrungen und Erinnerungen an die Zeit vor der Adoption mit in die Familie. Dies bedeutet für die Adoptiveltern, dass sie die Vergangenheit ihres Kindes in der neuen Familie nicht ausblenden können. Seine Lebensgeschichte lässt sich nicht leugnen und prägt - vor allem zu Beginn - das Zusammenleben in der neuen Familie.
Das Kind hat eine, wenn nicht mehrere Trennungen von Bezugspersonen erlebt. Seine Gewissheit, sich auf Beziehungen verlassen zu können, ist erschüttert oder fehlt ganz. Bevor sich das Kind in der neuen Familie auf eine neue Bindung einlassen kann, muss es erst einmal austesten, ob es sich auf seine Adoptiveltern überhaupt verlassen kann. Für die Adoptiveltern kann das Verhalten ihres Kindes extrem belastend werden. Um ihnen die möglicherweise auftretenden Probleme bewusst zu machen, setzt die Vermittlung eines älteren Kindes eine intensive Vorbereitung der Adoptiveltern voraus. Schon in der Bewerbungsphase muss die Vermittlerin den Bewerbern deutlich machen, was auf sie zukommen kann, muss ein Gefühl dafür haben, ob die Bewerber in der Lage sein werden, einem älteren Kind mit seinen besonderen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Anne Weiler: "Natürlich brauchen die werdenden Adoptiv-Eltern Begleitung, wir moderieren den Vermittlungsprozess, sind auch im Weiteren immer abrufbar, auch nach abgeschlossener rechtlicher Adoption, zumal in vielen Fällen der Kontakt zwischen Herkunfts- und Adoptivfamilie von uns begleitet wird. Bei den sog. "schweren Themen" wie Traumatisierung/seelische Verletzungen durch erlebte Ereignisse, Wechsel, Abbrüche, Gewalt, Missbrauch etc. aber nicht nur da - brauchen die "neuen" Eltern auch Unterstützung wie z. B. Supervision/Elternberatung durch die entsprechenden Fachleute, was wir vermitteln und gewährleisten können."
Die Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter
Diese Erfahrungen sind auch niedergelegt in den Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter. Explizit wird auf die besonderen Bedürfnisse älterer Kinder eingegangen:
6.3.4 Entwicklungsstand und Prognose
Eine umfassende Beschreibung der Persönlichkeit des Kindes und seiner Ausdrucks- und Verhaltensweisen ist durch die Fachkräfte zu erstellen, ggf. mit Unterstützung von Bezugspersonen. (...) Vor allem bei älteren, unter Umständen entwicklungsverzögerten oder verhaltensauffälligen Kindern kann eine psychologische Diagnostik erforderlich sein. Dabei sind eine möglichst differenzierte, präzise und umfassende Beschreibung des gegenwärtigen Entwicklungsstandes und eine Entwicklungsprognose anzustreben
6.3.7 Kinder mit besonderen Bedürfnissen
Die Adoption eines verhaltensauffälligen, traumatisierten, behinderten oder älteren Kindes setzt eine ausführliche Information und Vorbereitung, eine kontinuierlich angelegte Beratung und die aktive Unterstützung der künftigen Adoptiveltern auch über den Ausspruch der Adoption hinaus voraus.
6.4.2.15 Kinder mit besonderen Bedürfnissen
Einen Link zur kompletten Ausgabe der Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung finden Sie gleich unten: Adoptionsvermittlungsstellen und die Bundeszentralstelle für Auslandsadoption
Den meisten Bewerbern stellt sich erst im Verlauf der Adoptionsvorbereitung die Frage, ob sie sich vorstellen können, ein Kind mit besonderen Bedürfnissen aufzunehmen. Sollten sich Bewerber für die Adoption eines so genannten schwer vermittelbaren Kindes entscheiden, ist eine ausführliche Vorbereitung erforderlich (vgl. 6.3.7). Dies gilt auch für aus dem Ausland vorgeschlagene Kinder, die oftmals erheblich traumatisiert sind oder unter schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden.
In den ausführlichen Beratungsgesprächen sollen den Bewerbern zu erwartende Probleme sowie deren Bewältigungsmöglichkeiten realistisch dargestellt werden. Dabei haben die Fachkräfte äußerst sensibel und zurückhaltend vorzugehen, um den Kinderwunsch nicht zu manipulieren. Gleichzeitig sind die Grenzen der Belastbarkeit und die besonderen Möglichkeiten der Bewerber auszuloten, da gerade für Kinder mit besonderen Bedürfnissen Familien notwendig sind, die ihnen in psychosozialer, emotionaler und pädagogischer Hinsicht gerecht werden.
Astrid Hopp-Burckel, Mai 2007 Ein herzliches Dankeschön an Anne Weiler