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02.12.2019
Arbeitspapier

Die doppelte Pubertät der Pflegekinder

Wenn Kinder zwischen zwei Familien hin- und hergerissen sind

Im Gegensatz zu Kindern, die in ihren eigenen Familien aufwachsen, haben Pflegekinder die besondere Herausforderung, sich mit zwei Familienmodellen - dem ihrer Herkunftsfamilie und dem der Pflegefamilie - auseinander setzen zu müssen. Imke Büttner ist Expertin für die Pflegekinderhilfe beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und macht in einem Interview klar, warum die Pubertät für Pflegekinder und -eltern besonders herausfordernd sein kann.
Frau Büttner, haben es pubertierende Pflegekinder schwerer als andere Jugendliche?

Imke Büttner: Ein Pflegekind ist immer das Kind von mindestens zwei Familien. Und damit geht ein Konflikt einher, der die jungen Menschen ihr Leben lang begleitet: Das Pflegekind ist innerlich hin- und hergerissen zwischen der Verbindung zu den eigenen Eltern - unabhängig davon, wie belastend diese war - und der Beziehung zu den Pflegeeltern. Dieser innere Konflikt erschwert in der Pubertät die Loslösung. Denn zu dieser Lebensphase gehört die Abgrenzung von den Eltern, um eigene Vorstellungen und eine eigene Identität zu entwickeln. Aber welche Identität welcher Eltern soll das pubertierende Pflegekind denn ablehnen? Es hat doch mindestens zwei - und oftmals sehr unterschiedliche - von den jeweiligen Eltern vermittelte Identitäten.

Wie sollen Pflegeeltern denn darauf reagieren?

Imke Büttner: Dabei hilft die Erkenntnis von Dr. Eberhard Krüger, dem Autor des Buches "Pubertät bei Pflegekindern" weiter: "Pubertät wird zwar persönlich geführt, ist aber nicht persönlich gemeint." Das Pflegekind ist beachtlichen Veränderungen ausgesetzt und soll dabei von den Pflegeeltern selbst und den Fachkräften der Pflegekinderdienste begleitet wer-den. Die Pflegeeltern müssen sich ihrer Erwachsenenrolle bewusst sein. Sie müssen sich darüber klar werden, dass sie in dieser Jugendphase zu pflegeelterlichen Beratern werden, denn Pubertierende können nicht mehr erzogen werden.

Das ist wohl leichter gesagt als getan. Wie kann das gelingen?

Imke Büttner: Dafür brauchen sie bestimmte Grundhaltungen und einen besonderen Umgang mit den Pubertierenden: Die Pflegeeltern müssen empathisch sein und einfühlsam kommunizieren. Sie müssen die Fähigkeit zur Distanzierung durch professionelle Nähe hin-bekommen. Außerdem müssen sie klare Regeln aufstellen und klare Linien für Verantwortungsübernahme ziehen. Die Pubertierenden müssen also lernen, Verantwortung zu übernehmen, und Pflegeeltern müssen lernen, diese abzugeben. Dabei werden Pflegeeltern nicht selten mit der Herkunftsfamilie, mit der sich Pflegekinder während der Pubertät neugieriger und intensiver beschäftigen, konfrontiert. In dieser Phase ist es gut, wenn Pflegeeltern auf die Beratung und Begleitung durch eine vertraute und kompetente Fachkraft zurückgreifen können, um die konfliktanfälligen Situationen meistern zu können.

Hintergrund:

Das LWL-Landesjugendamt Westfalen hat das Buch "Pubertät bei Pflegekindern" veröffentlicht. Es richtet sich an Fachleute aus Pflegekinderdiensten sowie Pflegeeltern und stellt hilf-reiche und praxistaugliche Vereinbarungen und Absprachen zwischen Pflegekind und Pflegeeltern vor, die den Alltag erleichtern können.

Das Buch kann beim LWL für 10 € erworben werden.

Quelle: Pressemitteilung vom LWL 29.08.2019

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