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28.10.2016
Bericht zur Veranstaltung

„Was wir alleine nicht schaffen …“

Prävention und Gesundheitsförderung im kooperativen Miteinander von Jugendhilfe und Gesundheitswesen. Ein Tagungsbericht

Am 26./27. September 2016 veranstaltete die Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe (AGFJ) im Deutschen Institut für Urbanistik in Kooperation mit dem AFET - Bundesverband für Erziehungshilfe e.V. die Fachtagung „Was wir alleine nicht schaffen ... Prävention und Gesundheitsförderung im kooperativen Miteinander von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen“. Zu dieser Fachtagung waren 120 Fachkräfte der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens nach Berlin gekommen, um gemeinsam zu überlegen, wie das Verständnis der beiden Systeme Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen füreinander verbessert und die Rechts- und Handlungssicherheit der Fachkräfte sowie die strukturelle Vernetzung unterstützt werden können. Hierzu wurden am ersten Tag u.a. bewährte Handlungsmodelle gemeinsamer Prävention vorgestellt. Am zweiten Tag stand die gemeinsame Intervention im Mittelpunkt.

Wie ticken die Systeme und wie können sie gut zusammenarbeiten?

Nach der Eröffnung der Tagung durch die Projektleiterin der AGFJ, Kerstin Landua, und die Geschäftsführerin des AFET, Jutta Decarli, stellte der Moderator Rainer Kröger, Vorsitzender des AFET, fest, dass es gelungen sei, VertreterInnen der Jugendhilfe und des Gesundheitssystems zu etwa gleichen Teilen zu versammeln. Er übergab Dr. med. Helmut Hollmann, Chefarzt, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Kinderneurologischen Zentrum Bonn, den Auftrag, die jeweiligen Systeme kurz vorzustellen, sowie deren Erwartungen an das andere System, gemeinsame Ziele und begünstigende und hemmende Faktoren, um diese zu erreichen.

Herr Dr. Hollmann sprach über Grundhaltungen, Positionen und Herausforderungen:

Entwicklung ist unser Ziel – gemeinsam!“ Sozialpädiatrie habe einen starken Gemeinwesenbezug und die entwicklungsneurologische Debatte habe sich in den letzten 35 Jahren sehr weiter entwickelt. Als gemeinsames Ziel beider Systeme formulierte er die Schaffung eines „fördernden Milieus“ für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. Ein förderndes Milieu sei wirksamer als eine (medikamentöse) Therapie. Deshalb sei die Einbeziehung der Eltern stets das "A und O“ jeder Therapie. Darüber hinaus sei es wichtig, Netzwerke wie bei den Frühen Hilfen und interdisziplinäre Qualitätszirkel zu pflegen und die eigene Arbeit zu evaluieren.

Höchste Zeit für eine Therapiesitzung…

Durch die Erprobung eines neuen experimentellen Formates, der „moderierten Paartherapie“, wurde am Vormittag des ersten Fachtages der Versuch gestartet, die Systeme Jugendhilfe, vertreten durch Christine Gerber, Wissenschaftliche Referentin im Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI), und Gesundheit, vertreten durch Dr. Andreas Oberle, Ärztlicher Direktor des Sozialpädiatrischen Zentrums und Leiter des interdisziplinären Kinderschutzteams am Klinikum Stuttgart Olgahospital, zu therapieren, damit sie in Zukunft besser miteinander zusammenarbeiten können.

Rainer Kröger durfte in die Rolle des Therapeuten schlüpfen und moderierte die Paartherapie. Das Publikum wurde an verschiedenen Stellen gebeten, Beziehungstipps zu geben, und tat dies auch mit großer Begeisterung. Ausgehend von dem gemeinsamen Ziel des Kinderschutzes sollten die beiden konstruktiv erörtern, welche Stolpersteine und Probleme es „beziehungstechnisch“ gibt, aber auch welche Ressourcen die beiden Partner haben.

Zunächst tauschten sich Frau Gerber und Herr Dr. Oberle über die verschiedenen Zeithorizonte ihrer jeweiligen Profession aus. Aus Sicht der Jugendhilfe stelle sich das Vorgehen bei Auftreten eines Verdachtes auf Kindeswohlgefährdung in einer Klinik folgendermaßen dar: Es muss geprüft werden, was vorgefallen ist und ob das Kind aus dem Krankenhaus nach Hause kann. Aber nicht nur die aktuelle Situation bzw. der aktuelle Zustand müsse bewertet werden, sondern es müsse auch eine Prognose erstellt werden: Welche Entscheidung hat welche Folgen? Welches Vorgehen fördert das Wohl des Kindes am meisten? Eine solche Prognose zu erstellen, sei zeitlich sehr aufwändig. Herr Oberle schilderte daraufhin, dass Ärztinnen und Ärzte sich oft unsicher fühlen bei der Einschätzung, ob ein Kind misshandelt wurde und dessen Wohl gefährdet ist. Sie würden sich große Sorgen um das jeweilige Kind machen und sich eine engere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt wünschen. Dazu gehöre aus seiner Sicht der stetige Kontakt zum Jugendamt, um Informationen im Sinne des Kindeswohls austauschen zu können. Denn es sei schwer auszuhalten, wochenlang nicht zu wissen, was passiert und wie es für das Kind weiter geht.

Ein Tipp aus dem Publikum hierzu wurde von Frau Gerber als sehr hilfreich empfunden: MitarbeiterInnen im Jugendamt und die Ärzteschaft sollten anerkennen, dass sie grundverschiedenen Logiken folgen. Auf der einen Seite stehe das prozessorientierte Denken der Jugendhilfe, auf der anderen Seite lege es in der Natur der Profession der Ärzte, „zack zack“ Entscheidungen zu treffen. Während eine Krankheit x oft die Behandlung y verlange, würden unterschiedliche Fälle von Kindeswohlgefährdung ganz verschiedene Lösungswege verlangen.

Auf die Frage, ob die Beziehung zwischen Jugendamt und Ärzteschaft auf Augenhöhe erlebt wird, antwortete Frau Gerber mit „nein“. Sie beschrieb, dass das Jugendamt in Fällen von Kindeswohlgefährdung unter enormem Handlungsdruck stehe, im Handlungs- und Entscheidungsprozess aber zahlreiche strukturelle Rahmendbedingungen beachten müsse. An erster Stelle stehe die Zusammenarbeit mit Eltern und Kindern und deren Beteiligung. Weiterhin müsse aber z.B. auch mit Familienrichtern kommuniziert werden, die keine Entwicklungspsychologen, sondern Juristen sind. Dies sei ein anspruchsvoller Job, dem oft nicht mit genügend Wertschätzung begegnet würde. Herr Dr. Oberle dementierte diese Einschätzung. Er vertrat die Auffassung, dass Ärztinnen und Ärzte die Arbeit des Jugendamtes sehr wohl wertschätzen und darauf vertrauen, dass die MitarbeiterInnen ihre Arbeit gut machen. An dieser Stelle zementierte sich die Bedeutung eines transparenten Vorgehens und die Notwendigkeit der Verbesserung der Kommunikation auf Augenhöhe. Im Saal schien Einigkeit darüber zu bestehen, dass es strukturelle Rahmenbedingungen brauche, um einen solchen Austausch zu ermöglichen. Weitere Themen, die in der Therapiesitzung angesprochen wurden und Tipps zur Beziehungsgestaltung sind in der Dokumentation der Tagung nachzulesen.

In Arbeitsgruppen: Vorstellung von erfolgreichen Modellen gemeinsamer Prävention

Am Nachmittag bestand die Möglichkeit, erfolgreiche Modelle gemeinsamer Prävention in Arbeitsgruppen genauer kennenzulernen:

  • Modellprojekt „Interdisziplinärer Qualitätszirkel“ in Berlin Pankow,
  • Projekt „Chancenreich“ - Hilfen für eine erfolgreiche Erziehung für Familien mit Neugeborenen der Stadt Herford und der Carina Stiftung,
  • Projekt „Konzepte für Kinder“ (Kooperationsnetzwerk im Kinderschutz) im Sozialpädiatrischen Zent-rum Königsborn, Unna, sowie Überlegungen zur geplanten Reform des SGB VIII,
  • Projekt „Babylotsen +“ der Charité Campus Virchow-Klinikum, Berlin,
  • VerbundNetzwerkKinderschutz Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.

Potenziale des neuen Präventionsgesetzes von 2015

Prof. Dr. Raimund Geene, Professor für Kindliche Entwicklung und Gesundheit, Hochschule Magdeburg-Stendal, stellte sowohl die Inhalte als auch die Potenziale des neuen Präventionsgesetzes vor, die es seiner Ansicht nach für eine bessere Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Gesundheitswesen mit sich bringt. Ein Fokus des Gesetzes liege auf der Stärkung von Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten bzw. etablierten Settings wie Kommunen, Kitas, Schulen. Die Autonomie von Familien bleibe unberührt. Sie würden auch weiterhin nur indirekt über die genannten Settings adressiert werden. Neu wäre darüber hinaus die Festschreibung, dass gesundheitsförderliche Strukturen aufgebaut und gefördert werden sollen. Außerdem erwähnte Prof. Geene die Neuerung, dass alle Leistungen von den Kassen gemeinschaftlich erbracht werden sollen.

Eine entscheidende Neuausrichtung hätten zudem die Früherkennungsuntersuchungen erfahren, die zu sogenannten Gesundheitsuntersuchungen umstrukturiert wurden und einen stärkeren präventiven Charakter hätten. Dies spiegele sich z.B. darin wider, dass psychosoziale Risikofaktoren und psychische Belastungen mitbeachtet oder die gesundheitliche Elternkompetenz gesteigert werden soll. Kinderärzte seien zudem beauftragt, bei den Gesundheitsuntersuchungen auf Frühe Hilfen und regionale Unterstützungsangebote hinzuweisen. Sie hätten darüber hinaus die Möglichkeit, Präventionsempfehlungen auszustellen, auch an Kinder unter 6 Jahren sowie ihre Eltern. Die Krankenkassen müssten diese berücksichtigen. Ein entsprechendes Formblatt würde ab 1. Januar 2017 zum Einsatz kommen.

Da die Annäherung von SGB V und SGB VIII im Gesetz offen bleibe, stellte sich Prof. Geene der Frage, wie Gesundheitsförderung und Frühe Hilfen synergetisch zusammen wirken können. Für einen guten Weg hält er zum einen die Einführung und Erarbeitung von Aktionsplänen und Bündnissen für gesundes Aufwachsen in Kommunen (wie z.B. das Landesprogramm „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“). Wichtig wäre es zum anderen, kommunale Plattformen für alle zu beteiligenden Akteurinnen und Akteure zu schaffen (wie z.B. die Berliner Landesgesundheitskonferenz oder kleinere bezirkliche Gesundheitskonferenzen). Beispiele gelingender Kooperation und guter Praxis müssten, wie auf dieser Tagung, bekannt gemacht und verbreitet werden. Nicht zuletzt sollten die Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit, die es in allen Bundesländern gibt, sich möglichst eng mit den Landeskoordinierungsstellen Frühe Hilfen abstimmen, auch auf kommunaler Ebene.

Eine bessere Versorgung für Kinder durch die Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe, Krankenhäusern/Psychiatrien und Krankenkassen

Peter De-Mary, Referent, AOK Rheinland/Hamburg - Die Gesundheitskasse, Düsseldorf, schilderte aus Sicht der Krankenkassen, wie eine gute Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe, Krankenhäusern/Psychiatrien und Krankenkassen gelingen kann. Er legte seinen Fokus dabei auf die Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern. Zunächst einmal stellte er fest, dass Psychiatrien, im Gegensatz zu somatischen Krankenhäusern, die Möglichkeit hätten, für Kooperationsaktivitäten mit der Jugendhilfe bezahlt zu werden. Verschiedene Leistungen könnten entsprechend codiert werden. Für die Initiierung von Kooperationsmodellen zur Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern empfahl er den Anwesenden die kommunale Ebene. Mit einem interessierten Krankenhaus und einem Krankenkassenvertreter vor Ort wären Verträge leichter zu schließen als auf Bundesebene. Um die Krankenkassen von einem Konzept zu überzeugen, sollte dies eine möglichst konkrete Aufgaben- und Zieldefinition sowie Zahlen enthalten, die dafür sprechen, dass von der Initiierung und Umsetzung eines Modellprojektes im besten Fall alle Beteiligten profitieren, wenigstens aber die Adressaten. Eine Kooperationsplattform zu schaffen und den Krankenkassen das SGB VIII ein bisschen näher zu bringen, wären aus seiner Sicht zielführende Maßnahmen.

Richtig handeln im Alltag! Berufsgeheimnisträger und Datenschutz

Prof. Dr. Stephan Rixen, Lehrstuhl Öffentliches Recht, Sozialwirtschafts- und Gesundheitsrecht, Universität Bayreuth, und Dr. med. Dipl.-Psych. Ingo Menrath, Assistenzarzt, Pädiater, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, sprachen über Datenschutzfragen: Wann dürfen welche Informationen an wen weitergegeben werden? Was sind in diesem Zusammenhang Ermessensfragen?

Prof. Rixen ging auf die Fragen zunächst aus juristischer Sicht ein und erläuterte den strafrechtlichen Hintergrund zum Datenschutz im Kinderschutz. Wichtige Stichworte in diesem Kontext waren „Vertraulichkeit, Verantwortung, Verunsicherung, unbefugt, rechtfertigender Notstand“.

Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) hätte den Akteurinnen und Akteuren die sogenannte Vertraulichkeitspflicht Sorgen bereitet, die aber im Einzelfall hätte durchbrochen werden dürfen. Für klarere Verhältnisse sollte die Einführung des §4 KKG sorgen, den Prof. Rixen genauer unter die Lupe nahm. Er stellte fest, dass der Paragraph die Handlungs- und Rechtssicherheit im Kinderschutz zum einen erhöhe, zum anderen aber neue Verunsicherung auslöse, die seines Erachtens nicht durch die Änderung der gesetzlichen Vorschriften, sondern vielmehr durch eine praxisgerechte Passung und Vermittlung aufgelöst werden könnten. Er empfahl die Erarbeitung von Leitlinien und Handlungsempfehlungen, die die Tätigkeit des Einzelnen steuern und seine strafrechtlichen Sorgen eingrenzen können. Die Befugnisnorm müsse lebbar gemacht werden. Wichtig sei darüber hinaus, weitere Berufsgruppen wie z.B. Erzieher/innen, Heilpraktiker/innen, Zahnärzte oder Vertreter/innen von Kirchen in diese Befugnisnorm einzuschließen.

An dieser Stelle konnte Dr. Menrath gut anschließen und beschreiben, wie er den Umgang mit der Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger zur Informationsweitergabe an das Jugendamt in der Praxis erlebt. Aus ärztlicher Sicht schütze die Norm einerseits die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient, andererseits ermögliche das Gesetz die Weitergabe wichtiger Informationen an das Jugendamt. Leitlinien würden im alltäglichen Umgang allerdings tatsächlich fehlen, bestätigte er die Einschätzung von Prof. Rixen. Dr. Menrath schilderte des Weiteren anhand von zwei Fallbeispielen, wie in seiner Klinik bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorgegangen wird. Die Aufgabe der Ärzte hierbei wäre zu erkennen, dass das, was sie sehen, nicht immer mit dem übereinstimmt, was zum Teil erzählt wird. Da es nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehöre herauszufinden, was passiert ist oder was in Zukunft das Beste für das Kind ist, sei es wichtig, dass sie berechtigt sind, Informationen an das Jugendamt weiterzugeben, wenn dessen Tätigwerden für nötig gehalten wird. Um dies einschätzen zu können, wären hohe fachliche Kompetenzen erforderlich, z.B. die Kenntnis psychosozialer Risikofaktoren. Außerdem stelle die Möglichkeit der Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft eine große Hilfe für Ärzte dar.

Vor dem Kontakt mit dem Jugendamt sei aber das Gespräch mit den Eltern und eine gemeinsame Erörterung der festgestellten Problematik immer das erste Mittel der Wahl, um ggf. auf eine Hilfe hinwirken zu können. Fällt die Entscheidung, das Jugendamt zu informieren, sei am wichtigsten, die Familie vorab darüber zu informieren.

Das Thema Kinderschutz zum Inhalt ärztlicher Aus- und Weiterbildungen zu machen, wurde auch in der anschließenden Diskussion aufgegriffen. Da die Ausbildungsinhalte Ländersache sind, müssten Wege gefunden werden, einen Prozess anzustoßen, der Kinderschutz zu einem größeren Teil der Ausbildung werden lässt. Zum Beispiel könne eine entsprechende Empfehlung der Gesundheitsministerkonferenz zu einer solchen Entwicklung beitragen.

Neben fachlicher Kompetenz wäre es aus Sicht von Dr. Menrath aber auch wichtig, Zeit und Ressourcen für die Kinderschutzarbeit an Kliniken sicherzustellen. Nicht jede Klinik mache es möglich, dass Helferkonferenzen vor Ort abgehalten werden können oder den Ärzten ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird, geschweige denn, dass konkrete Kooperationsvereinbarungen mit dem Jugendamt getroffen werden, wie es an seiner Klinik der Fall ist. In diesem Kontext wird auch die geplante verpflichtende Rückmeldung von Seiten des Jugendamtes von der Ärzteschaft sehr begrüßt. Bisher dürften nur Informationen vom Jugendamt an die Ärzte weitergegeben werden, wenn diese für deren weitere Arbeit erforderlich sind, so Rixen auf Nachfragen einiger Teilnehmer, die diese Frage schon länger beschäftigt.

Während der Diskussion wurde außerdem das Thema Vernachlässigung erörtert, weil diese viel schwieriger zu erkennen sei als eine Misshandlung. Viele Fälle machten deutlich, dass es immer Unsicherheiten geben wird, die man zum Teil durch die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen oder entsprechende Fortbildungen beseitigen könne, die zum Teil aber auch ausgehalten werden müssten.

Anschließend fanden Arbeitsgruppen zur Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen in verschiedenen Arbeitsfeldern statt. Gewählt werden konnte zwischen Folgenden:

  • Kooperative Arbeitsmodelle bei Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung (durch Misshandlung) in Lübeck - frühzeitige Verzahnung zwischen Kinderklinik und Kinderschutz-Zentrum,
  • Chimps-Projekt für Kinder und Jugendliche und ihre psychisch erkrankten Eltern in Hamburg,
  • Thüringer Ambulanz für Kinderschutz (TAKS), Universitätsklinikum Jena,
  • ICF – Was ist das und wie kann er angewendet werden?
  • Kooperative Zusammenarbeit bei Suchtproblematiken in Mecklenburg-Vorpommern.

Anforderungen zur Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche - Ein Blick zurück und nach vorn

Prof. em. Dr. Heiner Keupp, Vorsitzender der Berichtskommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht mit dem Schwerpunkt „Gesundheit“, richtete für uns den Blick zurück auf die Empfehlungen zur Verbesserung der Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitssystem und Eingliederungshilfe, die er vor sieben Jahren mitverfasst hat. Eine der zentralen Empfehlungen von damals lautete, flächendeckende, multiprofessionelle und verbindliche Kooperationsstrategien zu entwickeln. Den Ist-Zustand schätzte Prof. Keupp jedoch wie folgt ein: „Die aktuelle Situation zeigt versäulte und in sich eingeschlossene Systeme, die einen eigenen Denkstil und Sprachcode entwickelt haben, die unterschiedlichen Handlungslogiken folgen, die unterschiedlich funktionierenden und gesetzlich definierten institutionellen Mustern unterliegen und – nicht zuletzt – die aus unterschiedlichen fiskalisch geordneten Töpfen bezahlt werden.“ Verändert hätte sich nach der Vorlage des Berichtes auf der bundespolitischen Ebene seiner Ansicht nach zu wenig. Im Bereich der Frühen Hilfen sei am meisten passiert und die Debatte um die „Große Lösung“ nun erst richtig ins Rollen gekommen. In der Kinder- und Jugendhilfe wäre die Aufgabe der Gesundheitsförderung in verschiedenen Handlungsfeldern in ganz unterschiedlichem Maß auf- und angenommen wurden und zeige sich in Form einer vielfältigen, additiven und punktuellen Projektpraxis. Seine Empfehlungen für eine zukünftige zielführende Gesundheitsförderung in verschiedenen Lebensphasen umfassen z.B. ein integriertes System früher Förderung, den Ausbau von schulbezogener Sozialarbeit und Ganztagsangeboten und vernetzte Hilfen beim Übergang Schule-Beruf. Bewährte Projekte sollten generell zu Standardangeboten weiterentwickelt werden.

Prof. Keupp erinnerte in seinem Vortrag auch noch einmal an folgenden Satz aus der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung von 1986: „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben.“ Gesundheit zu fördern wäre daher nur durch das gute Zusammenspiel zahlreicher Akteure in der Lebenswelt der Menschen vor Ort möglich.

Am Ende unserer „moderierten Paartherapie“ stand übrigens die Frage: Wollen Sie es weiter miteinander versuchen? Und die Antwort darauf sowie das Fazit der anwesenden VertreterInnen von Jugendhilfe und Gesundheitswesen war ein klares „Ja!“.

Jessica Schneider
Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin
Kontakt: jschneider@difu.de

Kerstin Landua
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin
Kontakt: landua@difu.de