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Trau dich was - du bist wer!
Der Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V. hat eine neue Internetseite zu seinem Projekt: Trau dich was – du bist wer. Das Projekt entstand aufgrund von viel Frust und Hilflosigkeit der Pflegeeltern im Umgang mit Ämtern, Krankenkassen, Kliniken etc. Wie können Pflegeeltern das aushalten? Wie können sie ihre wichtige Aufgabe weiterhin erfüllen, wenn sie sich nicht wertgeschätzt und akzeptiert fühlen?
Der Bundesverband hat Pflegeeltern befragt, eine Tagung und Workshops gemacht und beschlossen, Pflegeeltern zu ermutigen, ihnen Wissen an die Hand zu geben und sie aufzubauen. „Trau dich was – du bist wer“ ist das derzeitige Ergebnis dieser Bemühungen. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen und wartet noch auf Interessierte und Beteiligte, die ebenfalls dazu etwas beitragen möchten – z.B. durch das Ausfüllen eines Fragebogens auf der Internetseite.
Auszüge aus der Internetseite vermitteln Sinn und Inhalt des Projektes:
Überblick
Man könnte verzweifeln: Jede Woche erreichen uns Hilferufe von Pflegeeltern, die vor bürokratischen Hürden stehen und doch so viel lieber ihre Energie für den Umgang mit ihren Kindern verwenden würden. Leistungen sollen gekürzt oder nicht bewilligt werden, obwohl sie im Gesetz stehen; Entscheider verweigern ihre Zustimmung; Hilfeanfragen fürs Kind werden mit persönlichen Vorwürfen oder Angriffen abgewiesen.
Da braucht es dringend neuen Mut! Ein bisschen davon möchten wir vom Bundesverband behinderter Pflegekinder e.V. mit dieser Seite wecken. Mut zum Weitermachen. Mut zu Selbstbewusstsein. Und den Mut, engagiert seine Rechte zu vertreten.
Deshalb das Motto: „Trau dich was – du bist wer!“
Alte Lasten
Vorwürfe und Vorurteile: Was man so mit sich herumschleppt
Fragt man Pflegeeltern, was sie im täglichen Leben belastet, sind es selten die Kinder – selbst wenn diese behindert, chronisch krank oder besonders herausfordernd sind. Belastend wirken diejenigen Situationen, in denen einen Ämter oder Krankenkassen, Ärzte oder Pädagoginnen nicht ernstnehmen; Äußerungen, die einen als Person infrage stellen; Kommentare, die besonders verletzend oder entwürdigend sind, weil sie von Menschen kommen, die einem als Fachleute eigentlich helfen sollten. Und mit denen Pflegeeltern nicht selten moralisch erpresst werden: „Wenn Sie mit der Situation überfordert sind, müssen wir uns schon fragen, ob das Kind bei Ihnen richtig untergebracht ist.“
Was Pflegeeltern als belastend erleben
Es folgt eine längere Liste von Belastungen - einige möchte ich aus der Internetseite herausnehmen:
- finanzielle Unsicherheit,
- unklare Ansprüche,
- Ständige Rechtfertigungspflicht
- wir werden mit Misstrauen beäugt,
- Lange Wartezeiten auf Reaktionen vom Jugendamt
- Zermürbender Kampf um Hilfsmittel - (und Unterstützung)
- Zukunft / Rente unklar
- Rechtliche Situation oft ungeklärt
- Emotionale Erpressung - Drohung mit Herausnahme oder Leistungskürzung - Forderung nach Verzicht auf Klage oder auf Diagnostik
- Mangelnde Integration - fehlendes Verständnis von anderen / Kindergarten / Schule
- Kommunikation mit Ärzten / Therapeuten / Lehrern läuft nicht auf Augenhöhe - werden in der Elternrolle nicht ernst genommen
- 24-Stunden-Dauerengagement/-einsatz über viele Jahre,
- Vorurteile und negative Sichtweisen - schlechtes Image von Pflegeeltern.
Neuer Mut
Wie andere damit umgehen: Beispiele, die ermutigen können
Pflegeeltern leisten einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft. Das wird jeder Jugendamtsleiter gerne bestätigen. Die Herausforderung ist allerdings etwas komplexer – weil Emotionen im Spiel sind. Einerseits sollen wir gefühlvoll auf die Sorgen und Nöte der aufgenommenen Kinder eingehen und selbstverständlich Bindungen aufbauen – andererseits sollen wir sachlich-distanziert mit Schwierigkeiten umgehen und mit Nicht-Familienmitgliedern intensiv über unsere Kinder diskutieren. Eine Gratwanderung, manchmal auch ein Dilemma. Auf welche Weise man dabei dennoch neuen Mut fürs Alltagsleben gewinnen kann, haben wir in einer Umfrage unter Pflegeeltern erfahren.
Zuversicht auch ohne Idealzustand
Den Zustand des idealen Pflegeverhältnisses hat das Aktionsbündnis Praxis auf diese Weise beschrieben:
Pflegekinder werden in Pflegefamilien untergebracht, um dort Familie zu erleben. Familie mit Nähe, Ritualen und Beziehungen. Die Pflegeeltern bieten dem Kind Beziehung an und das Kind entwickelt Beziehungen zu den Pflegeeltern. Das Kind und die Pflegeeltern kommen sich näher, das Kind wird ein wichtiges Mitglied der Familie und die Pflegeeltern empfinden Verantwortung und Liebe. Sie wissen, dass das Kind bei ihnen eine gute Chance bekommen hat, die besonders dann erfolgreich sein kann, wenn die Beziehung der Pflegeeltern und des Kindes nicht infrage gestellt wird und das Pflegekind Geborgenheit in der Pflegefamilie erfahren kann.
Ob man dies erreicht, liegt oft nicht an einem selbst. Aber dagegen, im Alltag zu verzweifeln, kann man etwas tun – zum Beispiel, sich von anderen inspirieren zu lassen. Die folgenden Antworten haben uns unterschiedliche Pflegeeltern aus ganz Deutschland zugeschickt. Zur Veröffentlichung haben wir sie anonymisiert.
Es folgen eine Liste von Ideen und guten Erfahrungen, die Pflegeeltern für andere Pflegeeltern aufgeschrieben haben.
Wege
Die richtige Abzweigung finden: Wege zu neuer Stärke
Und wie erreiche ich jetzt, dass in meinem Pflegefamilien-Alltag wieder mehr Mut einkehrt? Gar nicht so einfach, da ein Patentrezept zu finden. Als Ergänzung zu den Beispielen, wie es andere Pflegeeltern machen, haben wir hier noch einige weiterführende Gedanken zusammengetragen – auf dass die viel (und Vielen) helfen mögen!
„Zum Trauen gehört zuerst das Wissen!“, hat Henrike Hopp gesagt, als sie uns bei einem Fachseminar für Pflegeeltern begleitet hat. Bescheid zu wissen, ist der beste Weg, um etwas zu erreichen. Wer sich besser auskennt als sein Sachbearbeiter (oder zumindest gleich gut), läuft nicht so schnell Gefahr, überrumpelt zu werden. Und erkennt leichter, wo eine Argumentation auf den eigenen Fall vielleicht gar nicht zutrifft.
Für besonders wichtige oder auch kniffelige Gespräche empfehlen wir außerdem: Nehmen Sie sich Hilfe mit! Sie haben immer das Recht auf einen Beistand Ihrer Wahl – eine Vertrauensperson, die mitgeht. Und einfach nur dabei ist. Manchmal wirkt allein das schon Wunder. Und wenn sich Ihr Beistand fachkundig ins Gespräch einbringen kann, umso besser.
Wo findet man Wissen?
Alle Gesetzestexte und zahlreiche Vorschriften und auch Urteile stehen online. Google hilft, in Ruhe lesen auch. Ansonsten sind persönliche Kontakte ratsam: Pflegeelternverbände haben oft geschulte Fachberater zu diversen Themen oder wissen, an wen man sich wenden kann. Und auch die Investition in eine Beratung beim Fachanwalt kann sich lohnen. Je nach Verfahren kann man die Kosten sogar manchmal ersetzt bekommen.
Vernetzen Sie sich mit anderen, die in einer ähnlichen Lage sind. Aber bleiben Sie kritisch: Gerade in Online-Foren und Chat-Gruppen wird viel Halbwissen transportiert, und manche Fehlinformation hält sich hartnäckig. Prüfen Sie deshalb immer auch anhand anderer Kriterien, ob Angaben stimmen können.
Schritt für Schritt
Auf welchem Weg kann man selbst zu eigener Stärke finden? Folgende Schritte, die wir im Seminar erarbeitet haben, können Pflegeeltern eine Orientierung geben:
- Standort bestimmen
- Ziel klären
- Wissen aneignen
- Helfer / Hilfe / Beistand suchen, eventuell Öffentlichkeit herstellen
- aufrichten, stark sein, ruhig argumentieren, Provokationen ignorieren oder abwehren
- berühren und überzeugen.
Politik in der Sackgasse
Und dann wäre da noch – das Trauerspiel mit der Politik. Die Gesetzeslage ist für Pflegekinder, die besondere Herausforderungen mit sich bringen, im Moment leider so schlecht wie noch nie. Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, das zumindest einen Teil der seit Jahren bestehenden Missstände hätte beheben sollen, ist 2017 im Bundestag blockiert worden.
Dabei wäre es dringend notwendig: Ende 2018 läuft die Übergangsregelung im Zwölften Sozialgesetzbuch (§ 54 Abs. 3) aus, nach der Kinder mit Behinderung in Pflegefamilien leben können. Eigentlich hätte diese Regelung längst durch eine „inklusive Lösung“ ersetzt werden sollen. Im Moment sind jedoch weder eine inklusive Lösung noch eine Verlängerung in Sicht. Dann stehen behinderte Pflegekinder nächstes Jahr völlig ohne Gesetzesgrundlage da.
Es ist für die Politik dringend notwendig, hier zu handeln. Und zwar noch 2018!
Was brauchen wir, damit es uns besser geht
Pflegeeltern haben in unseren Workshops formuliert, was ihnen gut täte:
- Wertschätzung, Anerkennung, Respekt; - dass unsere Leistung gesehen wird
- Fachliche Diskussionen, nicht persönlich werden - Unabhängige Beratung (von Krankenkassen, Trägern) - ohne dass jemand Angst hat, dass ich ihn Geld koste
- Ausreichende finanzielle Ausstattung
- Vertrauen: Pflegeeltern sind ja nicht schuld an der Situation des Kindes
- Selbstbestimmung
- Vergleichbarkeit, einheitliche Regelungen bundesweit
- Gutes Schulsystem, das mit Inklusion zurechtkommt
- Nachsorge (wenn ein Kind nicht mehr in der Pflegefamilie leben kann bzw. gestorben ist)
Was brauchen wir, um das zu lösen
- eine Anlaufstelle / Case Management / Lotsendienst
- Fachkompetenz
- Verbindliche Regelungen bundesweit / Leitfaden für Ämter
- Selbstwertgefühl
- Vernetzungen
- Stärkung / Rechte einfordern
- Öffentliche Wahrnehmung / Aufklärung
- Besseres Image / bessere Lobby
Wie das gehen könnte
- Wir müssen aus unserer gebückten Haltung raus!
- Ohne Angst
- Rückgrat haben
- Unsere Lebenseinstellung/-ideologie macht uns wertvoll!
- Man muss an das Gute glauben!
- Wenn wir uns nicht einsetzen für unsere Kinder, macht es keiner.
- Trotz allem: Optimismus!
„Sie müssen so etwas wie Optimismus haben, wenn Sie Kindern helfen wollen.“ Auch diesen Satz hat uns Henrike Hopp mit auf den Weg gegeben. In diesem Sinne wünschen wir allen Pflegeeltern: Kopf hoch und gutes Gelingen!
Wenn auch Sie etwas zur Sammelaktion guter Dinge beitragen wollen, dann füllen Sie doch bitte den Fragebogen auf der Internetseite aus – so helfen Sie allen anderen auch.